Internationales Sommerfestival 2022 auf Kampnagel

Sommer, Sonne, August – Sommerfestivalzeit! Es war das erste „uneingeschränkte“ Sommerfestival seit 2019, ein Umstand, den keiner der Rednerinnen und Redner bei der Eröffnung zu erwähnen ausließ. „Uneingeschränkt“, das bedeutete konkret: keine Maskenpflicht, keine Beschränkung bei den Zuschauerzahlen und ein offener Avant-Garten.

Mit einer Maskenpflicht hätte ich persönlich gut leben können; die Freiwilligenquote war trotz Corona-Sommerwelle bedauerlicherweise nicht sehr hoch.

Aber zum Programm!

Tagesprogramm
Tagesprogramm

Oona Doherty: Navy Blue

Als phantastischer und sehr berührender Einstieg entpuppte sich das Eröffnungsstück „Navy Blue“ von Oona Doherty.

Der von Doherty höchstselbst verfasste Text, der im hinteren Teil des Stücks zu Jamie xx und tänzerischer Performance vorgetragen wurde, hätte mich für sich genommen zwar nicht überzeugt. Als Soundtrack funktionierte er aber hervorragend.

Kid Koala: The Storyville Mosquito

Kid Koalas „Nufonia Must Fall“ hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ich mich seit 2014 immer wieder und mit Begeisterung in die Sommerfestival-Programme stürze. Umso größer war meine Freude, als ich auf der diesjährigen Liste erneut ein detailverliebtes Puppenstück aus der Feder von Eric San vorfand.

Die Story von „The Storyville Mosquito“ ist schnell erzählt, da Nebensache: Mosquito kommt in die große Stadt, träumt von einem Durchbruch als Musiker, verliebt sich, wird von einem Widersacher gemobbt und enttäuscht, findet aber letztlich doch noch sein Glück. Es ist die überbordend kreative, liebevolle Umsetzung als live gespielter beziehungsweise aufgeführter Film, die die Hauptrolle spielt. Fast alle dazu erforderlichen Miniatursets waren für das Publikum während der Aufführung gut einsehbar, wodurch auch das Entstehen der „Special Effects“ transparent wurde. Dazu noch eine Handvoll Hamburg-Bezüge und – Eichhörnchen! Ich war wieder sehr verliebt.

Das anschließende Konzert in der kmh begann ebenfalls verheißungsvoll, wenn auch leicht verspätet. Allerdings empfand ich die Darbietungen von Kid Koalas Special Guest, der US-amerikanischen Musikerin Lealani, bei wiederholtem Antritt als zunehmend anstrengend. Schließlich fiel der Sauerstoffgehalt der zum Schneiden dicken Luft in der Halle unter mein kritisches Level und ich musste die Segel streichen. So verpasste ich leider die Übernahme des DJ-Pults durch Jacques Palminger. Josh Dolgin alias Socalled war bei dem als „Gipfeltreffen von drei Legenden des musikalischen Entertainments“ angekündigten Event erst gar nicht angetreten. Coronabedingt, wie ich später erfuhr.

Brandt Brauer Frick

Anders erging es mir beim Auftritt von Brandt Brauer Frick ein paar Tage später an gleicher Stelle.

Brandt Brauer Frick
Brandt Brauer Frick

Seit der ersten Begegnung 2014 im Boiler Room waren mir die drei Herren in guter Erinnerung geblieben. Vollkommen zu Recht. Das war klasse!

Socalled & Friends: TIME – The 4th Season feat. Miwazow

Im Gegensatz zu Falk bin ich der Meinung, dass das Musical um Bär, Tina und Co. mit der vierten Season gut und gerne abgeschlossen sein (und bleiben) darf. Wenn man die Story eines Puppenmusicals ohne den Abendzettel nicht mehr versteht, dann – spätestens! – sollte man es gut sein lassen. Andererseits: die Musik! Großartig, so wie jedes Mal („Na wie geiht di dat“-Ohrwurm summend ab).

Apropos, nebenbei konnte ich aus erster Hand in Erfahrung bringen, dass das unvermeidlicherweise unter den Socalled-„Friends“ befindliche Kaiser Quartett im Februar 2023 ein neues Album herausbringen und demnächst im Kleinen Saal der Elbphilharmonie auftreten wird.

