Quartalsmeldung 2/2024 (oder so ähnlich)

Weiter geht es voraussichtlich erst im Mai, denn der April ist fast vollständig durch Termine anderer Art besetzt. Der Bericht folgt Ende Juni. Wenn mich dann nicht die Masterarbeit verschluckt hat.

Was soll ich sagen – liebe Leserin, lieber Leser (und alle dazwischen): Die Masterarbeit hatte mich verschluckt. Jetzt, genau vier Wochen vor dem Abgabetermin, sehe ich allmählich wieder Land und kann die begonnene Reihe fortsetzen. Der Plan: die Spanne Mai bis August fasse ich knapp zusammen, flankierend gibt es ein paar gesammelte „Statt Postkarten“, das Internationale Sommerfestival bekommt wie jedes Jahr einen eigene Berichterstattung und ab September wird wieder normal gebloggt! So!

Mai

Anfang Mai hatte ich die Gelegenheit und das Vergnügen, an einem hamburgafterwork-Instawalk durch die Ausstellung „Zwischen Sturm und Stille“ im Internationalen Maritimen Museum teilnehmen zu dürfen.

Volker Tieman: Große Woge
Volker Tieman: Große Woge
Michael Ancher: (Drei von) Vier Fischer(n) am Strand vor Skagen
Michael Ancher: (Drei von) Vier Fischer(n) am Strand vor Skagen
Trine Sondergaard: Strude #1
Trine Sondergaard: Strude #1

Die Ausstellung des Museums Kunst der Westküste (MKdW) ist kürzlich bis zum 12. Januar 2025 verlängert worden. Der Besuch lohnt sich sehr. Zu diesem Urteil wäre ich mutmaßlich auch ohne die Veranstaltung gekommen, den Wein vom Föhrer Weingut Waalem hätte ich dagegen wohl nicht so schnell entdeckt. Im Oktober werde ich dem MKdW höchstselbst einen Besuch abstatten. Dem Weingut leider nicht, dort ist dann nämlich Erntezeit und deshalb für Besucherinnen und Besucher verständlicherweise kein Raum.

Ansonsten war ich bei zwei Konzerten des Internationalen Musikfests Hamburg – das Kronos Quartet und Teodor Currentzis und Utopia mit Anton Bruckners Sinfonie Nr. 9 d-Moll – und bei einem „Blind Date“, alles in der Elbphilharmonie. Das Konzert des Kronos Quartet war mit „KRONOS – Five Decades Celebration“ überschrieben, hatte dann aber doch etwas weniger „Best of“-Charakter als erhofft. Meine Lieblingsstücke: „Lunch in Chinatown“ von Terry Riley und „Different Trains für Streichquartett und Tonband“ von Steve Reich.

Von Teodor Currentzis und Utopia habe ich an dieser Stelle schon ausführlich geschwärmt, das muss ich im Rahmen dieses Schnelldurchlaufs nicht in epischer Breite wiederholen. Jedenfalls wurde ich nicht enttäuscht. Im letzten „Blind Date“ der Saison 2023/24 schließlich präsentierten Nils Mönkemeyer (Bratsche), Sebastián Sciaraffia (Barockgitarre), Gonzalo Manrique (Barockgitarre), Martín Bruhn (Percussion) und Rubén Dubrovsky (Colascione, Charango) unter der Überschrift „Viola Latina! Living Baroque“ eine Reise durch verschiedene Regionen und Musikstile Südamerikas. Das traf nicht ganz mein Geschmack, was aber bei der „Blind Date“-Reihe nur eine untergeordnete Rolle spielt, denn, ich erwähnte es vermutlich schon mehrfach: Man kann sich auf die Qualität der dort auftretenden Künstlerinnen, Künstler und Ensembles im wahrsten Sinne des Wortes blind verlassen.

Juni

Der Juni begann mit dem ELBJAZZ. Man sollte es vielleicht nicht mehr so nennen: Vielleicht sind es noch 50% Jazz gewesen, möglicherweise ist aber auch das schon eine zu optimistische Einschätzung. Die Bezeichnung Etikettenschwindel drängt sich auf, nicht erst seit diesem Jahr.

