Jahresendspurt

Wie, schon der 21. Dezember?! Da werde ich doch noch ein weiteres Mal in den Schnelldurchlauf-Modus umschalten müssen. Bevor der Jahreswechsel mich kalt erwischt.

Ende Oktober war ich bei Kruder & Dorfmeister im Großen Saal der Elbphilharmonie. In den 90ern, als die beiden Wiener ihre große Zeit hatten, hat mich zwar ganz andere Musik interessiert. Es war aber nicht mein erstes K&D-Livekonzert. Ich wusste also in etwa, was mich auf und vor der Bühne erwarten würde. „‚The K&D Sessions‘ live“ war trotzdem anders: Das gesamte Album aus dem Jahr 1998 wurde nämlich tatsächlich live gespielt, mit einer richtigen Band. Das war auch richtig klasse, einigen im Publikum jedoch nicht laut genug. Zum Zuhören waren die nicht gekommen. Überrascht hat mich das nicht.

Die Ohren spitzen musste man unbedingt bei Jay Schwartzs „Passacaglia – Music for Orchestra IX“, dem ersten Stück des Konzerts von Teodor Currentzis und Utopia am gleichen Ort ein paar Tage später. Dem Programmheft entnahm ich, dass das Werk auf dem Lied „Du bist die Ruh“ von Franz Schubert basiert. Ein in dem Text verarbeitetes Zitat bezeichnet Schwartz zudem als „Schubert unserer Zeit“. Gehört habe ich davon nichts. Es ist meine zweite Begegnung mit Schwartzs Werken und ich gestehe, ich fange nicht viel damit an. Da ist Mahlers fünfte Sinfonie, der zweite Programmpunkt des Abends, doch wesentlich zugänglicher. Deren vierter Satz, das Adagietto, ist einem breiteren Publikum durch die Visconti-Verfilmung der Thomas Mann-Novelle „Der Tod in Venedig“ bekannt geworden. Mein Lieblings-Satz ist es nicht – ich finde, der klingt irgendwie, ich weiß nicht, verwaschen? Abgesehen davon fehlte mir beim Zuhören die Ruhe, denn zum ersten Mal seit langer Zeit hatte ich mich hinsichtlich gewisser Bedürfnisse gewaltig im Timing verschätzt. Ich schaffte es gerade noch zum Ende des fulminanten fünften Satzes, um dann beim ersten Applaus zum Ausgang zu sprinten. Pro-Tipp: Sitzt man in 13 I, ist das nächste stille Örtchen nicht in der 13. Etage, sondern die hintere Treppe hoch in der 15. Etage. Mit Dank an die freundliche Platzanweiserin, die meine Not mit einem Blick erkannte und mir den kürzeren Weg wies. Zur Bach-Zugabe „Jesus bleibet meine Freude“, gespielt und gesungen (!) vom Orchester (sehr schön!), war ich dann auch schon wieder im Saal.

Anfang November zog es mich zur Aufzeichnung einer „eat.READ.sleep“-Sonderfolge mit Daniel Kaiser und Katharina Mahrenholz im Rahmen des 17. Hamburger Krimifestivals auf Kampnagel. Das war mein drittes „eat.READ.sleep“-Live-Event und obwohl es beim Krimi-Spezial zu der ein oder anderen Holprigkeit kam (so zum Beispiel zu sich wiederholenden Fragen bei den Rätseln): Diese Veranstaltungen sind absolut empfehlenswert! Macht einfach Laune. Besonders habe ich den Fitzek-Verriss genossen. „Das Kalendermädchen“ erzielte hohe Werte auf der Rossmann-Skala. Ich hab da vielleicht nicht richtig aufgepasst, ist die eigentlich nach oben offen? Sollte sie wahrscheinlich besser sein. „Glückskekse und Abgründe“ kann man hier nachhören.

Tags darauf folgte eine Neuentdeckung (Mit freundlicher Unterstützung! Nochmals vielen Dank dafür!): die Klangmanufaktur in Borgfelde und deren Werkstattkonzertreihe „Kohärenzen“. Die Klangmanufaktur ist in erster Linie ist eine Werkstatt, in der Konzert­flügel von Steinway & Sons generalüberholt werden.

