London (Part III): Tag 6

Eigentlich gedachte ich, in dieser Woche komplett internetlos zu sein. Aber nun habe ich doch welches, WLAN sogar, was mir ermöglicht, mich um Tag 6 der London-Nachlese zu kümmern. Was zuvor bzw. im letzten Jahr geschah, kann bei Interesse unter dem Schlagwort London nachgelesen werden.

Beim Frühstück kann ich beobachten, wie auf dem Queens Lawn der Farmer’s Market aufgebaut wird. In South Kensington finden wöchentlich zwei Märkte statt. Der Dienstagsmarkt auf dem Gelände des Imperial College besteht fast ausschließlich aus Fressständen und so richtig kommt die Sache wohl erst zur Mittagszeit in Fahrt.

Mein erster Weg führt mich danach zur 99 Kensington High Street, um den Besuch der Roof Gardens nachzuholen. Am Dienstag, so hatte uns der London Walks-Guide ein paar Tage zuvor verraten, seien die Gärten öffentlich zugänglich, was auch die Website bestätigt.

The Roof Gardens
The Roof Gardens

Die Kensington Roof Gardens wurden zwischen 1936 und 1938 von Ralph Hancock im Auftrag des damaligen Besitzers und Erbauers des Gebäudes angelegt und sind in drei Themenbereiche aufgegliedert: den spanischen, den Tudor- und den „English Woodland“-Garten. Die Anlage ist im Grundsatz unverändert erhalten. Sieben Bäume stammen sogar noch aus der Erstbepflanzung.

English...
English…
... Woodland
… Woodland

Morgens um halb elf herrscht in den Gärten noch die Ruhe vor dem Sturm, was vortrefflich durch die hier lebenden Flamingos demonstriert wird.

Langschläfer
Langschläfer

Wahrscheinlich keine dumme Strategie: Es bedarf nur wenig Phantasie, sich die rauschenden Feste vorzustellen, die hier oben mutmaßlich zu späten und sehr späten Tageszeiten gefeiert werden. Das dürfte auch Auswirkungen auf den Schlafrhythmus der tierischen Bewohner haben.

Als Nächstes nehme ich mir das Natural History Museum vor. Tags zuvor hatte ich mir dazu bereits die Museums-App aufs Telefon gepackt, in der verschiedene Hausdurchgänge vorgeschlagen werden und mit deren Hilfe die Orientierung in den verwinkelten Räumlichkeiten erheblich leichter fällt. Ich entscheide mich für den „Dinosaur Trail“, will aber zuvor einen Rundgang durch die prächtige Hintze Hall machen.

Hintze Hall

Hintze Hall

Dort werden mittels verschiedener Objekte und kleinerer Schaukästen Geschichte und Arbeitsbereiche des Museums vorgestellt, der dazu in der App abspielbare Audioguide wurde von niemand geringerem als Sir David Attenborough eingesprochen. Als Highlight entpuppt sich hierbei die Cadogan Gallery, in der die Schätze des Hauses versammelt sind, darunter das Fossil eines Archaeopteryx, der erste jemals gefundene Schädel eines Neandertalers, je ein Stückchen Meteorit- und Mondgestein, die Schale eines von Robert Falcon Scott auf seiner Antarktismission höchstpersönlich aufgesammelten Kaiserpinguin-Eis und ein Exemplar der Erstausgabe von Charles Darwins „On the Origin of Species“.

Nach einem spontan eingeschobenen Cream Tea im Central Café widme ich mich schließlich dem Startpunkt des „Dinosaur Trail“, der „Dinosaur Gallery“. Deren Hauptattraktion, der mechanische Tyrannosaurus Rex, hat ausgerechnet heute einen freien Tag.

Under Maintenance
Under Maintenance

Die Gallery, so stelle ich schnell fest, besteht im Wesentlichen aus Abgüssen und Modellen. Die echten Fossilien sind im übrigen Haus verteilt, was ein weiteres Argument dafür ist, die Besucherführung der App zu nutzen. Grob dem Saurierpfad folgend, entdecke ich am Rande noch zwei Preziosen: Die „Images of Nature“ Gallery, in der wechselnde Ausstellungen von Illustrationen und Fotografien gezeigt werden und den Mineralienraum.

Verständlicherweise wird der größte Teil des Museumsbestands in Depots verwahrt. Würde man beispielsweise die Sammlungen der Cook-Reisen dauerhaft dem Besucherstrom aussetzen, wäre das mit dem konservatorischen Auftrag wohl nur schwer vereinbar. Mal abgesehen davon, dass nicht annähernd genügend Fläche zur Verfügung steht. Man kann aber online in diesen und anderen nicht ausgestellten Beständen stöbern. Sehr lesenswert in diesem Zusammenhang ist auch das Museums-Blog, insbesondere die Einträge der Bibliothek (Kategorie „Library and Archives“).

