Anruf aus der Elbphilharmonie.
„Hallo Frau Dirkwinkel, bei uns liegt eine Reservierung auf Ihren Namen für GoGo Penguin am 18. August vor. Möchten Sie die Karte noch haben?“
Ha! Und ob ich mochte.
Was man so hört. Und sieht.
Anruf aus der Elbphilharmonie.
„Hallo Frau Dirkwinkel, bei uns liegt eine Reservierung auf Ihren Namen für GoGo Penguin am 18. August vor. Möchten Sie die Karte noch haben?“
Ha! Und ob ich mochte.
Dass die Kunst bei der Langen Nacht der Museen darin besteht, sich auf Schwerpunkte zu beschränken und die Transitstrecken kurzzuhalten, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Aber dann ist da dieses prall gefüllte Programmheftchen: Begeistert blättert man hin und zurück, hinterlässt Eselsohren, jongliert mit Terminen und Orten und die Liste, die schlussendlich daraus entsteht, ist beinahe zwangsläufig zu ambitioniert für sechs Stunden.
Ich hatte mir einen zumindest geographisch gut durchdachten Fahrplan zurechtgelegt: Mit dem Altonaer Museum als Startpunkt sollte das Feld gewissermaßen von Westen aus aufgerollt werden. Nach dem Museum für Hamburgische Geschichte, dem Museum für Kunst und Gewerbe und eventuell zuvor noch den Deichtorhallen wollte ich zum Abschluss beim Museum der Arbeit vorbeischauen und von da aus zu Fuß nach Hause gehen. Wobei es angesichts der angebotenen Vielfalt vielleicht keine schlechte Idee gewesen wäre, das Museum der Arbeit und die Sonderausstellung „Entscheiden“ schon im Vorfeld besucht zu haben.
18:00 Uhr
Das Altonaer Museum überrascht zunächst mit einer Sektbar im Foyer. Sinnvoll wäre auch eine Aktionsbeschilderung gewesen, die leider fehlt. So ist man als Besucher, der sich im Hause nicht gut auskennt darauf angewiesen, bei Mitarbeitern nachzufragen. Die sind dafür allesamt hoch motiviert im Einsatz; das ist insbesondere bei den Führungen zu spüren. Auf meiner Liste steht ein „Lieblingsstück“ der Glas- und Keramikrestauratorin und „Shortcuts: Highlights des Altonaer Museums“. Zwischendrin schaue ich bei „Sound of Sails“ vorbei, so der Name des „COD1NG DA V1NC1“-Gewinnerprojekts 2016 in der Kategorie „Technical Achievement“. Dummerweise schwächeln Technik und WLAN und so sehe ich zwar „Images of Sails“, höre aber keine Sounds dazu – shit happens. Klang gibt es dagegen reichlich bei „Best of Stage School“ im Galionsfigurensaal. Ein phantastischer Veranstaltungsort! Wobei ich dabei etwas ins Grübeln komme: Besteht tatsächlich ein Zusammenhang zwischen der Stage School und dem Museumszweck bzw. -bestand oder geht es einzig um den Unterhaltungswert?
20:30 Uhr
Eine Frage, die sich im Museum für Hamburgische Geschichte nicht stellt. Zu vielfältig sind Objekte und Themen der Sonder- und Dauerausstellungen. Entsprechend das Programm, das bis zum Ende der Museumsnacht durchläuft: Neben diversen Führungen in Deutsch, Englisch und Spanisch stehen musikalische Darbietungen auf der Agenda, darunter ein Vortrag zum nicht nur tonsetzerischen Duell zwischen Georg Friedrich Händel und Johann Mattheson, des weiteren Lesungen, ein Lindy Hop-Crashkurs und vieles mehr, dazu die erweiterte Verpflegung vor der Tür. Abzug in der B-Note: In allen anderen Museen der Stadt gilt meine Tasche als klein, nur hier muss ich sie abgeben und sodann mit Portemonnaie, Schlüssel, Handy und der zur Birkenblüte unvermeidlichen Taschentuchpackung auf alle Hosentaschen verteilt durchs Haus wandern. Lästig und überdenkenswert.