Sie bietet aber auch Flügel zur Miete, Proberäume und Seminare für Konzerttechnik an. Und eben Werkstattkonzerte. Da sitzt man sehr exklusiv buchstäblich mitten in der Klavierwerkstatt. Ein magischer Ort! Es wird aber keinesfalls nur Klaviermusik gegeben: An fraglichen Abend sahen und hörten wir eine Violin-Klasse von Professor Christoph Schickedanz und Niklas Liepe mit Flügelbegleitung (ein D-Flügel Baujahr 1971, Schwarz + Mahagoni seidenmatt geölt – sogar noch zu haben! Für 145.000 Euro!). Aufgeführt wurden Werke von Claude Debussy, George Antoine, Joseph Jongen und Karol Szymanowski. Das war phantastisch, da bin ich bestimmt jetzt öfters. Wer Karten für die „Kohärenzen“ haben möchte, muss sich allerdings jeweils sehr zeitig darum bemühen. Auch die Warteliste ist schnell ausgebucht. Der Eintritt ist kostenlos. Um Spenden wird gebeten und zwar ganz klassisch mittels eines Hutes, der nach dem Konzert herumgereicht wird.

Ende November war es dann endlich Zeit für die Rocket Men mit „Lost in Space“ im Planetarium Hamburg. A match made in heaven! Ich habe die Laser ein bisschen vermisst, aber wahrscheinlich war die Entscheidung richtig, sich zugunsten der Musik und der Künstler auf Visuals zu beschränken. Sehr gerne wieder so.

Anfang Dezember war ich spontan beim Kaiser Quartett im NACHASYL. Das ging schon gar nicht anders, denn auch das Konzert war recht spontan anberaumt worden. Das Kaiser Quartett wollte nämlich sein neues Mitglied präsentieren: Statt Adam Zolynski ist künftig Amanda Bailey an der Violine dabei. Da müsste übrigens nicht nur die offizielle Webseite des Quartetts dringend aktualisiert werden, auch der alte Spruch „4 Kings 1 Kaiser“ passt ja nun nicht mehr! Jedenfalls, Amanda Bailey spielte nicht nur, als gehörte sie schon immer dazu, sie sang auch, zum Beispiel den Song „Empire“. Eine sehr schöne Weiterentwicklung, ich bin Fan! Das neu formierte Ensemble hatte aber noch ein weiteres Ass im Ärmel: Mitten im Konzert trat Anna Depenbusch mit „Eisvogelfrau“ und „Alles auf Null“ auf die Bühne.

Dieser Coup hatte einen besonderen Hintergrund: Nächstes Jahr gehen alle fünf nämlich zusammen auf Tournee. Für das Konzert am 17. Juni 2025 in der Elbphilharmonie hatte ich bereits gleich bei Ankündigung eine Karte erstanden, denn das wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sehr, sehr großartig.

Das „Blind Date“ Mitte Dezember habe ich leider verpasst. So schnell wäre der ICE auch ohne medizinischen Notfall in Düsseldorf nicht gewesen, um mich von der Masterverleihung im Rheinland rechtzeitig nach Hamburg zurückzubefördern. Bedauerlicherweise bin ich die Karte im Vorfeld nicht mehr losgeworden. Das ist mir völlig unverständlich – „Blind Dates“ sind fast immer ausverkauft und fast immer super, da geht man doch hin, wenn man die Gelegenheit hat! Aber das „Orchesterkaraoke“ mit den Jungen Symphonikern Hamburg auf Kampnagel habe ich noch erwischt. Irgendwie ist mir da die Ankündigung durchgegangen (Wie? Warum?!), es wurde schon schwierig, noch einen guten Platz zu ergattern. Ich kann nur von der zweiten Show um 20:30 Uhr berichten, aber behaupte einfach mal: Das war ein sehr guter Jahrgang! Ich war besonders von dem Herrn angetan, der „Hallelujah“ von Leonard Cohen vortrug. Wow. Einen Abzug in der B-Note gebe ich dem Repertoire. Da darf gerne mal das ein oder andere ausgetauscht werden, vor allem in Teilen sehr schwer (mit-)singbare Stücke wie „Bad Guy“ von Billie Eilish und „Texas hold ‚em“ von Beyoncé.

