Quartalsmeldung 2/2024 (oder so ähnlich)

Weiter geht es voraussichtlich erst im Mai, denn der April ist fast vollständig durch Termine anderer Art besetzt. Der Bericht folgt Ende Juni. Wenn mich dann nicht die Masterarbeit verschluckt hat.

Was soll ich sagen – liebe Leserin, lieber Leser (und alle dazwischen): Die Masterarbeit hatte mich verschluckt. Jetzt, genau vier Wochen vor dem Abgabetermin, sehe ich allmählich wieder Land und kann die begonnene Reihe fortsetzen. Der Plan: die Spanne Mai bis August fasse ich knapp zusammen, flankierend gibt es ein paar gesammelte „Statt Postkarten“, das Internationale Sommerfestival bekommt wie jedes Jahr einen eigene Berichterstattung und ab September wird wieder normal gebloggt! So!

Mai

Anfang Mai hatte ich die Gelegenheit und das Vergnügen, an einem hamburgafterwork-Instawalk durch die Ausstellung „Zwischen Sturm und Stille“ im Internationalen Maritimen Museum teilnehmen zu dürfen.

Volker Tieman: Große Woge
Volker Tieman: Große Woge
Michael Ancher: (Drei von) Vier Fischer(n) am Strand vor Skagen
Michael Ancher: (Drei von) Vier Fischer(n) am Strand vor Skagen
Trine Sondergaard: Strude #1
Trine Sondergaard: Strude #1

Die Ausstellung des Museums Kunst der Westküste (MKdW) ist kürzlich bis zum 12. Januar 2025 verlängert worden. Der Besuch lohnt sich sehr. Zu diesem Urteil wäre ich mutmaßlich auch ohne die Veranstaltung gekommen, den Wein vom Föhrer Weingut Waalem hätte ich dagegen wohl nicht so schnell entdeckt. Im Oktober werde ich dem MKdW höchstselbst einen Besuch abstatten. Dem Weingut leider nicht, dort ist dann nämlich Erntezeit und deshalb für Besucherinnen und Besucher verständlicherweise kein Raum.

Ansonsten war ich bei zwei Konzerten des Internationalen Musikfests Hamburg – das Kronos Quartet und Teodor Currentzis und Utopia mit Anton Bruckners Sinfonie Nr. 9 d-Moll – und bei einem „Blind Date“, alles in der Elbphilharmonie. Das Konzert des Kronos Quartet war mit „KRONOS – Five Decades Celebration“ überschrieben, hatte dann aber doch etwas weniger „Best of“-Charakter als erhofft. Meine Lieblingsstücke: „Lunch in Chinatown“ von Terry Riley und „Different Trains für Streichquartett und Tonband“ von Steve Reich.

Von Teodor Currentzis und Utopia habe ich an dieser Stelle schon ausführlich geschwärmt, das muss ich im Rahmen dieses Schnelldurchlaufs nicht in epischer Breite wiederholen. Jedenfalls wurde ich nicht enttäuscht. Im letzten „Blind Date“ der Saison 2023/24 schließlich präsentierten Nils Mönkemeyer (Bratsche), Sebastián Sciaraffia (Barockgitarre), Gonzalo Manrique (Barockgitarre), Martín Bruhn (Percussion) und Rubén Dubrovsky (Colascione, Charango) unter der Überschrift „Viola Latina! Living Baroque“ eine Reise durch verschiedene Regionen und Musikstile Südamerikas. Das traf nicht ganz mein Geschmack, was aber bei der „Blind Date“-Reihe nur eine untergeordnete Rolle spielt, denn, ich erwähnte es vermutlich schon mehrfach: Man kann sich auf die Qualität der dort auftretenden Künstlerinnen, Künstler und Ensembles im wahrsten Sinne des Wortes blind verlassen.

Juni

Der Juni begann mit dem ELBJAZZ. Man sollte es vielleicht nicht mehr so nennen: Vielleicht sind es noch 50% Jazz gewesen, möglicherweise ist aber auch das schon eine zu optimistische Einschätzung. Die Bezeichnung Etikettenschwindel drängt sich auf, nicht erst seit diesem Jahr.

ELBJAZZ (Symbolbild)
ELBJAZZ (Symbolbild)

Meine musikalischen Highlights: Asaf Avidan (kein Jazz), Belle & Sebastian (auch kein Jazz), Rocket Men (ebensowenig Jazz wie GoGoPenguin) und – zu sehr später Stunde in der Elbphilharmonie – Martin Kohlstedt (ebenfalls kein Jazz).

Die Rocket Men habe ich aufgrund ungünstiger Umstände leider nur außerhalb der Schiffbauhalle erleben dürfen und mir deshalb im Anschluss schleunigst eine Karte für eine der beiden inzwischen ausverkauften „Lost in Space“-Shows Ende November im Planetarium Hamburg gesichert. Das wird bestimmt großartig.