Dennoch, es passiert das Vorhersagbare: Ich bleibe hängen. Nach Händel und Mattheson am Cembalo schließe ich mich der eigentlich halbstündigen „Stars und Sternchen“-Führung an, die aufgrund paralleler Programmpunkte etwas vom Thema abkommt und dadurch im besten Sinne eskaliert: Nach satten zwanzig Minuten Verlängerung landen wir schließlich am Schulterblatt und beim Walfang. Auf dem Weg nach draußen stolpere ich noch zufällig über eine Türsteher-Lesung, die außerordentlich gut besucht ist und sich zu zwei Dritteln als sehr unterhaltsam entpuppt.
23:35 Uhr
Ich schaue auf die Uhr, seufze tief und kappe kurz entschlossen alle weiteren Pläne, um noch eine Runde durch die Dauerausstellung im 1. Stock zu drehen. Gegen halb eins mache ich mich auf den Weg nach Barmbek.
0:38 Uhr
Ich verpasse um Haaresbreite die U-Bahn. Mir bleiben mir für das Museum der Arbeit somit nur noch zwanzig Minuten. „Zu sportlich“, denke ich und entscheide mich für den direkten Nachhauseweg. Vorläufige Bilanz: Zwei vor vier bzw. fünf!
Am nächsten Tag, gegen 14:00 Uhr
Das Wetter ist museumstauglich und das Lange Nacht-Ticket auch am Folgetag gültig, also schaue ich nach meinem (Vor-)Mittagsprogramm „für ein Stündchen“ noch im Museum für Kunst und Gewerbe vorbei. Ich habe großes Glück bei der „Game Masters“-Ausstellung: Es ist der letzte Tag und ich erwische gerade eben noch das Zeitfenster vor der Megaschlange. In den Räumen ist es drückend warm und ziemlich wuselig. Ich nutze meinen kleinen Informationsvorsprung durch die bereits vor ein paar Wochen absolvierte Kuratorenführung und beschränke ich mich auf einige Highlights. In der Indie-Ecke bleibe an der Präsentation von Thatgamecompany hängen. „Flow“, „Flower“ und insbesondere „Journey“ faszinieren mich schon graphisch. Leider bin ich damit nicht allein und so komme ich nicht dazu, es anzuspielen.
Wo ich schon da bin, kann mir auch gleich noch „Willy Fleckhaus: Design – Revolte – Regenbogen“ anschauen. Für „Twen“ und Konsorten bin ich zwar zu jung, aber als ich die von Fleckhaus gestalteten Bücher und Buchreihen sehe, weiß ich den Mann und sein Werk sofort einzuordnen. Es spiegelt zwar nicht unbedingt meinen (Design-)Geschmack wider, verlangt mir aber Respekt ab, allein der Fülle und der stilbildenden Wirkung wegen.
Von Willy Fleckhaus ist es nur ein kurzer Schritt zu „Magazin machen“, einer kleinen, aber feinen Ausstellung über das ZEITmagazin. Beim Durchgang fällt mir erstmalig (!) auf, dass die ZEIT und das ZEITmagazin den Bremer Schlüssel im Logo tragen und nicht das Hamburger Stadtwappen. Dem muss ich gleich nachgehen und finde dazu diesen sehr aufschlussreichen Text aus dem Jahr 1946.
17:00 Uhr
„Nur mal eben“ in mein Lieblingsmuseum – das funktioniert einfach nicht. Aus dem „Stündchen“ sind locker drei geworden. Und obwohl ich glaube, das Haus inzwischen ganz gut zu kennen, erwartet mich nahe dem Ausgang noch eine kleine Premiere: Die Tür zum Spiegelsaal (nicht zu verwechseln mit der Spiegel-Kantine) steht offen und ich kann erstmals einen Blick hineinwerfen.
Unterm Strich
Eine Nacht und ein Tag sind einfach zu kurz! Es reichte für eine ganze Museumswoche. Für nächstes Jahr habe ich mir fest vorgenommen, eines der kleineren und abseitigeren Häuser anzusteuern. Zum Beispiel das Deutsche Zusatzstoffmuseum.
