Internationales Sommerfestival 2021 auf Kampnagel

Es ist nicht so, wie es aussieht: Ich bin mittlerweile fast schon wieder voll drin im kulturellen Leben. Nur das Schreiben darüber ist bisher nicht recht in Gang gekommen. Bevor es an die nächsten Termine geht, will ich an dieser Stelle aber wenigstens einen kleinen Rückblick auf das Internationale Sommerfestival nachtragen.

Nach der äußerst gelungenen Ausführung im letzten Pandemiesommer fühlte sich die diesjährige Ausgabe schon beinahe routiniert an. Für Veranstaltungen unterm Dach galt das 3G-Prinzip (gewissenhaft kontrolliert!), die Hallen waren im Schachbrettmuster besetzt und es gab genügend Einzelplätze. Zumindest bei frühzeitiger Buchung.

LIGNA: Die Gespenster des Konsumismus

Am Anfang meiner Auswahl stand die Performance von LIGNA im ehemaligen Kaufhof an der Mönckebergstraße.

Die Gespenster des Konsumismus

Ich gebe zu, beim Kartenkauf war eine gehörige Portion Neugier auf den Gebäudezustand im Spiel. Viel gab es allerdings nicht zu sehen und bewegen konnte man sich auch nur im Untergeschoss. Dafür gab es Einblicke in einige Räume hinter den Kulissen der Verkaufsfläche. Per Kopfhörer wurden die Besucher grüppchenweise durch einen teilweise eigens aufgebauten Parcours geführt, der verschiedene Stationen und Ereignisse der Hausgeschichte symbolisierte.

Die Gespenster des Konsumismus

Die Gespenster des Konsumismus

Dabei war es für das eigene Erleben mitentscheidend, ob auch die anderen Mitglieder der jeweiligen Kleinstgruppe den Regieanweisungen Folge leisteten. Wo das nicht geschah, verpuffte der Ansatz zur geführten Interaktion.

Die Gespenster des Konsumismus

So ganz haben mich Konzept und Ausführung nicht überzeugt. Das mag aber auch an den Assoziationen gelegen haben, die mich beim Erkunden der stillgelegten Ladenfläche heimsuchten und ablenkten. Man nehme dies als Triggerwarnung: Wer die Abwicklung eines Ladengeschäfts am eigenen Leib erfahren musste, wird beim Betreten einer vergleichbaren Immobilie unter Umständen mit unschönen Erinnerungen konfrontiert.

Christoph Marthaler: Das Weinen (Das Wähnen)

Sprachspielereien, eine detailverliebte Kulisse und Musik: Mehr braucht es manchmal nicht für einen perfekten Theaterabend. Vorausgesetzt natürlich, die Inszenierung dieser Kombination ist stimmig. Bei „Das Weinen (Das Wähnen)“ ist sie es.

Wer ein inhaltlich zusammenhängendes Stück erwartete, wurde zwar enttäuscht. Aber die Texte von Dieter Roth mit der Klammer des Apothekenszenarios zusammenzufassen, ist schon eine ziemlich geniale Idee. Nur hätte man vielleicht etwas kürzen können. Es wurde mir bei aller Faszination gegen Ende ein wenig lang.

Beim Schlussapplaus habe ich übrigens den Wasserspender vermisst.

Feist: Multitudes

Da war ich gespannt: ein Konzert ohne Saalplanbuchung in der K6? Unter Pandemiebedingungen? Die Auflösung des Rätsels: Die Zuschauer wurden in einen Stuhl- beziehungsweise Papphockerkreis um Feist und ihre beiden Mitstreiter platziert, und zwar dort, wo normalerweise die Bühne ist. Der eigentliche Zuschauerraum blieb leer; er wurde lediglich für den Knalleffekt am Ende des Konzerts eingesetzt und diente anschließend als Ausgang.

Auf diese Weise hatten gerade einmal 200 Personen pro Konzerttermin Platz in der Arena. Eine frühe Buchung hatte mir die zweite Reihe beschert, allerdings sah ich Leslie Feist während der Hälfte des Konzerts nur von hinten. Was andererseits wegen der außerordentlich intimen Konzertatmosphäre absolut zu vernachlässigen war. Ich war mächtig geflasht und bestimmt nicht allein mit meiner Überwältigung.

Rufus & Martha Wainwright: Mother

Trinkbefehl

Ja, doch, das war schon schön. Einen Abzug in der B-Note verteile für die Anmoderationen von Martha Wainwright. Singen kann sie besser als reden. Wobei das ebenso für Bruder Rufus gilt. Am besten hat mir das Stück gefallen, für das noch ein weiterer Mitstreiter mit auf die Bühne kam (leider habe ich mir weder den Namen des Sängers noch den Songtitel gemerkt. Blöd.). Und: Ein Extra-Sternchen dem Pianisten!

