K & D

Und dann war ich am Freitagabend noch mit Frau F. in der restlos ausverkauften K6 auf Kampnagel bei Kruder & Dorfmeister. Das Set dauerte fast dreieinhalb Stunden und wurde von beeindruckenden Visuals begleitet. Um mich herum tobte die Menge, teils stehend, teils sitzend, auf einen beträchtlichen Teil davon schienen die Beats der beiden Altstars wie ein Jungbrunnen zu wirken und anschließend schwappte die kollektive Begeisterung weiter durch meine Timelines der diversen Social Media-Kanäle bis in Ecken, in denen ich solches nun wirklich nicht erwartet hatte. Einigermaßen erstaunlich.

Was mich selbst betrifft, tja, hm. Sagen wir es so: Ich muss in den 90ern musikalisch wohl auf einem anderen Planeten gelebt haben.

Aber eine tolle Show war’s nichtsdestotrotz.

In Concert: Árstíðir bei The Rope Shack Concerts

Wenn Frau C. und ich uns bisher über isländische Künstler unterhielten, dann ging es zumeist entweder um Svavar Knútur („der eine Isländer“) oder um Ólafur Arnalds („der andere Isländer“). Nicht, dass es da nicht noch weitere Isländer gäbe, über die es sich zu sprechen lohnt. Da sei z. B. Jóhann Jóhannson erwähnt, den wir auf Frau C.s Betreiben hin zusammen in der Elbphilharmonie sahen, ziemlich genau ein Jahr bevor er im Februar 2018 mit nur 48 Jahren verstarb.

Dann sind da aber noch „die ganz anderen Isländer“, nämlich die Mitglieder der Band Árstíðir, deren Geschicke Frau C. schon seit geraumer Zeit mit beachtlicher Leidenschaft verfolgt. Grund genug für mich, die Jungs selbst einmal in Augenschein zu nehmen. „The Rope Shack Concerts“, der noch recht jungfräuliche Veranstaltungsort auf St. Pauli, entpuppte sich dabei als sehr intime Angelegenheit ungefähr in Wohnzimmergröße. Ich bin schlecht im Schätzen sowohl von Raumgrößen als auch von Menschenmengen, aber ich vermute, das Fassungsvermögen entspricht ungefähr einem Drittel des Hinterzimmers der Pony Bar (Flur und Vorraum nicht mitgerechnet). Das beengte Platzangebot nötigte die Band praktisch dazu, ein nahezu lupenreines Akustikkonzert zu geben. „Nahezu“ deshalb, weil das Piano ein elektrisches war – ein „echtes“ hätte auf der winzigen Bühne keinen Platz mehr gehabt. Wie dem auch sei, besser hätte mein Einstand nicht sein können, denn die Jungs können nicht nur dies hier

sondern auch so etwas

und hatten dort reichlich Gelegenheit, ihre musikalischen Qualitäten unter Beweis zu stellen. Denn wer für Dynamik keine Regler braucht, hat auch auf kurze Distanz keine Probleme damit, ein Publikum zu überzeugen.

Zum Anfixen war dieser Auftritt jedenfalls allerbestens geeignet. Dumm nur, dass sich ein solches Erlebnis aus der Konserve nur sehr schwer rekonstruieren lässt. Das ist das Hauptproblem bei den musikalischen Empfehlungen der Frau C.: Sie füllen den Konzertkalender. Je nun. Es gibt Schlimmeres.

Theater, Theater: „Der Fall Furtwängler“ im Ernst Deutsch Theater

Schuld war mal wieder ein Plakat. „Die beiden kenne ich doch“, denke ich, als mein Auge an einer U-Bahn-Haltestelle daran hängenbleibt. „Boris Aljinovic und der Hamburger Jedermann. Kontrastreiche Besetzung. Und mit Musik hat es auch noch zu tun.“ Dann bin ich nach Hause gefahren und habe eine Karte für die Dernière am vergangenen Sonntag gekauft. Was lehrt uns das? Print ist nicht tot!

Ein paar Tage später hallen das Stück und die Darbietung desselben immer noch nach. Der Kontrast zwischen Dr. Wilhelm Furtwängler (Robin Brosch), dem Kulturmenschen mit Haltung und besten Verbindungen zur Elite des sogenannten Dritten Reichs und Major Steve Arnold (Boris Aljinovic) dem bekennend kulturlosen Versicherungssachbearbeiter, der als Soldat die Zustände im KZ Bergen-Belsen unmittelbar nach der Befreiung durch die amerikanische Armee erleben musste, könnte größer nicht sein. „Taking Sides“, so der treffende Titel der Verfilmung des Stoffes von 2001, ist dennoch keine ganz einfache Sache. Denn die zunehmend fanatisch anmutenden Versuche Arnolds, den „Bandleader“ und „Big Boy“ „dranzukriegen“, stoßen ab. Zumal die Beweislage gegen den Dirigenten einigermaßen dürftig erscheint.

