Als ich Anfang Juli letzten Jahres nach dreieinhalb prallgefüllten London-Tagen ebenso derbe übermüdet wie aufgedreht im Flugzeug Richtung Hamburg saß, hatte ich eher zufällig das Album „Spells“ von Ben Lukas Boysen auf den Ohren. In Heathrow herrschte Hochbetrieb und in einer endlos scheinenden Schlange von Kurz- und Mittelstreckenmaschinen kamen wir nur langsam voran. Vor uns eine weitere BA, hinter uns eine Finnair: Die Flieger starteten im Minutentakt. Schließlich rückte unser Slot näher, zeitgleich erklangen die ersten Takte von „Nocturne 4“ aus meinem Kopfhörer. Exakt bei 2:39 bog die Maschine auf die Startbahn und beschleunigte.
Seither ist die Musik von Ben Lukas Boysen für mich untrennbar mit dem Gefühl des Abhebens verknüpft und insofern erschien mir die Location für seinen ersten Live-Auftritt in Hamburg ideal gewählt.
Dazu kommt, dass die musikalische Entdeckungsreise, die mich unter anderem zu diversen Erased Tapes-Künstlern (und damit überhaupt erst nach London) führte, vor etwas mehr als zehn Jahren im Planetarium und bei Raphaël Marionneau begonnen hatte. Somit schlossen sich mit dem ersten „le concert abstrait“ für mich gleich mehrere Kreise. Wobei, der Vergleich hinkt. Die korrekte geometrische Darstellung wäre wohl ungleich komplexer.
Neben der Vorfreude über die angekündigte Konstellation war ich darauf gespannt, wie Ben Lukas Boysen, unterstützt von Schlagzeug, Harfe und Cello (Anne Müller! Wie schön!), die perfekt arrangierten Studioklänge live umsetzen würde. Tatsächlich war der Planetariumsauftritt erst sein zweites Konzert überhaupt; die Premiere hatte Anfang September anlässlich des zehnjährigen Bestehens von Erased Tapes („Erased Tapes is ten“) im Londoner Village Underground stattgefunden.
Kurz nach 19 Uhr war es schließlich so weit: Umrahmt von zwei meiner allerliebsten AWVFTS-Tracks starteten Raphaël und Ben nebst Band zu einem einzigartigen Höhenflug. Erwartung erfüllt und übertroffen! Von der freigesetzten Endorphinladung werde ich eine ganze Weile zehren können.
Nur eine einzige Steigerung zu diesem Debüt kann ich mir noch vorstellen. Ich schreibe sie nicht auf, denn ich habe einen Wunsch unter dem künstlichen Sternenhimmel getan, zu elektronischen Sternschnuppen, und es ist anzunehmen, dass für dieses Verfahren die gleichen Gesetze gelten wie in der Natur.