ELBJAZZ (Symbolbild)
ELBJAZZ (Symbolbild)

Meine musikalischen Highlights: Asaf Avidan (kein Jazz), Belle & Sebastian (auch kein Jazz), Rocket Men (ebensowenig Jazz wie GoGoPenguin) und – zu sehr später Stunde in der Elbphilharmonie – Martin Kohlstedt (ebenfalls kein Jazz).

Die Rocket Men habe ich aufgrund ungünstiger Umstände leider nur außerhalb der Schiffbauhalle erleben dürfen und mir deshalb im Anschluss schleunigst eine Karte für eine der beiden inzwischen ausverkauften „Lost in Space“-Shows Ende November im Planetarium Hamburg gesichert. Das wird bestimmt großartig.

Kameramann
Kameramann

Meine nichtmusikalischen Highlights: der Kameramann an der Hauptbühne, das Holzofenbrot – zugegebenermaßen hauptsächlich wegen des Holzofens – und das Crumble. Eine Glühweinbude wäre angesichts der vorherrschenden Temperaturen, verstärkt durch den zeitweisen Niederschlag, auch nicht verkehrt gewesen. Ebenfalls nicht ganz so günstig waren die auffällig hartnäckigen Technikprobleme, vor allem während des Auftritts von Asaf Avidan. Ich erwarte Besseres von einem Festival dieses Kalibers, von dem Konzertausschnitte (leicht zeitversetzt) auch auf arte CONCERT präsentiert wurden.

Moment, da war doch vorher noch was! Ein Stummfilmkonzert in der Laeiszhalle nämlich: „Das Cabinet des Dr. Caligari“, untermalt von Klängen durch Karl Bartos (Kraftwerk). Das fand im Rahmen des Schleswig Holstein Musik Festival statt und war bemerkenswert gut.

Das „War Requiem“ von Benjamin Britten, als Programmpunkt des Internationalen Musikfests Hamburg gegen Ende des Monats aufgeführt vom SWR Symphonieorchester, dem London Symphony Chorus, dem SWR Vokalensemble Stuttgart, dem Knabenchor Hannover sowie Irina Lungu (Sopran), Allan Clayton (Tenor) und Matthias Goerne (Bariton), allesamt unter der Leitung von Teodor Currentzis, überforderte mich bedauerlicherweise aufgrund eines hauptsächlich masterarbeitsbedingten Formtiefs. Meine Konzentration reichte nicht, meine emotionale Verfassung befand sich in leichter bis mittelschwerer Schieflage und das Werk eignet sich nun einmal auch nicht sonderlich als Stimmungsaufheller.

Juli

Anfang Juli war ich bei Charly Hübner und Caren Miosga zu einer andeutungsweise szenischen Lesung mit Musik aus den „Jahrestagen“ von Uwe Johnson. Wobei weder die Vortragenden (Ninon Gloger am Klavier ausgenommen) noch das Publikum (wahrscheinlich zündet das Sujet im Osten der Republik noch anders) in Top-Form waren. Aber die Großartigkeit des Formats blitzte durch.

"Jahrestage" mit Charly Hübner, Caren Miosga und Ninon Gloger
„Jahrestage“ mit Charly Hübner, Caren Miosga und Ninon Gloger (v. l. n. r.)

In der Schule quälte man uns mit „Mutmaßungen über Jakob“, was dazu führte, dass ich um Johnsons Werk fortan einen großen Bogen machte. Merkwürdigerweise habe ich den ersten Satz des Romans („Aber Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen.“) nie vergessen können, den Rest aber vollkommen verdrängt… So oder so, vielleicht war der Abend im St. Pauli Theater ja der erste Schritt einer Wiederannäherung. Apropos St. Pauli Theater: Ich hatte vergessen, wie furchtbar unbequem man da sitzt!

Tags drauf sah und hörte ich das Chineke! Orchestra mit „African Suite“ von Fela Sowande, „To the Hibiscus“ von Cassie Kinoshi und Max Richters „Recomposed: Vivaldi – The Four Seasons“ (mit Elena Urioste an der Solovioline) in der Elbphilharmonie, eine weitere Veranstaltung des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Das hat mir richtig gut gefallen, ganz besonders der Richter/Vivaldi: Bis dato war das wohl die mit Abstand schönste Interpretation dieses Lieblingswerks, die ich erleben durfte. Ziel der Chineke! Foundation ist übrigens die Förderung der ethnischen Vielfalt in Orchestern und generell der klassischen Musikszene, hier erklärt von der Gründerin, Chi-Chi Nwanoku:

August

Der August war auch in diesem Jahr geprägt vom Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel (Bericht folgt – siehe oben). Zwischendrin war ich aber noch ein letztes Mal beim Schleswig-Holstein Musik Festival, genauer: beim Duo Ruut im Kleinen Saal der Elbphilharmonie. Das war ebenso zauberhaft wie unterhaltsam, des sehr speziellen Humors der beiden Musikerinnen wegen.

