Ich hatte ja gehofft, nach dem erfolgreichen Abschluss des Studiums mit Schwung ins neue Jahr starten zu können. Das hat leider nicht gut geklappt. Dazu tragen Faktoren bei, über die ich mich hier nicht auslassen kann und möchte. Aber es trägt auch die allgemeine Weltlage dazu bei. Nicht wenig sogar. Die unsäglichen Auswüchse des Wahlkampfs. Das Ignorieren, ja, das Diskreditieren hunderttausender Demonstrierender, die der immer offensichtlichere Rechtsruck erneut auf die Straße treibt (waren halt keine Bauernproteste, fehlten halt die Traktoren!). Parallel der Coup in den USA, der hierzulande noch immer nicht hinreichend als solcher erkannt und bezeichnet wird. Vor allem aber, dass vor all dem der unaufhaltsame weil unaufgehaltene Fortschritt der Klimakrise in der öffentlichen Wahrnehmung zu verblassen scheint. Das Thema mit dem denkbar größten Handlungsdruck? Wird zweit- bis drittrangig behandelt. Von Spitzenpolitikerinnen und -politikern ebenso wie von den Medien. Nicht wenige kündigen gar an, hinsichtlich der Klimaschutzmaßnahmen den Rückwärtsgang einlegen zu wollen. Insbesondere bei der Verkehrswende. Die wenigen Ausnahmen scheinen diese Regeln nur zu bestätigen.
Und da soll ich hier unbefangen über Jordi Savall, Julius Asal und das neueste „Blind Date“ in der Elbphilharmonie parlieren? Es fällt zunehmend schwer.
Jedenfalls war das aber der Auftakt meines Kulturjahres. Zuerst präsentierten Jordi Savall, das Orchester Le Concert des Nations, der Chor La Capella Nacional de Catalunya und die Solistinnen und Solisten Giulia Bolcato (Sopran), Elionor Martínez (Sopran), Lara Morger (Mezzosopran), David Fischer (Tenor) und Matthias Winckhler (Bass) Wolfgang Amadeus Mozarts unvollendete Große Messe c-Moll KV 427. Vollendet wurde diese vom italienischen Komponisten Luca Guglielmi, der während des Konzerts auch an der Orgel saß. In der Einführung vor dem Konzert erklärten Savall und Guglielmi detailliert, wie und mit welchen Mitteln und Auszügen aus anderen Mozart-Werken die Lücken in der Messe gefüllt wurden. Das Ergebnis hat mich durchaus überzeugt. Nur an einer Stelle dachte ich: Ja, das ist Mozart oder zumindest mozartlike, aber irgendwie passt dieses Stück von der Stimmung her nicht zum Rest. Leider habe ich mir nicht gemerkt, welcher Teil das war. Es war aber auch nicht so wichtig. Mich hat schon seinerzeit bei Beethovens siebter Sinfonie vor allem fasziniert, wie anders die Interpretationen durch Le Concert des Nations klingen. So viel wärmer und intimer als die von Klangkörpern, in denen moderne anstatt Barockinstrumente verwendet werden. Auch bei Mozart funktioniert das sehr, sehr gut. Das absolute Highlight des Abends war aber La Capella Nacional de Catalunya. Ich glaube sofort, dass sämtliche Sängerinnen und Sänger auch die jeweils zur Stimmlage passenden Solorollen hätten singen können (auch das eine Information aus der Einführung). Und wie jung die alle waren! Was für eine großartige Energie auf der Bühne! Die Investition in die nicht eben günstige Karte in 13 F hat sich sehr gelohnt. Sehr gerne wieder.
Nicht ganz so überzeugt hat mich Julius Asal im Kleinen Saal der Elbphilharmonie ein paar Tage später. Da war ich aber auch nicht so aufnahmefähig; es mag also überwiegend an mir gelegen haben.
Ich bekam immerhin mit, dass der junge Mann gut ist. Vor allem beim Brahms, genauer: der Sonate für Klavier Nr. 3 f-Moll op. 5 in der zweiten Konzerthälfte. Außerdem ist Asal sehr großzügig mit Zugaben. Sowas mag ich.
Beim ersten „Blind Date“ des Jahres war die Bühne bereits vor Konzertbeginn gut gefüllt, unter anderem mit weißen Leinwänden. Leichte Skepsis machte sich im Publikum breit. Was passiert da heute? Malen nach Noten? Performance statt Konzert? Als dann fünf Musikerinnen und Musiker die Bühne betraten und einer von ihnen kunstvoll eine Handpan zu spielen begann, dachte ich: Wow, der ist gut, beinahe so gut wie Manu Delago! Schnell stellte sich heraus: Es war Manu Delago höchstselbst. Ich hatte bloß vergessen, wie der Mann aussieht. Peinlich! Delago war indes nicht allein auf der Bühne, sondern hatte sich mit Mad About Lemon zusammengetan, einem tiroler Gesangstrio bestehend aus Anna Widauer, Mimi Schmid und Valerie Costa. Komplettiert wurde das Ensemble durch Clemens Rofner am Bass.
Hauptsächlich die drei Damen waren es, die die drei Leinwände auf der Bühne im Laufe des Auftritts mit Farbe und Leben füllten. Bald klärte sich auch auf, was es damit auf sich hatte: Individuelle Souvenirs für das Publikum sollten so entstehen, die am Ende der Vorstellung im Foyer ersteigert werden könnten. Außerdem habe man noch einen Vorrat von älteren Werken, die zu einem Festpreis angeboten würden. Eine schöne Idee, die vom Publikum auch rege aufgenommen wurde.
Das sei noch erwähnt: Durch die Songs auf „Snow From Yesterday“, dem gemeinsamen Album von Manu Delago und Mad About Lemon, zieht sich das Motiv Wasser in verschiedenen Aggregatzuständen wie ein roter Faden. Sie handeln auch von der Klimakrise, womit sich der Kreis dieses Eintrags schließt.