Nach einer nachmittäglichen Pause im Quartier begebe ich mich erneut ins V&A, um mir die Räume zum Thema „Theatre & Performance“ anzuschauen. Diese sind zwar durchaus sehenswert, gefallen mir aber nicht ganz so gut wie andere Bereiche des Museums. Leider befindet sich die Sonderausstellung „Opera: Passion, Power and Politics“ noch im Aufbau. Sie wird erst am 30. September eröffnen.

Albert
Albert
Dem Albert seine Halle
Dem Albert seine Halle

Anschließend geht es in die Royal Albert Hall. Das Konzertangebot ist unmittelbar nach den BBC Proms zwar ziemlich übersichtlich, fußläufig zur Hall zu wohnen – meiner Konzertlocation des Jahres 2016! – und diese nicht zu besuchen, erschien mir dennoch undenkbar. Ich hatte mich im Vorfeld für das Classic FM-Filmmusikkonzert mit dem Bournemouth Symphony Orchestra unter der Leitung von Pete Harrison entschieden. Der Kontrast zu „This is Rattle“ fällt deutlich aus und zieht sich durch die gesamte Veranstaltung. Von der Gestaltung des Programmhefts, der Beleuchtung und den Pyroeffekten (!) über Moderation und Sponsorenpräsentation bis hin zu Auswahl und Vorstellung der Solisten, alles wirkt ein wenig dick aufgetragen. Dazu passt, dass ich mir mit meiner (moderat zusammengestellten) Konzertbekleidung in der aus künstlerischer Sicht wesentlich elitäreren Veranstaltung im Barbican noch „slightly overdressed“ vorgekommen war, für den Classic FM-Abend dagegen problemlos noch ein bis zwei Briketts mehr hätte auflegen können.

Ich sitze im „Rausing Circle“, auf vergleichsweise billigen Plätzen also, die nichtsdestotrotz einen guten Blick auf das Orchester gewähren. Das BSO macht seine Sache sehr ordentlich. Ich schwelge in den John Barry-Stücken, freue mich unter anderem über die „Glohrreichen Sieben“, „Lawrence of Arabia“, „Lord of the Rings“, das John Williams-Medley und die „Indiana Jones“-Zugabe und wünsche mir lediglich bei den „Adagio for Strings“ von Samuel Barber kurzfristig die LSO-Streicher und die Barbican-Akustik zurück. Gerade auf den oberen Rängen merkt man doch, dass die Royal Albert Hall (of Arts and Sciences) im Grunde kein Konzertsaal, sondern eine Mehrzweckhalle ist.

Apropos Konzertsaal: Dem Vernehmen nach betreibt Sir Simon Rattle zurzeit offensiv den offenbar schon seit langem durch die Londoner Musikszene geforderten Bau eines neuen Hauses, welches in unmittelbarer Nachbarschaft des Barbican Centre auf dem jetzigen Gelände des Museum of London entstehen soll. Das wiederum zieht voraussichtlich 2021 in neue Räumlichkeiten am Smithfield General Market. Die Pläne sind durchaus nachvollziehbar: Die Möglichkeiten für das LSO im Barbican sind begrenzt, allein schon vom zur Verfügung stehenden Platz her, die Royal Festival Hall hat bereits vier Residenzorchester, die Albert Hall ist eh außen vor, nicht nur aus akustischen Gründen, und auch die Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie wird neue Begehrlichkeiten geweckt haben. Was immer daraus wird: Meine Faszination für die Royal Albert Hall wird davon unberührt bleiben.

Nach dem Konzert bin ich in nur wenigen Schritten bei meiner Unterkunft, was mir ein geradezu unverschämtes Vergnügen bereitet. Es sind die kleinen Dinge!

London (Part III): Tag 3

Zeit für „London (Part III) – die Nachlese“! Es folgt die Rückschau auf Tag 3. Was zuvor bzw. im letzten Jahr geschah, kann bei Interesse unter dem Schlagwort London nachgelesen werden.

Auch dieses Mal mache ich wieder den Fehler, ein Programm für zwei Wochen in sieben Tage pressen zu wollen. Die Stadt ist einfach zu groß dafür; selbst wenn man die Transfers geschickt vorplant, erfordern alle Wege von A über B nach C grundsätzlich mehr Zeit, als zuvor am Reißbrett ausbaldowert. Das merke ich am dritten Tag, als ich „nur mal eben“ durch den Hyde und Green Park laufen, bei Fortnum & Mason etwas besorgen und einen kurzen Blick in Burlington Arcade und Savile Row werfen will. Bis ich damit durch bin, wird es für mein Vorhaben, zwei bestimmte Orte in der Nähe von Euston Station und St. Pancras/King’s Cross zu besuchen, schon ziemlich knapp. Ab 14 Uhr möchte ich nämlich an der London Walks-Führung durch Kensington teilnehmen, um näheres über den Stadtteil zu erfahren, in dem meine Unterkunft liegt.