Und jetzt? Ist schon fast September. Krass.

In Concert: Martin Kohlstedt auf Kampnagel

Martin Kohlstedt auf Kampnagel – das wurde auch Zeit! Ich hatte schon befürchtet, dass es nicht mehr dazu kommt. Ist doch die Reihenfolge normalerweise eine andere: erst Kampnagel, dann Elbphilharmonie. Einen Auftritt in der Elbphilharmonie gab es schon, beinahe sechs Jahre ist das inzwischen her. Umso größer meine Freude über die Konzertankündigung, wenn sich auch die Wartezeit aufgrund der Verschiebung des Konzerts von März 2022 auf April 2023 reichlich lang zog.

Ich hatte mir gleich zu Anfang des Vorverkaufs einen Platz in der ersten Reihe gesichert. Das vermeide ich ansonsten einigermaßen konsequent, zumal die ersten Reihen nicht zwingend das beste Konzerterlebnis bieten. Beispielsweise in der Laeiszhalle; aufgrund der erhöhten Bühne ist die Nackenstarre dort quasi vorprogrammiert. Aber, wie heißt es so schön: Ausnahmen bestätigen die Regel. Kampnagel ist ein sicherer Ort für mich und damit auch einer für Experimente.

Und so konnte ich Martin Kohlstedt aus nächster Nähe „beim Üben zuschauen“ (O-Ton). Mich beeindruckt diese Risikobereitschaft immer wieder neu: nur mit einem Armvoll musikalischer „Argumente“ vor das Publikum zu treten und sich von Tagesform und Resonanz des Raums leiten zu lassen. Ohne Rücksicht auf Verluste abzuheben und damit auch mal eine weniger elegante Landung zu riskieren. Gar abzubrechen, wenn es nicht funktioniert.

Ich gestehe, mir standen da zwei bis drei Geräte zu viel auf der Bühne. Bisweilen wurde es mir zu laut, zu komplex; hinter den vielen Stimmen konnte ich manches Gespräch nicht mehr verfolgen. Aber vielleicht repräsentierte gerade das die Tagesform. Denn alle Flüge und Flugversuche des Abends führten stets zurück zum Klavier. „Der Flügel hat heute gewonnen – ich beschwere mich nicht!“

Und die kleine Mashup-Andeutung bestehend aus Yann Tiersens „Comptine d’un autre été: L’Après-midi“ – Amélie lässt grüßen – und Phil Collins‘ „Another Day in Paradise“ verfolgt mich auch immer noch. (Ja, liebe Klavierschüler:innen eines gewissen Alters: exakt so fies, wie es sich liest!)

Ich fasse zusammen: Astra Stube, Volt, Elbphilharmonie (Großer Saal), Laeiszhalle (großer Saal), Knust (Lattenplatz), Kampnagel (K6). Wo wohl das nächste Kapitel geschrieben wird?

The Show must go online (16)

Es riecht nach Verlängerung des (Kultur-)Shutdowns. Kaum überraschend, aber zunehmend unschön.

Um den Faden aus Folge 15 direkt wieder aufzunehmen: Das Brooklyn Museum präsentiert in der virtuellen Ausstellung „The Queen and the Crown“ Kleidungsstücke aus den beiden Netflix-Serien „The Crown“ und „The Queen’s Gambit“ sowie dazu passende Objekte aus der eigenen Sammlung. Sehr ansprechend gemacht.

