In Concert: Veronika Eberle, Aphrodite Patoulidou, Barbara Hannigan und das London Symphony Orchestra in der Elbphilharmonie

Es ist schon März und es gab noch kein berichtenswertes Konzert? Stimmt nicht ganz. Es gab zum Beispiel ein „Blind Date“, am Valentinstag ausgerechnet, das sich als barocker „Specchio Veneziano“ entpuppte. Das Pariser Ensemble Le Consort spielte Werke von Antonio Vivaldi, Giovanni Battista Reali, Marco Uccellini und Johann Sebastian Bach, und zwar mit einer Verve, die den gesamten (natürlich ausverkauften) Saal begeisterte. Das Hamburger Publikum gegen Ende eines Barockmusikabends zu dreistimmigem Gesang bewegen: Das muss man auch erst schaffen. Und im Januar war ich noch in „Slippery Slope“ im Thalia Theater, vielleicht nur „Almost a Musical“, aber mit unwiderlegbar musikalischem Schwerpunkt. Oder, anders herum: ein schlaues Stück kombiniert mit einem Ritt durch diverse Musikgenres und großartigen Sänger:innen.

Der März wird mir dagegen richtiggehend überladen vorkommen. Den Anfang machten Barbara Hannigan und das London Symphony Orchestra im großen Saal der Elbphilharmonie. Die Motive Tod, Verlust und Trauer zogen sich durch das Programm.

Da war zunächst „Contrapunctus XIX“, das letzte Stück aus der unvollendeten „Kunst der Fuge“ von Johann Sebastian Bach. Mich hat die Bearbeitung für Orchester nicht sonderlich überzeugt. Daran konnte auch die Ausführung durch die Musiker des LSO nicht viel ändern.

Ganz anders erging es mir erwartungsgemäß mit „Dem Andenken eines Engels“ von Alban Berg. Ich bin wahrlich kein Berg-Fan, aber das Violinkonzert hat sich bei mir eingegraben, spätestens seit der Kombination mit „Lulu“ in der Hamburger Staatsoper. Die Kombination aus LSO, Hannigan und Veronika Eberle kann man mit Fug und Recht als Idealbesetzung für dieses Stück bezeichnen.

Die Haydn-Sinfonie hatte wohl am ehesten das Potenzial, das anwesende Publikum zu überzeugen. Während des folgenden Vivier-Stücks hatten manche Zeitgenossen in meiner unmittelbaren Umgebung jedoch Schwierigkeiten, Ernst und Ruhe zu bewahren. Zu größeren Ausfällen kam es glücklicherweise nicht. Zugegeben, so ein Werk wie „Lonely Child“ mit seinem Ausflug in phantasiesprachliche Lautmalerei und deren intensive Interpretation von Aphrodite Patoulidou muss man mögen. Man sollte aber mit Anspruchsvollerem rechnen, wenn man bei Kauf eines Konzerttickets ins Programm schaut und dabei ein Stück aus dem Jahr 1980 erspäht. Ganz sicher war ich auch nicht, ob es mir zusagen würde. Aber ich fand beides faszinierend, sowohl das Stück als auch die Sängerin.

Als Nächstes ist ein Ausflug nach Berlin dran, dann die FABRIK, dann noch zweimal die Elbphilharmonie, wieder die FABRIK und dann ist es auch schon fast April.

The Show must go online (6)

In Hamburg treten diese Woche die ersten Lockerungen nach dem coronabedingten Shutdown in Kraft. Die Kultur ist dabei noch nicht berücksichtigt, wenn man einmal von der schrittweisen Öffnung von Buchhandlungen und Bibliotheken absieht. Ich lasse mich gerne positiv überraschen, aber nach dem aktuellen Stand der Dinge glaube ich nicht, dass die Spielzeit 2020/21 regulär starten kann.

Ich habe hier schon einige Theater-Tipps verteilt, allerdings bisher ausschließlich Auswärtiges. Auf Wunsch eines einzelnen Herrn (quasi Leserbrief! Toll!) weise ich auf die gestreamte „Effi Briest“ des Deutschen SchauSpielhauses hin, die soll nämlich super sein. Damit es keinen Ärger gibt: Das Thalia Theater streamt auch.

