In Concert: Erased Tapes Labelnight 2020 in der Elbphilharmonie

So ganz geschickt war das nicht vom Veranstalter KD Palme, das im September 2019 noch als Penguin Café-Auftritt angekündigte Konzert nachträglich zur „Erased Tapes Labelnight 2020″ umzuwidmen. Zweifelsohne passt das eine wie das andere in die DISSONAR-Reihe und mich persönlich hat es sehr gefreut. Zum einen hatte ich Penguin Café bereits während des Reflektor Nils Frahm gesehen und gehört, und zwar mit nahezu identischer Setlist, zum anderen bin ich bekennender Fan des Labels und nehme daher – sofern möglich – grundsätzlich alle mit diesem assoziierte Veranstaltungen in meiner Umgebung mit.

Frau C. hingegen, die auf dem Platz neben mir saß, hatte die Karte einzig der Pinguine wegen erstanden und zeigte sich milde verstimmt angesichts des „Etikettenschwindels“ (O-Ton). Durchaus verständlich, denn vor Penguin Café traten zunächst Hatis Noit und Peter Broderick auf, was den Abend beträchtlich in die Länge zog. Für mich zum wiederholten Male ein Grund, sowohl den kurzen Anreiseweg zum Veranstaltungsort als auch meinen Gleitzeitarbeitsplatz gebührend wertzuschätzen. Diese Kombination ist jedoch nicht jedem vergönnt, was Penguin Café-Kopf Arthur Jeffes dazu veranlasste, das nach knapp 1 3/4 Stunden Konzertlaufzeit verbliebene Publikum mit „Thank you for staying“ zu begrüßen.

Aber zurück zum Anfang.

Der Abend begann mit einer kurzen Danksagung des Labelgründers Robert Raths, der dabei leider einen mittelschweren Fauxpas begang: Er vergaß, sich vorzustellen. Was er von der Bühne und seinem Gästelistenplatz im Etage 12 vermutlich nicht überblicken konnte: Es saßen nicht wenige Menschen im Großen Saal, die weder ihn noch das Label kannten bzw. denen der Name Erased Tapes erstmalig durch den am Saaleingang verteilten Programmflyer begrifflich wurde.

Dafür hielt sich die Seniorenriege um uns herum in 15 R außerordentlich wacker, insbesondere beim Auftritt von Hatis Noit. Deren Kunst muss schon sehr speziell anmuten, wenn man als Elphi-Tourist mit einer Reisegruppe ins Haus kommt. Was ultimativ beweisen dürfte: Es ist beeindruckend, was die Sängerin mit ihrer Stimme, zwei Mikros und einer Loop-Station anstellt, ganz unabhängig von Geschmacksfragen und musikalischen Vorlieben, und live in der Elbphilharmonie naturgemäß um ein Vielfaches mehr als vom Tonträger genossen.

Als Nächstes kam Peter Broderick an die Reihe, zunächst allein mit seiner Gitarre, später mit der Geige und zusätzlicher Klavierbegleitung. In seiner Solo-Diskographie ist von allem etwas dabei: (orchestrale) Soundtracks, Klavieralben, von etwas Richtung Singer/Songwriter bis hin zu Folk/Country und den Rändern des Pop; von den zahlreichen, z. T. sehr unterschiedlich gelagerten Kollaborationen und Studiomitwirkungen wollen wir gar nicht erst anfangen. Ich bevorzuge die Instrumentalstücke und kam daher bei seiner Arthur Russell-lastigen Setlist nicht ganz auf meine Kosten.

Schließlich betraten Penguin Café die Bühne und im Prinzip war es wie damals beim Reflektor, nur leider mit einem kleineren und uhrzeit- wie ablaufbedingt weniger geduldigen Publikum. Was Arthur Jeffes und seine Mitstreiter wohl aber nicht davon abbringen wird, die Elbphilharmonie weiter als „favourite venue“ im Herzen zu tragen.