Heute habe ich es vor den Osterspaziergängern in den Stadtpark geschafft. Am Karfreitag war mir das nicht gelungen, und so wurde ich dank meines immer noch sehr langsamen Lauftempos Zeugin zahlreicher kleinerer (Familien-)Dramen. Eine gewisse Ähnlichkeit mit der tags zuvor vom Fräulein Read On berichteten Gründonnerstags-Szenerie war nicht von der Hand zu weisen. Ein klein wenig Schadenfreude erzeugt solches bei mir ebenfalls, ja, doch, ich gebe es zu. Aber vor allem: Erleichterung. Das ist nicht mein Problem, jenes auch nicht, und das da drüben erst recht nicht. Vielleicht nicht sehr nett von mir. Aber manchmal muß das sein.
Jetzt ist alles ruhig. Vereinzelte Gassigeher wechseln sich mit Joggern und Walkern ab. Noch eine Stunde, vielleicht auch nur eine halbe, dann kommen die Flaneure. Am Modellboot-Becken sitzen zwei ältere Herren, sich lebhaft unterhaltend. Einer von beiden steuert einen Zweimastgaffelschoner, seine Hände und die Fernsteuerung sind mit einer wasserdichten Hülle bedeckt. Vom weiten sieht es aus, als trage er einen Muff.
Das Stadtparksee-Schwanenpaar steht augenscheinlich sehr gut im Futter, möglicherweise als Nebenwirkung des verlängerten Winterquartiers. Der Schwanenmann wagt sich dennoch weit aus dem Wasser, bis über den Weg und zur Bank, der raschelnden Brottüte entgegen.
Auf dem gesamten Gelände grünt und blüht es derzeit um die Wette. Dennoch fällt an einer Stelle ein gänzlich anderes Bunt ins Auge.
Die Haiopeis als Ostermotiv sind mir zwar neu, aber nun. Jeder wie er mag.
Mitte Februar wurde das Planetarium Hamburg nach rund anderthalb Jahren Umbauzeit wiedereröffnet. Meine Stadtpark-Laufrunde führt seitdem wieder um das Gebäude herum und einige Details der Umgestaltung fallen schon von außen ins Auge. Auch die Innenräume neu zu erobern, hatte ich mir jedoch für die erste „le voyage abstrait“ am gestrigen Sonnabend aufgehoben.
Gleich bei den Eingängen, unten am ausgebauten Sockel, betritt man Neuland. Die großzügig gestaltete Eingangshalle mit dem Kassenbereich ist nach oben offen und gibt den Blick auf das erhalten gebliebene Deckengemälde mit den Sternbilddarstellungen aus dem Jahr 1930 frei. Die Treppenaufgänge und der gläserne Aufzug fügen sich wunderbar ein und der Spendentrichter, mittig aufgestellt, bekommt an diesem Platz endlich die Aufmerksamkeit, die er verdient. Wir lernten gestern: Ein Kamelrennen-Chip vom Hamburger Dom ist gerade groß genug, um nicht durch das Loch zu passen. Hat man einen solchen zur Hand, ist unendlicher Spaß garantiert.
Die Gastronomie macht einen guten Eindruck und erst die neuen Toiletten! Wobei die Sache mit der Kindertoilette, nun ja, die wird sich wohl auf Dauer nicht bewähren. Wenn die Kloschlange wächst, hilft auch kein „Blattpapier“ der Reinigungsfirma, dass diese doch bitte nicht von Erwachsenen benutzt werden möge. Wobei bei uns gleich die Frage aufkam, ob es bei den Männern auch ein Kinderklo gibt. Das konnte gestern nicht vollständig aufgeklärt werden. Als weiteren kleinen Kritikpunkt kann man noch den ohrenbetäubend lauten Turbo-Händetrockner aufführen (der alternativ angebotene Papierbehälter war natürlich leer). Dessen Höllenkrach drang nach der kontemplativen ersten „voyage“-Hälfte besonders unangenehm ins Hirn vor. Sehr schön dagegen ist, dass es jetzt Schließfächer gibt. Man braucht keine Münzen, sollte aber nicht mit laptopgroßen Messengertaschen anrücken. Dafür sind die Fächer zu klein.
