Splitter

Da war ich also bei Nils Frahm im Funkhaus Berlin, um die Musik gewissermaßen an ihrem oder zumindest nahe ihres Wohnorts zu besuchen. Weil ich es kann. Allein für den Ort und das Gebäude hat sich die Ausfahrt gelohnt.

Diese Atmosphäre. Diese Akustik! Am Sitzkomfort kann man indes noch arbeiten (dass es Sitzkissen gab, bemerkte ich leider zu spät). Und an der Klimatechnik. Und eventuell auch an der Einlassstrategie. Was ich gern noch geschafft hätte: ein Konzertplakat kaufen, um mich damit in die Signierschlange zu stellen. Falls es eines zu kaufen gab. Auf dem Weg zur Unterkunft sah ich zwei Konzertbesucher, die ein völlig durchnässtes Exemplar von einer Plakatwand zu knibbeln versuchten.

Tags drauf hätte ich abends in die FABRIK zu The Notwist gewollt. Ein paar Mal ist dieser Auftritt an- und wieder abgesagt worden. Als es endlich soweit war, musste ich der Migräne den Vortritt geben. Unschön. [Hier bitte einen kräftigen Fluch nach Wahl einsetzen.]

Wieder ein paar Tage später war ich bei Emilíana Torrini und The Colorist Orchestra im Großen Saal der Elbphilharmonie. Das Konzert war sehr schön.

„Caterpillar“ war leider nicht auf der Setlist.

Den darauffolgenden Montagabend verbrachte ich im Kleinen Saal der Elbphilharmonie. Alexandre Kantorow spielte sehr überzeugend Brahms und Schubert. Und die Zugaben – vor allem die letzte, der „Türkische Marsch“ von Mozart in einer Bearbeitung von Arcadi Volodos! Vollkommen irre.

Bedauerlicherweise war mir situations- und tagesformbedingt nicht so nach Brahms und Schubert. Aber dafür konnte Alexandre Kantorow nun wirklich nichts.

Das voraussichtlich letzte Märzkonzert war dann gestern Stoppok in der FABRIK. Der Anlass: 30 Jahre „Happy End im La-La-Land“. Was soll ich sagen: There is life in the old Ruhrpott-Rocker yet! Aber hallo. Und in der Band beziehungsweise den diversen Bands. Und in den Gästen, darunter Martin Bechler von Fortuna Ehrenfeld und Phil Siemers. Der „Wetterprophet“ mit Unterstützung aus Kalkutta, bisher nie live gespielte Stücke oder Songs in unbekannten Versionen vom Album des Abends, „Dumpfbacke“ und „Mal Dein Herz an“ mit acht Gitarren und „Zwischen Twentours und Seniorenpass“ und „Aus dem Beton“ als Zugabe: Aus der ganzen Strecke war es das großartigste Konzert. Was ich so wahrlich nicht erwartet hatte.

Aber, um eine alte Weisheit zu zitieren, die sich auch in Stoppoks legendär verwirrt-lakonischen Ansagen wohlfühlen würde: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Berliner Luft

Berlin und ich, wir hatten unsere Startschwierigkeiten miteinander. Der Schulausflug anno 1988 vermochte mich nicht zu überzeugen. Diese komische Insel West-Berlin, sie war mir wenig sympathisch. Heute bin ich froh, noch die Mauer stehen gesehen und beide Welten in West und Ost kennengelernt zu haben. Jedes Mal, wenn ich die Stadt seither besuchte, gefiel sie mir ein Stückchen besser und mittlerweile kann ich eine gewisse Sogwirkung nicht mehr leugnen. Wie praktisch, dass man von Hamburg aus in weniger als zwei Stunden dort sein kann! Vorausgesetzt, der Bahnverkehr läuft rund. Aber dazu später noch.

Abgesehen von der bereits erworbenen Konzertkarte für den Sonntagabend hatte ich im Vorfeld leider nur wenig Muße, den Zweitagesaufenthalt zu planen. Aber wozu gibt es schließlich Social Media! Die kleine Umfrage auf Twitter und Facebook ergab genügend Material für eine Kurzwoche. Zumal ich gleich bei der ersten Station, dem BookCrossing-MeetUp im Restaurant Auster, hängenblieb. Was tatsächlich nicht überall selbstverständlich ist: Berliner BookCrosser haben Lust auf Gäste von außerhalb. Sehr gern bei Gelegenheit wieder! Der nächste Programmpunkt ergab sich direkt aus dem Treffen und ich lernte so neben dem schönen, wenn auch leider völlig überfüllten Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt die ortsansässige Schmiede und das böhmische Dorf kennen.