Dave Longstreth/Dirty Projectors, stargaze: (Song of the) Earth (in) Crisis

Die Extra-Sternchen für den darauffolgenden Abend vergebe ich an stargaze (quasi gesetzt) und Felicia Douglass. Anders als Komponist David Longstreth hatte Douglass ihren Vokalpart nämlich voll im Griff. Longstreth dagegen hätte besser daran getan, den seinen an einen ähnlich kompetenten Sänger abzugeben. Ich meine, wenn man ein melodisch wie harmonisch anspruchsvolles Werk nicht nur verfasst, sondern auch selbst an dessen Aufführung prominent beteiligt ist, sollte man den eigenen Beitrag vollumfänglich beherrschen. Zumindest für meine Ohren fiel das Gehörte jedenfalls nicht mehr unter „eigenwillig interpretiert“.

Die vorab präsentierten Songs der Dirty Projectors-EP „Earth Crisis“ waren für meinen Geschmack zu fragmentiert, um sie überhaupt als Songs bezeichnen zu können. Das Hauptwerk des Abends selbst, also „Song of the Earth in Crisis“, hat mir dagegen gut gefallen. Nur den Vergleich mit Mahler hätte man weglassen sollen. Über dem steht dermaßen dick und doppelt unterstrichen „zum Scheitern verurteilt“, das hat das Longstreth-Stück nicht verdient.

Nesterval/Queereeoké: Sex & Drugs & Budd’n’brooks

Das dritte Festival-Highlight (nach Marthaler und Feist) und meine erste Präsenzerfahrung mit Nesterval! Eventuell hätte ich nur vorher noch mein zugegebenermaßen lückenhaftes Wissen über die Familiengeschichte der Buddenbrooks aufpolieren sollen. So wäre es mir vermutlich leichter gefallen, verschiedene Charaktere zuzuordnen. Denn zum Kernpersonal des Romans gesellten sich in der „Sex & Drugs“-Version diverse Varianten, was das Geschehen bisweilen unübersichtlich gestaltete. Während des Abends war es zudem nicht möglich, alle Erzählstränge mitzuerleben. Ebenso wie bei LIGNA im ehemaligen Kaufhof wurden auch im Uebel & Gefährlich, der überaus treffend gewählten Spielstätte, die Anwesenden immer wieder in kleine Gruppen aufgeteilt, um an verschiedenen Stellen des großen Saals, in sanitären Einrichtungen, in Raucher- und Hinterzimmern einzelnen Szenen beizuwohnen. Für das ganze Bild hätte man wohl zwei oder drei Vorstellungen besuchen müssen.

Ein bisschen unklar blieb beim abschließenden Austausch an der Theke, ob und wie weit Zuschauerinteraktion eingeplant und erwünscht war. Das war bei „Der Willy-Brandt-Test“ und „Goodbye Kreisky“ (beides über Zoom) eindeutig der Fall gewesen. Bei „Sex & Drugs & Budd’n’brooks“ blieb dafür nicht viel Raum. Einigen Teilnehmern mag es wiederum zu immersiv gewesen sein. Aus einer reichlich expliziten Szene des Nachtrags erinnere ich beispielsweise einen extrem unangenehm berührten Herrn und seine mindestens peinlich berührte Begleiterin. Grundsätzlich nachvollziehbar für mich – ansonsten bin ich diejenige, die den größtmöglichen Bogen um Nacktheit um der Nacktheit willen auf der Bühne macht. Aber wenn ein Stück „Sex & Drugs“ im Titel trägt, muss man sich nicht wundern, wenn beides vorkommt – wenn auch „nur“ jeweils in der Theaterversion – und was „immersiv“ bedeutet, lernt man allerspätestens dann.

Die nächste Nesterval-Eskalationsstufe ist wohl der Besuch einer Vorstellung in Wien. Gar nicht mal so unwahrscheinlich, ich mag die Stadt, und der letzte Besuch ist so lange her, da habe ich noch in Bonn gewohnt. Eine halbe Ewigkeit also.

Thom Luz: Lieder ohne Worte

„Girl from the Fog Machine Factory“ mochte ich sehr, entsprechend große Erwartungen hatte ich folglich an „Lieder ohne Worte“.

Ganz erfüllt wurden die zwar nicht, aber auch die Rekonstruktion eines Autounfalls mit Wildschaden in den Bergen hatte seine magischen Momente. Die Extra-Sternchen gehen an den Einsatz von Musik und deren Ausführung sowie an Samuel Streiff. Ich erkenne da ein Muster!

THIS IS THE END OF...

Was mir nicht gefallen hat: der von JASCHA&FRANZ gestaltete Avant-Garten. Er wirkte auf mich irgendwie zugestellt und verbaut. Ich mochte die Bauten nicht und das Kirmes-Konzept hat bei mir gar nicht gezündet. Zwei Pluspunkte möchte ich dennoch erwähnen: das Bemühen um größtmögliche Barrierefreiheit und die Waldbühne. Die war wirklich hübsch! Leider habe ich wegen ungünstiger Terminplanung und des streckenweise garstigen Wetters wenig davon gesehen.

Neue Chance im nächsten Jahr.

Resozialisierung

Ja, also. Hm. Test, Test, eins zwo. Wie ging das noch mit dem Schreiben?