Stichwort Streaming: Netflix hat verschiedene Dokumentationen bei YouTube eingestellt, darunter die überaus empfehlenswerte Serie „Abstract: The Art of Design“. Lieblingsfolgen bisher: Christoph Niemann („Illustration“), Paula Scher („Graphic Design“), Platon („Photography“).

Schnitt.

Dass social-media-aktive Museen sich auf Twitter gegenseitig herausfordern, ist nicht unbedingt ein Lockdown-Phänomen. Dennoch sei an dieser Stelle der vom Yorkshire Museum angestoßene #curatorbattle der vergangenen Woche zum Thema #CreepiestObject erwähnt. Mein Favorit ist der Beitrag des York Castle Museums„STEP ASIDE ALL.“. Das Deutsche Historische Museum steuerte übrigens eine Pesthaube bei. Zweifelsohne creepy, aber in Zeiten wie diesen vielleicht etwas phantasielos.

Zurück nach Hamburg. Eigentlich hätte in Hamburg am 25. April 2020 die Lange Nacht der Museen stattfinden sollen. Abgesagt, wie alles übrige. Aber nun wieder „Angesagt“, und zwar digital auf YouTube und Facebook: Ab 18 Uhr geht es los.

Ich erwähnte in der vorletzten Folge die Auswirkungen des Lockdown auf freischaffende Musiker, insbesondere in Großbritannien. Wem der Begriff „Auswirkungen“ zu abstrakt ist: Die New York Times beschreibt diese sehr anschaulich am Beispiel des Tesla Quartets.

Nicht nur junge, aufstrebende Musiker sind betroffen, auch sehr etablierte Ensembles kämpfen ums nackte Überleben. So veröffentlichte das Mahler Chamber Orchestra unlängst einen Spendenaufruf: „Our situation is critical. Help us to #KeepPlaying.“

In Deutschland gibt es mittlerweile zahlreiche Initiativen zur Unterstützung freischaffender (Orchester-)Musiker, so zum Beispiel den Elbphilharmonie Hilfsfonds sowie Spendenaktionen der Deutschen Orchester- und der Hamburgischen Kulturstiftung. Unterstützen kann man auch dadurch, indem man auf Ticketerstattungen verzichtet. Das geht beispielsweise bei der Elbphilharmonie und den Hamburger Philharmonikern ganz einfach per Onlineformular.

Theoretisch bieten auch Ticketverkäufer solche Formulare zur Rückerstattung an. Nur praktisch funktioniert das leider nicht immer. Mich hat sehr beeindruckt, wie schnell und umfassend ich von Künstlern, Veranstaltern und Händlern über Ausfälle, Verschiebungen und Rückerstattungsmodalitäten informiert worden bin. Diese Regel wird durch eine unrühmliche Ausnahme bestätigt: Ticketmaster. Das scheint eine größere Baustelle zu sein. Jedenfalls bekommt der Laden von mir vorerst kein Geld mehr.

Zurück zur Musik. Das von Teodor Currentzis gegründete Ensemble musicAeterna hat den Start einer eigenen digitalen Plattform zum 23. April 2020 angekündigt, unter anderem auf Facebook und mit diesen Worten:

What is it going to be? A concert hall? A study room? An online encyclopedia? First and foremost, it will be our community.

Ich bin sehr gespannt.

Von Löwen und Schafen

Eigentlich hätte ich nicht zwingend ins Theater gehen müssen am vergangenen Wochenende. Beide Stücke hatte ich nämlich schon gesehen: Den „König Ödipus“ mit Mutter und Schwestern anlässlich der Premiere vor rund zehn Jahren (Huch?!) im Schmidt Theater (bei der die anwesenden Gottheiten die dem Künstler mutmaßlich zahlreich ausgesprochenen „Hals- und Beinbruch“-Wünsche teilweise wörtlich nahmen) und die „Antigone“ bei der öffentlichen Generalprobe im letzten Jahr am gleichen Ort.

Das Gastspiel-Double Feature im Thalia (!) konnte ich natürlich trotzdem nicht links liegen lassen. Und so begaben Carl und ich uns am Freitagabend Richtung Alstertor.

Carl
Carl

Zu Anfang des Stücks war ich noch die einzige in tierischer Begleitung. Nach der Pause waren wir mindestens zu acht.

