Es ist kompliziert: Eine Klaviergeschichte

„Es ist kompliziert“: Dieser Satz beschreibt die Beziehung zwischen mir und meinem Klavier wohl immer noch am besten. Wir arbeiten daran, dass es weniger kompliziert wird und deswegen geht es diese Woche in die Werkstatt.

In der Zwischenzeit kann ich die Geschichte dazu erzählen.

Klavierunterricht war in meinem Falle eine freiwillige Angelegenheit. Ein ausdrücklicher Wunsch sogar. Der erste Unterrichtsversuch war zwar eine Katastrophe und das erste Instrument kein Klavier, sondern ein Zustand in Form einer elektronischen Heimorgel. Aber irgendwann stiegen meine beiden Schwestern mit ein, ein echtes Klavier kam ins Haus und wir zu einem richtigen Lehrer.

Das ging so bis zur Oberstufe. Dann, nach dem Abitur, kam ein großes, schwarzes Loch. Kein Klavier mehr, kein Unterricht mehr; keine nennenswerte Verbindung mehr zum aktiven Musizieren. Zehn Jahre lang.

Bis zu dem Tag, an dem ein Freund zu mir diesen Satz sagte: „Ich finde, in jedem Haushalt sollte ein Instrument stehen.“ „Klick!“, machte es bei mir, und von jetzt auf gleich wollte ich wieder ein Klavier haben.

Grotrian(-Steinweg)
Grotrian(-Steinweg)

Ich fing an zu suchen und fand. Es war Liebe auf den ersten Ton. Aber es war kompliziert, denn etwas war unterbrochen zwischen meinem Kopf und meinen Händen. Ich konnte nicht spielen, was ich hören wollte. Das hatte nichts mit übertriebenem Ehrgeiz zu tun. Alles, was ich wollte, war mich ausdrücken können und mir selbst nicht wehtun dabei. Das klappte nicht. Egal was ich versuchte.

Über lange Zeit blieb das so und es gab immer wieder Phasen, in denen ich monatelang keinen Ton spielte. Dennoch, nie wäre mir in den Sinn gekommen, das Klavier wieder wegzugeben. Ich ahnte: Es ist eine Frage des richtigen Zeitpunkts und es fehlt noch etwas. Eines Tages finde ich es vielleicht.

"Do androids wish upon electric stars?"
„Do androids wish upon electric stars?“

Und dann, am 30. Jahrestag des Starts der Voyager 1-Mission, saß ich im Planetarium und sah einer nicht ganz unprominenten Dame dabei zu, wie sie am Flügel mein Lieblingsklavierstück zerholzte. Ich hatte das Stück lange nicht gehört und noch länger nicht versucht, es zu spielen. Trotzdem sprang während dieser fragwürdigen Performance ein ebenso ketzerischer wie absurder Satz in meinen Kopf: „Das könntest du besser!“ Technisch nie, aber vom Gefühl her.

Wenige Minuten später sahen wir eine Projektion der Voyager 1-Sonde an der Sternenkuppel und hörten dazu ein Musikstück, das absolut perfekt dazu passte und mir anschließend tagelang nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich bemühte meinen damaligen Kontakt beim Planetarium, bekam Interpret und Titel genannt und begab mich auf die Suche. Ich stellte sehr schnell fest, dass die gehörte Version des Stücks mit dem treffenden Titel „Numero Uno“ offenbar nur auf einer CD enthalten war. Ein Blick auf die Tracklist: OK, Du hast mich. Es gibt mehr davon? Sogar noch mehr? Gekauft.

Lieferung abwarten. Anhören. Nochmal anhören. Und nochmal. Und wieder. Dabei bei einem der Stücke wieder einen Satz im Kopf haben. Einen, den ich jahrelang nicht gedacht hatte. „Ob es dazu wohl Noten gibt?“

Es gab. Rund drei Wochen nach dem Abend im Planetarium versuchte ich mich zum ersten Mal an Ludovico Einaudis „Le Onde“.

Dann hat es, und hier muss ich abkürzen, noch einmal 5 Jahre und 10 Monate gedauert, bis der letzte Knoten platzte, ich es endlich mit Schwung durchspielen konnte und bis aus Tastengestolper so etwas wie Musik wurde. Diesmal mit einem „Klick“, der, wenn es dort ein Ohr dafür gibt, vermutlich irgendwann noch im interstellaren Raum zu hören sein wird. Da ist Voyager 1 nämlich gerade.

Dummerweise ist es genau deshalb immer noch ziemlich kompliziert. Aber wir arbeiten dran, mein Klavier und ich, und wenn es aus der Werkstatt kommt, geht das auch endlich 24/7. Den Nachbarn zum Trotze.

Fortsetzung folgt.

Noch ein Koffer in Berlin

Als ich 1994 zum ersten Mal nach dem Fall der Mauer nach Berlin fuhr, war es mein Hauptziel, einmal durchs Brandenburger Tor zu gehen. Aber was war das Brandenburger Tor, die ganze Woche lang? Richtig, gesperrt. Es wurden gerade Tribünen für die Verabschiedung der ehemaligen Besatzungsmächte aufgebaut. Ich stand am Bauzaun und bettelte vergeblich; die Bauleute ließen mich nicht durch.

Brandenburger Tor

Die Premiere fand somit erst ein paar Jahre später statt, als ich zu Silvester – 1998/99 war das, glaube ich – von feiernden Massen durchs Tor geschoben wurde. Dabei hat mir so ein armseliger Wicht meine Kamera aus der Jackentasche geklaut. Der konnte ja nicht wissen, dass die mir ein paar Minuten vorher auf die Straße gefallen und somit sehr wahrscheinlich unrettbar kaputt war. Schade war’s nur um den Film.

1994 bin ich auch zum ersten Mal auf dem Prenzlauer Berg gewesen. Das Zeiss-Großplanetarium ist mir damals aufgefallen, aber hingegangen bin ich nicht.

Als ich vor ein paar Tagen meine Gedanken zu einem gewissen Hamburg/Berlin-Resonanzort im (Hamburger) Stadtpark aufschrieb, kam mir die Idee, den Spieß umzudrehen und am kommenden Wochenende das Planetarium in Berlin zu besuchen. Meine Unterkunft ist nämlich passenderweise ganz in der Nähe.

Soeben rufe ich also die Webseite auf und lese: „Wir modernisieren für Sie!“ Seit 1. April 2014. Bis voraussichtlich Anfang 2016. Abgesehen davon, dass ich mich frage, ob das mit der Planetariums-Renoviererei vielleicht ansteckend ist: Da bleibt wohl auch diesmal wieder ein Koffer in Berlin.

Je nun. Ich bin’s nicht anders gewohnt.