Jedenfalls, ich habe keine Ausrede mehr. Es gibt endlich wieder Input, live, in Farbe und vor allem offline. Seit Mitte Juli war ich schon auf drei Konzerten. Genauer:

Auf das erste Draußenkonzert hatte ich mich schon zwischen den Impfungen getraut. Alles andere verschob ich auf „ab Erreichen des vollständigen Impfschutzes“. Ersten Beobachtungen nach war das keine ganz dumme Idee. Die sogenannten 3G-Nachweise („gechiptimpft/genesen/getestet“) werden nämlich mancherorts eher lässig kontrolliert. Folglich ist das einzig belastbare Plus an Sicherheit, welches man zurzeit haben kann, sich selbst geimpft zu wissen. So ganz grundsätzlich. Epidemiologisch betrachtet eh, aber psychologisch mindestens ebenso wertvoll. Für euch getestet.

Next Stop: Das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel. Ab dann wieder im gewohnten Format. Falls ich es noch kann. Drei vier!

Die neue Normalität

Ich war wieder da. In der Elbphilharmonie. Dreimal sogar schon inzwischen.

Zuerst beim Harbour Front Literaturfestival am 12. September 2020, auf den Tag genau sechs Monate nach dem letzten regulären Konzert im Großen Saal vor der coronabedingten Schließung. Vorgestellt wurde Literatur aus Luxemburg. Ich gestehe, ich war ungefähr zu gleichen Teilen wegen Saša Stansišić (Moderation) und  Pascal Schumacher (musikalische Untermalung – neues Album!) dort.

Die Texte von Elise Schmit und Nora Wagener haben mir dann aber auch gut gefallen.

Der Saal soll nominell ausverkauft gewesen sein, was nach den derzeitigen Regeln 620 zu besetzende Plätze bedeutet. Die waren allerdings bei weitem nicht gefüllt. Schade.

Bei den Philharmonikern (am 28. September) bot sich ein anderes Bild. Der reguläre Spielbetrieb soll erst ab Januar wieder starten. Als Abonnentin profitierte ich jedoch von einem Vorbestellrecht für diverse Ersatzvorstellungen mit geändertem Programm. Anders wäre ich wohl auch nicht in das alternative 1. Philharmonische Konzert gekommen. Nicht zwingend der Nachfrage, sondern der Saalplanproblematik wegen. Den Hindemith fand ich toll, den Schubert großartig. Nur mit Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen“ fremdelte ich. Kunstlieder sind generell nicht so meins (abgesehen von der „Winterreise“).

Es ist ja nicht alles schlecht an der neuen Normalität. Das in reduzierter Besetzung auftretende Orchester ist rund um den Dirigenten platziert (was den Sitzen hinter der Bühne eine völlig neue Qualität verleiht), es stehen mehr Konzerttermine zur Auswahl, weniger Zuschauer produzieren weniger Störgeräusche, kein Gedränge auf den halsbrecherisch konstruierten Treppen beim Verlassen des Konzertsaals, der Foyers und des Gebäudes und nicht zuletzt bekommt man Werke und Besetzungsvarianten zu hören, die unter regulären Umständen hinter monumentaleren Stücken und Versionen zurückbleiben. Und was die Chancen für „Kultur-Singles“ betrifft: Die bessern sich ab November. Laut einer Meldung des Hamburger Abendblatts in der Ausgabe vom 26./27. September 2020 hat die Elbphilharmonie den Corona-Saalplan überarbeitet. Der verstärkten Nachfrage nach Einzelplätzen wegen.

Ich schaffte es dennoch schon in das erste „Blind Date“ der Saison am 2. Oktober – mirakulöserweise standen beim Buchungsversuch plötzlich doch ein paar Einzelplätze im Kleinen Saal zur Verfügung. „Spark – die klassische Band“ nannte sich das aufspielende Ensemble, bestehend aus Cello, Geige/Bratsche, Blockflöte, Harmonika und Klavier. Je bearbeiteter und „eigener“, desto besser gefielen mir die Stücke des Programms „On the Dancefloor“. Mein Favorit: der Chambertechno gleichen Namens.

Es gab ein paar Momente, in denen mir der Gedanke „Uhhhh – zu viel, zu dick aufgetragen – weniger ist mehr!“ durch den Kopf schoss. Bezogen sowohl auf die Arrangements als auch auf die Präsentation. Das fällt allerdings unter Meckern auf hohem Niveau.

Heißer Tipp für den Besuch des Kleinen Saals bei reduzierter Auslastung: eine Bekleidungsschicht mehr einplanen. Die Klimatechnik ist offenbar noch auf „voll besetzt“ ausgerichtet.

Allein, so geht es letztlich allen. Es renkt sich so zurecht, man tastet sich vorwärts, Schritt für Schritt, Tag für Tag, die aktuellen Entwicklungen immer im Blick. Jedenfalls habe ich mich zu jedem Zeitpunkt sicher gefühlt in der Elphi. Und war sehr froh, endlich wieder dort sein zu dürfen.

Internationales Sommerfestival 2020 auf Kampnagel

Übers Sommerfestival wollte ich ja noch schreiben.

Sommerfestival 2020

Das war zuallererst furchtbar aufregend, weil (für mich) sowohl die erste „Groß“- als auch die erste Live-Kulturveranstaltung in geschlossenen Räumen unter Corona-Bedingungen und dementsprechend von gemischten Gefühlen begleitet. Ein Festival in der Pandemie – kann das wirklich funktionieren?