Die obere Rotunde mit dem Eingang zum Sternensaal erscheint ein wenig unbehaust. Die Globus-Leihgabe hat einen Pixelfehler, ein Sessel und mehrere Touchscreens stehen herum und wirken konzeptlos. Das wird sich sicher bald ändern, wenn dort in Kürze die erste Ausstellung einzieht. Von der ebenfalls aufgestellten „Kuhllegin“ sollte man sich nicht hinters Licht führen lassen: Achtung, Fake Cow! Die echte Stella wacht im Untergeschoss in den Räumen des Planetariumsshops, der noch seiner Eröffnung harrt.
Beim Eintritt in den Sternensaal fallen zwei Dinge sofort ins Auge. Zum einen die neuen Sitzpolster in sattem Rot, worauf sich augenblicklich eine Diskussion entspann: Welche Farbe hatten die Sessel zuvor? „Auch rot!“, behaupteten meine Begleiter. Und ich hätte schwören können, dass… aber sei’s drum, reine Nebensache. Viel wichtiger war der Blick nach oben: Dass sich da gewaltig etwas bei der Auflösung getan hat, verriet uns schon das Kuppelstandbild mit Logo.
Auch bei Rechnerleistung und Software ist aufgerüstet worden und tatsächlich schwenkte der blaue Planet bei Reisebeginn flüssig in und wieder aus dem Bild. Damit taten sich Saturn und diverse andere Visuals im späteren Verlauf deutlich schwerer. Da muss sich wohl noch einiges einspielen. Die Laser hingegen ließen sich nichts anmerken und feuerten, als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben.
Und musikalisch? Uns Hardcore-Fans, die wir über Monate mit schlimmen Entzugserscheinungen zu kämpfen hatten, hätte man auch eine schlichte Wiederholung vorlegen können. Aber derlei sieht dem Soundpiloten Raphaël Marionneau nicht ähnlich und so war die „voyage“ nicht gar mehr so „abstrait“, wie wir es kannten. Es gefiel uns, ebenso wie der neue Schlusstrack – mit A Winged Victory for the Sullen kriegt man mich ja immer.
Das Warten hat sich also gelohnt: Planetariumsum- und -ausbau gelungen! Demnächst probiere ich noch, ob der Kuchen im Café Nordstern etwas taugt. Ob ich dabei draußen sitzen oder eines der gemütlich aussehenden Sofas testen werde, entscheidet das Wetter.
Kennt ihr diese Konzerte, die mit „Joah!“ und leichtem Fußwippen anfangen und sich dann stetig weiter steigern? Bei denen die Songs immer ausgefeilter werden, die leisen Töne differenzierter, die Crescendi gewaltiger, bis zum Schluss der ganze Saal tobt und einem die eine Zugabe gewaltig unterdimensioniert erscheint?
So ungefähr lief das vorhin bei GoGo Penguin im Uebel & Gefährlich. Sehr gerne wieder.
Die Musik von Anna Depenbusch lernte ich um und bei 2010 durch das Stück „Heimat“ auf dem Sampler „Genau meine Musik“ kennen. Das mochte ich so sehr, dass ich mir das Album „Ins Gesicht“ kaufte. Um dann festzustellen, dass mir aus diesem schon ein weiteres Stück begegnet war („Streichholz“), und zwar knapp drei Jahre zuvor.
Es dauerte unverständlicherweise noch drei weitere Jahre, bis ich Anna zum ersten Mal live auf einer Bühne sah: solo an Klavier, Gitarre und Ukulele bei der IGS 2013 in Wilhelmsburg. Fan war ich da längst und entzückt ab dem ersten Ton, aber dann setzte sie mit „Der Mann für mich“, einer deutschsprachigen Version von Billy Joels „She’s always a woman“*), meiner Begeisterung noch die Krone auf.
