Eigentlich hatte ich gar nicht vor, zu einem der beiden „Opening Night“-Termine Mitte September in die Elbphilharmonie zu gehen. Aber im August fluteten plötzlich Werbeanzeigen für die Saisonauftakt-Veranstaltung des NDR EO meine Social Media-Kanäle. Schließlich wurde mir per Newsletter ein 30%iger Rabatt angeboten; ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte.
Offenbar hatte man Mühe, mit dem angekündigten Programm den Großen Saal gleich zweimal zu füllen. So mancher Interessent hat sich da möglicherweise von dem Etikett „Schönberg“ abschrecken lassen. Wofür ich großes Verständnis habe, ist dieser Name doch untrennbar mit der Zwölftontechnik verbunden. Die zählt zweifelsohne zu dem, was man im englischsprachigen Raum als „acquired taste“ bezeichnet. Allerdings wurden die Gurre-Lieder aufgeführt, ein Oratorium, das einigen als letzter Höhepunkt der Spätromantik gilt. Also alles sehr tonal und überdies schon durch die monumentale Besetzung beeindruckend: Alan Gilbert dirigierte fünf Gesangssolisten – Simon O’Neill, Christina Nilsson, Jamie Barton, Michael Nagy, Michael Schade -, einen Sprecher – niemand geringeren als Thomas Quasthoff -, drei Chöre – NDR Vokalensemble, MDR-Rundfunkchor, Rundfunkchor Berlin – und eben das NDR EO.
Ich hatte mir einen Platz ausgesucht, von dem man normalerweise sowohl gut sehen als auch gut hören kann. Letzteres hat leider nicht ganz geklappt, denn einige Solo-Sänger waren so platziert, dass sie mit dem Rücken zu mir standen und sangen. Nicht optimal. Ansonsten war es definitiv ein Erlebnis, obwohl das Oratorium als solches nicht zu meiner Lieblingsgattung gehört. Das konnten auch die Gurre-Lieder nicht ändern. Mein persönlicher Höhepunkt: Jamie Barton als Waldtaube (ab 48:34). Die Dame hat eh schon einen Stein bei mir im Brett seit ihrem Auftritt bei der „Last Night of the Proms 2019″.
Apropos „Last Night of the Proms“: Die Ausgabe 2024 fand gleich am nächsten Tag statt. Beide Teile wurden auf 3Sat und wahlweise in der Originalfassung übertragen. Vorbei die Tage, an denen nur der zweite, von BBC ONE übertragene Teil – der mit den Gassenhauern – im deutschen TV gezeigt wurde und man den (in der Regel grauslichen) deutschen Kommentar nicht abschalten konnte! Vorbei aber vielleicht bald auch die Tage von 3Sat. Wir werden sehen. Dieses Jahr habe ich die „Last Night“ jedenfalls noch in vollen Zügen und im Originalton genießen können und zwar ohne einen, ähem, halblegalen Workaround bemühen zu müssen. Es wäre schön, wenn das so bliebe.