But I’m awake

Die mit „Identity, Vulnerability and Empowerment“ untertitelte Fotoausstellung in der Vorhalle fand in Kooperation mit den Deichtorhallen und der Phototriennale statt.

But I'm awake
But I’m awake

Zu mir hat kein einziges der ausgestellten Bilder gesprochen. Mir fehlt da schlicht der Zugang.

Gus van Sant: Trouble

Ein Musical über Andy Warhol von einem bekannten Filmregisseur ohne jegliche Theatererfahrung – what could possibly go wrong?

Eine ganze Menge, wie sich herausstellte. Ich mochte zwar das Ensemble – für sich genommen entzückend in seiner Naivität -, den Soundtrack und die Ausstattung, aber damit ist ein dermaßen flaches Stück nicht zu retten. Wo war da der „Trouble“? Erschreckend eindimensional und das bei dem Stoff! Schade.

Cuqui Jerez: Magical and Elastic

Keine Handlung, sondern eine Dekonstruktion derselben mit Musicalfragmenten: So habe ich „Magical and Elastic“ verstanden. Ich fand es mindestens amüsant. Die Angelegenheit hatte nur leider absurde Längen und je eine Laber- und eine Kicherfraktion im Publikum waren dabei nicht hilfreich. Es ist lange her, dass ich so viele Leute mittendrin ein Stück habe verlassen sehen. Gefühlt noch knapp die Hälfte klatschte nach über zwei Stunden mit nahezu verzweifelter Hartnäckigkeit das Ende herbei. Das hätte toll sein können. Klassischer Fall von verschenkt.

Boy Division im Migrantpolitan
Boy Division im Migrantpolitan
Solicasino
Solicasino
Solicasino
Solicasino

Wie schon im letzten Jahr waren JASCHA&FRANZ wieder für die Gestaltung des Avant-Garten verantwortlich.

Bubbles!
Bubbles!

Letztes Jahr war ich nicht begeistert. In diesem Jahr fand ich den Garten:

Sehr O.K.
Sehr O.K.

Wenn auch ein wenig verwaist an manchen Abenden. Außer, wenn die Kopfhörer-Party „RADIO ATOPIA“ von JAJAJA auf dem Terminplan stand. Nur gab es leider nicht genügend Kopfhörer. Ich bin bei jedem einzelnen Versuch leer aus- und schließlich nicht mehr hingegangen. Aber irgendwas ist immer und diese Marginalie ist irgendwo zwischen „Abzug in der B-Note“ und „Jammern auf hohem Niveau“ abzulegen.

Sommerfestival, my love!

In Concert: Boiler Room „Stay True Germany“ im REE Location

Das war also gestern der Boiler Room. Ok, dem Vernehmen nach nicht der „echte“ Boiler Room, sondern etwas, was sich „Stay True Germany“ nennt und von Ballantine’s gesponsert wird.

Da hatte ich vor ein paar Wochen blind auf „RSVP“ geklickt, aus reiner Neugier, und war daher sehr angenehm überrascht, neben einem Haufen DJ-Equipment und verschiedenstem Synthesizer-Gedöns unter anderem auch einen ausgewachsenen Konzertflügel auf der Bühne vorzufinden. Schade nur, dass der Sound in der großen Halle nicht optimal war und dass gefühlte 70-80% der Leute nicht die Musik (oder gar die Künstler), sondern ausschließlich sich selbst feiern wollten. Zusammen mit den umsonstenen Whisky-Drinks ergab das keine günstige Atmosphäre – zumindest nicht für Klavier- und Streichertöne.

Gregor Schwellenbach und sein Ensemble sind daher leider fast komplett untergegangen. Brandt Brauer Frick fand ich nicht übel, Carl Craig war nicht so meins. Aber Francesco Tristano, solo und zusammen mit Brandt Brauer Frick: Volltreffer. Allein dafür hat es sich gelohnt.

Ach ja, und ich weiß jetzt buchstäblich aus eigener Anschauung (Luftlinie geschätzt 5m), wer Jorge Gonzalez ist. Davon muss ich mich jetzt erst einmal erholen. Man wird ja nicht jünger.