Unwillkürlich fragt man sich beim Fortgang der Ermittlungen und Befragungen, ob es hier wirklich noch um die Entnazifizierung Furtwänglers geht. Oder ob der Amerikaner Arnold nicht vielmehr seine Abneigung gegen den Vertreter einer Kulturelite auslebt, dessen Anspruch und künstlerische Motivation er nicht versteht und dessen Lebensstil und Privilegien er neidet. Was keineswegs die Frage erübrigt: Hat Furtwängler sich korrumpieren lassen? Oder lediglich den bequemeren Weg des geringsten Widerstands gewählt? War seine Entscheidung richtig, in Deutschland zu bleiben und damit durch seine bloße Anwesenheit das Regime zu unterstützen? Kann man Kunst von Politik trennen, zumal unter solchen Umständen? Was können Kunst und Musik ausrichten gegen Aggression, Repression und Entmenschlichung?

Da ist nur eines sicher: Die Übergänge zwischen falsch und richtig können mitunter fließend sein. Das ist heute nicht anders als damals. Umso wichtiger, sich diesen Fragen schon meilenweit vor den Eskalationsstufen „Diktatur“ und „Weltkrieg“ zu stellen.

In Concert: Sylvain Cambreling und die Hamburger Symphoniker in der Laeiszhalle

Da wollte ich mir nun doch auch einmal den neuen Chefdirigenten der Hamburger Symphoniker in Ausübung seiner neuen Funktion anschauen. Wobei ich Sylvain Cambreling schon einmal vor den Symphonikern erlebt hatte, und zwar in der öffentlichen Generalprobe zum 2. Symphoniekonzert „Le Double“, Anfang Oktober 2017. Der Auftritt erzeugte bei mir Spontansympathie schon deshalb, weil Cambreling sich nicht zu fein dafür war, das spärlich vorhandene Publikum während der Probe anzusprechen. Ich erinnere mich außerdem noch sehr gut an den sensationellen Solisten (das war Andrei Ioniță am Cello) und an Claude Debussys „La Mer“ (mit Debussy kriegt man mich ja immer).

Da schien schon damals die Chemie zu stimmen, sowohl zwischen Orchester und Dirigent, als auch zwischen diesen und dem Publikum. Dieser Eindruck bestätigte sich bei meinem Besuch in der Laeiszhalle in der letzten Woche voll und ganz. Die erste Programmhälfte, französisch und opernlastig, hat mir dabei besser gefallen als Schumanns „Rheinische“, aber das schlage ich zum größten Teil meinem Geschmack und meiner Tagesform zu. Davon abgesehen war es schon schön, die „Rheinische“ zur Abwechslung mal in voller Länge gehört zu haben. Als (Nordrhein-)Westfälin ist mir vor allem der Auszug bekannt, der seit gefühlten Urzeiten als Titelmelodie der WDR-Sendung „Hier und Heute“ dient.

So begeistert war ich, dass mich selbst die schräg hinter mir in vernehmlicher Lautstärke geflüsterten Kommentare zum Geschehen nicht irritieren konnten. Immerhin beschränkte sich der Herr im fortgeschrittenen Alter auf musikalisch Relevantes, wie beispielsweise unmittelbar nach Verklingen des letzten Tons der Suite aus „Pelléas et Melisande“: „Das war’s! Pelléas ist tot!“ Wobei das Stück „Mort de Mélisande“ heißt, aber so genau muss man es in diesem Fall nicht nehmen – am Ende des Stücks sterben nämlich beide.

Der Zusammenarbeit zwischen Sylvain Cambreling und den Hamburger Symphonikern sei dagegen ein langes Leben beschert. Der Mann ist ein sehr guter Fang!

In Concert: klub katarakt auf Kampnagel

Was ich viel öfter tun sollte: Mich spontan zu irgendwelchen Veranstaltungen mitschnacken zu lassen, von denen ich noch nie gehört habe. So geschehen am letzten Mittwochabend, Ort des Geschehens: Kampnagel.