Und die Moral von der Geschicht‘? Beim nächsten Mal die Veranstaltung bitte gleich mit „Erased Tapes“ belabeln, das Programm frühzeitig bekannt machen, vielleicht auch insgesamt ein klein wenig mehr Vorlaufzeit einplanen, und den Start auf 19 Uhr vorverlegen. Ich bin sehr sicher: Unter solchen Voraussetzungen wäre der Saal standesgemäß ausverkauft. Und niemand enttäuscht.

In Concert: Das vision string quartet in der Elbphilharmonie

„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, so das heimliche Motto des vorgestrigen Auftritts des vision string quartet im Kleinen Saal der Elbphilharmonie, denn eigentlich hätte das Konzert schon im Februar 2019 stattfinden sollen. Aber dann verunfallte Cellist Leonhard Disselhorst mit seinem Drahtesel – Hashtag #hamwaprobiertwarblöd – und da mich das Ersatzprogramm nicht sonderlich reizte, ließ ich mir den Kaufpreis der Karte erstatten.

Sobald ein neuer Termin in Sicht sei, würden die Karteninhaber angeschrieben, so seinerzeit die Auskunft an der Elphi-Kasse. Klassischer Fall von Pustekuchen. Wenn ich den Herren nicht auf Facebook folgen täte und überdies Inhaberin einer NDR Kultur Karte wäre, ich hätte den Termin glatt verpasst. Offenbar erging es vielen anderen anders, denn die Publikumsränge im  Kleinen Saal wiesen unübersehbare Lücken auf. Schon merkwürdig; immerhin sprechen wir hier von einem Ensemble, das durchaus in der Lage ist, den Großen Saal zu füllen. Sollte es etwa auch daran gelegen haben, dass es sich bei dem Veranstalter des Konzerts um die Hamburgische Vereinigung von Freunden der Kammermusik e. V. handelte? Ich teilte die Sitzreihe unter anderem mit dem 1. Vorsitzenden und hatte nicht nur deshalb den Eindruck, dass man doch recht unter sich zu sein schien.

Aber wie dem auch sei.

Als ich neulich auf diesem Kanal über erste und zweite Geiger sinnierte, hatte ich ein bestimmtes Bild im Kopf, genauer gesagt: gleich zwei erste Geiger von Quartetten, die ich kurz zuvor in Aktion erlebt hatte. Wenn ich das vision string quartet auf der Bühne sehe, sehe ich dagegen keinen ersten und zweiten Geiger, keine Bratschisten und keinen Cellisten. Ich sehe und höre ein Quartett. Und zwar nicht nur eines, das Jazz ebenso souverän präsentiert wie alte und neue Kammermusik, sondern das darüber hinaus auch noch Entertainmentqualitäten unter Beweis stellt. Ich freue mich jedenfalls jetzt schon sehr auf die Fortsetzung des Gedichts über „For the Birds“.

Also, liebe Leute in und um Hamburg: Beim nächsten Auftritt der Truppe ist der Saal – ganz egal welcher – bitte wieder voll! Alles andere ist angesichts dieses musikalischen Levels nämlich #hamwaprobiertwarblöd. Um nicht zu sagen: peinlich.

In Concert: Hundreds in der Elbphilharmonie

Hundreds in der Elbphilharmonie – was soll ich sagen. Ich kann mich da eigentlich nur wiederholen. Obwohl da schon ein paar Entwicklungen zu verzeichnen sind, so im Vergleich. Meine Jobsituation hat sich seither stabilisiert, das gestrige Konzert fand nicht im Kleinen, sondern im Großen Saal statt, wir hörten Material vom neuen Album „THE CURRENT“ (erscheint im März) und es waren Gäste dabei: Streicher, Saxophon, Gitarre,  Xylo- und Vibraphon.

Rundum zauberhaft war’s, das Fest zum Zehnjährigen. Nur leider viel zu schnell vorüber.

Aber irgendwas ist ja immer.

