Back to live

Irgendwie ist sie dann doch abgerissen, meine „The Show must go online„-Serie. Nicht, dass es keinen Stoff mehr gegeben hätte – Fortsetzung ausdrücklich nicht ausgeschlossen! Aber die Luft war raus. Abgesehen davon gibt es ja inzwischen auch wieder Livekonzerte, darunter auch in Formaten, die ich für verhältnismäßig sicher halte. Das ist natürlich nur meine ganz persönliche Risikobewertung. Die Schwelle liegt da verständlicherweise bei jedem etwas anders.

Das allererste Kultur-Event nach ziemlich genau fünf Monaten war die „Corona Summer Night Open Air Special“ in beziehungsweise draußen vor der Fischhalle Harburg mit dem Duo Ulrich Kodjo Wendt & Yogi Jockusch.

Man kann das wohl „Weltmusik mit Hamburg-Einschlag“ nennen, was die beiden Herren da abgeliefert haben. Absolut perfekt für die Location! Eine wunderschöne Stimmung ist das da unten am Harburger Binnenhafen, momentan noch zusätzlich aufgehübscht durch die coronabedingt an ihrem Winterliegeplatz aufliegende „Fritjof Nansen„. Dummerweise ist es für mich ein bisschen weit mit dem Fahrrad, die An- und vor allem die spätabendliche Abreise mit Bahn und Bus Richtung Barmbek gestaltet sich umständlich und Moia fährt auch noch nicht in Harburg. Wen das nicht schreckt oder wer näher dran ist: Die „Corona Summer Night(s)“ gehen weiter, Termine findet man auf der Webseite der Fischhalle und bei Facebook. Empfohlender Dresscode: langes Beinkleid, der Mücken wegen.

Ich hatte bereits mehrfach davon berichtet und auf Hamburg-Termine gehofft, inzwischen ist es soweit: Die 1:1 Concerts gibt es jetzt auch mit Musikern der jungen norddeutschen philharmonie. Spielorte sind unter anderem das Büchereck Niendorf und bouquet HÜTE in Eimsbüttel.

Vergangenen Dienstag hat Cellist Felix Jedeck für mich Werke von Siegfried Barchet und Johann Sebastian Bach gespielt. Zu den Regeln des Formats gehört, dass Musiker und Zuhörer nur mit Blicken und Gesten kommunizieren dürfen. Wahrscheinlich wäre mir aber nach diesen zehn intensiven Minuten außer einem tief empfundenen „Danke“ spontan eh nicht viel eingefallen und die beinahe unvermeidlichen drei bis vier Tränchen habe ich mir auch erst vor der Tür verdrückt. Unverständlicherweise sind zurzeit noch viele Termine frei. Daher ergeht hiermit der Aufruf an alle Hamburger und Hannoveraner: hin da! Das ist ein in jeder Hinsicht besonderes Musikerlebnis und dient obendrein einem guten Zweck – what’s not to love?!

Apropos intensiv: Gestern hat Martin Kohlstedt auf dem Lattenplatz vor dem Knust Hamburg gespielt. Ich kenne einen großen Teil der Hamburg-Geschichte und kann daher mit einiger Sicherheit behaupten: Elbphilharmonie hin, Laeiszhalle her, das gestern war ein ganz spezieller Trip. Worte zu finden ist eigentlich unmöglich, da scheitere ich ebenso zuverlässig wie krachend, das versuche ich normalerweise erst gar nicht (mehr). Aber vielleicht kann „Ausnahmezustand trifft (Hamburg-)Reprise“ als halbwegs hinreichende Annäherung dienen. Und den GewandhausChor habe ich zwischen den Zeilen auch immer noch hören können.