Arbeitsplatz von Jan Wulf, der "lebenden Karaokemaschine"
Arbeitsplatz von Jan Wulf, der „lebenden Karaokemaschine“

Aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Grundsätzlich ist Orchesterkaraoke ein ganz großer Spaß und verlässlich dazu geeignet, die Stimmung zu heben.

Ich schließe den Schnelldurchlauf mit einem weihnachtlichen Konzertabend im Kleinen Saal der Elbphilharmonie ab: Unter der Überschrift „Nordic Christmas“ präsentierten Helene Blum (Gesang, Violine) und Harald Haugaard (Violine) mit Lena Jonsson (Violine), Kristine Elise Pedersen (Cello), Mattias Pérez (Gitarre) und Sune Rahbek (Schlagzeug) alte und moderne weihnachtliche Folkmusik aus dem Norden. Der Herkunft der überwiegenden Anzahl der oben genannten Künstlerinnen und Künstler geschuldet mit ausgewiesen dänischem Schwerpunkt. Musikalisch war das zwar top, aber von der Präsentation her mehr als nur ein bisschen drüber. Dazu passte auch das Programmblättchen: „Die Welt braucht Hoffnung. Hoffnung treibt alles an. Musik ist Hoffnung. Weihnachten ist Hoffnung. Gemeinschaft ist Hoffnung. Sich um das Licht und die Musik im Konzertsaal zu versammeln, während sich die Dunkelheit der Winternacht über das Land legt, zeigt uns, dass wir nicht allein sind und dass wir Hoffnung wollen.“. Naja. War schön, wird aber wohl keine regelmäßige Einrichtung. Was es theoretisch werden könnte, denn „Nordic Christmas“ ist eine Reihe, die im kommenden Jahr bereits in die 19. Auflage geht. Mit dem 18. Dezember 2025 steht der nächste Termin in der Elphi schon fest.

So! Jetzt kommen voraussichtlich noch zwei Nachträge und dann ist mein Konzert- und Kulturjahr 2024 Geschichte. Ob ich künftig wieder schaffen werde, regelmäßig und zeitnah darüber zu berichten?

Vienna Calling

Ich bin vorher schon zwei- oder dreimal in Wien gewesen, das letzte Mal vor über zwanzig Jahren. Wie die vorherigen Male war es damals eine Reise mit übersichtlichem Budget. Da fand ich Wien schon super. Wenn man aber ein etwas höheres Budget zur Verfügung hat und mitnehmen kann, wonach einem der Sinn steht, ist Wien noch viel superer. Denn günstig ist die österreichische Hauptstadt nicht. Zumindest nicht, wenn man im oder nahe des 1. Bezirks wohnen, Top-Sehenswürdigkeiten mitnehmen und in die Oper, ins Konzert und auch mal nett Essen gehen will. Dieses Mal wollte und konnte ich das alles – was für ein Luxus!

Die Reise bestand aus zwei Abschnitten: einer Studienfahrt und einem privaten Teil, wenn auch mit teils fließenden Übergängen. Zur Studienfahrt gehörten unter anderem Termine beim Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik, der Konrad-Adenauer-Stiftung, der FH Campus Wien, der OSZE und dem Bundesministerium für Landesverteidigung. Ein Mittagessen im und eine Führung durch das österreichische Parlament standen ebenfalls auf dem Programm.

Pallas-Athene-Brunnen
Pallas-Athene-Brunnen
Kunst im Parlament
Kunst im Parlament

Das historische Gebäude an der Ringstraße wurde 2018 bis 2022 umfassend saniert. Mit der Sanierung war eine weitgehende Öffnung des Hauses verbunden. Seither gibt es neben Führungen ein noch umfassenderes Angebot zur Demokratiebildung, einen Ausstellungs- und Erlebnisbereich („Demokratikum“) und einen Parlamentsshop; das Volk kann in der Parlamentsgastronomie essen und in der Parlamentsbibliothek lernen und arbeiten. Man darf im Rahmen einer Führung sogar in den Sälen des National- und des Bundesrates auf den Stühlen Platz nehmen (ich weiß jetzt, wie ein österreichischer Vizekanzler sitzt). Nur die Bestuhlung des historischen Sitzungssaals bleibt abgesperrt, um die ebenfalls historische Möblierung zu schützen. Er wird überhaupt auch nur bei besonderen Anlässen verwendet, zum Beispiel, wenn die Bundesversammlung zusammentritt.

