Ich hänge zurzeit ein wenig hinter den Ereignissen, was daran liegt, dass meine Schreib- bzw. Formulierkapazitäten im Moment durch ganz andere literarische Gattungen gebunden sind. Dinge wie Motivationsschreiben und Gehaltsargumentationen zum Beispiel. Viele von euch werden es wissen: So eine Jobsuche ist in mehrfacher Hinsicht eine (hochleistungs-)sportliche Angelegenheit. Selbst wenn man von sich behaupten kann, weder schriftlich noch verbal auf den Mund gefallen zu sein.
Nichtsdestotrotz sollen hier noch ein paar Zeilen zum Hundreds-Konzert am vergangenen Donnerstag erscheinen. Meine beiden ersten Hundreds-Konzerte habe ich im Gruenspan erlitten. Dass das Leid vielmehr auf den Austragungsort als auf die musikalische Darbietung selbst zurückzuführen war, dokumentiert dieser kleine Rant. Insofern erfüllte sich für mich durch den diesjährigen Auftritt der Geschwister im kleinen Saal der Elbphilharmonie ein langgehegter Traum: (Quasi-)akustische, betörende Songversionen in einem bestuhlten Konzertsaal mit fester Platzwahl, hingerissene, dabei mehrheitlich disziplinierte Zuhörer, ein großartiger Sound, dezente, die Raumstruktur perfekt ausnutzende Lichteffekte und wenn man der Toilettenplanung der Elbphilharmonie auch einiges vorwerfen kann, aber Klopapier habe ich dort bislang immer in ausreichender Menge vorgefunden.
Etwas undifferenzierter formuliert: Es war unfassbar schön. Danke, Hundreds.
Bugge Wesseltoft war einer der ersten, die mich auf die Idee brachten, dass weniger deutlich mehr sein kann beim Klavierspiel. Seine ebenso leise wie sparsame, aber effektvolle Variation über „In Dulce Jubilo“ und „Det kimer nå til julefest“ auf der CD „Christmas with my friends“ führte mich zu „It’s snowing on my piano“; beide begleiten nun seit beinahe zehn Jahren meine Vorweihnachtszeit.
Genau zwanzig Jahre nach „It’s snowing on my piano“ hat Bugge Wesseltoft nun ein zweites Soloalbum aufgenommen: „Everybody loves angels“ führt die Idee fort, gewissermaßen als Ganzjahresversion. Gestern Abend waren Stücke aus beiden Alben in der Kulturkirche Altona zu hören und man hätte sich in Hamburg kaum einen geeigneteren Ort dafür ausdenken können.
Noch besser als der Michel vor drei Jahren und erst recht das Mehr! Theater am Großmarkt im letzten Jahr hätte die Kulturkirche Altona wohl auch zu Nils Landgren und seinen Freunden gepasst, aber das Projekt ist dafür leider inzwischen einige Nummern zu groß. Was mich wieder auf den Grundsatz „Weniger ist mehr“ zurückbringt.
Vermutlich ließe es sich statistisch belegen: je dunkler die Tage und länger die Nächte, desto größer die Soloklavieralbum-Hörwahrscheinlichkeit. Neben Bugge Wesseltofts Schneeflocken ist im Laufe der Jahre unter anderem Musik von Chilly Gonzales, Nils Frahm und Martin Kohlstedt hinzugekommen. Vor kurzem wurde ein Chilly Gonzales-Konzert in der Laeiszhalle angekündigt, Termin: 11. 12. 2018. Glücklicherweise werde ich auf die anderen beiden Herren nicht so lange warten müssen.
Anfang September stieß ich durch Zufall auf ein Bändchen, dessen Titel mir Unterstützung beim Erforschen meiner neu erwachten, noch sehr zart keimenden Theaterleidenschaft verhieß: „Wie es euch gefällt: der kleine Theaterversteher“ von Bernd C. Sucher. Untertitel („Alles was auf, vor und hinter der Bühne geschieht“), Klappentext, Einleitung und Kapitelaufteilung versprachen die kurze und knappe Vermittlung genau des Hintergrundwissens, an dem es mir mangelte. Was genau macht eigentlich ein Dramaturg? Woher kommt der Regisseurberuf und wie kommt es, dass er in Deutschland eine so besondere Rolle spielt? Wie erkenne ich, ob eine Produktion handwerklich stimmig ist, nach welchen objektiven Kriterien kann oder sollte ich eine Aufführung beurteilen? Ist das überhaupt (noch) möglich?
Als ich rund vier Wochen später endlich Muße fand, mich der Lektüre zu widmen, stellte sich nach wenigen Seiten herbe Enttäuschung ein. Was für eine Mogelpackung! Klare Definitionen und präzise Beschreibungen sind Mangelware. Stattdessen zitiert Sucher seitenweise um den heißen Brei herum, unter anderem Diderot, Lessing und Adorno, abwechselnd mit Schnipseln aus der Wikipedia. Dazwischen werden immer wieder Inszenierungsanalysen gestreut. Erstaunlich auch, wie viele Fachbegriffe bzw. generell Fremdwörter ich nachschlagen musste. Unter einem Einführungsband für Laien hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. „Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen“, hallte es gleich mehrfach durch meinen Kopf. Für die Jüngeren unter uns: Das ist nicht original Brecht, aber beinahe.