Um es kurz zu machen: Es funktionierte ganz hervorragend. Die Piazza und der erweiterte Avant-Garten boten viel Platz und Programm unter freiem Himmel mit ausreichend Ausweichmöglichkeiten, die Besuchersteuerung klappte und soweit ich das beobachten konnte, ging auch das Hygienekonzept für die Hallen auf. Ich habe mich nur in einer Situation (ver)unsicher(t) gefühlt, was nicht am Veranstalter lag (dazu später). Ein dickes Lob an das Kampnagel-Team!

Kim Noble: Lullaby for Scavengers

Zum Einstieg hatte ich mir Kim Nobles „Work in Progress“ in der K2 ausgesucht. Innerhalb von Minuten wurde mir klar, dass ich unter einem „traurigen und feinsinnigen Comedy-Abend“ etwas vollkommen anderes verstehe als die Verfasser des Programmtextes. „Traurig“ stimmte, „feinsinnig“ immerhin noch phasenweise, aber wer „Comedy“ erwartet hatte, konnte nur enttäuscht werden. Ebenso, wer sich durch András Siebolds Teaser „für alle Menschen, die sich für Sex mit Eichhörnchen interessieren, ist das das Stück der Stunde“ motivieren ließ. Zentrale Themen des Programms waren Einsamkeit, Tod und Vergänglichkeit. Bei seiner ganz eigenen Art der Vermittlung sparte Noble nicht an Ekelfaktoren, Verstörungen und Absurditäten und schreckte auch nicht davor zurück, Filmaufnahmen seines augenscheinlich todkranken und dementen Vaters zu verwenden. Eigentlich überhaupt nicht mein Geschmack. Nichtsdestotrotz hat es mich berührt und im Nachgang noch lange beschäftigt.

Sebastian Quack & Team, Imagine the City: BOTBOOT Launch

Als hätte es noch eine Bestätigung gebraucht: Ich bin keine Gamerin und werde in diesem Leben wohl auch keine mehr. Die Idee hinter BOTBOOT ist toll, zugegeben, aber die Umsetzung fand ich halbgar und teilweise verwirrend. Der mittelmäßig vorbereitet bis chaotisch wirkende Launch auf der Waldbühne des Avant-Garten trug vermutlich dazu bei, aber auch so hat mir fürs Weiter- oder gar Durchspielen Motivation und Geduld gefehlt.

Carsten „Erobique“ Meyer

Ein Improvisator vor dem Herrn. Großer Spaß auf der Kanal-Bühne. Eines von insgesamt drei Festival-Highlights.

Nesterval: Der Willy Brandt-Test

Das zweite Festival-Highlight und ein perfektes Beispiel dafür, dass das Verlegen ins Netz beziehungsweise nach Zoom nicht zwingend eine Einschränkung bedeuten muss. Unter normalen Umständen hätte es wohl keine Teilnehmer aus verschiedenen Städten in einer Session gegeben und auch keine Hybrid-Situation vor Ort in Hamburg: Zwei Schauspieler in Containern dort, der Rest des Teams in diversen Heimbüros. Mit Kreativität und entsprechendem Aufwand geht so viel mehr als eine bloße Frontalbespielung – das darf gerne bleiben, auch nach COVID-19. Was den Inhalt betrifft, wie sieht es da aus, ist spoilern mittlerweile erlaubt? Na, ich machs mal lieber nicht. Nur soviel: Man ist als Tester:in und Teil des Publikums deutlich involvierter, als man noch bis kurz vor Schluss denkt. Ich habe einmal online auf dem heimischen Sofa teilgenommen und danach die Abschlussdiskussion einer zweite Runde auf Kampnagel am Bildschirm verfolgt. In dieser Reihenfolge, also nach der aktiven Ersterfahrung, war das passive Zuschauen ein besonderes Fest. Kurzum: Sehr gerne wieder Nesterval!

Gob Squad: Show me a good time

Eine Niete ist ja auch immer dabei. Dieses Jahr war es „Show me a good time“. Ich hatte mich für die Live-Version in der K2 entschieden, was sich als kapitaler Fehler herausstellte. Das lag in erster Linie an Bastian Trost in der Rolle des Moderators, dem nach zahlreichen Belanglosigkeiten allen Ernstes nichts Besseres einfiel, als mit dem trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnis per Stand heute immer noch unkalkulierbaren Restrisiko der Hallensituation zu kokettieren. Hat geklappt bei mir, herzlichen Glückwunsch! Aber auch die übrigen Charaktere des Szenarios überzeugten wenig, sie wirkten ebenso aufgesetzt wie planlos. Mit einer Ausnahme: Simon Will. Seine Reise hätte ich gern noch weiterverfolgt, allerdings nicht um den Preis, mich mit Sharon Smiths Pseudo-Wicca-Ritualen und dem dräuenden Einsetzen der Menstruation von Wie-hieß-sie-noch-gleich auseinandersetzen zu müssen. Ich nutzte die Pause zur Flucht.