In Concert: Kat Frankie in der Elbphilharmonie

Es war einer dieser magischen Elbjazz-Momente: Kat Frankies Auftritt in St. Katharinen vor etwas mehr als 1 1/2 Jahren. Jazz ist das zwar nicht, aber ich kann der Musikrichtung, die man gemeinhin mit „Singer/Songwriter“ belabelt, ja durchaus etwas abgewinnen. Kat Frankies Stimme tat ihr Übriges, um mich zu überzeugen. Insbesondere die Songs, die sie zusammen mit einem fünfköpfigen A capella-Ensemble vortrug, sind mir in bleibender Erinnerung geblieben. Und so musste ich natürlich sofort zuschlagen, als das Konzert der „B O D I E S“-Tour in der Elbphilharmonie angekündigt wurde. Ein ganzer Abend Kat Frankie, a capella? Im Großen Saal? Ja bitte, unbedingt!

Einer Story und des tänzerischen Intros hätte es da meiner Meinung nach nicht bedurft. Gestört hat es mich aber nicht. Denn musikalisch war der Abend exakt so großartig, wie ich es erhofft hatte. Dazu ein ohrenscheinlich mehrheitlich aus Fans bestehendes, aufmerksames Publikum und Standing Ovations zum Schluss.

Kann es bitte immer so sein? Das wäre schön.

(Jahres-/Konzert-)Rückblick 2019

Dieses Jahr hat die Liste mehr Mühe gekostet als sonst. Normalerweise pflege ich sie nämlich sehr gewissenhaft, aber irgendwann im September habe ich schlicht und einfach den Überblick verloren. Eigentlich auch kein Wunder, ist doch 2019 wieder so einiges zusammengekommen…

Die bemerkenswerten Premieren:

Neue Orte/Festivals:

Die Wiederholten:

Verpasst habe ich leider: Chilly Gonzales, Svavar Knútur, Mirga Gražinytė-Tyla mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra und Max Richter.

Das Highlight des Jahres? Knifflig. Sehr, sehr knifflig. Bei manchem fehlt schlicht die Vergleichbarkeit; eigentlich müsste ich Kategorien einführen, aber das wäre nun doch leicht übertrieben. Ich möchte Martin Kohlstedt und den GewandhausChor Leizpig hervorheben, außerdem das Abschlusskonzert des Reflektor Nils Frahm-Festivals, die Prom 44 und natürlich Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester mit Mahlers 9. Sinfonie.

Mein Veranstaltungsort des Jahres 2019 ist nach 2016 erneut die Royal Albert Hall. Die Freude darüber, nach zwei Jahren Abstinenz wieder in der Halle sitzen zu dürfen, war keineswegs eine rein musikalisch begründete. Ich bin fest entschlossen, sowohl dem Ort als auch insbesondere den BBC Proms die Treue zu halten, komme was wolle.

Die ersten beiden Konzerte des Jahres 2020 werden mich aber zunächst wieder in den Großen Saal der Elbphilharmonie führen.

Hat irgendwer schon „Wohnzimmer“ gesagt? Wär jedenfalls nicht ganz verkehrt.

In Concert: Das Kaiser Quartett auf Kampnagel

Das voraussichtlich letzte Konzert des Jahres 2019 fehlt noch! Es war mir ein ganz besonderes Vergnügen, denn nicht nur die vier Musiker auf der Bühne, auch ich erinnere mich noch lebhaft an den äußerst spärlich besuchten ersten Soloauftritt des Ensembles vor wenig mehr als drei Jahren im Golem. Für die Jüngeren unter uns: Das Golem war ein Club unweit des Hamburger Fischmarkts. Gibt’s mittlerweile nicht mehr.

Das Kaiser Quartett erfreut sich hingegen bester Gesundheit. Die K2 auf Kampnagel war restlos ausverkauft, die Tour läuft schon eine Weile, die Platte ist draußen und obwohl ich zugegebenermaßen ein wenig auf den ein oder anderen Gastauftritt spekuliert hatte, gebraucht hat es den nicht.

Was schrub ich seinerzeit? „Das war nicht nur musikalisch fein, sondern darüber hinaus auch sehr unterhaltsam, und vielleicht sage ich ja irgendwann: ‚Ich kannte sie schon, als sie noch in kleinen Clubs an der Elbe…'“.