Historischer Sitzungssaal
Historischer Sitzungssaal

Mich hat das Gebäude, vor allem aber die Offenheit des Gebäudes tief beeindruckt. Ja, ich weiß, den Reichstag in Berlin kann man auch besuchen, ich war selbst mehrfach dort. Aber ein offenes Haus im österreichischen Sinne ist der Bundestag nicht.

Was unbestritten zum Flair der Stadt gehört und in jedem Reiseführer Erwähnung findet ist die berühmte Wiener Kaffeehauskultur. So richtig konnte ich mich damit bisher nicht anfreunden. Ich bin an sich keine Kaffeehaussitzerin; ich kaufe meinen Kuchen gerne „to go“ und fläze mich damit aufs Sofa.

FENSTER CAFE
FENSTER CAFE

In Wien könnte ich mir das Kaffeehaussitzen aber glatt angewöhnen. Diese ganz spezielle Atmosphäre des In-Gesellschaft-in-Ruhe-gelassen-werdens hat schon ihren Reiz. Ich testete unter anderem das Café Museum, das Café Leopold Hawelka und das Café Prückel und obwohl ich im Museum den wahrscheinlich besten Apfelstrudel meines bisherigen Lebens genießen durfte, hat das Prückel mein Herz erobert. Im Keller gibt es sogar ein Theater!

Kaiserschmarren mit Zwetschkenröster im Prückel
Kaiserschmarren mit Zwetschkenröster im Prückel

Wo war ich noch? In der Österreichischen Nationalbibliothek natürlich. Neben dem ganz normalen Bibliotheksbetrieb gehören zu dieser fünf verschiedene Museen sowie das Haus der Geschichte Österreichs. Ich entschied mich für das Globenmuseum im Palais Mollard und den barocken Prunksaal. Beides sehr empfehlenswert.

Globenmuseum
Globenmuseum
Prunksaal
Prunksaal

Falls ich künftig in die Verlegenheit kommen sollte, den Begriff „barockes Gesamtkunstwerk“ erklären zu müssen, werde ich einfach immer auf dieses Bauwerk verweisen. Wahnsinn! Nur die Sonderausstellung hat mir nicht gefallen. Beziehungsweise, dass es dort überhaupt Sonderausstellungen gibt. Der Star ist doch der Saal, da wirkten die Exponate irgendwie störend.

Zum Thema Reisebudget sei erwähnt, dass der reguläre Eintritt in das Kunsthistorische Museum stolze 21 (in Worten: einundzwanzig) Euro kostet. Dafür kann man aber auch überall hin. Zumindest theoretisch, denn Richtung Gastronomie bildete sich bald eine beeindruckende Schlange und ohne reservierten Timeslot waren die Chancen auf einen Blick in die Rembrandt-Sonderausstellung äußerst gering. Weil diese Option ausgebucht war, schloss ich mich spontan einer Führung an. Dafür musste ich zwar noch einmal zehn Euro auf den Tisch legen. Dafür kam ich aber mit der Gruppe an der Schlange vorbei in die Ausstellung und in den Genuss kompetenter Erläuterungen. Davon bin ich bei bildender Kunst nämlich abhängig, wenn es mir jenseits des bloßen Konsums darum geht, zu verstehen und einzuordnen. Hat sich gelohnt in diesem Fall.

Rembrandt Harmenszoon van Rijn (Selbstportrait)
Rembrandt Harmenszoon van Rijn (Selbstportrait)

Vorher hatte ich noch Gelegenheit, mich in der Kunstkammer umzusehen. Die Kunstkammer Wien beherbergt historische Sammlungen adeliger und königlicher Persönlichkeiten und gilt als Wiege des heutigen Museums. Es fällt schwer, unter den vielen spektakulären Objekten einen Favoriten zu küren, aber mir ist es gelungen!