Das Deutsche SchauSpielHaus hatte unlängst Livestream-Premiere, meiner Twitter-Timeline zufolge mit einigen technischen Problemen. Am 29. November 2020 folgt mit „Anna Karenina – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ der zweite Anlauf. Ich werde wegen einer Terminkollision leider nicht dabei sein können, denn das Lockdown Theatre hat zu eben diesem Termin die Veranstaltung „For One Knight Only“ angekündigt. Als Gastgeber fungiert Sir Kenneth Branagh, die Gäste sind Dame Judi Dench, Sir Derek Jacobi, Dame Maggie Smith und Sir Ian McKellen. Einnahmen aus der Show fließen an „Acting for Others“ und kommen damit Theaterschaffenden zugute.

Apropos Großbritannien, im Londoner Barbican gibt es bekanntermaßen nicht nur das LSO zu sehen und zu hören. Auch für Auswärtige zugänglich sind die Reihen „Concerts on Demand“ und „Live from the Barbican – From our hall to your home“. Wem beispielsweise die Theateradaption von „A Christmas Carol“ – Stichwort Old Vic: In Camera – nicht zusagen sollte, der kann alternativ am 22. Dezember 2020 auf das Programm von „A Dickensian Christmas“ zurückgreifen. Der Schauspieler Kevin Whately („Lewis“) liest Auszüge aus dem Weihnachtsklassiker, dazu spielen London Concert Brass unter der Leitung von Hilary Davan Wetton. Alles andere als Humbug!

Klassische Weihnachtslieder, but with a twist: So kann man „A very chilly christmas“ beschreiben, das in der vorletzten Woche erschienene Album von Chilly Gonzales. Am 4. Dezember 2020 stellt Gonzales sein neues Werk im Rahmen der Classic Album Sundays im „Elgar Room“ der Royal Albert Hall vor. Kostenpunkt: £10.

Ganz und gar kostenfrei ist dagegen Martin Kohlstedts gestreamte Release Party anlässlich des Erscheinens des Albums „FLUR“ am 26. November 2020 (ab 20:00 Uhr).

Um das Dreigestirn komplett zu machen: Auch Nils Frahm hat einen neuen Tonträger angekündigt. Das Livealbum „Tripping with Nils Frahm“ wird vom gleichnamigen Konzertfilm flankiert – oder umgekehrt, je nach Perspektive. Das Album erscheint am 3. Dezember 2020 bei Erased Tapes, die Filmpremiere findet am gleichen Tag exklusiv bei MUBI statt.

Back to live

Irgendwie ist sie dann doch abgerissen, meine „The Show must go online„-Serie. Nicht, dass es keinen Stoff mehr gegeben hätte – Fortsetzung ausdrücklich nicht ausgeschlossen! Aber die Luft war raus. Abgesehen davon gibt es ja inzwischen auch wieder Livekonzerte, darunter auch in Formaten, die ich für verhältnismäßig sicher halte. Das ist natürlich nur meine ganz persönliche Risikobewertung. Die Schwelle liegt da verständlicherweise bei jedem etwas anders.

Das allererste Kultur-Event nach ziemlich genau fünf Monaten war die „Corona Summer Night Open Air Special“ in beziehungsweise draußen vor der Fischhalle Harburg mit dem Duo Ulrich Kodjo Wendt & Yogi Jockusch.

Man kann das wohl „Weltmusik mit Hamburg-Einschlag“ nennen, was die beiden Herren da abgeliefert haben. Absolut perfekt für die Location! Eine wunderschöne Stimmung ist das da unten am Harburger Binnenhafen, momentan noch zusätzlich aufgehübscht durch die coronabedingt an ihrem Winterliegeplatz aufliegende „Fritjof Nansen„. Dummerweise ist es für mich ein bisschen weit mit dem Fahrrad, die An- und vor allem die spätabendliche Abreise mit Bahn und Bus Richtung Barmbek gestaltet sich umständlich und Moia fährt auch noch nicht in Harburg. Wen das nicht schreckt oder wer näher dran ist: Die „Corona Summer Night(s)“ gehen weiter, Termine findet man auf der Webseite der Fischhalle und bei Facebook. Empfohlender Dresscode: langes Beinkleid, der Mücken wegen.

Ich hatte bereits mehrfach davon berichtet und auf Hamburg-Termine gehofft, inzwischen ist es soweit: Die 1:1 Concerts gibt es jetzt auch mit Musikern der jungen norddeutschen philharmonie. Spielorte sind unter anderem das Büchereck Niendorf und bouquet HÜTE in Eimsbüttel.