Meinen Ärger herunterschluckend, kämpfte ich mich dennoch tapfer durch den Text. Zu den auf diese Weise härter als nötig errungenen Erkenntnissen gehört: Nicht das Regietheater im Allgemeinen ist, an dem ich mich in der Vergangenheit gestoßen habe. Es sind vielmehr die postdramatischen Auswüchse, bei denen Performance im Vordergrund steht und nicht ein Text oder die Schauspielkunst, und bei denen die Idee der Inszenierung in Reizüberflutung und Provokationslust untergeht – so denn überhaupt eine erkennbar, ja, vorhanden ist. Nichtsdestotrotz werde ich auch solche Veranstaltungen künftig mit anderen Augen betrachten können und mich fragen, ob ich bei der Beurteilung die richtigen, soll heißen: zur Gattung passenden Maßstäbe ansetze.
Nach Bernd C. Sucher habe ich in der Vorbereitung auf den gestrigen Theaterabend alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Ich hatte den dem Stück zugrundeliegenden Text, einen Roman von Michel Houellebecq, nicht gelesen und hätte das auch keinesfalls in der Originalsprache vermocht – meine Französischkenntnisse kann man bestenfalls als rudimentär passiv bezeichnen. Mir blieb keine Muße, mich mit der Inszenierung zu befassen, mit anderen Aufführungen, der Regisseurin, dem Bühnenbildner etc.; lediglich dem Namen Edgar Selge konnte ich ein Gesicht zuordnen. Ich beging sogar den Kardinalfehler, auf der Suche nach Orientierung noch vor dem Kartenkauf einzelne Kritiken zu überfliegen. Denen entnahm ich, dass eine überragende schauspielerische Leistung zu kargem, aber wirksamen Bühnenbild zu erwarten war.
Und wisst ihr was? Es stimmte nicht nur. Zumindest für den gestrigen Abend reichte es mir vollkommen.
Im Wesentlichen waren es drei Fehlinformationen, die mich bisher davon abgehalten hatten, am barcamp Hamburg teilzunehmen:
Wer nicht wenigstens bloggt, zählt nicht zur digitalen Szene und hat somit auf einem Barcamp nichts zu suchen.
Es geht dort ausschließlich ums (Internet-)Business, entsprechend gestalteten sich Publikum, Programm und Interessen.
Wer anwesend ist, muss auch zwingend eine Session abhalten oder zumindest anbieten.
Tatsächlich reichen eine gute Portion Neugier sowie Lust auf Input und Interaktion völlig aus. Internetaffinität, Social Media-Präsenz und/oder ein eigenes Blog helfen, keine Frage. Aber nicht notwendigerweise als Voraussetzung für die Teilnahme, sondern vielmehr als Kommunikationsmittel; sei es zur Fortsetzung des Informations- und Ideenaustauschs über die Sessions hinaus oder generell zum Vernetzen.
Eine Barcamp-Grundregel ist: Es gibt keine feste Tagesordnung und keine festen Sprecher. Die Themen ergeben sich aus den Ideen und Vorschlägen der Teilnehmer und entsprechend spontan wird vor Ort und unmittelbar vor Beginn der Sessions das Tagesprogramm zusammengestellt.
Die Sessionplanung hatte ich mir als zeitrahmensprengendes Chaos vorgestellt. Eine weitere Fehleinschätzung – das genaue Gegenteil trat ein. Fein gesittet in Reih und Glied wurden Vorschläge unterbreitet, eine kurze Bedarfsanalyse mittels Handzeichen durchgeführt und zack, gebongt, der Nächste bitte. Ein buntes Spektrum tat sich dabei auf: Vom digitalen Nachlass über Geigenbau, Finanzen für Freelancer, Kinderbücher, Typo 3, Agilität, Marktforschung für Beginner, die Auswahl des richtigen Kondoms, Loslassen lernen, ADHS, digitales Geld, einer Werkstatt für Potentiale, Bürgerbeteiligung, B2B-Marketing, Community und Social Media Management bis hin zu Godzilla, den Serienjunkies und Renes Torten- und Brotgeheimnissen.
Das Board abzufotografieren und auf dieser Grundlage die eigene Agenda zu planen, ist zwar grundsätzlich eine gute Idee. Regelmäßige Gegenchecks sind dennoch ratsam, da sich auch im Laufe des Tages noch kurzfristig Änderungen ergeben können. Ein weiteres Handicap: Viele interessante Themen werden parallel präsentiert. Bei der Bewältigung dieses Dilemmas hilft das Festival-Prinzip: Entscheidungen treffen, eine grobe Reihenfolge festlegen, Laufwege, Verpflegungs-, Plauder- und Boxenstopps mit einrechnen und den so erstellten Fahrplan im Zweifel konsequent über Bord werfen.
Tag 1
Zur Barcamp- kam gleich zu Anfang eine weitere Premiere: Ich habe einen YouTuber kennengelernt! Zunächst frontal in der Session „Online-Identität ‚Tom Tastisch'“ und später auch im persönlichen Gespräch.