Aber zunächst zurück nach Mayfair. Um in der Burlington Arcade shoppen gehen zu können, müsste ich in eine ganz andere Gehaltsklasse springen. Aber schön anzusehen ist sie, keine Frage, und dann hängt da auch noch ausgesprochen hübsche Kunst!

Burlington Arcade
Burlington Arcade
"Birds" von Mathilde Nivet
„Birds“ von Mathilde Nivet

Als weniger hübsch erweist sich die Savile Row, bekannt als erste Adresse für maßgeschneiderte Herrenbekleidung. Zwar sind einige ansprechende Schaufenster zu bewundern, aber der einst wohl erheblich noblere Gesamteindruck wird unter anderem dadurch geschmälert, dass sich an der Ecke Burlington Gardens/Savile Row eine Abercrombie & Fitch-Filiale befindet. Was man riecht, bevor man es optisch wahrnimmt. Örks.

"Is it overcoat weather?"
„Is it overcoat weather?“

Schon etwas abgehetzt mache ich mich dann auf den Weg zur Euston Station. Dass ich in Speedy’s Café nichts essen oder trinken, sondern in meiner Eigenschaft als Sherlock-Aficionado nur schnell ein Foto von dem Gebäude schießen will, verschafft mir für die Platform 9 3/4 in King’s Cross ein wenig Muße.

Rather a tourist trap nowadays
Rather a tourist trap nowadays

Die braucht man auch, denn sowohl am Trolley als auch im Shop direkt daneben drängen sich die Menschen. Ein ausgesprochen fröhliches Treiben, ich kann mich nicht erinnern, je eine so gut gelaunte Warteschlange gesehen zu haben.

Mit dem Trolley zum Gleis 9 3/4
Mit dem Trolley zum Gleis 9 3/4

Am Trolley kann man sich, mit Zauberstäben und Schals in den gewünschten Häuserfarben ausgestattet, professionell ablichten lassen. Ein freundliches Helferlein sorgt dafür, dass die Schals im richtigen Moment wehen, um den Bildern Dynamik zu verleihen. Das entsprechende Kommando des Fotografen lautet „… and: scarf!“ und sowohl die jeweiligen Protagonisten als auch ausnahmslos alle Umstehenden haben großen Spaß dabei.

Platform 9 3/4
Platform 9 3/4

Der Shop ist in etwa so eingerichtet, wie man sich einen echten Zauberladen in der Winkelgasse vorstellt. Es werden dort neben allerhand lizenziertem Ramsch auch die hochwertigen Strickwaren des schottischen Betriebs angeboten, der die Verfilmungen ausgestattet hat. Mein Widerstand ist schnell dahin und ich erstehe einen original Ravenclaw-Schal – Gryffindor kann schließlich jeder.

Nach einer knappen Stunde sprinte ich zurück in die Tube und erreiche so noch rechtzeitig den Beginn der Führung am Bahnhof High Street Kensington. Da The Roof Gardens, normalerweise die erste Station und eines der Highlights des Walks, leider wegen einer Veranstaltung nicht öffentlich zugänglich sind, halten wir uns recht lange am Kensington Square und bei den Berühmtheiten auf, die die Gegend einst bewohnt haben. Besonders viel Strecke machen wir dadurch nicht, aber auch bei diesem Ausflug mit London Walks bekomme ich wieder Ecken zu sehen, in die ich so sonst nicht gekommen wäre und Geschichten erzählt, die in keinem der handelsüblichen Reiseführer stehen. Das lohnt sich einfach immer.

Kensington Square
Kensington Square

Nach einem kleinen Zwischenstopp im Quartier geht es am Abend ins Theatre Royal Haymarket und zur Royal Shakespeare Company. Das Theater existiert seit 1720 und zählt somit zu den ältesten noch im Betrieb befindlichen Spielstätten Londons. Die Innenausstattung ist dementsprechend grandios. Das Stück heißt „Queen Anne“ und ist, anders als Titel, Bühnenbild und Kostüme vermuten lassen, ein zeitgenössisches Werk. Zu meiner Freude habe ich keinerlei Verständnisprobleme und kann mir so von dem großartigen Ensemble die mir zuvor unbekannte Geschichte der Königin erzählen lassen, die England von 1702 bis zu ihrem Tod im Jahr 1714 regierte und auf deren Betreiben unter anderem die politische Vereinigung von England und Schottland zu Großbritannien („Act of Union“) zustande kam.

Das Stück dauert inklusive der Pause fast drei Stunden. Gegen Ende beschleichen mich leichte Konzentrationsprobleme. Das stramme Tagesprogramm fordert seinen Tribut und ich nehme mir fest vor, es von jetzt an langsamer angehen zu lassen.