Zu besonderen Atmosphäre wird auch das Wetter beigetragen haben: Die Serie von Wolkenbrüchen begann kurz vor dem Einlass und dauerte exakt bis zum Ende des Sets. Ich konnte nicht umhin, mich an eine nicht unähnliche Konzertsituation im August vor sechs Jahren erinnert zu fühlen. Damals ergoss es sich über dem Dockville und zwar haargenau während der Timeslots, die für die Auftritte von Nils Frahm und Ólafur Arnalds vorgesehen waren. Ob dieser Umstand auf der Bühne zu Ausnahmezuständen geführt hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber an das, was dabei mit der Novizin (nämlich mir) vor der Bühne passiert ist, kann ich mich noch sehr gut erinnern. Im Grunde jage ich eben diesem Zustand bei jedem einzelnen Livekonzert, welches ich seither besucht habe, immer wieder neu nach. Manchmal stimmt das Timing, innen wie außen, und ich erwische zumindest ein Bruchstück davon. Gestern war so ein Tag.

Schnitt.

Der Titel dieses Beitrags, die Älteren werden sich eventuell erinnern, ist übrigens eine Anspielung auf „Back to Life (However Do You Want Me)“ von Soul II Soul aus dem Jahr 1989. Das waren die ersten Klänge, die ich am letzten Wochenende auf der „Piazza“ des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel vernahm. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Retrowelle inzwischen die 90er erreicht hat, aber das nur nebenbei. Ich war da gerade auf dem Weg zu meiner ersten Kulturveranstaltung in geschlossenen Räumlichkeiten unter Coronabedingungen. Mit sehr gemischten Gefühlen. Wie das ausging und überhaupt das Sommerfestival insgesamt, hole ich nach. Vorher muss ich nämlich ganz dringend noch ein paar Tage Nordseeluft schnuppern.

It takes two to tango

Es hilft nichts, ich muss doch darüber schreiben.

Zuerst lese ich es im Newsletter des Schleswig-Holstein Musik Festivals: Wir machen wieder Livekonzerte! Freude, schöner Götterfunken usw. usf.! Äh, Moment: „Für jedes dieser Konzerte stehen 125 ‚Duo-Karten‘ zur Verfügung, die jeweils zum Einlass von zwei Personen eines Haushalts berechtigen“. Ich zähle die Personen meines Haushalts und komme exakt bis eins. Und nun?

Als nächstes folgt die Elbphilharmonie mit „Sommer, Sonne, Konzertkino“. Buchbar sind die Ticketvarianten Wiesenfläche für 4 Besucher bzw. Strandkörbe oder Wiesenfläche für 2 Besucher – schönen Dank auch. Damit nicht genug: In-House-Konzerte können vorerst nur mit stark verringerter Besucherzahl angeboten werden. So weit, so verständlich. Der Corona-Saalplan des Großen Saals sieht bei 628 bestückbaren Plätzen allerdings gerade einmal 13 Einzelsitze vor, bei denen es sich weder um Rollstuhlbegleit- noch um unverkäufliche Dienst- und Direktionsplätze handelt. Im Kleinen Saal werden gar keine Einzelplätze angeboten. Euer Ernst?

Bei allem Verständnis dafür, dass man trotz der geltenden Beschränkungen möglichst viele Plätze besetzen will: Kulturfans treten nicht nur paarweise auf. Laut Statistikamt Nord werden 54,5% der Haushalte in Hamburg von nur einer Person bewohnt. Der Begriff „Minderheit“ ist in diesem Zusammenhang relativ.

Als Einpersonenhaushalt darf ich mir nun also aussuchen, ob ich doppelt löhnen oder auf das Abstandsgebot pfeifen soll. Beides für mich keine Option. Ich zahle aus Prinzip keine Einzelzimmerzuschläge, sondern trage mein Geld zu Unternehmen, die Alleinreisende nicht als Abweichung von der Norm verstehen. Da fange ich mit so etwas erst recht nicht bei Kulturveranstaltungen an – Corona hin, Hygiene her.