Schlimm genug, dass es sechs Jahre gedauert hat, bis ich diesen Ort für mich entdeckt habe. Obwohl er von meiner Wohnung nur gut zwanzig Minuten zu Fuß entfernt liegt. Dass ich aber immer noch nicht gelernt habe, das Programm sorgfältig zu studieren, grenzt ans Unverzeihliche. Und so hat es weitere viereinhalb Jahre gedauert, bis ich mich schließlich auf dem klub katarakt-Festival wiederfand.

Streng genommen reichte es in dieser Woche nur zur Eröffnungsveranstaltung. Unter dem Titel „Parcours – Konzertinstallation für ein wanderndes Publikum“ fanden zwei Stunden lang parallele Aufführungen in den drei zusammengeschalteten Hallen kmh, P1 und K4 statt. Ich war skeptisch: Würde das nicht in einer heillosen Kakophonie enden? Das Gegenteil war der Fall. Die Stücke waren so geschickt aufeinander abgestimmt, dass die kombinierten Klänge tatsächlich zumindest zeitweise zum Gesamtkunstwerk wurden. Das einzige, was mich bei dem Konzept gestört hat: Obwohl das Programmheft die Stücke in der Reihenfolge der Aufführung listete, konnte ich nicht alles zweifelsfrei zuordnen. Den Genuss des Augenblicks beeinflusst das kaum, aber ich entdecke Musik in Stafetten. Wenn mir gefällt, was ich höre und sehe, dann spüre ich dem nach. Oft führt das eine zum anderen zum Dritten und manchmal sogar von da aus in eine neue Welt. Weswegen es mich auch wahnsinnig macht, wenn zum Beispiel zu gewissen Radiosendungen oder vergleichbaren Veranstaltungen keine, lücken- oder gar fehlerhafte Playlists geliefert werden.

Ich bin daher nicht zu 100% sicher, aber ich habe mutmaßlich mindestens gesehen und gehört:

  • „Stones“ von Christian Wolff,
  • „Viderunt omnes“ von Perotin,
  • „Pambuko“ von Margi Budoyo,
  • das Streichquartett F-Dur op. 35, 2. Satz: Assez vif – très rythmé von Maurice Ravel,
  • „Music for Marcel Duchamp“ von John Cage,
  • „Psappha“ von Iannis Xenakis,
  • „Four“ von John Cage,
  • „Pendulum Music“ von Steve Reich,
  • „Miserere d’après Palestrina“ von Franz Liszt,
  • „Compassion“ von Julia Wolfe und
  • „Fumeux fume par fumee“ von Solage.

Wie schon erwähnt: Leider hat es zu mehr als der Eröffnung in diesem Jahr nicht gereicht. Aber fürs nächste Jahr habe ich klub katarakt auf dem Schirm. Mit Dank an Philipp, Andreas und Till!

„Nennt mich Ismael.“

So lautet einer der berühmtesten Romananfänge, nämlich der von – wer weiß es, wer weiß es? Richtig: „Moby Dick oder Der (weiße) Wal“ von Herman Melville. Der Stoff ist gerade ziemlich en vogue in meiner Wahlheimat, steht er doch innerhalb weniger Tage sowohl im Thalia Theater als auch im Schauspielhaus auf dem Spielplan. Während jedoch im Thalia eine ortsübliche Theaterinszenierung zur Aufführung kommt, sahen wir im Schauspielhaus eine musikalische Lesung mit Ulrich Tukur am Text und Sebastian Knauer am Konzertflügel.

Eigentlich eine Idealbesetzung. Und ein schlagendes Konzept: Ulrich Tukur zaubert eine Kompaktversion des sattsam bekannten Stoffs aufs Parkett, während Sebastian Knauer diese mit Stücken unter anderem von Franz Liszt, Modest Mussorgsky, Antonin Dvorak, Fréderic Chopin und Scott Joplin untermalt. Und doch ließen mich die knapp 90 zugegebenermaßen furiosen Minuten seltsam unbefriedigt zurück. Dabei waren die Textpassagen perfekt gewählt: Ismael und Queequeg werden vorgestellt, man erfährt einiges über Nantucket und das Schiff, die Pequod und schließlich auch über dessen Kapitän Ahab, alles hübsch nach der Reihenfolge des Auftretens auch im Roman. Dann aber geht alles ganz fix: Moby Dick wird gesichtet und kaum bekommt man mit, dass nicht nur die ausgesetzten Walfangboote, sondern auch die Pequod selbst versenkt wird, da hat es Ahab auch schon  aus dem verbleibenden Boot gerissen, Ismael findet Queequegs Rettungskanu – und Schluss.

