Alle Tassen Antifa

Ich möchte an dieser Stelle gerne noch schnell klarstellen, dass ich mich zu den linken beziehungsweise in meinem Fall hauptsächlich grünen Spinnerinnen und Spinnern rechne. Zu diejenigen, die nicht alle Tassen im Schrank haben. Die, die der voraussichtlich nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland knapp vor der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag mit dieser Wortwahl noch schnell eben derbe beleidigt hat (von weiteren diskussionswürdigen Begrifflichkeiten dieses Ausbruchs ganz zu schweigen). Im Münchner Löwenbräukeller, of all places.

Eichhörnchen gegen rechts!

Jedenfalls war ich am Tag vor der Wahl noch schnell auf zwei Demos „gegen Rechts“ und auf beiden war die CDU des Friedrich Merz zweifelsohne mitgemeint. Wohlgemerkt und von einer der Rednerinnen auf Demo Nr. 1 auch ausdrücklich betont: nicht die CDU als Ganzes, obgleich man zurzeit von einer Nicht-Merz-CDU bedauerlicherweise nicht viel merkt. Diese Demonstrationen, ich erwähnte es auch schon auf Mastodon und Bluesky, wurden unter anderem organisiert von Fridays For Future, diversen Gewerkschaften, der Caritas und dem Mieterverein, der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (!), weiteren zivilgesellschaftlichen und Umweltorganisationen sowie unzähligen Kulturschaffenden.

Lessing gegen rechts!

Ich fühle mich somit in guter Gesellschaft in meinem Schicksal des links und/oder grün verspinnerten nicht alle Tassen im Schrank habens. Fortan als Kompliment zu denken!

Wahrscheinlich würde ich das hier nicht wiederholen, wenn ich nicht auch mitbekommen hätte, dass die Polizei in Bayern neuerdings „Gegen CDU und CSU“ als eigenes Schlagwort für die Einsatzplanung rund um solche Demonstrationen gegen den Rechtsruck verwendet. Und dass die CDU/CSU-Fraktion mit Datum vom gestrigen Dienstag eine kleine Anfrage (BT-Drs. 20/15035) an die noch amtierende Bundesregierung gestellt hat, die 551 Fragen zur „Politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ enthält. Darunter befinden sich die „Omas gegen Rechts“, die Amadeu Antonio Stiftung, CORRECTIV, das Netzwerk Recherche, die Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace und der BUND. Die jüngsten Proteste gegen die CDU Deutschlands werden als Hintergrund genannt. Als Quelle ist unter anderem ein Meinungsartikel der WELT angegeben, in dem von einem Schattenstaat oder „‚Deep-State‘, wie er im Buche steht“ bestehend aus „angeblichen NGOs“ die Rede ist, „die sich als Vertreter der Zivilgesellschaft und Retter der Demokratie ausgeben, obwohl sie faktisch Fortsetzungen des Staatsapparates verkörpern.“

Hinter einem solchen Verhalten darf man wohl mehr als Wahlkampfgetöse, bloße Rachsucht oder Dünnhäutigkeit vermuten. Dafür passt es zu gut zu dem, was uns schon bekannt ist: aus eigener Vergangenheit, aktuell – wenn auch mittlerweile schon über einen längeren Zeitraum – aus europäischer Nachbarschaft und ganz akut zugespitzt auch aus den USA.

In Concert: Evgeny Kissin, Thomas Hengelbrock und das NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie

Da saß ich also mal wieder in der Elbphilharmonie und wollte mich eigentlich den musikalischen Darbietungen von Evgeny Kissin und dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Thomas Hengelbrock widmen.

Das Konzert begann pünktlich um 18 Uhr mit dem 2. Klavierkonzert von Béla Bartók und obwohl ich das Stück bisher nicht kannte und kein besonderer Bartók-Fan bin, bekam ich recht schnell eine Ahnung, warum Evgeny Kissin schon im zarten Alter von Mitte 40 als lebende Legende bezeichnet wird. Diese verfestigte sich durch die Zugabe, der Prélude cis-moll op. 3 Nr. 2 von Sergei Rachmaninoff. Einem Stück, mit dem mich einst auch mein Klavierlehrer zu quälen versuchte. Was mir damals sehr geholfen hätte: eine Aufnahme von jemandem zu hören, der das wirklich gut kann. Live ist natürlich noch besser. Nicht obwohl, sondern gerade weil mir Kissins Vortrag an der ein oder anderen Stelle ein wenig zu geziert erschien – kann man machen, hätte ich aber so nicht.

In der Pause leuchteten im Großen Saal die Smartphone-Bildschirme auf. Überall wurden die ersten Prognosen zum Ergebnis der Bundestagswahl 2017 abgerufen und diskutiert. Es passierte das Unvermeidliche: „13%! Das ist doch schon mal gut“, kommentierte eine Dame in der Reihe direkt vor mir, bevor sie ihren Sitz verließ.

Was macht man da? Ihr übers Kleid kotzen, wie ich spontan auf Twitter vorschlug? Was mir zwar einigen Beifall einbrachte, aber letztlich reichlich albern ist. Das ist, was man an Hilflosigkeiten von sich gibt, wenn man zwar mit dem Einzug einer Nazifraktion ins Bundesparlament gerechnet hat, aber wahrlich nicht in dieser Stärke.

Vor einigen Monaten hatte ich noch laut darüber nachgedacht, Angela Merkel bzw. der CDU meine Stimme zu geben und meine Skepsis gegenüber der SPD-Spitzenkandidatur von Martin Schulz geäußert. Ich habe ersteres dann doch nicht getan und mit letzterem (leider) recht behalten. Aber stärker als noch beim Amtsantritt des 45. Präsidenten der USA beschleicht mich jetzt das Gefühl, dass alle paar Jahre meine Kreuzchen zu machen allein nicht mehr ausreicht. Dass ich tun sollte, was ich bisher kategorisch ausgeschlossen habe: nicht mehr bloß passiver Anhänger der Demokratie zu sein, sondern Mitglied einer ausgewiesen demokratischen Partei zu werden. Mit diesem Gedanken, so stellte ich schnell fest, befinde ich mich in guter Gesellschaft, zumindest innerhalb meiner Filterblase.

Zurück zum Konzertabend. Es folgte Gustav Mahlers 1. Sinfonie in D-Dur (in der Hamburger Fassung, aber ohne den 2. Satz „Blumine“). Mir war durch die aktuellen Ereignisse und eine leichte Ermattung als Nachwirkung der Londonwoche leider ein wenig die Konzentration abhandengekommen, aber eines kann ich erneut durch Erfahrung bestätigen: Ganz oben, auf den billigen Plätzen, ist der Elphi-Sound grandios. Und das NDR Elbphilharmonie Orchester kennt sich mittlerweile sehr gut aus in seinem neuen Zuhause.