In der Kunstkammer
In der Kunstkammer

Das ist ein Automat in Form einer Galeone von Hans Schlottheim, datiert auf das Jahr 1585. Hier kann man das gute Stück in Aktion erleben:

Fehlen noch die beiden musikalischen Höhepunkte der Reise. Ins Haus des Musikvereins trieb mich hauptsächlich, dass ich gerne einmal ein Konzert im Goldenen Saal besuchen wollte. Das ist der Saal, in dem die Wiener Philharmoniker das alljährlich in zig Länder übertragene Neujahrskonzert spielen. Die Philharmoniker passten leider nicht ins Programm, aber dafür das ORF RSO Wien unter der enthusiastischen Leitung von Maxime Pascal und mit Truls Mørk als Solist am Violoncello.

Musikverein Wien
Das ORF RSO Wien mit Maxime Pascal beim Musikverein Wien

Gegeben wurden Werke von Arnold Schönberg, Henri Dutilleux und Claude Debussy sowie eine Solistenzugabe von Benjamin Britten. Das hat mir ausnehmend gut gefallen. Schade, dass das Konzert nicht ausverkauft war. Richtig gut ist, dass man in den vorderen Parkett-Logenplätzen auf Höhe des Bühne sitzt. Man hat dadurch noch mehr als in anderen Häusern das Gefühl, Teil des Orchesters zu sein. Der Platz war auch gar nicht so teuer – ok, schon teuer, aber nicht absurd teuer.

Ganz andere Preise werden dagegen in der Wiener Staatsoper aufgerufen. Schon die Führungen schlagen mit 15 Euro zu Buche. Dafür sind sie generalstabsmäßig organisiert und in mindestens fünf Sprachen verfügbar. Wenn man eine Aufführung besucht und nicht nur hören, sondern auch etwas sehen möchte, sollte man am Eintrittspreis dennoch nicht sparen. Günstige Tickets gibt es auch – ich habe auf solchen Plätzen schon gesessen – aber dann ist es halt mehr Hörspiel als Oper.

Wiener Staatsoper
Wiener Staatsoper

Diesen Blick von der Mittelloge habe ich aber auch nur bei der Führung dokumentieren können.

Wiener Staatsoper
Wiener Staatsoper

Die Aufführung – Giuseppe Verdis „Macbeth“ in der 2020er Inszenierung von Barrie Kosky – habe ich aus einer Perspektive ein Stockwerk höher und etwas seitlicher gesehen. Dabei führte das Hauspersonal ein strenges Regiment, unter anderem mit sehr klaren Ansagen bezüglich Handynutzung und Geräuschvermeidung. Das hat entscheidend zu einem weitgehend ungetrübten Operngenuss beigetragen und fand daher meine volle Unterstützung. Gerald Finley und Anastasia Bartoli als Macbeth und Lady Macbeth haben mich nicht nur gesanglich, sondern vor allem darstellerisch überzeugt. Ich mochte die düstere Inszenierung mit dem sehr reduzierten Bühnenbild, nur die merkwürdige Nude-Kostümierung des (Bewegungs-)Chors hat mir nicht zugesagt. Zum Raum: Was für eine phänomenale Akustik! Und was für ein geniales Über- beziehungsweise Untertitelsystem! An jedem Platz, auch den Stehplätzen, gab es kleine Displays, auf denen es Informationen zum Programm in zwei und Untertitel in acht Sprachen zu lesen gab. Gesehen hat man dabei nur den eigenen Bildschirm und wenn man gewollt hätte, hätte man das Teil auch einfach eingeklappt und ungenutzt lassen können. Großartig. Wann gibt es das in Hamburg?

Lipizzanerhengst
An der Spanischen Hofreitschule

Aus dieser Wien-Reise hätte ich gut und gerne eine mehrteilige Rückschau schnitzen können, ähnlich wie ich es mit meinen Besuchen in London getan habe. Aus Zeitgründen verzichte ich dieses Mal darauf. Ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen und mehr Muße für die Nachbereitung im Anschluss.