„Gehen Sie zu Anna Depenbusch“, brachte es Dr. Christian Kuhnt, Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals, unlängst bei der Programmvorstellung 2017 in Hamburg auf den Punkt: „Ich verspreche Ihnen, Sie werden am Ende des Abends unsterblich in sie verliebt sein. Und Ihre Frau auch!“
Das Konzert heute im Thalia Theater war restlos ausverkauft. Wer nicht zum Zuge gekommen ist, dem bietet sich am 8. Juli 2017 eine zweite Chance: Für den SHMF-Termin im Lokschuppen der S-Bahn Hamburg gibt es noch Karten. Außerdem für Düsseldorf, Nürnberg, Karlsruhe, Mannheim, Osnabrück, Würselen, Ingelheim, Dreieichenhain, Dresden, Leipzig, Ribbeck und Lübeck.
Hin da!
*) siehe auch „#30DayMusicChallenge (2)“, No. 20
Boris Aljinovic ist Hochseesegler, ein im Wortsinne ausgezeichneter sogar. Insofern nicht verwunderlich, dass sich unsere Wege bereits kreuzten. Allerdings nur in meinem beruflichen Umfeld. Abgesehen von diversen Hörbucheinspielungen und Fernsehrollen hatte ich ihn bei seiner Arbeit bislang noch nicht erlebt, dabei ist er regelmäßig auf Hamburgs Bühnen zu sehen. Höchste Zeit also, das nachzuholen. Und überhaupt, wie lange ist es her, dass ich im St. Pauli Theater zuletzt ein Theaterstück sah? Lustiges Volk da übrigens (Spontangedanke: „Ach, hier treiben die sich alle herum.“). Unter anderem sah ich Dagmar Berghoff und lokale Politprominenz.
Zum Stück.
In „4.000 Tage“, geschrieben von Peter Quilter und im Januar 2016 am Londoner Park Theatre uraufgeführt, erwacht Michael (Boris Aljinovic) nach drei Wochen im Koma mit einer Gedächtnislücke von elf Jahren. Das entspricht 4.000 Tagen und exakt dem Zeitraum, in dem er mit seinem Partner Paul (Gustav Peter Wöhler) zusammengelebt hat. Der kämpft nun darum, dass Michael sein Erinnerungsvermögen wiedererlangt, während seine Mutter Carol (Judy Winter) das Ereignis als eine ihr äußerst willkommene Gelegenheit zum Neustart begreift – vorzugsweise in eine Zukunft Michaels ohne Paul an dessen Seite.
Angesichts dieser Ausgangslage hatte ich eine Tragikomödie erwartet. Dafür war das Stück aber dann doch zu ernst. Ob das eventuell auch an der deutschen Fassung lag, deren Erstaufführung da heute Abend stattgefunden hat? Schwer zu sagen. Dafür müsste man das Stück im Original kennen.
Wie dem auch sei, der Kampf zwischen Michaels Mutter und seinem Partner Paul wird in dem Moment zur Nebensache, als Michael aus dem Koma erwacht. Besonders im ersten Teil agierte Judy Winter eine Spur zu exaltiert, während Gustav Peter Wöhler seltsam blass blieb. Was meines Erachtens nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass sie die überdominante Mutter und er eine Spießerfigur spielt. Boris Aljinovic hingegen ist nicht nur ein ausgezeichneter Hochseesegler. Ich bin hin und weg und obendrein ziemlich sicher, heute Abend einen der zauberhaftesten Theaterküsse des Jahres gesehen zu haben.
Meine Begleitung murmelte etwas von „… auch am Ernst Deutsch Theater, ab nächsten Monat…“. Das Stück trägt den Titel „Unwiderstehlich“.
Count me in.
„Wie war denn nun das Konzert? Hast Du die Zottelrinder getroffen?“
Anders als in meinem Traum über die Premiere von „Room 29“ mit Chilly Gonzales und Jarvis Cocker auf Kampnagel verlief mein Konzertbesuch am Sonntag vor einer Woche (fast) ohne besondere Vorkommnisse. Ich war am richtigen Tag zur richtigen Stunde da, hatte mein Ticket nicht an der Küchenpinnwand vergessen, fand den regulären Eingang und traf weder auf Viehzeug noch auf rheinische Bekannte.