Vergangenen Dienstag hat Cellist Felix Jedeck für mich Werke von Siegfried Barchet und Johann Sebastian Bach gespielt. Zu den Regeln des Formats gehört, dass Musiker und Zuhörer nur mit Blicken und Gesten kommunizieren dürfen. Wahrscheinlich wäre mir aber nach diesen zehn intensiven Minuten außer einem tief empfundenen „Danke“ spontan eh nicht viel eingefallen und die beinahe unvermeidlichen drei bis vier Tränchen habe ich mir auch erst vor der Tür verdrückt. Unverständlicherweise sind zurzeit noch viele Termine frei. Daher ergeht hiermit der Aufruf an alle Hamburger und Hannoveraner: hin da! Das ist ein in jeder Hinsicht besonderes Musikerlebnis und dient obendrein einem guten Zweck – what’s not to love?!

Apropos intensiv: Gestern hat Martin Kohlstedt auf dem Lattenplatz vor dem Knust Hamburg gespielt. Ich kenne einen großen Teil der Hamburg-Geschichte und kann daher mit einiger Sicherheit behaupten: Elbphilharmonie hin, Laeiszhalle her, das gestern war ein ganz spezieller Trip. Worte zu finden ist eigentlich unmöglich, da scheitere ich ebenso zuverlässig wie krachend, das versuche ich normalerweise erst gar nicht (mehr). Aber vielleicht kann „Ausnahmezustand trifft (Hamburg-)Reprise“ als halbwegs hinreichende Annäherung dienen. Und den GewandhausChor habe ich zwischen den Zeilen auch immer noch hören können.

Zu besonderen Atmosphäre wird auch das Wetter beigetragen haben: Die Serie von Wolkenbrüchen begann kurz vor dem Einlass und dauerte exakt bis zum Ende des Sets. Ich konnte nicht umhin, mich an eine nicht unähnliche Konzertsituation im August vor sechs Jahren erinnert zu fühlen. Damals ergoss es sich über dem Dockville und zwar haargenau während der Timeslots, die für die Auftritte von Nils Frahm und Ólafur Arnalds vorgesehen waren. Ob dieser Umstand auf der Bühne zu Ausnahmezuständen geführt hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber an das, was dabei mit der Novizin (nämlich mir) vor der Bühne passiert ist, kann ich mich noch sehr gut erinnern. Im Grunde jage ich eben diesem Zustand bei jedem einzelnen Livekonzert, welches ich seither besucht habe, immer wieder neu nach. Manchmal stimmt das Timing, innen wie außen, und ich erwische zumindest ein Bruchstück davon. Gestern war so ein Tag.

Schnitt.

Der Titel dieses Beitrags, die Älteren werden sich eventuell erinnern, ist übrigens eine Anspielung auf „Back to Life (However Do You Want Me)“ von Soul II Soul aus dem Jahr 1989. Das waren die ersten Klänge, die ich am letzten Wochenende auf der „Piazza“ des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel vernahm. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Retrowelle inzwischen die 90er erreicht hat, aber das nur nebenbei. Ich war da gerade auf dem Weg zu meiner ersten Kulturveranstaltung in geschlossenen Räumlichkeiten unter Coronabedingungen. Mit sehr gemischten Gefühlen. Wie das ausging und überhaupt das Sommerfestival insgesamt, hole ich nach. Vorher muss ich nämlich ganz dringend noch ein paar Tage Nordseeluft schnuppern.

Freizeitstreß

Ich weiß nicht, ob es allen so geht, aber alle Jahre wieder in der Zeit von Oktober bis Dezember formiert sich in meinem Kalender diese eine Woche, in der man jeden Abend mindestens zweimal mit Konzerten oder anderen Kulturhighlights belegen könnte. Und da jedes Mal Unwiderstehlichkeiten dabei sind, entwickelt sich daraus regelmäßig eine Großkampfstrecke.

