Ich hatte mehrfach angesetzt, es aber es bis Jahresende nicht hingebracht, über die beiden Dezemberkonzerte zu berichten. Aufgrund des fortgeschrittenen Datums bietet sich eine Verbindung mit dem Jahresrückblick 2022 an.
Das vorletzte Konzert war ein „Blind Date“ mit Klaus Paier, Asja Valčić und Gerald Preinfalk, die ihr gemeinsames CD-Projekt „Fractal Beauty“ vorstellten.
Das kam durchweg gut an im vollständig ausverkauften Kleinen Saal der Elbphilharmonie und vielleicht hat sich Gerald Preinfalk inzwischen auch wieder beruhigt ob des Konzepts meiner Lieblings-Konzertreihe. „Und Sie wussten wirklich nicht, was Sie heute Abend erwartet?!“
Ausverkauft war auch das letzte Highlight des Jahres: Yulianna Avdeeva, Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester boten Sergej Prokofjews Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 16, Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ und Maurice Ravels „Bólero“ dar. Im direkten „Bólero“-Vergleich haben Utopia und die Laeiszhalle klanglich einen knappen Sieg davongetragen. Unter optischen Aspekten gewinnt dagegen mit großem Abstand der Große Saal der Elbphilharmonie. Denn Teodor Currentzis dirigierte weite Teile des Stücks durch bloße Veränderungen in seiner Körperhaltung und auf dem Seitenplatz in 13 I kam ich in den vollen Genuss dieses durch und durch faszinierenden Schauspiels – anders kann man es nicht bezeichnen. Das Auge hört mit!
Yulianna Avdeevas Zugabe, die Nocturne cis-Moll op. posth. BI 49 von Frédéric Chopin, brachte mich zuvor für einen kurzen, aber dafür umso intensiveren Moment zurück in die kleine Laeiszhalle und zu meinem Konzert des Jahres 2015. Die als finale Zugabe konzipierte „Nach(t)musik“ bestand aus dem Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 67 von Dmitri Schostakowitsch, interpretiert von Yulianna Avdeeva, Mila Georgieva (Violine) und Frank-Michael Guthmann (Violoncello). Diese Programmwahl fand nicht bei allen im Saal uneingeschränkte Zustimmung – so beispielsweise bei dem Teil des zahlreich angetretenen Abopublikums nicht, der links neben mir bis unmittelbar vor Konzertbeginn telefonierte und mit Bäckereitüten knisterte. Mein besonderer Respekt gebührt der Dame, die es fertigbrachte, während „Le sacre du printemps“ einzuschlafen. Dass der Intendant gegen Ende der ersten Pause höchstpersönlich darum bat, das feedbackzwitschernde Hörgerät – irgendwo auf den richtig teuren Plätzen – möge doch bitte unter Kontrolle gebracht werden, fügte sich in dieses tendenziell unschöne Bild. Sehr dankbar bin ich dagegen den Herrschaften rechter Hand, die mich auf das Konzert des London Symphony Orchestra mit Barbara Hannigan und Veronika Eberle im März 2023 aufmerksam machten. Das war mir unerklärlicherweise durchs Raster gehüpft.
Was die musikalischen Erlebnisse insgesamt betrifft, ist vergleichsweise wenig passiert im frisch vergangenen Jahr. Weil an anderen Stellen so viel passierte. Zu neuen Konzertorten kam ich daher ebenso wenig wie zu Festivalbesuchen (vom Internationalen Sommerfestival abgesehen). Für eine kleine Liste reicht es dennoch.
Die bemerkenswerten Premieren:
- Elena Bashkirova,
- Frank Beermann,
- Joep Beving,
- Clannad,
- Cello Cinema,
- Marzena Diakun,
- Sheku Kanneh-Mason,
- Alexandre Kantorow,
- Klaus Mäkelä,
- Oslo Philharmonic,
- Vassily Sinaisky,
- Klaus Paier/Asja Valčić/Gerald Preinfalk,
- Arabella Steinbacher,
- Antoine Tamestit,
- Thees Uhlmann,
- Utopia und
- Jörg Widmann.
Die Wiederholten:
- Ólafur Arnalds,
- Yulianna Avdeeva,
- Brand Brauer Frick,
- City of Birmingham Symphony Orchestra,
- Teodor Currentzis (5x),
- Jan Dvorak,
- Nils Frahm,
- Grandbrothers,
- Junge Symphoniker Hamburg,
- musicAeterna (2x),
- Kent Nagano,
- Philharmonisches Staatsorchester Hamburg (3x),
- Jordi Savall,
- Socalled,
- SWR Symphonieorchester (2x) und
- vision string quartet.
Einen Jahres-Favoriten kann und möchte ich nicht nominieren, sondern lediglich feststellen: Weniger ist tatsächlich mehr. Auch eine Erkenntnis.