Von Rohrblättern, unbekannten Blickwinkeln und anderen Premieren

Da ist noch einiges zu berichten aus den letzten Wochen.

Zunächst ein weiteres „Blind Date“ in der Elbphilharmonie, welches sich als ein „Reed Quintet“ entpuppte – als das Calefax Reed Quintet, um genau zu sein. Wie der Name vermuten lässt, besteht ein Reed Quintet vollständig aus Rohrblattinstrumenten, im Fall des Calefax Reed Quintets aus einer Oboe (Oliver Boekhoorn), einer Klarinette (Bart de Kater), einem Saxophon (Raaf Hekkema), einer Bassklarinette (Jelte Althuis) and einem Fagott (Alban Wesly).

Musikalisch war das makellos, wenn auch aus dramaturgischer Sicht etwas unglücklich, dass das spektakulärste und damit publikumswirksamste Stück gleich am Anfang des Abends stand. Andererseits ist das aus technischen Gründen kaum anders machbar, denn der Name, „Assemble“, ist Programm. Kreativer Vorschlag: Das Stück umschreiben, in „Dis-Assemble“ umbenennen und ans Ende stellen. Standing Ovations sind garantiert und man kann die zerlegten Instrumente im Anschluss direkt säubern und verpacken.

Eine angenehme Überraschung am Rande: Es liegt wieder ein Getränkegutschein im „Blind Date“-Programmzettel. Das war im Zuge der Corona-Maßnahmen ausgesetzt worden. Ich hatte schon nicht mehr mit einer Wiederaufnahme gerechnet.

Einmal hinter die Kulissen des Elphi-Betriebs zu schauen war schon lange mein Wunsch gewesen. Die Gelegenheit dazu ergab sich nun endlich beim diesjährigen Tag der offenen Tür. Leider hatten wir kein Glück bei der Verlosung von Plätzen für die Catwalk- und Sky Lounge-Führungen, aber das Angebot war auch so schon spektakulär genug.

Flügellager
Flügellager
Bestuhlung
Bestuhlung
All Strings Attached
All Strings Attached
Künstlergarderobe (Kleiner Saal)
Künstlergarderobe (Kleiner Saal)
Drums and such
Drums and such

Backstagebereiche, Green Rooms, Garderoben, Flügellager, Intendantenbüro; dazu technische Vorführungen und musikalische Darbietungen. Sogar eine Informationsstelle über Jobs in der Elbphilharmonie gab es. Ein runde Sache.

Intendantenbüro
Intendantenbüro

Pro-Tipp für künftige Termine: Rechtzeitig und einen möglichst frühen Einlass buchen und gleich zu Anfang so viele Führungen wie möglich mitnehmen. Hinten raus wird es nämlich sehr, sehr voll.

Esa-Pekka's Flow Lessons
Esa-Pekka’s Flow Lessons

Ach, und falls jemand die Story hinter diesem Abreißkunstwerk an der Scheibe des Orchesterwart-Platzes kennen sollte: Ich bin gar nicht neugierig. Ganz entschieden nicht.

Die dritte Station bestand aus einem Ausflug in die Laeiszhalle zu 4 Wheel Drive. Eingedenk meines ersten Live-Erlebnisses mit der All-Star-Kombination aus Michael Wollny (Klavier), Nils Landgren (Posaune, Gesang), Lars Danielsson (Bass) und Wolfgang Haffner (Schlagzeug) hatte ich ein paar Euro mehr in die Karte investiert, was sich absolut auszahlte. Einige Stücke funktionierten zwar auch an diesem Abend besser als andere, aber ich verbuche diesmal die gesamte Veranstaltung als Hochgenuss.

4 Wheel Drive in der Laeiszhalle
4 Wheel Drive

Eine mir bisher unbekannte Konzertreihe in einer mir bisher unbekannten Location, der Christianskirche in Ottensen, bildete den Rahmen meines dritten Árstíðir-Konzerts. Dank eines mir näher bekannten Superfans mit einer Extra-Premiere der besonderen Art: Einem Stuhl mit meinem Namen drauf!