Dass es bei „Antigone“ tags darauf nicht wenige Wiederholungstäter gab, wurde bereits beim „Was zuvor geschah“-Song deutlich („Ö-di-pus!“). Auch war die Sphinx- und Minotaurus- bzw. Löwen- und Schafdichte gleich zu Beginn signifikant höher. Das Sequel funktioniert nicht zuletzt durch das eingebaute Recap ohne Vorwissen, aber eine ganze Ecke mehr Spaß hat, wer die Querverweise versteht. Lieblingsszene und Beweis: Der frenetisch bejubelte Auftritt des Boten formerly known as der Hirte aus Korinth.

Fazit: Ich guck mir beide Stücke auch noch ein drittes Mal an. Und ein viertes, eventuell gar fünftes Mal. Vielleicht sollte ich mir der Einfachheit halber die DVDs zulegen: Den „König Ödipus“ gibt es bereits seit 2010 als Konserve und der Theaterfilm zu „Antigone“ ist gerade in der Postproduktion.

Was mir nun aber immer noch fehlt, ist eines der Klavierkabarettprogramme live und in Farbe. Eine ganz schlimme Lücke, die dringend geschlossen gehört!

Buchpremiere: Saša Stanišićs „Herkunft“ im Thalia Theater

Warnung! Wer kein Geld für Literatur ausgeben kann oder möchte, sollte auf gar keinen Fall eine Lesung mit Saša Stanišić besuchen! Zur Premiere des letzten Buches schrieb ich:

Da liest … eine im positiven Sinne hyperaktive und außerordentlich sympathische Rampensau, die große, sehr große Freude an der Interaktion hat. Das bringt Laune und macht Lust auf das Buch.

Das war vor knapp zwei Jahren und gilt bis heute. Damals war’s der Erzählband „Fallensteller“, vorgestern im gut gefüllten Thalia Theater stellte Stanišić im Tandem mit Lektor Martin Mittelmeier seinen neuen Roman „Herkunft“ vor. Und auch diesen werde ich nun wohl kaufen und lesen müssen. Oder, vielleicht noch besser, ich lasse lesen, und zwar vom Autor höchstselbst: Das Hörbuch ist diese Woche beim Hörverlag erschienen. Leider nur als gekürzte Lesung (warum?!), aber immerhin.

 

In Concert: Anna Depenbusch im Thalia Theater

Die Musik von Anna Depenbusch lernte ich um und bei 2010 durch das Stück „Heimat“ auf dem Sampler „Genau meine Musik“ kennen. Das mochte ich so sehr, dass ich mir das Album „Ins Gesicht“ kaufte. Um dann festzustellen, dass mir aus diesem schon ein weiteres Stück begegnet war („Streichholz“), und zwar knapp drei Jahre zuvor.

Es dauerte unverständlicherweise noch drei weitere Jahre, bis ich Anna zum ersten Mal live auf einer Bühne sah: solo an Klavier, Gitarre und Ukulele bei der IGS 2013 in Wilhelmsburg. Fan war ich da längst und entzückt ab dem ersten Ton, aber dann setzte sie mit „Der Mann für mich“, einer deutschsprachigen Version von Billy Joels „She’s always a woman“*), meiner Begeisterung noch die Krone auf.

„Gehen Sie zu Anna Depenbusch“, brachte es Dr. Christian Kuhnt, Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals, unlängst bei der Programmvorstellung 2017 in Hamburg auf den Punkt: „Ich verspreche Ihnen, Sie werden am Ende des Abends unsterblich in sie verliebt sein. Und Ihre Frau auch!“

Das Konzert heute im Thalia Theater war restlos ausverkauft. Wer nicht zum Zuge gekommen ist, dem bietet sich am 8. Juli 2017 eine zweite Chance: Für den SHMF-Termin im Lokschuppen der S-Bahn Hamburg gibt es noch Karten. Außerdem für Düsseldorf, Nürnberg, Karlsruhe, Mannheim, Osnabrück, Würselen, Ingelheim, Dreieichenhain, Dresden, Leipzig, Ribbeck und Lübeck.

Hin da!


*) siehe auch „#30DayMusicChallenge (2)“, No. 20

Theater, Theater: Der Schimmelreiter im Thalia

„Erzählt, erzählt nur, Schulmeister“, riefen ein paar der jüngeren aus der Gesellschaft.