Frühlingserwachen mit Hindernissen

Das erste Märzkonzert (Martin Kohlstedt/Kampnagel) wurde auf April 2023 verschoben.

Das zweite Märzkonzert (Grandbrothers/Kampnagel) wurde auf Oktober 2022 verschoben.

Zum dritten Märzkonzert (City of Birmingham Symphony Orchestra, Sheku Kanneh-Mason, Mirga Gražinytė-Tyla/Elbphilharmonie) hatte es mich hauptsächlich der Dirigentin wegen verschlagen. Die Dirigentin aber hatte Corona und mit dem Ersatz (Vassily Sinaisky) bin ich nicht warm geworden. Ebensowenig mit dem Solisten (Sheku Kanneh-Mason). Letzteres lag zum einen an dem sperrigen Programmpunkt (Dmitri Schostakowitschs Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 126) und zum anderen daran, dass das Cello schlicht schlecht zu hören war. Zumindest von meinem Platz in 15 Q aus.

Das vierte Märzkonzert (vision string quartet/Elbphilharmonie) war eine sichere Bank, selbst mit neuem Primarius, selbst mit Auswechselspieler in der „klassischen“ ersten Programmhälfte und der zweiten Violine als eingespieltem Track in der zweiten „Pop“-Hälfte und ungeachtet der Tatsache, dass ich die gesamte „Pop“-Hälfte mit Stücken aus dem 2021 erschienenen Album „SPECTRUM“ mitsamt der Anmoderationen bereits kannte. Die Jungs sind einfach so gut. Punktum.

Das fünfte Märzkonzert (Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Elena Bashkirova, Marzena Diakun/Elphilharmonie) startete verhalten, steigerte sich dann aber mit jedem Programmpunkt: von Eduard Resatschs kurzfristig aufgenommenen Stück „Ukrainia – den Opfern des Krieges“ über Debussy und de Falla bis zur Sinfonie Nr. 3 H 299 von Bohuslav Martinů. Ich werde meinen Aboplatz in 13 F vermissen.

Das sechste Märzkonzert (Bodo Wartke/Laeiszhalle) fand krankheitsbedingt ohne mich statt. Zweimal verschoben und dann doch noch verpasst. Großer Mist.

Das erste Aprilkonzert (SWR Symphonieorchester, Antoine Tamestit, Teodor Currentzis/Elbphilharmonie) kann ich hoffentlich wieder besuchen.

Im Rückstand

Ich wage es kaum zu erwähnen, aber ich bin schon wieder im Rückstand. Die Schreiberei kommt einfach nicht in Gang und flüssig ist auch etwas anderes. Aber eine Kurzfassung der letzten drei Kulturereignisse muss wenigstens sein!

Den Anfang macht das erste „Blind Date“ der Saison, welches sich als ein Auftritt des GrauSchumacher Piano Duos entpuppte. Gegeben wurden ausnahmslos Musikstücke, die für vier Hände komponiert beziehungsweise arrangiert wurden, teils an einem, teils an zwei Flügeln. Die Instrumente wurden erst kurz vor dem Konzert auf die Bühne gerollt, sodass sich auch noch bei Betreten des Kleinen Saals der Elbphilharmonie keinerlei Anhaltspunkt für das Folgende ergab – Spannung bis buchstäblich zur letzten Minute. Mir haben die Stücke von Ravel („Rapsodie espagnole“), Messiaen (eine Auswahl aus „Visions de l’Amen“) und Debussy („Nuages“ und „Fêtes“ aus „Nocturnes“, für Klavier arrangiert, wiederum von Maurice Ravel) ausnehmend gut gefallen. Nur der Schubert dazwischen wollte nicht recht dazu passen.

Gefallen haben mir auch die Erläuterungen zu den einzelnen Stücken. Allerdings hätten die beiden Künstler dabei bedenken sollen, dass das „Blind Date“-Publikum in der Regel ziemlich bunt und nicht zwingend formal musikalisch vorgebildet ist. Ich habe mindestens zwei Konzertbesucherinnen beobachtet, die augenscheinlich eher abgeschreckt als angesteckt waren.