Dieser Tage ist es wieder so weit. Gewissermaßen als Vorbote spielte am Donnerstag vorvergangener Woche Francesco Tristano im kleinen Saal der Elbphilharmonie, am Montag folgte die National Theatre-Produktion von „A Mid Summer Night’s Dream“ im Savoy, am Mittwoch Ludovico Einaudi im Großen Saal und am Donnerstag das „Blind Date“ im Kleinen Saal wieder der Elbphilharmonie, gestern Abend standen Martin Kohlstedt und der Leipziger GewandhausChor in der Laeiszhalle auf der Bühne und morgen geht es nahtlos weiter mit meinem kleinen ungeraden Philharmoniker-Montagsabo. Dann ist dreieinhalb Wochen Konzertpause. Das aber auch nur, weil ich mein Max Richter-Ticket aus dienstreisetechnischen Gründen in gute Hände abgeben habe müssen.

Man verzeihe mir also, dass ich vorübergehend in den Schnelldurchlaufmodus umschalte.

Francesco Tristanos Debut in der Elbphilharmonie bestand aus der Präsentation seines aktuellen Albums „Tokyo Stories“. Anders als die „Piano Circle Songs“, die ich 2017 in der Royal Festival Hall hörte, sind die „Tokyo Stories“ mehrheitlich nicht Piano solo, sondern Piano plus Rhythmisch-Elektronisches besetzt, wobei letzteres mehr oder weniger vom Band (= Computer) lief. Man könnte sagen: Tristano spielte live auf dem Konzertflügel gegen sein elektronisches Ich. Das muss man so überzeugend wie geschehen auch erst einmal hinlegen. Symptomatisch nannte das zum Eintritt gereichte Infoblättchen – ich möchte es nicht Programm nennen, aber immerhin, es gab eines – den Track „Electric Mirror“ und ja, der ist definitiv symptomatisch für die Musik des Francesco Tristano, wenn auch nicht unbedingt für die „Tokyo Stories“. Das ist viel eher „The Third Bridge of Nakameguro“; es ist wohl kein Zufall, dass der Song auch für den Albumtrailer ausgewählt wurde.

Ich mochte die „Tokyo Stories“, die hektischen wie die kontemplativen, und es dauerte es eine Weile und mehrere vertiefende Durchgänge bei Spotify, bis ich herausfand, was mich an ihnen stört: Es sind die Sounds. Vermutlich passen sie ganz hervorragend zur beschriebenen Stadt, das kann ich mir sehr gut vorstellen, sogar ohne jemals dort gewesen zu sein. Aber sie passen nicht ganz in mein Ohr. Wobei, zugegeben, als Nils Frahm-Aficionado bin ich diesbezüglich extrem verwöhnt. Oder voreingenommen, je nach Blickwinkel.

Übrigens ist das Konzert Teil von ProArte X, wurde von Mischa Kreiskott (NDR Kultur Neo) anmoderiert und falls diese Reihe weiterlaufen sollte, werde ich mich wohl um ein Abo bemühen müssen.

Die Veranstaltung mit Ludovico Einaudi ein paar Tage später fiel gleich ein paar Nummern größer aus: Nicht nur, dass es ein Zusatzkonzert gab, beide Termine waren restlos ausverkauft und an beiden Abenden standen deshalb je eine gute Handvoll hoffnungsvoller Ticketsuchender frierend vorm Eingang. Die meisten waren mit klassischen Papier- bzw. Pappschildern bewaffnet, aber ich sah auch jemanden, der ein Tablet nutzte. Gar nicht so dumm, weil hintergrundbeleuchtet! Eine besondere Stimmung war das im Großen Saal: Das Publikum bestand mehrheitlich aus andächtig lauschenden Einaudi-Verehrern, darunter viele Elphi-Erstis und nicht wenige davon in Abendgarderobe. Das gelegentlich vernehmbare Hustenbonbonpapierknistern und die mindestens zwei aus Hosentaschen oder von Sitzen polternd abgestürzten Mobiltelefone finde ich unter solchen Umständen verzeihlich, denn da saßen keine gelangweilten Elbphilharmonie-Touristen, sondern Konzertsaalneulinge und doch, diesen Unterschied kann man hören und spüren. Apropos, wir können alle miteinander froh sein, dass die Sitze im Großen Saal nahezu geräuschlos hochklappen und auch die Türen im Flüstermodus bedienbar sind. Das ist in der Laeiszhalle leider ganz anders und entsprechend wirkt es sich auf die Nebengeräuschkulisse aus. Insbesondere, wenn es sich um ein Konzert mit mehrheitlich unkundigem Publikum und niedrigem Lautstärkepegel handelt, in das Zuspätkommer zu allem Übel dann auch noch unerklärlicherweise mitten im Stück eingelassen werden.