Was bleibt mir übrig? Da zu buchen, wo Einzelkämpfer erwünscht sind und nicht draufzahlen. Bei den Konzerten auf dem Lattenplatz des Knust zum Beispiel. Oder beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel.

Ansonsten bin ich im Lichte der neuen Erkenntnis sehr gespannt, was mit meinem (bereits bezahlten) Elbphilharmonie-Abo passiert. Hatte ich übrigens erwähnt, dass ich immer noch auf Ticketrückerstattungen warte?

In Concert: Svavar Knútur im Knust

Musik kann, mit Verlaub gesagt, ein ziemliches Arschloch sein. Dann nämlich, wenn sie mit der Erinnerung an ein großes Unglück verbunden ist – oder, noch schlimmer, an ein großes Glück, was sich erst im späteren Verlauf als Unglück entpuppt.

Musik kann aber auch zum Rettungsanker werden. Vor ein paar Jahren, an einem denkwürdigen Dezemberabend, fand ich mich in der Pony Bar bei einem Konzert von Svavar Knútur wieder, in einer Stimmung, in der man unter Leuten eigentlich nichts zu suchen hat. Da stand er, dieser isländische Troubadour, und beförderte mich mit einer einzigartigen Mischung aus zwerchfellerschütternd-grotesken Geschichten und zauberhaft-melancholischen Songs aus meinem Ausnahmezustand.

Die Erinnerung an diesen Abend ist zugleich schmerzhaft und heilsam und sie ist bei jedem Konzertbesuch wieder mit dabei. Was mich keineswegs davon abhält, ganz im Gegenteil: Gestern war es wieder so weit.

Svavar ist aktuell noch bis 6. 10. in Deutschland unterwegs. Tut ihm, mir und euch einen Gefallen und geht hin.

In Concert: DenManTau im Knust

Es kommt nicht oft vor, dass ich auf der Straße eine Band mit eigenen Songs höre, die mich vom Fleck weg begeistert. Genau genommen ist das erst zweimal passiert. Das erste Mal ist ziemlich lange her, 1995 oder 1996 muss das gewesen sein. Die Truppe hieß Tonic (später Woodhall Four), stammte aus Großbritannien und gewisse Anklänge an die frühen Beatles waren nicht zu überhören. Der Bassist trug eine Brille im Stile der 60er, sah immer äußerst lässig aus und stand nicht neben, sondern auf seinem kleinen Verstärker. Bei den Konzerten in der Kölner Innenstadt drängelten sich die Menschen. Ich kaufte den Jungs eine CD ab; der Song „6:45am“ wurde zu meinem persönlichen Sommerhit. Bald gab es auch überdachte Auftritte, eine zweite Scheibe erschien. Leider verschwanden die vier kurz danach plötzlich von der Bildfläche. Später habe ich eine Hälfte des Quartetts wieder auf der Straße spielen sehen.

Das zweite Mal war im Januar 2014. Nach einem langen Elbspaziergang stieß ich an den Landungsbrücken zufällig auf DenManTau. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich andere Dinge im Kopf und völlig andere Musik auf den Ohren, aber an DenManTau konnte man nicht vorbeilaufen. Das Durchschnittsalter der Bandmitglieder konnte höchstens um die Mitte 20 betragen, dennoch standen da ganz eindeutig Profis auf dem Pflaster.

Ich hielt die Augen offen, verpasste aber in der Folge jeden weiteren Auftritt in Hamburg und Umgebung. Als DenManTau wenig später in die USA auswanderten, um „die erste Band auf dem Mond“ zu werden, ärgerte ich mich mächtig. „Die siehst Du nie wieder“, dachte ich, „außer, Du fliegst nach Kalifornien.“

Umso erfreuter war ich, als ich Anfang der Woche und somit gerade noch rechtzeitig von der Deutschlandtour unter anderem mit Station im Knust erfuhr.

Ich sag’s mal so: Zum Mond werden die fünf es wohl nicht schaffen. Aber alles andere drunter wär schon drin.