In Concert: Kent Nagano, das Philharmonische Staatsorchester Hamburg und Singer Pur in der Elbphilharmonie

Die Karte für dieses Sonderkonzert im Rahmen des Internationalen Musikfests hatte ich eigentlich nur deshalb gekauft, weil ich Kent Nagano und die Philharmoniker noch nicht in der Elbphilharmonie gesehen und gehört hatte und an Tickets für die regulären Termine einfach nicht heranzukommen war. Erst Monate später ging mir auf, an was für eine besondere Konstellation ich dadurch geraten war: eine keineswegs lineare Zeitreise durch fünf Jahrhunderte sakraler Musik unter Mitwirkung des Vokalensembles Singer Pur.

Wann und warum genau Singer Pur auf meinem Radar erschienen sind, kann nicht leider nicht mehr nachvollziehen. Immerhin hat es eine CD in meine Sammlung geschafft und wenn ich auch ansonsten unbedingter Fan des Hilliard Ensembles bin: Die vier Herren aus Großbritannien treten aus Altersgründen inzwischen nicht mehr auf, das Ensemble wurde im Dezember 2014 aufgelöst. Wer (Renaissance-)Vokalmusik auch live hören möchte, muss also sowieso umsteigen – warum nicht auf Singer Pur? Ein Gegenargument wollte mir bei der Performance nicht einfallen. Großartig.

Dann waren da noch die zwei Stücke von Arvo Pärt, „Summa“ und „Orient & Occident“ für Streichorchester. Selten genug zu hören in Hamburg (Wieso eigentlich? Oder gucke ich einfach nur falsch?). Und Wagner, das Parsifal-Vorspiel! Eigentlich will ich Wagner nicht mögen, viel zu pompös und sowieso, der Typ an sich, so überhaupt nicht meine Fraktion. Aber es hilft nichts, jedes Musikstück von diesem Mann – live gespielt – kriegt mich ausnahmslos. Widerstand scheint zwecklos.

Zum Schluss wurde es anstrengend: Das Stück „Et exspecto resurrectionem mortuorum“ von Olivier Messiaen klang nicht jedem der Zuhörer wie Musik in den Ohren. Allmählich gewöhnen sich meine an die des 20. Jahrhunderts; es ist immer noch mehr (manches Mal zugegebenermaßen fassungslose) Faszination als Genuss, aber es wird. Insbesondere bei den letzten beiden Sätzen erwies es sich von Vorteil, hinter dem Orchester zu sitzen. Tamtams, Gongs, Röhren- und Kuhglocken kamen zum Einsatz und beschäftigten nicht weniger als fünf Schlagwerker. Ganz großes Kino. Ein winziger Abzug in der B-Note: Vielleicht lag es an meiner Position, aber zwischenzeitlich hatte ich den Eindruck, dass die Herren mit dem Rest des Orchesters nicht ganz synchron waren.

Dabei mag auch die saaleigene Überakustik eine Rolle gespielt haben. Jedes (Ein-)Atmen von Kent Nagano war zu hören, das Knarzen des Fagotts, das Geräusch der Stuhlbeine auf dem Bühnenboden jedes Mal, wenn die Kontrabassisten zu einer Attacke ausholten. Wer die Ohren davor nicht zu verschließen suchte, konnte somit nicht nur die Musik hören, sondern auch, wie sie entstand. Ich mag das ja. Zunehmend.

Apropos Ohren verschließen: Das Publikum machte dieses Mal einen deutlich konzerterfahreneren Eindruck und die offenbar unvermeidlichen Nies- und Hustenattacken gingen mehrheitlich im Orchestersound unter. Lediglich beim ersten Vokalstück nach der Pause war eine kleine Disziplinarmaßnahme notwendig („Schhhhh!!!“) und die Dame, deren Mobiltelefon fröhlich pfeifend mitten in eine der Messiaenischen Generalpausen einbrach*), hat mir eher noch leid getan. Der Trulla hingegen, die ihr Gerät während desselben Stücks überhaupt nicht unter Kontrolle bekam und schließlich aus reiner Not eine Jacke darum wickelte, sei gesagt: Zeitgenossen, die an ihrem Handy weder den „Aus“- noch den „Leise“-Knopf kennen, sollten mit lebenslänglichem Saalverbot belegt werden. Oder das Ding an der Tür abgeben müssen.

(Ist doch wahr.)


*) Ob man das auch im Radio gehört hat? NDR Kultur war schließlich live dabei…