Das verschaffte mir Zeit und Gelegenheit, um mich den Dauerbespielungen innerhalb des Avant-Garten-Programms und der Ausstellung in der Vorhalle zu widmen:

Das Peng! Kollektiv: Klingelstreich beim Kapitalismus

Über Verlauf und Ergebnisse der Aktion konnte (und kann) man sich zwar besser im Netz informieren als an der vor Ort installierten Telefonzelle, aber ich verteile einen Sonderpluspunkt für die schöne Präsentationsidee! Apropos, weiß die Jugend von heute überhaupt noch, was ein (Telefon-)Klingelstreich ist oder muss man das schon erklären? Ich fürchte ja letzteres…

JAJAJA: Radio Atopia

Hat mich nicht überzeugt, was aber auch am DJ des Abends gelegen haben kann. Technisch betrachtet hätte man auf alle Fälle an Sound und Lautstärke noch arbeiten können: Für meine Ohren wars zu dumpf-dröhnend. Und viel zu laut.

Marlene Monteiro Freitas: Cattivo

Das dritte Festival-Highlight!

Cattivo

Cattivo

Faszinierend, was man alles mit Notenständern ausdrücken kann.

Cattivo

Cattivo

Über die dritte Festival-Woche kann ich nichts berichten, da war ich an der Nordsee unterwegs. Natürlich hätte ich gerne mindestens noch Chilly Gonzales in der K2 gesehen, aber irgendwie kamen wir auch in diesem Jahr wieder nicht zusammen. Davon abgesehen hätte zwischen mir und dem Konzerterlebnis ja auch noch die zugunsten von Medical Volunteers International e. V. veranstaltete Ticket-Lotterie gestanden, denn Platz gab es nur für zweimal 100 Personen. Eine reichlich unsichere Bank.

Aber was hilfts. Neuer Versuch im nächsten Jahr!

Back to live

Irgendwie ist sie dann doch abgerissen, meine „The Show must go online„-Serie. Nicht, dass es keinen Stoff mehr gegeben hätte – Fortsetzung ausdrücklich nicht ausgeschlossen! Aber die Luft war raus. Abgesehen davon gibt es ja inzwischen auch wieder Livekonzerte, darunter auch in Formaten, die ich für verhältnismäßig sicher halte. Das ist natürlich nur meine ganz persönliche Risikobewertung. Die Schwelle liegt da verständlicherweise bei jedem etwas anders.

Das allererste Kultur-Event nach ziemlich genau fünf Monaten war die „Corona Summer Night Open Air Special“ in beziehungsweise draußen vor der Fischhalle Harburg mit dem Duo Ulrich Kodjo Wendt & Yogi Jockusch.

Man kann das wohl „Weltmusik mit Hamburg-Einschlag“ nennen, was die beiden Herren da abgeliefert haben. Absolut perfekt für die Location! Eine wunderschöne Stimmung ist das da unten am Harburger Binnenhafen, momentan noch zusätzlich aufgehübscht durch die coronabedingt an ihrem Winterliegeplatz aufliegende „Fritjof Nansen„. Dummerweise ist es für mich ein bisschen weit mit dem Fahrrad, die An- und vor allem die spätabendliche Abreise mit Bahn und Bus Richtung Barmbek gestaltet sich umständlich und Moia fährt auch noch nicht in Harburg. Wen das nicht schreckt oder wer näher dran ist: Die „Corona Summer Night(s)“ gehen weiter, Termine findet man auf der Webseite der Fischhalle und bei Facebook. Empfohlender Dresscode: langes Beinkleid, der Mücken wegen.

Ich hatte bereits mehrfach davon berichtet und auf Hamburg-Termine gehofft, inzwischen ist es soweit: Die 1:1 Concerts gibt es jetzt auch mit Musikern der jungen norddeutschen philharmonie. Spielorte sind unter anderem das Büchereck Niendorf und bouquet HÜTE in Eimsbüttel.

Vergangenen Dienstag hat Cellist Felix Jedeck für mich Werke von Siegfried Barchet und Johann Sebastian Bach gespielt. Zu den Regeln des Formats gehört, dass Musiker und Zuhörer nur mit Blicken und Gesten kommunizieren dürfen. Wahrscheinlich wäre mir aber nach diesen zehn intensiven Minuten außer einem tief empfundenen „Danke“ spontan eh nicht viel eingefallen und die beinahe unvermeidlichen drei bis vier Tränchen habe ich mir auch erst vor der Tür verdrückt. Unverständlicherweise sind zurzeit noch viele Termine frei. Daher ergeht hiermit der Aufruf an alle Hamburger und Hannoveraner: hin da! Das ist ein in jeder Hinsicht besonderes Musikerlebnis und dient obendrein einem guten Zweck – what’s not to love?!

Apropos intensiv: Gestern hat Martin Kohlstedt auf dem Lattenplatz vor dem Knust Hamburg gespielt. Ich kenne einen großen Teil der Hamburg-Geschichte und kann daher mit einiger Sicherheit behaupten: Elbphilharmonie hin, Laeiszhalle her, das gestern war ein ganz spezieller Trip. Worte zu finden ist eigentlich unmöglich, da scheitere ich ebenso zuverlässig wie krachend, das versuche ich normalerweise erst gar nicht (mehr). Aber vielleicht kann „Ausnahmezustand trifft (Hamburg-)Reprise“ als halbwegs hinreichende Annäherung dienen. Und den GewandhausChor habe ich zwischen den Zeilen auch immer noch hören können.