Nur den Zimmerschlüssel aus der „Work in Progress“-Vorstellung von vor knapp einem Jahr hatte ich an der Klavierleuchte hängen lassen. Dabei wollte ich doch schauen, ob er noch passt. Aber offenbar ist „Room 29“ seither nicht nur renoviert worden, es wurde auch das Schloss ausgetauscht. Schade – das kleinere, altmodische Exemplar erschien mir irgendwie passender.
„Room 29“ als „Song Cycle“, also „Liederzyklus“ zu bezeichnen, ist einer der zahlreichen genialen Einfälle des Duos Cocker/Gonzales: Nicht auf ein enger definiertes Format festgelegt zu sein, eröffnet maximalen Spielraum. Den beide weidlich nutzen, insbesondere Cocker in der Rolle als (Ich-)Erzähler und Moderator. Wobei „Room 29“ dadurch in Teilen auszufransen droht – die Episode „Jarvis im Fernseher“ hätte man beispielsweise auslassen können und der an sich großartige Song zum Epilog („Ice Cream As Main Course“) wirkte mühsam angebaut.
Aber das ist letztlich Rosinenpickerei. Unabhängig von Konzept und Inszenierung bleibt es ein ausgemachtes Vergnügen, Jarvis Cocker singen und erzählen und Chilly Gonzales (und das Kaiser Quartett) spielen zu hören. Eine Talentkombination, die sich gesucht und gefunden hat.
Übrigens, wem bei „Room 29“ musikalisch einiges bekannt vorkommen sollte, der hat richtig gehört. Der Song „Clara“ beispielsweise basiert auf „Armellodie“ („Solo Piano“). Den Rest konnte ich nicht dingfest machen, aber es war nicht das einzige akustische Déjà-vu des Abends.
Bleibt noch, eine kleine Warnung auszusprechen: „Room 29“ setzt an einigen Stellen auf Publikumsbeteiligung. Drüben im Soul Stew Blog erzählt Martin, wie es ihm dabei ergangen ist. Insbesondere Jarvis Cocker zeigt trotz seines betont britischen Auftretens keinerlei Berührungsängste. So tauchte er nach dem Kurzausflug in die Flimmerkiste mitten in den Rängen wieder auf und bahnte sich durch das Publikum den Weg zurück auf die Bühne. Aufgrund meines Randplatzes in Reihe 13 kam ich auf diese Weise in den Genuss, eine Zeile lang „angesungen“ zu werden. Ich widerstand dabei nur mit großer Mühe dem absurden Impuls, dem Mann an der Krawatte zu zupfen. „Das kannst Du nicht bringen, der singt doch hier gerade“, warf mein Verstand eben noch rechtzeitig ein.
Ob es mir gelungen wäre, steht auf einem anderen Blatt. Aber mittlerweile ärgert es mich, die Gelegenheit ausgelassen zu haben, Mr. Jarvis Cocker aus dem Konzept zu bringen. Hat man ja schließlich auch nicht alle Tage.
Gustavo Dudamel und das Orquesta Sinfónica Simón Bolívar haben Beethoven durchgespielt, und zwar im Wortsinne: Unter der Überschrift „¡Viva Beethoven!“ standen in der Elbphilharmonie in den vergangenen fünf Tagen alle neun Sinfonien auf dem Programm.
Wem der Name Dudamel nichts sagen sollte, der möge sich doch kurz das folgende Video anschauen:
Gut, ganz so turbulent wie Leonard Bernsteins „Mambo“ war es dann doch nicht bei der Neunten. Aber südamerikanisches Feuer in Kombination mit Beethoven, holla, ich sage es euch. Da geht was! Sogar in Hamburg. Standing Ovations, Begeisterung, Jubel!
Gustavo Dudamel, das weiß ich nun also auch aus eigener Anschauung, ist ohne Frage eine Ausnahmeerscheinung. Und zwar eine mit Suchtpotential. Ich habe bisher noch keinen Dirigenten erlebt, der ohne Partitur auskommt, dessen Musikleidenschaft in einem solchen Ausmaß mitreißt und dessen Körpersprache derart im Einklang mit dem dirigierten Stück steht. Dudamel führt Musiker per Schulterzucken präziser und eindeutiger als andere mittels ausladender Armbewegungen. Selbst jemand ohne (klassische) Konzerterfahrung hätte diese Verbindung sehen und hören können.