Kameramann
Kameramann

Meine nichtmusikalischen Highlights: der Kameramann an der Hauptbühne, das Holzofenbrot – zugegebenermaßen hauptsächlich wegen des Holzofens – und das Crumble. Eine Glühweinbude wäre angesichts der vorherrschenden Temperaturen, verstärkt durch den zeitweisen Niederschlag, auch nicht verkehrt gewesen. Ebenfalls nicht ganz so günstig waren die auffällig hartnäckigen Technikprobleme, vor allem während des Auftritts von Asaf Avidan. Ich erwarte Besseres von einem Festival dieses Kalibers, von dem Konzertausschnitte (leicht zeitversetzt) auch auf arte CONCERT präsentiert wurden.

Moment, da war doch vorher noch was! Ein Stummfilmkonzert in der Laeiszhalle nämlich: „Das Cabinet des Dr. Caligari“, untermalt von Klängen durch Karl Bartos (Kraftwerk). Das fand im Rahmen des Schleswig Holstein Musik Festival statt und war bemerkenswert gut.

Das „War Requiem“ von Benjamin Britten, als Programmpunkt des Internationalen Musikfests Hamburg gegen Ende des Monats aufgeführt vom SWR Symphonieorchester, dem London Symphony Chorus, dem SWR Vokalensemble Stuttgart, dem Knabenchor Hannover sowie Irina Lungu (Sopran), Allan Clayton (Tenor) und Matthias Goerne (Bariton), allesamt unter der Leitung von Teodor Currentzis, überforderte mich bedauerlicherweise aufgrund eines hauptsächlich masterarbeitsbedingten Formtiefs. Meine Konzentration reichte nicht, meine emotionale Verfassung befand sich in leichter bis mittelschwerer Schieflage und das Werk eignet sich nun einmal auch nicht sonderlich als Stimmungsaufheller.

Juli

Anfang Juli war ich bei Charly Hübner und Caren Miosga zu einer andeutungsweise szenischen Lesung mit Musik aus den „Jahrestagen“ von Uwe Johnson. Wobei weder die Vortragenden (Ninon Gloger am Klavier ausgenommen) noch das Publikum (wahrscheinlich zündet das Sujet im Osten der Republik noch anders) in Top-Form waren. Aber die Großartigkeit des Formats blitzte durch.

"Jahrestage" mit Charly Hübner, Caren Miosga und Ninon Gloger
„Jahrestage“ mit Charly Hübner, Caren Miosga und Ninon Gloger (v. l. n. r.)

In der Schule quälte man uns mit „Mutmaßungen über Jakob“, was dazu führte, dass ich um Johnsons Werk fortan einen großen Bogen machte. Merkwürdigerweise habe ich den ersten Satz des Romans („Aber Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen.“) nie vergessen können, den Rest aber vollkommen verdrängt… So oder so, vielleicht war der Abend im St. Pauli Theater ja der erste Schritt einer Wiederannäherung. Apropos St. Pauli Theater: Ich hatte vergessen, wie furchtbar unbequem man da sitzt!

Tags drauf sah und hörte ich das Chineke! Orchestra mit „African Suite“ von Fela Sowande, „To the Hibiscus“ von Cassie Kinoshi und Max Richters „Recomposed: Vivaldi – The Four Seasons“ (mit Elena Urioste an der Solovioline) in der Elbphilharmonie, eine weitere Veranstaltung des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Das hat mir richtig gut gefallen, ganz besonders der Richter/Vivaldi: Bis dato war das wohl die mit Abstand schönste Interpretation dieses Lieblingswerks, die ich erleben durfte. Ziel der Chineke! Foundation ist übrigens die Förderung der ethnischen Vielfalt in Orchestern und generell der klassischen Musikszene, hier erklärt von der Gründerin, Chi-Chi Nwanoku:

August

Der August war auch in diesem Jahr geprägt vom Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel (Bericht folgt – siehe oben). Zwischendrin war ich aber noch ein letztes Mal beim Schleswig-Holstein Musik Festival, genauer: beim Duo Ruut im Kleinen Saal der Elbphilharmonie. Das war ebenso zauberhaft wie unterhaltsam, des sehr speziellen Humors der beiden Musikerinnen wegen.

Und jetzt? Ist schon fast September. Krass.

In Concert: Colin Currie Group und Synergy Vocals in der Elbphilharmonie

Die Sache mit der Musik von Steve Reich und mir, das ist eine von diesen Spotify-Geschichten. Anfang 2016, nach Bruce Brubaker mit „Glass Piano“ im Birdland, lief das Album bei mir in der Dauerschleife. Prompt schlug mir der Algorithmus ein paar Tage später Steve Reichs „Music for Pieces of Woods“ aus dem Jahr 1973 vor, frei nach dem Motto: „Kunden, die Philip Glass mochten, mögen auch…“ – ihr kennt das.