Zu besonderen Atmosphäre wird auch das Wetter beigetragen haben: Die Serie von Wolkenbrüchen begann kurz vor dem Einlass und dauerte exakt bis zum Ende des Sets. Ich konnte nicht umhin, mich an eine nicht unähnliche Konzertsituation im August vor sechs Jahren erinnert zu fühlen. Damals ergoss es sich über dem Dockville und zwar haargenau während der Timeslots, die für die Auftritte von Nils Frahm und Ólafur Arnalds vorgesehen waren. Ob dieser Umstand auf der Bühne zu Ausnahmezuständen geführt hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber an das, was dabei mit der Novizin (nämlich mir) vor der Bühne passiert ist, kann ich mich noch sehr gut erinnern. Im Grunde jage ich eben diesem Zustand bei jedem einzelnen Livekonzert, welches ich seither besucht habe, immer wieder neu nach. Manchmal stimmt das Timing, innen wie außen, und ich erwische zumindest ein Bruchstück davon. Gestern war so ein Tag.

Schnitt.

Der Titel dieses Beitrags, die Älteren werden sich eventuell erinnern, ist übrigens eine Anspielung auf „Back to Life (However Do You Want Me)“ von Soul II Soul aus dem Jahr 1989. Das waren die ersten Klänge, die ich am letzten Wochenende auf der „Piazza“ des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel vernahm. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Retrowelle inzwischen die 90er erreicht hat, aber das nur nebenbei. Ich war da gerade auf dem Weg zu meiner ersten Kulturveranstaltung in geschlossenen Räumlichkeiten unter Coronabedingungen. Mit sehr gemischten Gefühlen. Wie das ausging und überhaupt das Sommerfestival insgesamt, hole ich nach. Vorher muss ich nämlich ganz dringend noch ein paar Tage Nordseeluft schnuppern.

Zwangspause

Seit Tagen versuche ich, an dieser Stelle über den Auftritt des Brad Mehldau Trio im Großen Saal der Elbphilharmonie am 12. März zu berichten, dem letzten Konzert vor der vorläufigen Schließung des Hauses per Allgemeinverfügung des Hamburger Senats. Darüber, wie es war, im halbleeren Saal zu sitzen, auf einem Einzelplatz im sicheren Abstand zu den übrigen Konzertbesuchern. Über die Ansprache des Intendanten („Wir sind dann erst einmal offline“), über die Dankbarkeit der Musiker, dass trotz der Umstände noch so etwas wie ein Publikum erschienen war, um Resonanz zu erzeugen. Über das Gefühl des Abschieds auf unbestimmte Zeit am Ende des Konzerts und beim Verlassen des Saals und des Gebäudes.

Es ist mir nicht gelungen und es will mir auch jetzt nicht gelingen.

Wie viele von euch war ich in der vergangenen Woche nahezu ausschließlich damit beschäftigt, meinen Alltag umzuorganisieren und zeitgleich den Kontakt mit Familie, Freunden und Bekannten zu halten. Seit Freitag bin ich bis auf Weiteres im Heimbüro und sehr dankbar dafür, dass das möglich ist. Die Tage bis dahin waren derart nervenaufreibend, dass ich nur aus den Augenwinkeln wahrnehmen konnte, was sich parallel im Netz entwickelt hat und noch immer weiter entwickelt. Die Liste der gestreamten Kulturangebote wächst und wächst, ich habe längst den Überblick verloren, bin davon ebenso reizüberflutet wie von den sich überschlagenden Nachrichtenmeldungen.

Jetzt, wo ich mich einigermaßen sortiert habe, werde ich versuchen, den Faden wieder aufzunehmen, dabei im Rahmen meiner Möglichkeiten einigen der zahlreichen Unterstützungsaufrufe zu folgen und eventuell auch ein wenig davon ins Susammelsurium zu übertragen. Versprechen kann ich das nicht, versuchen werde ich es ganz sicher.

In Concert: A Winged Victory for the Sullen in der Elbphilharmonie

„We Played Some Open Chords and Rejoiced, for the Earth Had Circled the Sun Yet Another Year“: Das ist kein Romananfang, sondern der erste Titel des Debütalbums von A Winged Victory for the Sullen und meiner Erinnerung nach auch das erste Stück, was ich von dieser Formation bewusst wahrgenommen habe. Das ist um die 6 1/2 Jahre her – die Zeit, die Zeit!

Ich hatte nicht erwartet, Teile des Erstlings auf der Setlist des gestrigen Konzerts im Kleinen Saal der Elbphilharmonie vorzufinden. Vielmehr rechnete ich mit vielen Stücken des neuen Albums „The Undivided Five“ und wenigen bis sehr wenigen Ausflügen in die Vergangenheit. Aber dann jagte ein Flashback den nächsten, darunter Erinnerungen an den AWVFTS-Auftritt im März 2015 in der Berliner Volksbühne, gepaart mit einem akuten Anfall von Planetariumssehnsucht bei „Atomos VIII“.

Zugegeben, an die Prom von 2015 mit Nils Frahm konnte der gestrige Abend nicht heran, aber: richtig schön war das.