Joah. Passt wohl.

In Concert: Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester in der Elbphilharmonie

„Ganz unbedingt und ziemlich dringend“ wollte ich etwas über den Auftritt von Teodor Currentzis und dem SWR Symphonieorchester in der Elbphilharmonie schreiben, so meine Einleitung zur letzten Meldung auf diesem Kanal. Und nun sitze ich hier und weiß nicht so recht, wie anfangen.

Wenn ich über Konzerte und Kulturerlebnisse schreibe, tue ich das nicht aus dem Blickwinkel einer Kulturjournalistin. Schon deshalb, weil ich keine bin. Es geht mir in erster Linie um das Konzerterlebnis und oft beschäftige ich mich mehr mit dem Drumherum als mit der musikalischen Darbietung an sich: Wie bin ich in dieses Konzert gekommen, was verbindet mich eventuell schon mit den Interpreten, den Komponisten oder den Musikstücken, wie empfinde ich den Raum, die Akustik, meinen Sitz- oder Stehplatz, wie geht es mir mit dem Publikum um mich herum und so weiter. Oft ziehe ich ein Fazit, meistens führt mich das eine Konzert zum nächsten und übernächsten. Überhaupt mag ich es, Verbindungen herzustellen, wo auf den ersten Blick vielleicht gar keine zu sehen oder zu hören sind.

Seit ich regelmäßig in Orchesterkonzerte gehe – also seit mittlerweile etwas mehr als sechs Jahren – versuche ich, quasi im Nebenprojekt, mit meinen laienhaften Mitteln die Kommunikation zwischen Dirigent und Orchester zu ergründen.

Zum Vergleich: Was einen Stargeiger ausmacht, war für mich nicht sonderlich schwer herauszufinden. Wobei bei manchen Zeitgenossen das „Star“ deutlich vor dem „Geiger“ zu stehen scheint. Selbst im Kollektiv eines Streichquartetts gibt es einen, der die erste Geige spielt, und das ist zumeist eine andere Type als der, der an der zweiten sitzt.

Leistung oder Status eines Dirigenten einzuordnen, fällt mir dagegen ungleich schwerer. Da steht ein Mensch vorm Orchester und ich kann nur erahnen, wie es um das Verhältnis dieser beiden bestellt ist. Wie sind die Proben gelaufen? Mögen die Musiker den? Nehmen sie ihn ernst? Welche Rolle spielt die Tagesform? Ist das ein „Star“, der sich wahlweise wie eine Diva oder ein Despot gebärdet, wenn das Publikum es nicht sehen kann? Oder ist es jemand, dem es in zuerst um die Musik und erst danach um Person und Renommee geht?

Es gibt da den einen oder anderen Anhaltspunkt, aber es bleibt eine Mutmaßung. Ich beschränke mich in meiner Beurteilung zumeist darauf, ob mich die kollektive Darbietung mitgenommen hat und gehe höchstens noch auf besondere Eigenheiten des Dirigenten ein, die mir aufgefallen sind: Das Schulterzucken von Gustavo Dudamel, die Mimik von Sir Jeffrey Tate, wie Jun Märkl den Brahms tanzte, solche Dinge halt.

Und jetzt, nach Teodor Currentzis und dem SWR Symphonieorchester mit Mahlers 9. Sinfonie in der Elbphilharmonie, wünsche ich mir zum ersten Mal das Vokabular, das Handwerkszeug und das Hintergrundwissen eines ausgewachsenen Musikkritikers. Weil ich nicht weiß, wie ich dem, was ich da erlebt habe, gerecht werden soll. Ich habe nicht sehen können, was Orchester und Dirigent miteinander verbindet, aber ich habe es gehört, so deutlich, dass es beinahe greifbar schien, und der Raum, das Publikum und das ganze Drumherum hat bei diesem Konzerterlebnis zum allerersten Mal keine Rolle gespielt. Zum Ende des letzten Satzes habe ich Rotz und Wasser geheult – lautlos versteht sich, alles andere wäre nicht weniger als ein Sakrileg gewesen. Das hat mit „klassischer“ sinfonischer Musik bisher noch niemand geschafft.