Famous First Times
Famous First Times

Árstíðir stellten Stücke aus den beiden neuen Alben „BLIK“ und „PENDÚLL“ vor, es blieb aber auch genügend Raum für älteres Material. Weil es die Kirchenakustik hergab, durfte das rundum begeisterte Publikum zwei A capella-Stücke, darunter das wunderschöne „Bæn einstæðingsins“, und „Kill us“, einen Song vom ersten Album der Band, unverstärkt genießen. Ich gebe zu, ich fremdele mit den allermeisten der Studio-Aufnahmen, aber live sind die Jungs einfach sehr überzeugend.

Die Reihe „Pop Seasons“ kommt jedenfalls auf mein Radar. Bedauerlicherweise muss ich beim Lambert-Konzert am 30. November passen, da habe ich nämlich schon ein Ticket für das Tingvall Trio in der FABRIK. Dass aber auch immer alles gleichzeitig und im November stattfinden muss!

In Concert: 4 Wheel Drive in der Laeiszhalle

Eigentlich hatte ich das Ticket in erster Linie deshalb gekauft, um Michael Wollny zu sehen und zu hören. Aber bei 4 Wheel Drive spielen neben Wollny noch Lars Danielsson (Bass, Cello), Wolfgang Haffner (Schlagzeug) und vor allem Nils Landgren (Posaune, Gesang). Letzterer übernahm auch die Moderation und zumindest nach außen die Führung des All-Star Ensembles und selbst wer das so gar nicht gebucht hatte, widerstehen kann man diesem schwedischen Charmeur kaum. Jedenfalls ich konnte es nicht.

Dabei geholfen hat wohl auch, dass das Programm mit „She’s always a woman“ begann. Ich kann nicht mal sagen, dass mir das 4WD-Cover meines allerliebsten Billy Joel-Songs besonders gut gefällt. Insbesondere des Gesangs wegen, denn Nils Landgren singt mit einer Stimme, die definitiv unter Geschmackssache fällt. Und dennoch oder vielleicht gerade deswegen: Sie hatten mich.

Gleichwohl waren nicht alle Arrangements des gleichnamigen Albums dazu geschaffen, das volle (Jazz-)Potenzial des hochkarätig besetzten Quartetts auszuschöpfen. Geklappt hat das noch am besten bei „Polygon“ von Michael Wollny, „Lobito“ von Wolfgang Haffner und der furiosen 7/8-Version von „Lady Madonna“. Gewissermaßen als Ausgleich erwachten dafür andere, vermeintlich erschöpfend durchgenudelte Popstücke zu völlig neuem Leben, „That’s all“ von Genesis beispielsweise, oder „Another day in Paradise“ von Phil Collins.

Alles in allem also ein lohnenswerter Abend, den ich allerdings aus wirtschaftlichen Gründen nicht auf meinem Lieblings- sondern einem Ausweichplatz in Loge 1 des zweiten Rangs rechts verbrachte. Die Vogelperspektive noch hinter der Boxenreihe und über der Bühne hatte sich seinerzeit schon bei Ludovico Einaudi bewährt. Nur funktionierte bei 4 Wheel Drive der Bühnensound leider nicht ganz so gut: Das Schlagzeug dominierte und sowohl Lars Danielssons Bass bzw. Cello als auch Nils Landgrens nicht eben kräftige Stimme gingen streckenweise unter. Einerseits verständlich, dass für einen solchen Akt einigermaßen gesalzene Tarife aufgerufen werden. Wenn dann auch noch Siggi Loch und Karsten Jahnke höchstpersönlich im Publikum sitzen! Andererseits bedenklich bis ärgerlich, denn ich hatte zwar mit dem Ticket am oberen Rande meiner (Preis-)Schmerzgrenze noch einen freien Blick (Erfahrungswert aus dem Chilly Gonzales-Konzert), während eine Reihe hinter mir Menschen stolze 35 Euro für einen Hörplatz gezahlt hatten. Ich meine schon, das sich solches etwas stärker im Preis bemerkbar machen dürfte. Zumal offenbar nicht bei allen Buchungswegen das Etikett „sichtbehindert“ auch mitgeliefert wird.