Meine Unterkunft hatte ich fußläufig zur Kantine am Berghain ausgewählt, dem Veranstaltungsort des Albumrelease-Doppelkonzerts von Martyn Heyne und Andrea Belfi. Der Weg führte durch eine schmale Gasse und am Berghain vorbei und ich staunte nicht nur über die Bandbreite des Drogenarsenals, welches mir auf der kurzen Strecke angeboten wurde, sondern vor allem über den höflich-zurückhaltenden Umgangston dabei. Dit is Berlin, wa!

Martyn Heyne ist mir zum ersten Mal als Support von A Winged Victory for the Sullen Anfang 2015 in der Volksbühne aufgefallen. Im Mai 2016 sah ich ihn zusammen mit Nonkeen in der Laeiszhalle, was wiederum meine erste Begegnung mit Andrea Belfi war. Auf Nonkeen wäre ich ohne Nils Frahm nicht gekommen und da schließt sich der Kreis auch schon beinahe wieder. Wobei das Wort „Kreis“ es nicht ganz trifft. Der Begriff „Musik(er)stafette“ passt vielleicht besser.

Wie dem auch sei, eigentlich bin ich sonst nicht so der Gitarrenmensch. Aber Martyn Heyne schafft vielleicht eines Tages, dass ich einer werde.

Nicht erst bei „Curium“ bin ich streckenweise in Welten vorgedrungen, in die mich bisher nur gewisse Tastenmenschen befördern konnten. My kind of drug.

Nach kurzer Pause nahm uns Andrea Belfi mit auf eine perkussive Reise. Ich bin immer etwas skeptisch, wenn Musiker das Wort „Journey“ in den Mund nehmen, aber zu seinem Auftritt passte es perfekt.

Draußen erwartete mich Schneegestöber, das mein aus Musik, Örtlichkeit, Teilen des Publikums und Gesamtsituation geformtes Unwirklichkeitsgefühl noch verstärkte. Mag sein, dass dabei auch die Rauchschwaden im Vorraum der Kantine eine Rolle gespielt haben. Ich bin diesbezüglich herrlich unbewandert, aber da war ziemlich sicher der ein oder andere, hm, Tabakzusatz im Spiel. Dass die mehrere Zentimeter dicke Schneedecke der Nacht bis zum Morgen fast vollständig wieder verschwunden war, passte ins Bild.

Mein nächstes Ziel nach dem Frühstück war der Martin-Gropius-Bau, eines der immerhin recht zahlreichen Museen in Berlin, die auch an Montagen geöffnet haben. Die dort gezeigte Ausstellung „Old Food“ von Ed Atkins entpuppte sich dabei als überraschend musiklastig.

Nicht nur, dass „Extended Circular Music No. 2“ von Jürg Frey in der Installation eine zentrale Rolle spielt. Den CGI-Projektionen sind Kostüme aus dem Fundus der Berliner Oper gegenübergestellt, als Objets trouvés. Ich teile Atkins‘ morbide, auf einem der Wandtexte dezidiert ausformulierte Interpretation des Musikstücks nicht, was meine Faszination für das Gesamtkunstwerk aber nicht zu schmälern vermochte. Achtung, Spoiler: Altes Essen kommt dafür gar nicht vor, höchstens indirekt und im übertragenen Sinne.

Es blieb im Anschluss noch Zeit, einen kleinen Rundgang durch die parallel laufende Ausstellung über Wenzel Hablik zu machen. Da muss man nach Berlin fahren, um Näheres über einen in Itzehoe ansässig gewesenen und somit als norddeutscher Künstler geltenden Menschen zu erfahren! Mich beeindruckte neben einzelnen Objekten besonders die gezeigte gestalterische Vielfalt: Zu sehen waren unter anderem Gemälde, Radierungen, Architekturzeichnungen, Textil-, Möbel- und Innenraumdesign, Notgeldscheine sowie Skulpturen.

Die Sache mit dem ICE-Sprinter zwischen München und Berlin hat die Bahn bekanntermaßen noch nicht im Griff. Ein Umstand, den man vorerst auch bei Bahnreisen zwischen Hamburg und Berlin berücksichtigen sollte. Der ICE 800 hatte bereits rund drei Stunden vor der geplanten Abfahrt beachtliche 121 Minuten angesammelt, weswegen ich kurzfristig auf den aus Prag kommenden tschechischen EuroCity umbuchte. Das kann ich trotz der etwas längeren Fahrzeit jedem empfehlen – was für ein zauberhafter Zug! Allein der Speisewagen! Und WLAN gab es auch! In meinem Abteil saßen mehrheitlich ICE-Flüchtlinge, eine bunte Mischung aus rüstigen Rentner(inne)n, Berufs- und Freizeitfahrern, und ich kann mich nicht erinnern, je eine so unterhaltsame, fröhliche und somit kurzweilige Bahnfahrt hinter mich gebracht zu haben.

Berlin, das war schön! Ich komm demnächst öfter.