Ein neues Level.

Danke für dieses Geschenk.

In Concert: Joshua Bell, Krzysztof Urbański und das NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie

Einerseits möchte ich ganz unbedingt und ziemlich dringend etwas über den vorgestrigen Auftritt von Teodor Currentzis und dem SWR Symphonieorchester in der Elbphilharmonie schreiben. Ich kann andererseits aber keineswegs das Konzert von letzter Woche unterschlagen. Um Joshua Bell, Krzysztof Urbański und das NDR Elbphilharmonie Orchester soll es also zunächst gehen, und um Ligeti, Sibelius und Weinberg.

Ich kannte „Atmosphères“ von György Ligeti bislang nur als Teil des Soundtracks von „2001: Odyssee im Weltraum“ und bin zudem davon ausgegangen, dass es ein elektronisches Musikstück ist. So kann man sich irren! Es war faszinierend, dem NDR Elbphilharmonie Orchester beim Erzeugen dieser Klänge zuzusehen, wozu sich mein Platz in 13 F dankenswerterweise ganz hervorragend eignete. Die Menschen um mich herum schienen dagegen eher befremdet. Offensichtlich handelte es sich mehrheitlich weder um Ligeti-Fans noch um Cineasten. Im Programmheft war zu lesen, dass das Publikum bei der Uraufführung des Stücks derart begeistert war, dass das Stück umgehend wiederholt werden musste. Womit hinreichend bewiesen sein sollte, dass die Publikumsschnittmenge zwischen den Donaueschinger Musiktagen und den Abokonzerten des NDR Elbphilharmonie Orchesters nicht eben riesig ist.

Zum zweiten Stück des Abends kam Joshua Bell auf die Bühne. Das Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 47 von Jean Sibelius ist mir insbesondere durch eine Aufführung der Hamburger Symphoniker mit Sergey Khachatryan unter Sir Jeffrey Tate in sehr guter Erinnerung geblieben. Ich kann leider gar nicht sagen, ob mir Joshua Bells Vortrag schlagend besser gefallen hat, so sehr habe ich mich von seiner Bühnenpräsenz der Marke „Ich weiß, dass ich sehr, sehr (sehr!) gut bin, und jede/r darf es nicht nur hören, sondern auch sehen“ ablenken lassen. Sympathiepunkte hat ihm das bei mir jedenfalls nicht gebracht. Ich merke mir (quasi als Serviervorschlag): prinzipiell gerne wieder, aber künftig mit geschlossenen Augen zu genießen.

Nach der Pause kam schließlich die Sinfonie Nr. 3 op. 45 von Mieczysław Weinberg zur Aufführung. Weinberg war mir vor der laufenden Konzertsaison vollkommen unbekannt. Diese Bildungslücke kann ich inzwischen als geschlossen betrachten. Der Autor des erläuternden Beitrags im Programmheft schien seltsam zwiegespalten in seiner Bewertung des Werks, aber ich mochte die dritte Sinfonie. Sehr sogar.

Außerdem mag ich Krzysztof Urbański und das NDR Elbphilharmonie Orchester sowieso! Hoffentlich gelingt es mir, ein Ticket zu ergattern, wenn diese Kombination das nächste Mal auf dem Spielplan steht. Das ist nämlich fortgesetzt schwierig. Ich weiß jetzt auch wieder, warum.


Wer sich selbst ein Bild machen will: Das komplette Konzert ist noch bis 11. März 2020 bei ARTE Concert als „Video on demand“ verfügbar.