Im ersten Anlauf reagierte ich auf das Stück allerdings eher ungnädig. Wenn ich morgens auf dem Arbeitsweg in der S-Bahn eine Playlist anwerfe, mag ich es nicht gern hektisch. „Was für ein elendes Geklacker ist das denn, ich will Musik!“, brummelte ich innerlich und bediente genervt die Skip-Taste. Später gab ich dem Titel eine zweite Chance und war fasziniert: Mit jeder Rhythmusverschiebung schien sich in meinem Kopf etwas mitzubewegen; das Gesamtgebilde erzeugte einen nahezu hypnotischen Effekt.

Wie das so ist, wenn man auf etwas gestoßen wird: Plötzlich sieht (bzw. hört) man es überall. NDR Kultur kam wenig später auf die keineswegs abwegige Idee, die Musik von Steve Reich mit der von Kiasmos in einem Konzert zusammenbringen und als ich knapp zwei Monate später im Barbican Centre das „Possibly Colliding“-Programm in Augenschein nahm, so fand ich dort unter anderem auch „Music for Pieces of Woods“ gelistet. Was mich in diesem Moment schon nicht mehr überraschte. Leider passte das Konzert nicht in den eng getakteten Zeitplan meines London-Aufenthalts.

Umso erfreuter war ich, als ich das „Maximal Minimal“-Festival im Programm der Elbphilharmonie entdeckte. Aus reiner Neugier und gegen meine Gewohnheit ließ ich den Klavierpart der Reihe links liegen und erstand ein Ticket für „Steve Reich: Drums“.

Damals wusste ich noch nicht, dass die Parkettebene 12 des Großen Saales nicht zwingend das beste Klangerlebnis gewährleistet. Bei „Music for Pieces of Woods“, aber auch bei „Drumming“ offenbarte sich das erneut: Die Akustik wirkte glashart und gnadenlos, dabei zeitweise hallig und überlaut. Wobei man dazu wissen muss, dass neben dem Vokalensemble nur ein Teil der Instrumente elektronisch verstärkt wurde. Unangenehm war auch das akustische Verhalten mancher Konzertteilnehmer. Ich bin inzwischen soweit: Menschen, die nicht flüstern können, sollte der Eintritt zu (größenteils) unverstärkten Konzerten in der Elbphilharmonie verwehrt bleiben. Dummerweise saßen gleich zwei dieser Exemplare in der Reihe vor mir („Das ist ganz schön laut.“ – „Ja, laut.“). Sie ließen sich auch durch strenges Mienenspiel der Umsitzenden nicht beirren.

Wo wir gerade dabei sind: Die zahlreichen Konzertneulinge in der Elphi hatten zwischenzeitlich eine Diskussion über „richtiges“ und „falsches“ Klatschen ausgelöst. Einige Für- und Gegenargumente wurden vor einiger Zeit im Hamburger Abendblatt veröffentlicht. Wobei auffällt, dass die Künstler sich zu dem Thema wesentlich entspannter äußerten als so mancher erzkonservative Musik“genießer“. „Bitte nicht schon wieder eine falsch verstandene (oder falsch verstehbare) ‚Willkommenskultur'“, du liebe Güte. In nicht wenigen, vornehmlich symphonischen Konzerten scheint dieser Typ des verknöcherten, humorbefreiten und elitär denkenden Klassikkonsumenten immer noch die Mehrzahl des Publikums zu stellen. Weswegen ich zunehmend Veranstaltungen und Veranstaltungsorte aufsuche, bei denen ich ein gemischteres Bild erwarten kann. Es ist auf Dauer ziemlich anstrengend, mit der eigenen Begeisterung zwischen solchen Miesepetern zu hocken.

Abgesehen davon, dass man bei einer hypersensiblen Akustik am besten den Mund hält, solange gespielt wird, steht eines jedoch außer Frage: Wenn ein Weltklasse-Ensemble auf der Bühne steht und der Komponist im Saal anwesend ist, die aufgeführten Stücke oder der Musikstil aber weder der Erwartung noch dem Geschmack entsprechen, dann gibt es genau zwei Optionen:

  1. Drinbleiben und versuchen, sich einzulassen. Mag sein, dass ich mit den Kompositionen auch dann nicht viel anfange, aber ich kann mindestens noch der Virtuosität der Aufführung Anerkennung zollen.
  2. Zur Pause das Konzert verlassen. Das ist vollkommen legitim.

Was absolut gar nicht geht, ist mitten im Stück aus dem Saal zu poltern. Da lasse ich nur medizinische Notfälle oder Blasenschwäche gelten und das hat nichts Dünkel zu tun. Sondern mit Anstand.

Ein Trost bleibt: Steve Reich wird das Verhalten der Abtrünnigen wenig gekratzt haben. Der Mann muss niemandem mehr etwas beweisen und die Fangemeinde jubelte ob des souveränen Auftritts der Colin Currie Group mit den Synergy Vocals zu Recht begeistert.

Ich auch.