Thomas Lerche alias Tom Tastisch ist seit fast einem Jahr und noch bis zum 12. Dezember jeden Morgen ab 6:00 Uhr zwanzig Minuten lang auf Sendung. Ziel der Morgenroutine und des täglichen, auf YouTube bereitgestellten Siebenminutenzusammenschnitts: Optimismus trainieren. Bei der Session ging es sowohl um organisatorische Fragen als auch um die Abgrenzung zwischen dem Positivstarter Tom als Online-Identität und der reflektierteren, „echten“ Person dahinter, die wie jeder andere Mensch gelegentlich auch mal mit dem falschen Fuß aufsteht.
Ania Groß kenne ich schon eine ganze Weile, aber der Begriff „Sketchnotes“ war für mich bisher nicht viel mehr als ein Buzzword.
Mitgenommen habe ich aus ihrer Session, dass man zum Erstellen einer Sketchnote nicht zwingend zeichnen können muss, sondern es im Kern darum geht, Text auszuzeichnen und mittels graphischer Elemente so zu gliedern, dass Schlüsselsätze und -begriffe als solche erkennbar sind.
In der Runde „Plädoyer für mehr Anständigkeit in Social Media und Community Management“ von Vivian Pein stellte ich schnell fest, dass mir viele der beschriebenen Verhaltensweisen und Reaktionsstrategien bereits aus eigener Berufserfahrung bekannt waren. Unterm Strich ist es unerheblich, ob es um den aufgebrachten Kunden an der Ladentheke oder am Telefon, verbal entgleiste E-Mails, einen Kommentar-Shitstorm bei Facebook, Forumstrolle oder Twitterpöbeleien geht: Einfühlungsvermögen, Kommunikation auf Augenhöhe, Souveränität, Humor, Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, im Zweifel aber auch die konsequente Anwendung eines entsprechend gestalteten Regelwerks helfen nicht nur bei der Bewältigung der konkreten Situation. Idealerweise erfüllen sie zudem eine Vorbildfunktion, auch über die digitale Welt hinaus: Nicht nur das Netz (oder das Barcamp) ist, was wir daraus machen.
Bei der Sessionplanung flogen verschiedene Schlagwörter durch den Raum, von denen ich zuvor nie gehört hatte. Dazu gehörten auch Scrum und Agilität. Ein Grund, um sich in die Session von Madita Althusmann zu begeben. Scrum, so verstand ich daraus, ist eine Möglichkeit, agiles Arbeiten in (Software-)Unternehmen zu gestalten. Im Gegensatz zur klassischen Struktur („Waterfall“) gibt es bei einem Projektablauf nach der Scrum-Methode keinen Hauptverantwortlichen. Das Team organisiert unter Aufsicht eines Spielleiters („Scrum Master“) sowohl die Arbeitsschritte als auch die Aufteilung derselben in Eigenregie, der Projektfortschritt wird nicht in großen Planungsphasen, sondern in kurzen Termineinheiten („Sprints“) gedacht und am Ende eines jeden Sprints muss ein vorzeigbares Produkt stehen.
Schon aus der Diskussion im Anschluss an den Vortrag war zu erkennen, dass – wie bei nahezu jeder Ausprägung von Methodik – die reine Lehre oft nicht realitätstauglich ist. Vorhandene Unternehmensstrukturen, unter Umständen zu Recht bewährte Prozesse und die Vielschichtigkeit mancher Aufgabenstellung machen eine Anpassung in vielen Fällen unumgänglich. Beinahe unvermeidlicherweise fiel dabei der Satz „Dann lebt ihr das vielleicht noch nicht.“ Was allerspätestens der Moment ist, an dem ich mich an der Grenze zum Reich der Fitnessgurus und Heilsversprecher wähne und höchst skeptisch werde. Ein ostwestfälisch-norddeutscher Reflex, zugegeben.
Bei einem Gespräch am nächsten Tag ergab sich die Gelegenheit, den Faden nochmals aufzunehmen. Ist ein selbst organisierter (Abenteuer-)Urlaub im Sinne der Definition agil, verglichen mit der Pauschalreise? Geht es dabei letztlich nicht doch mehr um die Denkweise als um die Methode? So oder so: Es lohnt sich, dem Thema ein paar Überlegungen zu widmen.
Als der Natur der Sache gemäß wesentlich handfester erwiesen sich Rene Sasses Brot- und Tortengeheimnisse. Manche Tricks, so hat jeder wohl beim Kochen und Backen schon festgestellt, sind nicht nur äußerst hilfreich, sondern spielentscheidend für ein zufriedenstellendes Ergebnis. Viele davon werden jedoch in Rezepten nicht mitgeliefert, sondern fallen unter die Rubrik Erfahrungswerte. Dazu zählt, dass ein Backofen, der nicht ordentlich heiß wird, keine hübschen Brötchen liefert.
Oder dass – nach Renes Mutti – eine Torte keine ist, wenn in ihr nicht wenigstens 1,5 Liter Konditorsahne verarbeitet sind. Nach dieser Anregung werde ich zumindest das Projekt Brötchen in nächster Zeit mal in Angriff nehmen.