Und weil wir quasi im Nebeneffekt die Gelegenheit bekamen, gemeinsam die Musiker vom Echo Collective kennen und schätzen zu lernen, kauften Frau C. und ich noch auf dem Weg nach Hause in der U-Bahn Tickets für „Echo Collective plays Jóhann Jóhannsson: 12 Conversations with Thilo Heinzmann“ am 31. 5. 2020, ebenfalls im Kleinen Saal der Elbphilharmonie.

Es gibt noch jede Menge Karten!

In Concert: Solo Collective & Anne Müller im Nachtasyl

Eigentlich stand es umgekehrt in der Ankündigung (und auf den Tickets): Anne Müller & Solo Collective. Im ersten Teil des vorgestrigen Konzerts im Nachtasyl stand zunächst aber das Solo Collective im Vordergrund, das neben Anne Müller (Cello) aus Alex Stolze (Violine) und Sebastian Reynolds (Piano, Electronics) besteht.

Erst im zweiten Teil kam dann das, weswegen ich gekommen war: Anne Müller spielt ihr Debüt-Soloalbum „Heliopause“, allein und mit Unterstützung.

Apropos Unterstützung, um die Frage zu beantworten: Ich möchte ausdrücklich nichts gegen die Geige gesagt haben, aber „Solo? Repeat!“ gefällt mir solo am besten.

Obwohl es mir aufgrund einer aus Gründen ziemlich herausfordernden Woche etwas lang wurde, haben mir beide Teile gefallen und anders als bei einer gewissen Veranstaltung neulich in der Elbphilharmonie wird die Mehrzahl der anwesenden Zuhörer das unangekündigte Vorprogramm bei diesem Freitagabend-Gig im Nachtasyl wohl nicht als Bug, sondern als Feature empfunden haben.

Was das Nachtasyl angeht, ich denk das ja jedes Mal, wenn ich mal wieder dort war: Man sollte öfter hingehen. Allerspätestens zum DISSONAR Vol. 3 mit Sophie Hutchings und Tom Gatza am 21. Mai. Um nur ein Beispiel zu nennen.

Reflektor Manfred Eicher

Ich beginne diesen Beitrag mit einem Geständnis: Als ich den Namen Manfred Eicher im Elbphilharmonie-Programm las, konnte ich mit diesem zunächst nichts anfangen. Das Portrait-Konzert Arvo Pärt hatte mich zum Reflektor gelockt und es dauerte nicht lange, bis der Groschen fiel: ach, ECM! Na klar. Sagt das doch gleich!

Die diversen ECM-Scheiben in meinem Besitz sind zwar nicht durch labelorientierten Kauf zu meiner Tonträgersammlung gekommen – damit habe ich erst bei Erased Tapes angefangen – aber sie bilden doch eigene Kategorie in dieser. Das ging so weit, dass sie im CD-Regal ihr eigenes Eckchen bekamen. Da ist (natürlich) das unvermeidliche „Köln Concert“, aber auch „Officium“ und „Mnemosyne“, die kongenialen Kollaborationen des Hilliard Ensemble mit dem Saxophonisten Jan Garbarek. Und eben Arvo Pärt. Mit „Spiegel im Spiegel“ (erschienen auf „Alina“) hat es angefangen. Furchtbar lange ist das her.

„Orient & Occident“ erwarb ich hauptsächlich wegen „Como anhela la cierva“, um den Titel zu nennen, unter dem ich das Werk kennenlernte. Das wiederum geschah anlässlich der deutschen Uraufführung in der Kölner Philharmonie. Reiner Zufall war das damals, ein Freund hatte Abokarten von verhinderten Bekannten, wir saßen auf den besten Plätzen, was ich mir zu dem Zeitpunkt anders nicht hätte leisten können, und ebenso wie am vergangenen Montag beim Portrait-Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie war der Komponist anwesend. Über zwanzig Jahre muss das her sein, 84 Jahre alt ist Pärt inzwischen.

Das „Reflektor“-Konzert selbst, von „Fratres“ über „Cantus in Memoriam Benjamin Britten“, „Adam’s Lament“, „Salve Regina“ und „Te Deum“ bis hin zur Zugabe „Vater unser“, zählt für mich zu der Sorte musikalischer Sternstunden, für die das Etikett „unvergesslich“ mehr als angemessen erscheint. Die geradezu hymnische Vorrede von Elbphilharmonie-Pressesprecher Tom R. Schulz hatte dem andächtig lauschenden Publikum nicht zu viel versprochen: In dieser Qualität, nämlich interpretiert vom Tallinn Chamber Orchester und dem Estonian Philharmonic Chamber Choir unter Tõnu Kaljuste, könne man die Musik Arvo Pärts live kaum besser erleben. Nicht, dass ich für diesen Fall viele Vergleiche herbeiziehen kann, aber: Nach dem, was ich hörte, bin ich geneigt, dem zuzustimmen.

Das Konzert wurde übrigens live gestreamt und ist bis einschließlich 3. Februar 2021 auf der Elphi-Webseite als Video on Demand abrufbar.