In Concert: A Winged Victory for the Sullen in der Volksbühne Berlin

Ich hatte ja gehofft, dass es Ton- und Bildmaterial geben würde von dem A Winged Victory for the Sullen-Konzert am 1. März in der Volksbühne Berlin. Aber der Soundcheck-Film von Robin Thomson trifft die Atmosphäre des Abends tatsächlich noch viel besser, als ein Konzertmitschnitt es vermocht hätte.

Noch ein Koffer in Berlin

Als ich 1994 zum ersten Mal nach dem Fall der Mauer nach Berlin fuhr, war es mein Hauptziel, einmal durchs Brandenburger Tor zu gehen. Aber was war das Brandenburger Tor, die ganze Woche lang? Richtig, gesperrt. Es wurden gerade Tribünen für die Verabschiedung der ehemaligen Besatzungsmächte aufgebaut. Ich stand am Bauzaun und bettelte vergeblich; die Bauleute ließen mich nicht durch.

Brandenburger Tor

Die Premiere fand somit erst ein paar Jahre später statt, als ich zu Silvester – 1998/99 war das, glaube ich – von feiernden Massen durchs Tor geschoben wurde. Dabei hat mir so ein armseliger Wicht meine Kamera aus der Jackentasche geklaut. Der konnte ja nicht wissen, dass die mir ein paar Minuten vorher auf die Straße gefallen und somit sehr wahrscheinlich unrettbar kaputt war. Schade war’s nur um den Film.

1994 bin ich auch zum ersten Mal auf dem Prenzlauer Berg gewesen. Das Zeiss-Großplanetarium ist mir damals aufgefallen, aber hingegangen bin ich nicht.

Als ich vor ein paar Tagen meine Gedanken zu einem gewissen Hamburg/Berlin-Resonanzort im (Hamburger) Stadtpark aufschrieb, kam mir die Idee, den Spieß umzudrehen und am kommenden Wochenende das Planetarium in Berlin zu besuchen. Meine Unterkunft ist nämlich passenderweise ganz in der Nähe.

Soeben rufe ich also die Webseite auf und lese: „Wir modernisieren für Sie!“ Seit 1. April 2014. Bis voraussichtlich Anfang 2016. Abgesehen davon, dass ich mich frage, ob das mit der Planetariums-Renoviererei vielleicht ansteckend ist: Da bleibt wohl auch diesmal wieder ein Koffer in Berlin.

Je nun. Ich bin’s nicht anders gewohnt.

Resonanzort

Wenn ich meine 15km-Strecke laufe, bewege ich mich immer möglichst lange am Stadtpark, bevor ich Richtung Maria-Louisen-Straße und Außenalster abbiege.

Ich komme dann an einem Platz vorbei, der kaum diesen Namen verdient. Er ist unbefestigt und am Rande gelegen, ein paar Parkbänke und die verwitterte Sandsteinskulptur eines Eisbären von Hans Martin Ruwoldt stehen darauf herum. Ich musste eine Weile suchen, bis ich auf die Bezeichnung „Südring/Bouleplatz“ gestoßen bin.

Boulespieler habe ich dort noch nie gesehen. Aber vor meinem inneren Auge läuft eh ein ganz anderer Film ab, wenn ich diesen Ort passiere: Er erinnert mich an einen Platz in Berlin. Das ist mir unheimlich. Es gibt da nämlich keine einzige Gemeinsamkeit.

Resonanzort

Der Berliner Resonanzort, so nenne ich ihn, liegt mitten in Mitte. Niemand käme auf die Idee, dort Boule spielen zu wollen. Es gibt auch keine Eisbärsandsteinskulptur, stattdessen einen Springbrunnen, drei Denkmäler und eine große, halbrunde Bank aus rotem, poliertem Granit. Das ist ein Stein, der sich gegen Ende eines heißen Sommertages anfühlt, als würde er von innen beheizt. Und an diese Wärme erinnere ich mich schlagartig jedes Mal, sobald ich mich dem namenlosen Bouleplatz am Hamburger Stadtpark auch nur bis auf Sichtweite nähere.

Ohne jetzt ins Detail gehen zu wollen: Ich schätze diese spezielle Resonanz nicht besonders. Sie trifft einen immer noch sehr wunden Punkt. Es kommt mir andererseits aber auch lächerlich vor, meine Laufstrecke deswegen zu ändern. Weil das alles bar jeder Logik ist. Zugegeben, das hier klingt nicht danach; aber ich gebe ansonsten viel auf Logik.

Dass ich zuletzt in Berlin war, ist nun anderthalb Jahre her. Übernächstes Wochenende fahre ich wieder hin. Vielleicht probiere ich dann aus, ob die Resonanz in beide Richtungen funktioniert. Vielleicht aber auch nicht. Wir werden sehen.