Tag 2
Geigenbauerin Anne Pelz führte zu Beginn des zweiten Tages in die Geheimnisse ihrer Zunft ein. Dabei lernten wir, dass die Schnecke auch die Form eines Eselskopfes annehmen kann, welcher Teil der Geige als Stimme bezeichnet wird und wie die Wölbung bei Decke und Boden des Instruments entsteht.
Nämlich nicht durch Formen des Holzes, sondern durch schlichtes Abhobeln. Unter anderem mit diesem Werkzeug.
Wir erfuhren außerdem einiges über das Berufsbild des Geigenbauers, die Beziehung mancher Geigenbesitzer zu ihrem Instrument und was eine Stradivari so besonders macht.
In der zweiten Session des Tages berichtete Gianna Krolla von elbkind über den medialen Siegeszug der Ritter Sport Einhornschokolade. Die Idee für die limitierte Sorte entstand aus einer Trendbeobachtung bei den eingereichten Sortenkreation-Vorschlägen, die sich zudem in den diversen im Netz verbreiteten Fake-Sorten manifestierte.
Kurz nach dem Launch am Tag des Einhorns 2016 verbreitete sich die Nachricht von der neuen Sorte wie ein Lauffeuer, innerhalb wie außerhalb des Netzes. Obwohl der Ritter Sport-Webshop wenig später unter der Flut der Kaufwilligen zusammenbrach, hat die Marke unterm Strich von der Kampagne profitiert. Wobei das Ziel von Anfang an nicht eine konkrete Umsatzsteigerung war, sondern die Ansprache neuer Zielgruppen in einem weitgehend gesättigten Markt.
Zum Frühling nächsten Jahres, so kündigte uns Gianna an, wird Ritter Sport eine neue limitierte Sorte präsentieren. Das Einhorn ist derweil medienwirksam zurückgetreten.
Wer es noch nicht mitbekommen haben sollte: Ich befinde mich momentan auf Jobsuche. Ein sehr guter Anlass, um mir in der Session von Holger Ahrens ein paar Hinweise zur Gestaltung von Profilen auf XING und LinkedIn geben zu lassen. Seine fünf Untipps: Nur ein zu 150% perfektes Profil ist ein gutes Profil, ein lustiges Foto erhöht die Chancen auf ein Vorstellungsgespräch, Informationen soll man horten und nicht teilen, man vernetze sich am besten mit ausnahmslos jedem und verballere überhaupt soviel Zeit wie möglich mit seiner Onlinepräsenz. Für alle, die das „Un“ vor dem „Tipps“ nicht gelesen oder gar missinterpretiert haben: so natürlich nicht.
Zum Abschluss des zweiten Tages beschäftigte mich nochmals das Thema Social Media und Community Management – „aus Gründen“, wie man so schön sagt. Vivian Pein und Tanja Laub definierten die idealtypischen Berufsbilder des Social Media und des Community Managers und führten uns anschließend mittels der Daten aus einer Studie des Bundesverbands Community Management e. V. (BVCM) vor, wie sich die reale Situation des Standes zurzeit darstellt.
So viel Wissensvermittlung und -austausch macht Hunger und Durst! Um die Verpflegung indes musste sich kein Teilnehmer sorgen. Ich weiß dann jetzt, warum das barcamp Hamburg auch zärtlich „Fresscamp“ genannt wird.
Lange Rede, kurzer Sinn – wer es noch nicht mitgemacht hat: Barcamps sind toll! Sowohl das ehrenamtliche Orgateam als auch die Sponsoren – allen voran die otto group, in deren Räumlichkeiten wir uns austoben durften – verdienen ein großes Lob und ein dickes Dankeschön.
Und im nächsten Jahr halte ich selbst eine Session. Versprochen.
Als ich Anfang Juli letzten Jahres nach dreieinhalb prallgefüllten London-Tagen ebenso derbe übermüdet wie aufgedreht im Flugzeug Richtung Hamburg saß, hatte ich eher zufällig das Album „Spells“ von Ben Lukas Boysen auf den Ohren. In Heathrow herrschte Hochbetrieb und in einer endlos scheinenden Schlange von Kurz- und Mittelstreckenmaschinen kamen wir nur langsam voran. Vor uns eine weitere BA, hinter uns eine Finnair: Die Flieger starteten im Minutentakt. Schließlich rückte unser Slot näher, zeitgleich erklangen die ersten Takte von „Nocturne 4“ aus meinem Kopfhörer. Exakt bei 2:39 bog die Maschine auf die Startbahn und beschleunigte.
Seither ist die Musik von Ben Lukas Boysen für mich untrennbar mit dem Gefühl des Abhebens verknüpft und insofern erschien mir die Location für seinen ersten Live-Auftritt in Hamburg ideal gewählt.
Dazu kommt, dass die musikalische Entdeckungsreise, die mich unter anderem zu diversen Erased Tapes-Künstlern (und damit überhaupt erst nach London) führte, vor etwas mehr als zehn Jahren im Planetarium und bei Raphaël Marionneau begonnen hatte. Somit schlossen sich mit dem ersten „le concert abstrait“ für mich gleich mehrere Kreise. Wobei, der Vergleich hinkt. Die korrekte geometrische Darstellung wäre wohl ungleich komplexer.