Der Auftritt von Meredith Monk zwei Tage später im Kleinen Saal steht dort zwar nicht zur Verfügung, aber dieser Beitrag der Sparte New Sounds des Senders New York Public Radio sollte mehr als nur einen Eindruck vermitteln:

Ich bin keine Monk-Kennerin, war aus Neugierde in das Konzert gekommen und wurde nicht enttäuscht. Wobei ich zugeben muss: So fasziniert ich von den „Cellular Songs“ war, die Zugabe „The Tale“ hat mir weit besser gefallen. So oder so ein Anlass, sich mehr mit dem Werk Meredith Monks zu befassen.

Soweit meine Reflektor-Ausbeute. Eigentlich hätte ich das komplette Festival mitnehmen müssen. Passte nur leider vom Zeitpunkt her nicht. Das sieht hier zwar manchmal nicht danach aus, aber da ist tatsächlich noch ein Leben zwischen den Konzerten…

In Concert: Erased Tapes Labelnight 2020 in der Elbphilharmonie

So ganz geschickt war das nicht vom Veranstalter KD Palme, das im September 2019 noch als Penguin Café-Auftritt angekündigte Konzert nachträglich zur „Erased Tapes Labelnight 2020″ umzuwidmen. Zweifelsohne passt das eine wie das andere in die DISSONAR-Reihe und mich persönlich hat es sehr gefreut. Zum einen hatte ich Penguin Café bereits während des Reflektor Nils Frahm gesehen und gehört, und zwar mit nahezu identischer Setlist, zum anderen bin ich bekennender Fan des Labels und nehme daher – sofern möglich – grundsätzlich alle mit diesem assoziierte Veranstaltungen in meiner Umgebung mit.

Frau C. hingegen, die auf dem Platz neben mir saß, hatte die Karte einzig der Pinguine wegen erstanden und zeigte sich milde verstimmt angesichts des „Etikettenschwindels“ (O-Ton). Durchaus verständlich, denn vor Penguin Café traten zunächst Hatis Noit und Peter Broderick auf, was den Abend beträchtlich in die Länge zog. Für mich zum wiederholten Male ein Grund, sowohl den kurzen Anreiseweg zum Veranstaltungsort als auch meinen Gleitzeitarbeitsplatz gebührend wertzuschätzen. Diese Kombination ist jedoch nicht jedem vergönnt, was Penguin Café-Kopf Arthur Jeffes dazu veranlasste, das nach knapp 1 3/4 Stunden Konzertlaufzeit verbliebene Publikum mit „Thank you for staying“ zu begrüßen.

Aber zurück zum Anfang.

Der Abend begann mit einer kurzen Danksagung des Labelgründers Robert Raths, der dabei leider einen mittelschweren Fauxpas begang: Er vergaß, sich vorzustellen. Was er von der Bühne und seinem Gästelistenplatz im Etage 12 vermutlich nicht überblicken konnte: Es saßen nicht wenige Menschen im Großen Saal, die weder ihn noch das Label kannten bzw. denen der Name Erased Tapes erstmalig durch den am Saaleingang verteilten Programmflyer begrifflich wurde.

Dafür hielt sich die Seniorenriege um uns herum in 15 R außerordentlich wacker, insbesondere beim Auftritt von Hatis Noit. Deren Kunst muss schon sehr speziell anmuten, wenn man als Elphi-Tourist mit einer Reisegruppe ins Haus kommt. Was ultimativ beweisen dürfte: Es ist beeindruckend, was die Sängerin mit ihrer Stimme, zwei Mikros und einer Loop-Station anstellt, ganz unabhängig von Geschmacksfragen und musikalischen Vorlieben, und live in der Elbphilharmonie naturgemäß um ein Vielfaches mehr als vom Tonträger genossen.

Als Nächstes kam Peter Broderick an die Reihe, zunächst allein mit seiner Gitarre, später mit der Geige und zusätzlicher Klavierbegleitung. In seiner Solo-Diskographie ist von allem etwas dabei: (orchestrale) Soundtracks, Klavieralben, von etwas Richtung Singer/Songwriter bis hin zu Folk/Country und den Rändern des Pop; von den zahlreichen, z. T. sehr unterschiedlich gelagerten Kollaborationen und Studiomitwirkungen wollen wir gar nicht erst anfangen. Ich bevorzuge die Instrumentalstücke und kam daher bei seiner Arthur Russell-lastigen Setlist nicht ganz auf meine Kosten.

Schließlich betraten Penguin Café die Bühne und im Prinzip war es wie damals beim Reflektor, nur leider mit einem kleineren und uhrzeit- wie ablaufbedingt weniger geduldigen Publikum. Was Arthur Jeffes und seine Mitstreiter wohl aber nicht davon abbringen wird, die Elbphilharmonie weiter als „favourite venue“ im Herzen zu tragen.

Und die Moral von der Geschicht‘? Beim nächsten Mal die Veranstaltung bitte gleich mit „Erased Tapes“ belabeln, das Programm frühzeitig bekannt machen, vielleicht auch insgesamt ein klein wenig mehr Vorlaufzeit einplanen, und den Start auf 19 Uhr vorverlegen. Ich bin sehr sicher: Unter solchen Voraussetzungen wäre der Saal standesgemäß ausverkauft. Und niemand enttäuscht.