Nennt es Jammern auf hohem Niveau, aber irgendwie fehlte mir da der Mittelteil. Und die Zwischentöne.

Theater, Theater: „König Lear“ im Deutschen Schauspielhaus

Der Zufall wollte, dass ich zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen eine Inszenierung des „Lear“ sah: Zuerst eine Produktion des Chichester Festival Theatre mit Ian McKellen in der Titelrolle (gezeigt im Savoy im Rahmen der „English Theatre“-Reihe) und gestern die Version von Karin Beier im Deutschen Schauspielhaus.

Fangen wir mit der Nummer zwei an. In den etwas über drei Stunden der Dauer des Stücks fühlte ich mich die meiste Zeit gut unterhalten. Ich mochte die Bühne, die Kostüme, den Umgang mit und Einsatz von Geräuschen, Tönen und Musik (insbesondere das Klavierspiel) und das Ensemble, allen voran Jan-Peter Kampwirth, Edgar Selge und Lina Beckmann. Ich mochte, dass das Stück als solches erkennbar blieb. Ich mochte auch den offensiven und offensichtlichen Geschlechtertausch bei der Besetzung der Schwestern Goneril und Regan und der Rolle des Edmund. Und obgleich ich kein Fan von schreiender und tobender Nacktheit bin, so ist der Einsatz dieser Elemente doch absolut vertretbar, wenn in dem zu inszenierenden Stück zwei Wahnsinnige und ein Narr darzustellen sind. Was ich überhaupt nicht mochte: die Überfrachtung des Stücks mit aktuellen Bezügen. Besonders hervorstechend war dabei der arme königstreue Kent als blondperückiger, pöbelnder und obendrein auch noch sächselnder Wutbürger. Schon das Klischee wäre mir zu dumm gewesen, aber wie passt das zur Figur, zum Stück? Gar nicht. Es tut nicht Not, den „Lear“ in dieser Form aufstocken zu wollen. Die Story ist hochaktuell, um nicht zu sagen zeitlos. Es ist nicht das erste Mal, dass ich nach Genuss einer zeitgenössischen Theater- bzw. Operninszenierung zu dem Schluss komme: Weniger wäre sehr viel mehr gewesen.

Was mich direkt zur britischen Version bringt. „Aktualisiert“ waren hier lediglich Bühnenbild, Ausstattung und Kostüme. Alles darüber hinaus wurde dem Spiel überlassen, in dessen Mittelpunkt der geistige und körperliche Verfall des Lear und dessen Interpretation durch Ian McKellen stand. Auch in dieser Produktion waren Frauen in Männerrollen zu sehen, was allerdings nicht automatisch zu der Frage „was will der Regisseur uns damit sagen“ führt. Dass Besetzungen unabhängig von Geschlecht oder Hautfarbe vorgenommen werden, ist jenseits des Kanals offenbar völlige Normalität.

Ich will nicht behaupten, der originalgetreuere „Lear“ wäre auch automatisch der bessere gewesen. Die unterschiedlichen Herangehensweisen an das Stück sind kaum vergleichbar. Was ich aber am „English Theatre“ so sehr genieße: Ich kann völlig unvorbereitet in eine Aufführung gehen und mir eine Geschichte erzählen lassen. Zum Beispiel eben die des Königs, der eines Tages beschloss, noch vor seinem Tod die Königswürde und sein Reich unter seinen drei Töchtern aufzuteilen. Und bekomme dabei die Chance, neben der eigentlichen Handlung ohne Eingriff in den Text und überfrachtende Symbolik zu begreifen, wie universal und übertragbar diese Geschichte ist. Bei „König Lear“ von Karin Beier wäre das undenkbar gewesen. Hätte ich Story und Originalfiguren nicht schon gekannt und dadurch den roten Faden einigermaßen im Blick behalten, ich hätte vermutlich zur Pause aufgegeben.

Was ich gern hätte: Einen Mittelweg zwischen diesen beiden Theaterwelten. Ob es das wohl irgendwo gibt?

In Concert: Stimming x Lambert im Mojo Club

Stimming und Lambert, das ist eine Kombination, auf die ich nicht unbedingt von allein gekommen wäre. Schon deswegen reizte mich die Ankündigung des gemeinsamen Auftritts im Mojo Club.