Neben der Vorfreude über die angekündigte Konstellation war ich darauf gespannt, wie Ben Lukas Boysen, unterstützt von Schlagzeug, Harfe und Cello (Anne Müller! Wie schön!), die perfekt arrangierten Studioklänge live umsetzen würde. Tatsächlich war der Planetariumsauftritt erst sein zweites Konzert überhaupt; die Premiere hatte Anfang September anlässlich des zehnjährigen Bestehens von Erased Tapes („Erased Tapes is ten“) im Londoner Village Underground stattgefunden.
Kurz nach 19 Uhr war es schließlich so weit: Umrahmt von zwei meiner allerliebsten AWVFTS-Tracks starteten Raphaël und Ben nebst Band zu einem einzigartigen Höhenflug. Erwartung erfüllt und übertroffen! Von der freigesetzten Endorphinladung werde ich eine ganze Weile zehren können.
Nur eine einzige Steigerung zu diesem Debüt kann ich mir noch vorstellen. Ich schreibe sie nicht auf, denn ich habe einen Wunsch unter dem künstlichen Sternenhimmel getan, zu elektronischen Sternschnuppen, und es ist anzunehmen, dass für dieses Verfahren die gleichen Gesetze gelten wie in der Natur.
Ich bin schon mehrmals gefragt worden, wie ich mir eigentlich die zahlreichen, in der Mehrzahl ungesponserten Konzert-, Opern- und Theaterbesuche habe leisten können, von denen ich hier unter anderem berichte. Die Antwort ist ganz einfach: mittels schnöder Mischkalkulation.
Meistens sitze ich irgendwo zwischen Holz- und unterer Mittelklasse. Entgegen anderslautender Klischees muss man nicht zwingend zu den oberen Zehntausend gehören, um (sogenannte) Hochkultur genießen zu können. Man kann je nach Aufführung ab 12 Euro in Elbphilharmonie und Staatsoper, ab 15 Euro im Schauspielhaus und ab 9,90 Euro bei den Hamburger Symphonikern in der Laeiszhalle sitzen. In einigen Fällen nimmt man dafür zwar eine einschränkte Sicht in Kauf, aber mit ein bisschen Erfahrung und Recherche bekommt man schnell heraus, welches die visuell am wenigsten beeinträchtigten Plätze sind. Es lohnt sich außerdem, auf die jeweilige Preisgestaltung zu achten. Manche Häuser machen Unterschiede zwischen Werk- und Wochenendtagen, die Premiere ist zumeist kostspieliger als die Folgeaufführungen und gelegentlich werden Sonderaktionen angeboten. Außerdem, so gestehe ich freimütig, habe ich in manchen Fällen auf Begleit-, Frei- oder Steuerkarten bzw. Gästelistenplätze zurückgreifen können. Nicht, weil sich die Geber davon wohlwollende Blogartikel erhofften, sondern weil ich ein paar ausnehmend nette Menschen kenne, die mir mit Freude oder gar aus Überzeugung dabei helfen, die (Kultur-)Bestie zu füttern.
Das heutige Konzert des Tingvall Trio in der Elbphilharmonie war eine der sorgsam ausgewählten Ausnahmen von der Regel. In meiner andauernden Klavierverliebtheit hatte ich nach der Niederlage bei der elphi-eigenen Ticketverlosung so lange nach Karten gejagt, bis ich mithilfe der Theaterkasse Schuhmacher schließlich fündig wurde. Wobei PK 1 im vorliegenden Falle 49 Euro (inkl. 2 Euro Gebühr) bedeutete. Das hält sich immer noch sehr im Rahmen, wenn man bedenkt, welche (offiziellen) Preise für manch andere Veranstaltung im Großen Saal aufgerufen werden. Von den viagogo- und ebay-Auswüchsen ganz zu schweigen.
Soweit zur Vorgeschichte. Wie nun aber nach dem Konzert derart erfüllte Vorfreude in Worte kleiden, ohne zu wiederholen, was ich im letzten Dezember schon schrieb? Schwierig.
Vielleicht genügt es, zu gestehen: Ich bin klavierverliebter denn je.
Ein wenig peinlich ist es ja schon, dass ich es als „gelernte“ Bibliothekarin in zwölf Jahren nicht ein einziges Mal in die Staatsbibliothek geschafft habe. Dabei sind die Bestände nicht nur Studenten zugänglich, sondern auch allen anderen Interessenten. Die Stabi fungiert zudem als Hamburger Landesbibliothek. Entsprechend bunt ist die zur Verfügung stehende Medienauswahl.
Bibliotheksführungen stehen zwar regelmäßig auf der Agenda, der Einblick hinter die Kulissen und in den Magazinbereich bleibt aber für besondere Gelegenheiten wie die „Nacht des Wissens“ reserviert.