Aber zurück zu Ludovico Einaudi. Musikalisch gesehen bewege ich mich inzwischen in anderen Gewässern, aber vieles von dem, was mir heute selbstverständlich ist, hat mit ihm seinen Anfang genommen. Das habe ich nicht vergessen und ich kann es auch immer noch hören. Nichtsdestotrotz werde ich dieses Kapitel wohl mit dem Abend in der Elbphilharmonie abschließen.

Was keinesfalls für die Reihe „Blind Date“ im Kleinen Saal gilt! Nur ein paar Notenständer waren zu sehen, bevor die Überraschungsgäste des Abends vor dem Publikum erschienen. Pünktlich um kurz nach halb acht traten nicht weniger als acht Posaunisten aus der Tür und begannen ihren Auftritt höchst  effektvoll mit der „Olympic Fanfare“ von John Williams. Trombone Unit Hannover nennen sich die Musiker, die hauptamtlich in Orchestern wie den Bamberger und Hamburger Symphonikern, dem SWR Symphonieorchester, dem Orchester der Staatsoper Hannover, der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken oder dem Berliner Konzerthausorchester unterwegs sind.

Ich würde mich nun nicht gerade als blechbläseraffin bezeichnen, aber dieses Ensemble hat mich überzeugt. Meinen beiden Lieblingsstücken aus dem präsentierten Programm: die Improvisation über gregorianische Gesänge von Hildegard von Bingen und „Osteoblast“ von Derek Bourgeois.

Bleibt zum vorläufigen Schluss der gestrige Auftritt von Martin Kohlstedt und dem GewandhausChor in der Laeiszhalle, zu dem mir bis zur Stunde immer noch kein angemessener Wortbeitrag eingefallen ist, der über den Satz „Was für ein Geschenk!“ hinausgeht.

Aber vielleicht kommt das ja noch. Dann hole ich es nach.

In Concert: Martin Kohlstedt in der Elbphilharmonie

Das Jahr 2017, das steht seit einer Weile schon fest, wird mir als überaus anstrengende Angelegenheit in Erinnerung bleiben, die gerade zum Ende hin einiges zu Wünschen übrig ließ. Die Details erspare ich den geneigten Lesern – die Wiederholungstäter unter euch werden eh mitbekommen haben, wo der Hase zurzeit (noch) im Pfeffer liegt.

Was die Erfüllung musikalischer Wünsche angeht, habe ich allerdings wenig Grund zur Klage. Eine entscheidende Rolle spielten dabei beinahe zwangsläufig die beiden Säle der Elbphilharmonie. Man muss im Prinzip als (Wahl-)Hamburgerin nirgendwo mehr hinfahren. Früher oder später kommen sie alle.

Zu meinen heimlicheren Hoffnungen gehörte es, dass Martin Kohlstedt bei seinem heutigen Auftritt im Großen Saal möglichst viel Zeit am Flügel verbringen würde. Bei den beiden Konzerten zuvor in der Astra Stube und im Volt hatte es schon aus Platzgründen „nur“ zu einem elektronischen Setup gereicht. Was mir zwar gut gefiel, aber, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ich bin nun einmal hemmungslos pianozentriert. In anderen Worten: Das Rhodes kriegt mich, Elektronischeres ebenso, gerne auch alles in Kombination, abgedreht, ausufernd und -fransend, mit allem und scharf. Aber niemals so sehr wie jede akustische Variante. Wobei es auch für diese Regel eine (einzige) Ausnahme gibt. Dazu dann mehr im neuen Jahr.

Dass in der Elbphilharmonie zumindest das Vorhandensein eines Konzertflügels zu erwarten war – geschenkt. Allein, das Album zur Tour heißt „Strom“ und klingt im Unterschied zu den Vorgängern „Tag“ und „Nacht“ auch danach. So war von vorneherein klar, dass der Flügel nicht nur in Gesellschaft auftreten, sondern streckenweise auch klangverfremdet zum Einsatz kommen würde.