Auswärtsspiel

Und wieder einmal war ich in München, in der Hauptsache zwar aus dienstlichen Gründen, aber meine tägliche Sollarbeitszeit beträgt 7,8 Stunden und schließlich sind da ja auch noch die Abende. Letztes Jahr lernte ich dank Nils Frahm den Gasteig kennen, in diesem Jahr führte mich die Eventrecherche zunächst in eines der Meisterkonzerte im Max-Joseph-Saal der Residenz München. Dargeboten wurde ein Programm mit Stücken von Vivaldi, Mozart, Strauß, Corelli und Tschaikowski und ich weiß nicht ganz genau warum, aber es hat mich so überhaupt gar nicht vom Hocker gerissen. Zwei Ausnahmen: Das mozärtliche Oboenkonzert in C-Dur (KV 314), was hauptsächlich an dem extrem großartigen Solooboisten Giovanni de Angeli lag und das Weihnachtskonzert von Corelli, dessen 3. Satz mich stets an die Patrick O’Brian-Adaption „Master and Commander: The Far Side of the World“ mit Russell Crowe und Paul Bettany erinnert – der Soundtrack enthält nämlich eine Kurzversion des Stücks.

Insgesamt verließ ich also ein wenig ernüchtert den bekronleuchterten Prunksaal, um anschließend auf dem Weg zur S-Bahn am Marienplatz auf Konnexion Balkon zu stoßen. Die Truppe bezeichnet sich wenig bescheiden als „The World’s Best Street Band“ und zugegeben, so ganz ist das nicht von der Hand zu weisen.

Tags drauf verschlug es mich in die Katakomben des Lindwurmhofs, in dem das Strom untergebracht ist. Dort versprachen Árstíðir ein „A Special Holiday Event“ und genau das war es auch: Ein phantastisches Konzert mit sehr gutem Sound, was bei den akustischen und A capella-Arrangements nicht weniger als spielentscheidend war. Dank der Vorbildung durch Svavar Knútur konnte ich die beiden Weihnachtslieder jenseits des bandeigenen Repertoires – „Jólin alls staðar“ und „Hin fyrstu jól“ – zumindest unfallfrei mitsummen. Am Text werde ich wohl noch etwas arbeiten müssen.

Freizeitstreß

Ich weiß nicht, ob es allen so geht, aber alle Jahre wieder in der Zeit von Oktober bis Dezember formiert sich in meinem Kalender diese eine Woche, in der man jeden Abend mindestens zweimal mit Konzerten oder anderen Kulturhighlights belegen könnte. Und da jedes Mal Unwiderstehlichkeiten dabei sind, entwickelt sich daraus regelmäßig eine Großkampfstrecke.

Dieser Tage ist es wieder so weit. Gewissermaßen als Vorbote spielte am Donnerstag vorvergangener Woche Francesco Tristano im kleinen Saal der Elbphilharmonie, am Montag folgte die National Theatre-Produktion von „A Mid Summer Night’s Dream“ im Savoy, am Mittwoch Ludovico Einaudi im Großen Saal und am Donnerstag das „Blind Date“ im Kleinen Saal wieder der Elbphilharmonie, gestern Abend standen Martin Kohlstedt und der Leipziger GewandhausChor in der Laeiszhalle auf der Bühne und morgen geht es nahtlos weiter mit meinem kleinen ungeraden Philharmoniker-Montagsabo. Dann ist dreieinhalb Wochen Konzertpause. Das aber auch nur, weil ich mein Max Richter-Ticket aus dienstreisetechnischen Gründen in gute Hände abgeben habe müssen.

Man verzeihe mir also, dass ich vorübergehend in den Schnelldurchlaufmodus umschalte.

Francesco Tristanos Debut in der Elbphilharmonie bestand aus der Präsentation seines aktuellen Albums „Tokyo Stories“. Anders als die „Piano Circle Songs“, die ich 2017 in der Royal Festival Hall hörte, sind die „Tokyo Stories“ mehrheitlich nicht Piano solo, sondern Piano plus Rhythmisch-Elektronisches besetzt, wobei letzteres mehr oder weniger vom Band (= Computer) lief. Man könnte sagen: Tristano spielte live auf dem Konzertflügel gegen sein elektronisches Ich. Das muss man so überzeugend wie geschehen auch erst einmal hinlegen. Symptomatisch nannte das zum Eintritt gereichte Infoblättchen – ich möchte es nicht Programm nennen, aber immerhin, es gab eines – den Track „Electric Mirror“ und ja, der ist definitiv symptomatisch für die Musik des Francesco Tristano, wenn auch nicht unbedingt für die „Tokyo Stories“. Das ist viel eher „The Third Bridge of Nakameguro“; es ist wohl kein Zufall, dass der Song auch für den Albumtrailer ausgewählt wurde.