Rund 4 Millionen Medien, darunter 3,5 Millionen Bücher: Allein die schiere Menge der aufbewahrten Schätze überwältigt. Dazu kommt die besondere Atmosphäre des Bücherturms. Der Zutritt zu diesem Bereich ist auch bibliotheksintern streng reglementiert.
Das siebzehnstöckige Gebäude ist allerdings mittlerweile nicht mehr der einzige Lagerort: Seit 2002 können Bücher und Medien zusätzlich in einer Speicherbibliothek in Bergedorf untergebracht werden.
Ein Highlight der Führung: der Kurzausflug auf das Dach des Bücherturms. Sitzungsraum und Terrasse bieten einen spektakulären Ausblick auf die Stadt.
Nach der offiziellen Tour ergab sich die Gelegenheit zu einem Rundgang durch die Lesesäle an der Seite eines künftigen Stabi-Mitarbeiters.
Die Stabi ist zwar im Grundsatz eine Magazinbibliothek, verfügt aber auch über einen offen aufgestellten und somit frei zugänglichen Präsenzbestand. Im Haus stehen über 900 Arbeitsplätze zur Verfügung, darunter Computer- und Gruppenarbeitsplätze, abschließbare Arbeitskabinen für Examenskandidaten und eine laptopfreie Zone.
Auffälliges Merkmal der im Haus verteilten Schließfachanlagen: Sie arbeiten mit selbst gewählten PIN-Kombinationen statt mit Münzeinwurf oder Vorhängeschlössern und die einzelnen Fächer tragen Namen statt Nummern. Im Foyer sind sie nach Städten, im Lesesaalbereich nach literarischen Figuren benannt.
Während „Darwin“ Schirm, Jacke und Schal sicher verwahrte und anstandslos wieder entließ, wollte „Winnetou“ meine kurzfristig am Lesesaaleingang deponierte Tasche mit Schlüssel, Portemonnaie und allem Zipp und Zapp partout nicht herausrücken. Das kommt davon, wenn man PIN-Einflüsterungen Dritter nachgibt. Zum Glück kann das Aufsichtspersonal in solchen Fällen auf ein wirksames Antidot zurückgreifen und so musste der Häuptling der Apachen sich schließlich doch geschlagen geben.
Soweit mein allererster Ausflug in die größte wissenschaftliche Allgemeinbibliothek der Hansestadt! Ich werde in den nächsten Tagen und Wochen versuchen, weitere bibliothekarische Bildungslücken zu schließen. Weit oben auf meiner Liste: Die Bibliothek des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie.
Das Konzert begann pünktlich um 18 Uhr mit dem 2. Klavierkonzert von Béla Bartók und obwohl ich das Stück bisher nicht kannte und kein besonderer Bartók-Fan bin, bekam ich recht schnell eine Ahnung, warum Evgeny Kissin schon im zarten Alter von Mitte 40 als lebende Legende bezeichnet wird. Diese verfestigte sich durch die Zugabe, der Prélude cis-moll op. 3 Nr. 2 von Sergei Rachmaninoff. Einem Stück, mit dem mich einst auch mein Klavierlehrer zu quälen versuchte. Was mir damals sehr geholfen hätte: eine Aufnahme von jemandem zu hören, der das wirklich gut kann. Live ist natürlich noch besser. Nicht obwohl, sondern gerade weil mir Kissins Vortrag an der ein oder anderen Stelle ein wenig zu geziert erschien – kann man machen, hätte ich aber so nicht.
In der Pause leuchteten im Großen Saal die Smartphone-Bildschirme auf. Überall wurden die ersten Prognosen zum Ergebnis der Bundestagswahl 2017 abgerufen und diskutiert. Es passierte das Unvermeidliche: „13%! Das ist doch schon mal gut“, kommentierte eine Dame in der Reihe direkt vor mir, bevor sie ihren Sitz verließ.
Was macht man da? Ihr übers Kleid kotzen, wie ich spontan auf Twitter vorschlug? Was mir zwar einigen Beifall einbrachte, aber letztlich reichlich albern ist. Das ist, was man an Hilflosigkeiten von sich gibt, wenn man zwar mit dem Einzug einer Nazifraktion ins Bundesparlament gerechnet hat, aber wahrlich nicht in dieser Stärke.
Vor einigen Monaten hatte ich noch laut darüber nachgedacht, Angela Merkel bzw. der CDU meine Stimme zu geben und meine Skepsis gegenüber der SPD-Spitzenkandidatur von Martin Schulz geäußert. Ich habe ersteres dann doch nicht getan und mit letzterem (leider) recht behalten. Aber stärker als noch beim Amtsantritt des 45. Präsidenten der USA beschleicht mich jetzt das Gefühl, dass alle paar Jahre meine Kreuzchen zu machen allein nicht mehr ausreicht. Dass ich tun sollte, was ich bisher kategorisch ausgeschlossen habe: nicht mehr bloß passiver Anhänger der Demokratie zu sein, sondern Mitglied einer ausgewiesen demokratischen Partei zu werden. Mit diesem Gedanken, so stellte ich schnell fest, befinde ich mich in guter Gesellschaft, zumindest innerhalb meiner Filterblase.