Apropos hören können, es stimmt, was inzwischen allgemein Verbreitung gefunden hat: Auf den billigen Plätzen bekommt man den besten Elphi-Sound. Wobei es auch unterm Dach noch reichlich gläsern klingt, was ich weiterhin gewöhnungsbedürftig finde. Ein gewisser Herr, den ich einst besser kannte, würde vermutlich etwas in Richtung „untere Mitten… ausbaufähig“ gemurmelt haben. Aber geschenkt. Meine Ohren können da mit.
Das Programmheft hielt zu alledem noch eine Überraschung bereit, denn aus luftiger Höhe und nach mehr als 25 Jahren hätte ich ihn ansonsten wohl nicht erkannt: Neben Orchester, Dirigent und den vier Solisten trat der Chor der Europa Chor Akademie Görlitz an, gegründet und geleitet von Joshard Daus. Unter ihm habe ich auch schon einmal singen dürfen, damals, im Konzertchor des Städtischen Musikvereins in Lippstadt. Die „Schöpfung“ war’s. Und beinahe auch die „Carmina Burana“, hätte ich nicht damals unmittelbar vor Konzertbeginn ganz spontan mein Abendessen im hinteren Bereich der Bühne… aber so genau will das sicher niemand mehr wissen. Viel wichtiger ist eh die Frage, wie ich den „Freude, schöner Götterfunken“-Ohrwurm je wieder losbekommen soll.
¡Muchas Gracias, Maestro!
Geträumt, ich bin auf dem Weg zur Premiere des Stücks „Room 29“ von und mit Chilly Gonzales und Jarvis Cocker auf Kampnagel. Es sind nur noch wenige Minuten bis zum Beginn der Vorstellung. Ich beeile mich und gelange irgendwie über den falschen Eingang und einen mir bisher unbekannten Nebenraum in die K6, ohne dass mein Ticket kontrolliert wird. Jetzt suche ich, unter den Rängen stehend, hektisch danach, der Sitzplatznummer wegen. Das erweist sich als umständlich, weil ich merkwürdigerweise plötzlich drei Taschen dabei habe und mir immer wieder etwas herunterfällt.
Derweil fängt das Stück an. Ich finde das Ticket nicht und mir geht auf, dass es wahrscheinlich noch an der Küchenpinnwand hängt. „Kein Problem“, denke ich, „du hast es ja online und direkt im Kampnagel-Shop gekauft. Guck einfach in deine E-Mails.“ Leider verweigert ausgerechnet in diesem Moment das Smartphone seinen Dienst.
Plötzlich fällt mir ein, dass ich überhaupt kein Ticket für die Freitags-, sondern eins für die Sonntagsvorstellung habe. Ich verlasse peinlich berührt die Katakomben der K6 durch den zuvor neu entdeckten Nebenraum. Dort halten sich mehrere Personen auf. Es handelt sich augenscheinlich um Kongressteilnehmer. Feldbetten stehen herum und man kann durch eine offene Tür einen Stall erkennen, in dem pechschwarze, zottelige Rinder gehalten werden.
Ich treffe überraschend auf flüchtige Bekannte aus dem Rheinland, darunter eine ehemalige Kommilitonin, die ich seit über 20 Jahren nicht gesehen habe. Die Gruppe begrüßt mich freudig, lacht mit mir über mein Missgeschick und fragt mich, wo man in Hamburg am besten Tango tanzen könne. Ich muss leider passen, unterhalte mich noch eine Weile und schicke mich zum Gehen an. Da bricht ein gewaltiger Hagelsturm los, der mich zum Bleiben zwingt. Als der Hagel weicht, die Sonne wieder durchbricht und wir am Horizont einen Regenbogen sehen, der nur aus den Farben gelb, orange und rot besteht, klingelt der Wecker.
Hm.
Sind eventuell Traumdeuter anwesend?