Dann war da aber auch die Erinnerung einerseits an die beiden Lambert-Konzerte, insbesondere das in der K2 auf Kampnagel, und andererseits an Stimmings Gastbeitrag bei einer „voyage abstrait“ im August 2014, bis heute eines meiner Top 3-Sounderlebnisse im Sternensaal des Hamburger Planetariums. Der Moment seiner Übernahme des DJ-Pults hatte sich angefühlt, als würden mir plötzlich ein paar unsichtbare Klappen von den Ohren fallen, und ich meine das nicht in Bezug auf die Lautstärke. „Dröhnend laut“ hat in diesem Raum und bei dieser Anlage noch nie funktioniert, was mit einer beinahe hartnäckig anmutenden Konsequenz immer wieder geflissentlich ignoriert wird. In die Nähe ist seither qualitativ nur noch David August gekommen. Wobei man die zwei schon von der Stilrichtung her eigentlich überhaupt nicht miteinander vergleichen kann. Aber ich schweife ab.

Der Abend im Mojo begann – dramaturgisch logisch – mit einem Solopiano-Set von Lambert. Dabei wurde offensichtlich, dass sich viele Lambert-Fans im Raum befanden, aber auch nicht wenige Stimming-Fans, die nicht auf leise Klaviertöne eingestimmt waren. Die gemeinsamen Stücke stießen zwar auf großen Beifall beider Fraktionen, aber während des anschließenden DJ-Sets von Stimming dünnte sich die Publikumsdichte merkbar aus. Das ist das Dilemma der Grenzgänger: Klub oder Konzertsaal? Bestuhlt oder nicht? Da passt weder das eine noch das andere so richtig. Das Konzert hätte beispielsweise sicher auch im (üblicherweise bestuhlten) resonanzraum funktioniert. Aber wahrscheinlich nur für die Lambert-Fraktion.

Zurück zur Musik. Ich sag es mal so: Da haben sich zwei Spielkinder gefunden; da geht schon so einiges, aber ganz bestimmt noch mehr, und live hatte das deutlich mehr Wumms als die Konserve. Unbedingt weitermachen!

In Concert: Emmanuel Ax, Herbert Blomstedt und das NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie

Beethoven und Brahms mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester – das klingt erst einmal unspektakulär. Ist es aber nicht, denn das Konzert fand im Großen Saal der Elbphilharmonie statt und wenn ich auch inzwischen fast überall reinkomme, aber an der Kartenbeschaffung für sinfonische (NDR Elbphilharmonie Orchester) bzw. philharmonische (Philharmoniker Hamburg) Konzerte scheitere ich in den allermeisten Fällen immer noch krachend. Dabei habe ich letzten Sommer sogar versucht, ein kleines Philharmoniker-Abo zu ergattern – vergebliche Liebesmüh! In der Rückschau betrachtet hätte ich das vielleicht schon festklopfen sollen, bevor die Philharmoniker in die Elbphilharmonie umgezogen sind. Aber in den Saisons davor saß mir das Geld nicht so locker. Wie es halt ist, wenn man einen sich anbahnenden Jobverlust schon drei Meilen gegen den Wind riechen kann.

Abgesehen davon waren es natürlich auch Herbert Blomstedt und Emmanuel Ax, die diesen Abend zu einem besonderen machten. Herbert Blomstedt dirigierte in der vergangenen Woche vier Konzertabende hintereinander, drei davon in Hamburg und einen in Lübeck, und das im zarten Alter von 91 Jahren. Falls ich im Jahr 2064 dieses Pensum auch nur als Zuhörerin schaffen sollte, werde ich mich sehr glücklich schätzen können. Vorausgesetzt, die Elphi ist dann nicht längst schon unbespielbar. Weil abgesoffen.

Aber zurück zum Programm. Wenn mir demnächst jemand die Frage stellen sollte: „Lieben Sie Brahms?“ werde ich antworten: „Wenn er von Herbert Blomstedt dirigiert wird: auf alle Fälle.“

In Concert: Chilly Gonzales in der Laeiszhalle (!)

Heute spielt er ein Konzert in der Elbphilharmonie Hamburg, nächste Woche seht ihr ihn bei uns in Bremen: Wir freuen uns sehr auf Chilly Gonzales!