Zurück zum Konzertabend. Es folgte Gustav Mahlers 1. Sinfonie in D-Dur (in der Hamburger Fassung, aber ohne den 2. Satz „Blumine“). Mir war durch die aktuellen Ereignisse und eine leichte Ermattung als Nachwirkung der Londonwoche leider ein wenig die Konzentration abhandengekommen, aber eines kann ich erneut durch Erfahrung bestätigen: Ganz oben, auf den billigen Plätzen, ist der Elphi-Sound grandios. Und das NDR Elbphilharmonie Orchester kennt sich mittlerweile sehr gut aus in seinem neuen Zuhause.
Bevor es im Londonaufbruch noch untergeht, schnell zwei Worte zum heutigen Konzert von James Rhodes in der Elbphilharmonie: Das war so ungefähr wie damals auf Kampnagel, nur eben in der Elbphilharmonie.
Auf der einen Seite bedeutet das ein wesentlich größeres Publikum und diese ganz andere, besondere Akustik und Atmosphäre des Großen Saales, auf der anderen Seite aber auch gesalzene Ticketpreise. Weswegen ich in luftiger Höhe (16 U, Achtung, wichtiger Hinweis: Dafür muss man wenigstens einigermaßen schwindelfrei sein!) saß. Aufgrund der Dimension war die Veranstaltung zudem nicht annähernd so intim wie seinerzeit in der K2.
Welches Konzert mir besser gefallen hat? Schwierige Entscheidung. Fragt mich morgen nochmal. Ach nein, lieber nächste Woche. Morgen Abend sitze ich nämlich im Barbican Centre und lausche dem Saisoneröffnungskonzert des London Symphony Orchestra. Das ist gleichzeitig das Debüt von Sir Simon Rattle als neuem Chefdirigenten des LSO und – sorry, Mr. Rhodes, Verzeihung, Elphi – das wird ziemlich sicher mein musikalisches Highlight mindestens des Monats werden.
Ich bin seit 2014 großer Fan des Internationalen Sommerfestivals. Seinerzeit lockte mich Chilly Gonzales mit „The Shadow“ auf das Kampnagel-Gelände. Von der Festivalatmosphäre angefixt, hangelte ich mich im Anschluss von einem Highlight zum nächsten, darunter „Nufonia must fall“ von Kid Koala und mein allererstes Orchesterkaraoke mit den Jungen Symphonikern.
Da ist die Sommerstimmung, der jährlich neu formierte Avant-Garden und das große Foyer, in dem Künstler, Mitarbeiter und Besucher bunt durcheinander wuseln – bisweilen derart bunt, dass man sich trotz Verabredung verpassen kann -; alle Sorten Kunst kommen vor, mit vielen Sorten Mensch von überallher und die Kollegen von cohen + dobernigg offerieren die dazu passende Literatur. Mit einem Wort: Es ist großartig.
In diesem Jahr hatte das Sommerfestival ein Gesicht: Unter dem Hashtag #Juan2017 und mit dem Slogan „Mit Sicherheit unsicher“ dominierte das Konterfei des Kampnagel-Spitzenkandidaten Juan Dominguez das Gelände und gefühlt auch die halbe Stadt. Ein schönes Lehrstück darüber, wie man mittels massiver Plakatierung in kürzester Zeit gesichtsbekannt werden kann.
Der Festival Avant-Garden, gestaltet vom Studio für Experimentelles Design der HFBK Hamburg, glich einem Spiegelkabinett: Hinter den großen Wänden war unter anderem auch die Gastronomie versteckt, was einige Orientierungsprobleme mit sich brachte.
Nicht im Bild: Die splitternackten Skulpturendarsteller, die wetterbedingt zu zeitweisen Ausflügen in die Innenräume gezwungen waren. Die Aktion irritierte und amüsierte gleichermaßen. Den Ausruf „Huch, die sind ja echt!“ hörte ich mehr als einmal.
Meine Programmauswahl ist zwar auch nach vier Jahren immer noch sehr musiklastig, ich meide konsequent Performances mit (un-)freiwilliger Zuschauerbeteiligung und suche in erster Linie nach Unterhaltung und nicht nach Auseinandersetzung oder gar Provokation. Aber ganz allmählich verschiebt sich der Schwerpunkt von Musik Richtung Tanz und Theater. Es hilft dabei enorm, dass sich viele Festivalveranstaltungen nicht an gängige Genregrenzen halten.
Wer wie ich ein Ticket für die Deutschlandpremiere am ersten Festivaltag ergattert hatte, konnte als Nebeneffekt ein Gläschen Sekt zu den Eröffnungsredebeiträgen im Avant-Garden genießen. Gut zu wissen! Ich merke es mir fürs nächste Jahr.
