In Concert: Nils Frahm in der Kölner Philharmonie

Die Tickets für den Auftritt von Nils Frahm in der Kölner Philharmonie waren lange vor Ankündigung der „All Melody“-Tour in den Vorverkauf gegangen und ich erinnere mich noch gut, wie ich tagelang zögerte. Es erschien mir einerseits unwahrscheinlich, dass es das einzige Frahm-Konzert bleiben würde. Andererseits war die Schlussfolgerung Köln gleich Philharmonie macht Hamburg gleich Elbphilharmonie logisch, mit allen Vor- und Nachteilen, Stichwort Kartenbeschaffung. „Ach was, es ist ein Wochenende, und wahrscheinlich bist Du dann praktischerweise sowieso schon in Düsseldorf auf der Bootsmesse“, dachte ich, und versuchte, den Saalplan mit meinen Erinnerungen an den letzten Besuch vor über zwanzig Jahren in Einklang zu bringen. Ich erwarb schließlich eine Karte in der Preiskategorie zwei, im festen Glauben, einen schönen Rangplatz mit freiem Blick, aber weitem Abstand zur Bühne ergattert zu haben.

Im Foyer wunderte ich mich noch kurz, dass sich der Eingang zu Block D im Untergeschoss befand. Als ich den Saal betrat und das System der Reihennummerierung begriff, schwante mir, dass ich das mitgeführte Monokular eventuell nicht benötigen würde. Die Stufen und Reihen abzählend arbeitete ich mich immer weiter nach vorne vor, um schließlich auf einem Einzelplatz direkt am linken Bühnenrand zu landen.

So sehr ich es liebe zu beobachten, wie Musik entsteht: Gesehen werde ich dabei nicht so gerne. Gerade wenn es um Töne geht, die das Potenzial haben, mich an meine Grenzen zu bringen. Ein Grund, warum ich Parkettplätze meide. Aber da war er nun, mein höchstpersönlicher Präsentierteller, ohne Ausweichmöglichkeit aufgrund der vollbesetzten Ränge. Augen auf beim Ticketkauf…

Das Unbehagen verschwand jedoch, sobald Nils Frahm die Bühne betrat und zu spielen begann. Meine Sicht war trotz der exponierten Lage teilweise eingeschränkt, der Mann auf der Bühne befand sich augenscheinlich im Tunnel zwischen seinen Instrumenten und suchte beim Blick ins Publikum stets die Weite. Gefährlich wurde es nur einmal: Die kleine Mineralwasserflasche, die mitten im Laufweg stand, wurde glücklicherweise von einer Monitorbox abgebremst und war nur noch etwa zu einem Drittel gefüllt.

Man konnte an der einen oder anderen Stelle hören, dass die Tour gerade erst begonnen hat. Einigen der frischeren Stücke fehlte noch der allerletzte Schliff zum sehr speziellen frahmtypischen Live-Flow, der das regelmäßige Besuchen von Konzerten unersetzlich macht. Die Konserve, selbst in Form einer Liveaufnahme, erfasst es einfach nicht. Genauso wenig wie ich imstande bin, in kluge Worte zu kleiden, was da auf der Bühne, im Raum und in mir selbst passiert. Man lässt sich ein, das Denken setzt aus und dann ist da nur noch Klang, der einen je nach Tagesform fliegen oder aber rettungslos ertrinken lässt. Jedes Mal wieder. Eine Erfahrung mit ganz erheblichem Suchtpotential und das ist in meinem Fall noch sehr milde ausgedrückt.

Ich bin gespannt, wie sich das im Entstehen befindliche Gesamtkunstwerk „All Melody“ weiterentwickelt. Bis April wird die nächste Stufe wohl schon gezündet sein.

Dann werde ich allerdings schräg hinter der Bühne sitzen. In sicherem Abstand.

Starman

Als bekannt wurde, dass David Bowie im Sommer 2002 anlässlich der Albumveröffentlichung von „Heathen“ nur ein einziges Konzert in Deutschland geben würde, im knapp 2.500 Personen fassenden Kölner E-Werk, war klar, dass es Normalsterblichen nur unter sehr günstigen Umständen gelingen würde, an Karten heranzukommen.

Das traf mich nicht besonders, stand ich doch zu diesem Zeitpunkt sowohl der Musik als auch der Person eher gleichgültig gegenüber. Aber da gab es diesen einen glühenden Bowie-Fan in meiner unmittelbaren Umgebung und so versuchten wir unser Glück bei einem WDR 2-Gewinnspiel – zu unserer Verblüffung mit Erfolg.

Das Event selbst erwies sich zunächst als riesiges Medienspektakel. Alles, was in der Musikbranche Rang und Namen zu haben glaubte sowie zahlreiche sonstige Prominenz gab sich die Ehre und die wenigen Optimisten, die sich mit „Suche Tickets“-Schildern am Rande aufgestellt hatten, ernteten nicht mehr als mildlächelndes Mitleid.

Schließlich betrat David Bowie zu den Klängen von „Life on Mars“ die Bühne und hatte nach wenigen Takten meine volle Aufmerksamkeit. Dass wir sehr weit hinten in der Halle standen, spielte dabei keine Rolle. Es folgte ein grandioses Konzert und als alle dachten, das war’s jetzt, meinte Mr. Bowie, dass die Türen verschlossen seien und deswegen keiner den Saal verlassen könne, zückte ein Saxophon und spielte „Low“ als Zugabe. Das komplette Album. Mit offenem Mund stand ich da und wusste: Das passiert so bestimmt kein zweites Mal.

Ich hatte nie zuvor einen Liveauftritt mit derartiger Wirkung erlebt. Menschen zwischen 17 und 70, Männlein wie Weiblein (und alles dazwischen), Arrivierte wie Alternative verließen nach Konzertende einträchtig und mit strahlenden Augen das Gelände. Ich kaufte im Anschluss zwei Bowie-Alben, sah mir „Der Mann, der vom Himmel fiel“ an, besuchte später noch ein weiteres Konzert und holte nebenbei ein ganzes Kapitel Musikgeschichte nach. In dieser Form hat bis heute niemand geschafft, das zu übertreffen.

„Can you hear me, Major Tom?“

Gute Reise, Mr. Bowie.