Es blieb daher, auf die mir bereits bekannten X-Faktoren zu hoffen: Raum, Zeit, Publikum(-sreaktion), Tagesform. Und tatsächlich geschah, was ich zwar nicht für unmöglich, aber doch für recht unwahrscheinlich gehalten hatte: Martin Kohlstedt zog zur vorletzten Zugabe alle Strippen und widmete sich ausschließlich dem Konzertflügel. Unverstärkt.

Ich habe keine Worte dafür. Auch nicht für den Abend insgesamt. Nur diese: Lieber Martin, ich bin sehr gespannt, wie die Geschichte weitergeht. In Hamburg und überhaupt.

Wir sehen uns.

Ein Satz mit X (und einer mit Ätsch)

Nein, ich will mich nicht beschweren. Ich war ja schon im Großen Saal der Elbphilharmonie und ich habe per Stand heute noch Karten für fünf*) weitere Veranstaltungen in diesem Jahr. Beim Vorverkaufsstart im letzten Sommer war geraume Zeit nahezu freie Wahl für Frühentschlossene – von ein paar sehr begehrten Konzerten einmal abgesehen. Es kamen nach und nach ein paar Festivals sowie Konzerte externer Veranstalter dazu; es lohnte sich, immer mal wieder einen Blick auf das Programm zu werfen. Und zeitnah zuzugreifen.

Dann wurde es Januar, die spektakuläre Eröffnung rückte näher und plötzlich brach allenthalben Torschlusspanik aus. „Wie, Du hast Elphi-Karten?!? Wie hast Du das geschafft?“ Siehe oben. Keine Hexerei.

Inzwischen gleicht es einer Lotterie. In dem stetig anschwellenden „Ist mir doch egal, was ich sehe/höre, Hauptsache ich war mal drin“-Hype geht der Elbphilharmonie-Ticketshop bei jeder weiteren Vorverkaufsstartankündigung gnadenlos in die Knie. Trotz kontinuierlicher Aufrüstung.

Oh! Ein Ticket! Hurra!
Oh! Ein Ticket! Hurra!
Hübsches Dach. Aber wo geht's zum Checkout?
Hübsches Dach. Aber wo geht’s zum Check-out?
Nu komm mal in die Hufe. Die Warenkorbfrist läuft gleich ab.
Nu komm mal in die Hufe. Die Warenkorbfrist läuft gleich ab!
Orrrr.
Orrrr.

„Pffft, kauf ich mir halt ein Ticket für GoGo Penguin im Uebel & Gefährlich„, denk ich. Und während alles noch auf die rotierende Elphi-Webseite starrt, finde ich via Eventim zufällig heraus, dass heimlich, still und leise auch der Vorverkauf für das Konzert von Martin Kohlstedt Ende Dezember begonnen hat. Veranstaltungsort: Der Große Saal der Elbphilharmonie.

Ätsch.


*) Jetzt: Sechs.

In Concert: Martin Kohlstedt im Volt

Man nehme zweimal Martin Kohlstedt in Hamburg, mit einem vergleichbaren Programm, beide Male in der elektronischen Version, und man bekommt: zwei komplett unterschiedliche Abende.

Ein Teil davon mag dem anderen Raum geschuldet sein. Aber für mich war das heute einer der stärksten Beweise dafür, wie sehr Musik auch Tagesform ist. Und dass genau das kein Handicap bedeuten muss, sondern eine Stärke sein kann.

Junger Mann: Wenn du das durchhältst, dann hast du einen Fan für lange.

In Concert: Martin Kohlstedt in der Astra Stube

„Introvertiert oder extrovertiert?“

Astra Stube
Astra Stube

Samstagabend in der Astra Stube: Die Luft ist zum Schneiden – die Quarzer müssen hier nicht vor die Tür – und in der großen Diskokugel fehlt ein Stück etwa von der Größe Australiens. Draußen rattern Züge im Minutentakt. Es ist voll und ich mag zwar nicht die Älteste sein, aber ich hebe den Schnitt. Ich bin spät dran und habe keinen Sitzplatz ergattert. Mein Rücken tut weh und ich bin sehr, sehr müde.

Warum ich trotzdem anderthalb Stunden ausgeharrt habe? Weil da vor mir ein junger Mann aus Weimar vor einem Rhodes-Piano (Mark I, vermute ich) und einem Synthesizer gesessen hat. Und das war ziemlich gut.