So lautete eine Ankündigung auf der Facebookseite der Sendung 3nach9 im Vorfeld des Konzerts am vergangenen Dienstag. Was allerdings nicht ganz den Tatsachen entsprach: Wie nicht wenige Menschen zuvor hatte wohl auch das Social Media-Team von Radio Bremen übersehen, dass der Auftritt zwar in der Programmübersicht auf www.elbphilharmonie.de gelistet war, aber nicht ebendort, sondern in der Laeiszhalle stattfinden sollte. Und natürlich klingt „in der Elbphilharmonie“ immer noch ungleich glanzvoller! Die Zugkraft des Glaspalastes an der Elbe ist nach wie vor ungebrochen und wird allerorten ausgiebig genutzt.

Aus mir zu diesem Zeitpunkt noch unerfindlichen Gründen kitzelte mich diese Ungenauigkeit. Ich meckerte öffentlich, per Kommentar (erfolgreich, der Eintrag wurde später korrigiert). Etwas, was ich mir zumeist verkneife, denn nur, weil diese Plattformen unendlich viele Gelegenheiten zur Besserwisserei bieten, muss man solchen Impulsen nicht zwingend auch nachgeben. Aber als ich später am Tag die Laeiszhalle betrat, wurde mir bewusst: Ich hatte mich gefreut auf diesen Abend, monatelang hatte das Ticket an meiner Küchenpinnwand gehangen, und ich hätte ihn mir an einem anderen Ort schlicht nicht vorstellen können.

Wie hätte „Solo Piano III“ in der Elbphilharmonie geklungen? Wir wissen es nicht. Aber ziemlich sicher nicht so, wie der Künstler es sich vorgestellt hat. Der Große Saal, so wird immer wieder betont, sei, was die Akustik betrifft, als Raum für die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts geschaffen worden. Das ist keineswegs global gemeint, sondern bezieht sich auf die sogenannte „Neue Musik“, von der allwissenden Wikipedia als „Sammelbegriff für eine Fülle unterschiedlicher Strömungen der komponierten, mitteleuropäisch geprägten Musik von etwa 1910 bis zur Gegenwart“ definiert. Chilly Gonzales‘ Musik hingegen entzieht sich zwar den üblichen Schubladen, aber sie ist tonal und tendenziell romantisch. Selbst die Rap-Stücke haben noch einen kammermusikalischen Anklang und sei es nur der gewählten Instrumentierung wegen.

Nicht, dass Chilly Gonzales nicht schon in der Elbphilharmonie gespielt hätte. Ein „Chambers“-Konzert muss das gewesen sein, 2017, im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Zurückgekehrt ist er aber aus gutem Grund in die Laeiszhalle, der er im Laufe des Abends gleich mehrfach Liebeserklärungen machte. Sie sei eine seiner drei Lieblingsveranstaltungsorte in Europa, er habe noch nie ein schlechtes Konzert dort erlebt usw.

Der Auftritt selbst war eine grandios gelungene Komposition aus Solo Piano-Stücken (mit Schwerpunkt auf dem aktuellen Album, der Nummer III), musikalischem Edutainment à la Chilly Gonzales (wer sie noch nicht kennen sollte: „1Live Pop Music Masterclass“ gucken! Alle Folgen! Das gilt insbesondere denen, die sich im Musikunterricht gelangweilt haben!), den bereits erwähnten Rapsongs (in denen trotz aller Betonung der während seines Sabbaticaljahrs neu gewonnenen Gelassenheit und Seriösität als Künstler stets das einstige Enfant terrible durchblinkt) und natürlich durften auch „Hit“-Stücke wie „Knight Moves“ nicht fehlen.

Im 1. Rang links, Loge 3, Reihe 2 habe ich nur einmal ganz kurz den Weinberg vermisst: Als ich nämlich feststellen musste, aufgrund der Positionierung des Bechsteinflügels ganz am linken Bühnenrand (warum?!) für rund 35 Euro einen formidablen Hörplatz ergattert zu haben. Dass ich doch noch ein paar Blicke erhaschen konnte, war einzig dem Gitterwerk der Balustrade geschuldet und dazu ganz und gar vom Sitzverhalten der ersten Reihe abhängig (vielen herzlichen Dank nochmal an die unbekannte Dame in Rot!). Da schwächelt die alte Lady Laeiszhalle, leider.

Vom akustischen Standpunkt her kann ich jedoch nur betonen: Gebt der Laeiszhalle, was der Laeiszhalle ist! Ich bin bekennender Elphi-Fan, aber da ist eine ganze Menge Musik auf der Welt, die in dem Konzerthaus am Johannes-Brahms-Platz besser aufgehoben ist als in der optisch spektakuläreren Konkurrenz in der HafenCity.