Zu „The Nose“ von Jessica Nupen kam ich zufällig. Da war eine Karte übrig, das nimmt man doch gern mit! Beschrieben war die Veranstaltung in der K6 auf Kampnagel als hybride Filminstallation, weswegen ich zunächst etwas enttäuscht war, dass neben einigen Musikern nur eine einzige darstellende Person tatsächlich auf der Bühne zu sehen war (und das auch nur sehr sporadisch). Der Clou des gezeigten und live musikalisch begleiteten Films war die Projektion desselben auf vier Bühnenbildelemente, die in immer neue Konstellationen bewegt wurden.

Weitere Erhellung brachte das Künstlergespräch mit Jessica Nupen nach der Aufführung. Wenn man um die Umstände der Produktion und die zeitliche Abfolge bis zur tags zuvor stattgefundenen Uraufführung weiß, begreift man die Darstellung als ein reines Wunder. Hut ab vor so viel Kreativität, Energie, Flexibilität und Nervenstärke! Vielleicht findet sich ja doch noch ein Opernhaus, das sich dieser Inszenierung annimmt. Im Gespräch erwähnte Nupen übrigens auch das Ringen mit Josh Dolgin aka Socalled um Libretto und Musik für „The Nose“, genauer: um die Überwindung der Diskrepanz zwischen einem weißen, jiddischen, kanadischen Musiker und der schwarzen, südafrikanischen Nase in Nupens Choreographie. Für mich hatte sich diese Diskrepanz nicht nur nicht aufgelöst, ich empfand sie auch als unschlüssig und störend. Was aber an meiner grundsätzlichen Wertschätzung der künstlerischen Leistung nichts ändert.

Und dann war da noch Anne-Sophie Mutter und ihr Stipendiaten-Ensemble Mutter’s Virtuosi. Mutter stand schon lange auf meiner „muss ich unbedingt live gesehen/gehört haben“-Liste. Ich hatte sogar schon eine Karte für ein Konzert zusammen mit Martha Argerich in der Laeiszhalle ergattert, aber, ach, die Pandemie. Ohne den ebenfalls pandemiebedingt gestaffelten Vorverkauf von ProArte wäre es mir aber vermutlich auch nicht gelungen, ein erschwingliches Ticket für das Konzert am 1. November im Großen Saal der Elbphilharmonie zu erstehen. Zumal dieses noch im 3G-Modus stattfand, also mit weniger buchbaren Plätzen, dafür aber viel Beinfreiheit und einer deutlich verringerten Störgeräuschkulisse. Letzteres war für den Genuss der Darbietungen von Mutter und ihren Virtuosi zweifelsohne von Vorteil.

Das Vivaldi-Concerto, die „Gran Candeza“ von Unsuk Chin und der Mozart, das war alles schon ziemlich erstklassig. Aber dann, nach der Pause, kamen die „Vier Jahreszeiten“.

Eigentlich möchte ich die „Quattro Stagioni“ nun nie mehr anders hören als in der Interpretation von Anne-Sophie Mutter und mit kleinem Streichensemble (das Cembalo natürlich nicht zu vergessen – Knut Johannessen!). Uneigentlich auch nicht. Ebenso hin- wie mitreißend und keine Sekunde lang abgedroschen. Bei einem überbekannten, inflationär oft gespieltem Stück ist das nicht nur keine Kleinigkeit, sondern schlicht eine Meisterleistung. An sich erwartet man nicht weniger von einer Ausnahmegeigerin, aber eine solche Erwartung derart grandios erfüllt zu sehen, ist meiner Erfahrung nach alles andere als selbstverständlich.

Was kommt als nächstes, wie geht es weiter? Die Corona-Inzidenzen steigen und steigen und immer mehr Veranstalter stellen auf das 2G-Modell um. Im November werde ich wohl dennoch noch zwei Konzerte im 3G-Modus erleben. Das hoffe ich zumindest sehr. Weil, wegen Mirga Gražinytė-Tyla und Teodor Currentzis!

