Da saß ich also mal wieder in der Elbphilharmonie und wollte mich eigentlich den musikalischen Darbietungen von Evgeny Kissin und dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Thomas Hengelbrock widmen.
Das Konzert begann pünktlich um 18 Uhr mit dem 2. Klavierkonzert von Béla Bartók und obwohl ich das Stück bisher nicht kannte und kein besonderer Bartók-Fan bin, bekam ich recht schnell eine Ahnung, warum Evgeny Kissin schon im zarten Alter von Mitte 40 als lebende Legende bezeichnet wird. Diese verfestigte sich durch die Zugabe, der Prélude cis-moll op. 3 Nr. 2 von Sergei Rachmaninoff. Einem Stück, mit dem mich einst auch mein Klavierlehrer zu quälen versuchte. Was mir damals sehr geholfen hätte: eine Aufnahme von jemandem zu hören, der das wirklich gut kann. Live ist natürlich noch besser. Nicht obwohl, sondern gerade weil mir Kissins Vortrag an der ein oder anderen Stelle ein wenig zu geziert erschien – kann man machen, hätte ich aber so nicht.
In der Pause leuchteten im Großen Saal die Smartphone-Bildschirme auf. Überall wurden die ersten Prognosen zum Ergebnis der Bundestagswahl 2017 abgerufen und diskutiert. Es passierte das Unvermeidliche: „13%! Das ist doch schon mal gut“, kommentierte eine Dame in der Reihe direkt vor mir, bevor sie ihren Sitz verließ.
Was macht man da? Ihr übers Kleid kotzen, wie ich spontan auf Twitter vorschlug? Was mir zwar einigen Beifall einbrachte, aber letztlich reichlich albern ist. Das ist, was man an Hilflosigkeiten von sich gibt, wenn man zwar mit dem Einzug einer Nazifraktion ins Bundesparlament gerechnet hat, aber wahrlich nicht in dieser Stärke.
Vor einigen Monaten hatte ich noch laut darüber nachgedacht, Angela Merkel bzw. der CDU meine Stimme zu geben und meine Skepsis gegenüber der SPD-Spitzenkandidatur von Martin Schulz geäußert. Ich habe ersteres dann doch nicht getan und mit letzterem (leider) recht behalten. Aber stärker als noch beim Amtsantritt des 45. Präsidenten der USA beschleicht mich jetzt das Gefühl, dass alle paar Jahre meine Kreuzchen zu machen allein nicht mehr ausreicht. Dass ich tun sollte, was ich bisher kategorisch ausgeschlossen habe: nicht mehr bloß passiver Anhänger der Demokratie zu sein, sondern Mitglied einer ausgewiesen demokratischen Partei zu werden. Mit diesem Gedanken, so stellte ich schnell fest, befinde ich mich in guter Gesellschaft, zumindest innerhalb meiner Filterblase.
Zurück zum Konzertabend. Es folgte Gustav Mahlers 1. Sinfonie in D-Dur (in der Hamburger Fassung, aber ohne den 2. Satz „Blumine“). Mir war durch die aktuellen Ereignisse und eine leichte Ermattung als Nachwirkung der Londonwoche leider ein wenig die Konzentration abhandengekommen, aber eines kann ich erneut durch Erfahrung bestätigen: Ganz oben, auf den billigen Plätzen, ist der Elphi-Sound grandios. Und das NDR Elbphilharmonie Orchester kennt sich mittlerweile sehr gut aus in seinem neuen Zuhause.