Im Vorfeld war viel von einer Hommage an David Bowie die Rede. Tatsächlich wurde nur der letzte von insgesamt drei Akten mit der Musik Bowies untermalt. Die einzelnen Akte wurden durch eine kurze und eine lange Pause unterbrochen, obwohl das Stück mit einer knappen Stunde Nettolaufzeit nicht sonderlich lang war. Das war der Konzentration auf das Gesamtkunstwerk nicht förderlich. Mir ist es nicht gelungen, dem roten Faden zu folgen, der dem Projekt zweifelsohne zugrunde liegt. Dazu kamen verwirrende Informationen im Programmheft, bestes Beispiel: Dafür, dass der zweite Akt aus drei Teilen bestehen sollte, war er meines Erachtens viel zu kurz. Ist jetzt schon die große Pause oder kommt da noch was? Ich war mit diesem Fragezeichen nicht allein und die Begeisterung, die die Weltpremiere im Londoner Barbican Centre ausgelöst hatte, konnte ich nicht teilen. Mir war es zu glatt, zu streng und trotz der (kalkulierten?) Wackler im ersten Teil zu perfekt – um das böse Wort „langweilig“ zu vermeiden.
Von Langeweile konnte bei „The 2nd Season“ dagegen nicht die Rede sein. Dafür sorgte allein schon das Bühnenbild: Auf zweieinhalb Ebenen waren Puppenspieler, Tänzer und Musiker untergebracht, wobei dem Posaunisten Fred Wesley als Darsteller und Star des Abends ein herausgehobenes Plätzchen gewissermaßen zwischen den Welten reserviert war. Die Story hatte keine sonderliche Tiefe, aber Umsetzung und musikalisches Level verdienten das Prädikat Weltklasse.
Unter den Musikern war unter anderem das Kaiser Quartett anzutreffen, bekannt durch die Auftritte mit Chilly Gonzales (siehe oben) und dieser Tage auch anderweitig viel beschäftigt. Zumindest in einem Punkt mussten sich die vier Streicher auf Kampnagel nicht umgewöhnen, saß doch mit Josh Dolgin aka Socalled ebenfalls ein Kanadier am Flügel und gab den Ton an.
Philippe Quesne: Die Nacht der Maulwürfe
Es hilft beim Genuss eines Theaterabends ungemein, wenn man von vorneherein weiß, dass das Stück keine Handlung hat. „The Night of the Moles“ ist simpel, derb und grotesk, aber darüber ließ sich gut hinwegsehen: Bühnenbild, Requisite, Beleuchtung, Projektionen und vor allem Kostüme sowie die schauspielerischen und musikalischen Darbietungen (das Theremin!) boten ausreichend Faszination.
Neben den Auftritten in der K6 machten die Maulwürfe im Rahmen einer Parade außerdem noch Teile der Hamburger Innenstadt und die Elbphilharmonie-Plaza unsicher.
Apropos Elbphilharmonie. Als ich am zweiten Festivalsonntag einen nahezu verwaisten Avant-Garden vorfand, hatte ich kurzzeitig die terminliche Überschneidung mit dem MS Dockville in Verdacht. Dann erst fiel mir wieder ein, dass die Elbphilharmonie in diesem Jahr erstmals Spielstätte des Sommerfestivals war. Normalerweise hätten zu diesem Zeitpunkt endorphinbeglückte Besucher des Orchesterkaraokes das Kampnagel-Foyer geflutet. Stattdessen herrschte dort gähnende Leere, denn das Karaoke fand in der Elphi statt und von der Schwierig- bzw. Unmöglichkeit, an die Tickets zu kommen, möchte ich erst gar nicht anfangen. Künftig werde ich also wohl nicht nur die Kampnagel-Konzerte des NDR Elbphilharmonie Orchesters schmerzlich vermissen müssen. Sehr schade.
Wolfgang Voigt präsentierte sein Musikprojekt GAS in der kleinen K2, die trotz der Konkurrenzveranstaltung am prominenteren Ort einigermaßen gut gefüllt war. Die Mischung aus Projektionen und Liveelektronik war grundsätzlich stimmig und stimmungsvoll, aber ein bisschen weniger Wumms in der Anlage hätte den Ohren gutgetan. Ich wankte anschließend weniger narkotisiert als gerädert aus dem Saal.
Mein Beweggrund für den Besuch von „Your Highness“ war reine Neugier: Welche Form erhält ein zeitgenössisches Projekt, das sich mit Ballett- und Disneyprinzen bzw. -prinzessinnen beschäftigt? Die Antwort: Eine überraschend klassische, aber als Mittel zum Zweck. Die fünf Tänzerinnen und Tänzer tanzten und ironisierten gleichzeitig Standards aus klassischem Ballett und Versatzstücke der Disney-Welt im fließenden Übergang und das in einer technisch nahezu perfekten Ensembleleistung. Beklemmend und faszinierend. Kostüme und Bühnenbild taten das Übrige dazu. Einziger Kritikpunkt: Etwas kürzer hätte es ausfallen können. Es gab einen natürlichen Schlusspunkt, der dann doch keiner war. Das mag als taktische Publikumsverwirrung gedacht gewesen sein, schmälerte aber die Wirkung des Stücks ein wenig.
Verpasst habe ich neben dem Orchesterkaraoke und dem Konzert von Rufus Wainwright (Ach! Elphi!) leider auch Mocky and Friends. Wenn ich geahnt hätte, dass Chilly Gonzales dort als Gastmusiker… Aber es wird wohl nicht sein letzter Auftritt an der Jarrestraße gewesen sein. Und der nächste Sommer kommt bestimmt.
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