In Concert: Martha Argerich und Daniel Barenboim in der Laeiszhalle

Als mittlerweile regelmäßige Besucherin von klassischen Konzerten weiß ich inzwischen, wie der Hase läuft: Wenn Stars zusammen mit einem Orchester angekündigt werden, bestreiten sie höchstens einen kleinen Teil des Programms. Sol Gabetta spielt Schostakowitsch und verschwindet anschließend, um dem NDR Elbphilharmonie Orchester mit Dvořáks neunter Sinfonie das Feld zu überlassen, bei Daniel Hope ist es Alban Bergs Violinkonzert, der Rest des Abends gehört den Philharmonikern und Johannes Brahms.

Dass allerdings beim Konzert vorletzte Woche in der Laeiszhalle zu Anfang weit und breit kein einziger Flügel zu sehen war, erzeugte bei mir einen Anflug von schlechter Laune. Schließlich war es nicht zuletzt dem Staraufgebot geschuldet, dass mein übliches Ticketbudget nur für einen sichteingeschränkten Platz im zweiten Rang gereicht hatte.

Aber dann kamen Guy Braunstein, Alisa Weilerstein und Rafael Payare mit den Symphonikern, begannen das Doppelkonzert „à la mémoire d’un grand artiste“ nach dem Klaviertrio op. 50 von Tschaikowsky und spätestens bei der zweiten Variation – streng genommen sind es vermutlich Sätze, aber dieser Terminus passt besser zu dem, was ich gehört habe – verschwand dieser Anflug restlos. Bis heute ist mir nicht eingefallen, in welchem Zusammenhang mir Rafael Payare zuvor begegnet ist, aber der Mann hat jetzt mindestens einen Fan mehr. Grandios!

Im zweiten Konzertteil tauchten dann die Flügel auf und mit ihnen die Stars des Abends. Leider erwies sich bei den leiseren Tönen, dass nicht allein der Elbphilharmonie das zweifelhafte Privileg zukommt, benimmbefreite Konzertbesucher zu beherbergen. Ich hätte rundherum Schienbeine eintreten mögen, da oben im zweiten Rang, auf den billigen Plätzen. Dennoch werden mir die drei Werke von Schumann und Debussy als ganz besonderes, ja unvergessliches Konzertereignis im Gedächtnis bleiben. Eine zauberhaftere Version von „Prélude à l’après-midi d’un faune“ werde ich wahrscheinlich nicht mehr zu hören bekommen.

Das Festival „Rendezvous mit Martha“, so hörte ich, wird wohl im nächsten Jahr wiederholt. Zur Neuauflage der Begegnung Argerich/Barenboim in Hamburg, sollte es dazu kommen, werde ich mir einen besseren Platz gönnen. Ich weiß nun: Es lohnt sich. Selbst für eine Konzerthälfte.

In Concert: Barbara Hannigan und Ludwig in der Elbphilharmonie

Ich war ja diese Woche auch noch bei Barbara Hannigan und Ludwig in der Elbphilharmonie und komme einfach nicht dazu, darüber zu schreiben. Dabei war das so toll. Der Debussy, die „Verklärte Nacht“, die Lulu-Suite sowieso und erst recht der Gershwin.

Wer sich von Barbara Hannigan als Dirigentin ein genaueres Bild machen will, sollte sich unbedingt die Dokumentation „Premières répétitions“ anschauen, die bis zum 12. Januar 2018 in der arte-Mediathek abrufbar war.

In Concert: Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg in der Laeiszhalle

„Ich liebe unsere Laeiszhalle“, hat Kent Nagano vorhin gesagt. Aber in Wirklichkeit ist er ganz wild darauf, sich demnächst in der Elbphilharmonie austoben zu können. Im nächsten Jahr wird es so weit sein (Pssst: irgendwas mit Mahler). Uh, das wird teuer – aber da muss ich wohl mit. Mein Vorsatz für die kommende Spielzeit lautet nämlich: mehr Philharmonisches Staatsorchester Hamburg.

Zum heutigen Abend (6. Philharmonisches Konzert): Eine Schwäche für Debussy habe ich sowieso, vielleicht werde ich diesem Leben doch noch Fan von Béla B. und „Le Sacre du Printemps“ ist schlicht & einfach ein saugeiles Stück. Oder, wie Chilly Gonzales sagen würde: „Hashtag #TeamStravinsky!“