„Nun freilich“, sagte der Alte, sich zu mir wendend, „will ich gern zu Willen sein; aber es ist viel Aberglaube dazwischen und eine Kunst, es ohne diesen zu erzählen.“

„Ich muß Euch bitten, den nicht auszulassen“, erwiderte ich; „traut mir nur zu, daß ich schon selbst die Spreu vom Weizen sondern werde!“

Theodor Storm: Der Schimmelreiter

Das Theater und ich, wir sind bisher nicht so recht warm geworden miteinander. Insbesondere, wenn es um zeitgenössische Inszenierungen und Formate geht. Wie ich neulich bei einer lebhaften Facebook-Diskussion über die von Jette Steckel inszenierte „Zauberflöte“ lernte, kann man das, mit dem ich in der Hauptsache fremdele, unter dem Begriff „Regietheater“ zusammenfassen.

Da nimmt also ein Regisseur ein Stück bzw. einen Stoff, transportiert ihn in einen anderen Zeitrahmen oder Zusammenhang und baut eigene Elemente ein. Im Falle der „Zauberflöte“ hinterließ mich das mit großen Fragezeichen, denn da tauchten Dinge auf, die sich meines Erachtens in keiner Weise mit der im Libretto erzählten Geschichte in Einklang bringen ließen. Was mich zu der Frage brachte: Wenn jemand eine neue/andere Geschichte erzählen will, warum gibt er nicht einfach ein neues Stück oder eine neue Oper in Auftrag? Oder: Warum heißt es dann „Wolfgang Amadeus Mozart: ‚Die Zauberflöte‘, Inszenierung: Jette Steckel“ und nicht „Jette Steckels ‚Zauberflöte'“? Das wäre für mich als unbelecktes Element jedenfalls deutlich übersichtlicher.

Ich mag außerdem keine Stücke, bei denen schauspielerische Leistung darin besteht, scheinbar zusammenhanglos herumzulaufen und zu schreien und in denen Blut, Sex, Exkremente, Gewalt und Nacktheit um ihrer selbst willen zum Einsatz kommen. Das mag für manche Menschen Theater sein, aber damit fange ich nichts an. Für mich ist das blanker Unsinn. Auf einem meiner neu entdeckten Lieblingssender, dem Deutschlandfunk, hörte ich unlängst zufällig die Sendung „Zwischentöne“, in der der Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier zu Gast war. Der nannte diese Art von Darstellung „Blut-und-Hoden-Theater“ und brachte überhaupt ziemlich genau auf den Punkt, was mich an solcherlei Ausprägungen dieser Kunstform so irritiert. Womit ich mich vermutlich als stockkonservativ oute, aber dazu stehe ich, zumindest in diesem Zusammenhang, uneingeschränkt.

Trotz dieser Voraussetzungen wagte ich mich also gestern ins Thalia zur Premiere des „Schimmelreiters“ unter der Regie von Johan Simons. Der, wie in seiner Biografie zu lesen ist, im Alter von 7 Jahren die Flutkatastrophe von 1953 miterlebte. Wie geht so jemand mit dem Schimmelreiter um?

Die Antwort: Erstaunlich puristisch. Der Deich war ein Deich, die Glocke eine Glocke und der (tote) Schimmel ein (toter) Schimmel. Eine halbe Stunde verging und immer noch passierte nichts Ungeheuerliches. Ich war beinahe ein bisschen enttäuscht, genoss dann aber bald, mich nur auf das Spiel konzentrieren zu können (Barbara Nüsse! Jens Harzer!), auf den zyklischen Aufbau und die feinen, aber signifikanten Änderungen an der Konstellation des Ensembles, gerade bei den Wiederholungen. Erst ganz zum Schluß gab es einen Ausfallschritt, den man als Bruch werten kann. Ich möchte ungern spoilern und daher nur sagen: Ich meine das nicht, weil sich da kurz vor Dunkeltuten tatsächlich noch jemand auszieht. An dieser Stelle war Nacktheit sehr schlüssig und wurde zudem durch geschickte Beleuchtung abstrahiert.

Das Publikum wirkte am Ende ermattet: Dafür, dass außer dem Schimmelreiter nichts passierte, war’s dann doch arg lang. Vielleicht hätte man etwas straffen können. Aber als (Wieder-)Einstiegsdroge war das alles gar nicht so verkehrt.

Nachtrag: Neben mir saß übrigens jemand, der sich hauptberuflich mit der Materie beschäftigt. Was er zum Stück zu sagen hatte, kann man im „Hamburger Abendblatt“ nachlesen. Aber Achtung: Spoiler!