Ich mochte die „Tokyo Stories“, die hektischen wie die kontemplativen, und es dauerte es eine Weile und mehrere vertiefende Durchgänge bei Spotify, bis ich herausfand, was mich an ihnen stört: Es sind die Sounds. Vermutlich passen sie ganz hervorragend zur beschriebenen Stadt, das kann ich mir sehr gut vorstellen, sogar ohne jemals dort gewesen zu sein. Aber sie passen nicht ganz in mein Ohr. Wobei, zugegeben, als Nils Frahm-Aficionado bin ich diesbezüglich extrem verwöhnt. Oder voreingenommen, je nach Blickwinkel.

Übrigens ist das Konzert Teil von ProArte X, wurde von Mischa Kreiskott (NDR Kultur Neo) anmoderiert und falls diese Reihe weiterlaufen sollte, werde ich mich wohl um ein Abo bemühen müssen.

Die Veranstaltung mit Ludovico Einaudi ein paar Tage später fiel gleich ein paar Nummern größer aus: Nicht nur, dass es ein Zusatzkonzert gab, beide Termine waren restlos ausverkauft und an beiden Abenden standen deshalb je eine gute Handvoll hoffnungsvoller Ticketsuchender frierend vorm Eingang. Die meisten waren mit klassischen Papier- bzw. Pappschildern bewaffnet, aber ich sah auch jemanden, der ein Tablet nutzte. Gar nicht so dumm, weil hintergrundbeleuchtet! Eine besondere Stimmung war das im Großen Saal: Das Publikum bestand mehrheitlich aus andächtig lauschenden Einaudi-Verehrern, darunter viele Elphi-Erstis und nicht wenige davon in Abendgarderobe. Das gelegentlich vernehmbare Hustenbonbonpapierknistern und die mindestens zwei aus Hosentaschen oder von Sitzen polternd abgestürzten Mobiltelefone finde ich unter solchen Umständen verzeihlich, denn da saßen keine gelangweilten Elbphilharmonie-Touristen, sondern Konzertsaalneulinge und doch, diesen Unterschied kann man hören und spüren. Apropos, wir können alle miteinander froh sein, dass die Sitze im Großen Saal nahezu geräuschlos hochklappen und auch die Türen im Flüstermodus bedienbar sind. Das ist in der Laeiszhalle leider ganz anders und entsprechend wirkt es sich auf die Nebengeräuschkulisse aus. Insbesondere, wenn es sich um ein Konzert mit mehrheitlich unkundigem Publikum und niedrigem Lautstärkepegel handelt, in das Zuspätkommer zu allem Übel dann auch noch unerklärlicherweise mitten im Stück eingelassen werden.

Aber zurück zu Ludovico Einaudi. Musikalisch gesehen bewege ich mich inzwischen in anderen Gewässern, aber vieles von dem, was mir heute selbstverständlich ist, hat mit ihm seinen Anfang genommen. Das habe ich nicht vergessen und ich kann es auch immer noch hören. Nichtsdestotrotz werde ich dieses Kapitel wohl mit dem Abend in der Elbphilharmonie abschließen.

Was keinesfalls für die Reihe „Blind Date“ im Kleinen Saal gilt! Nur ein paar Notenständer waren zu sehen, bevor die Überraschungsgäste des Abends vor dem Publikum erschienen. Pünktlich um kurz nach halb acht traten nicht weniger als acht Posaunisten aus der Tür und begannen ihren Auftritt höchst  effektvoll mit der „Olympic Fanfare“ von John Williams. Trombone Unit Hannover nennen sich die Musiker, die hauptamtlich in Orchestern wie den Bamberger und Hamburger Symphonikern, dem SWR Symphonieorchester, dem Orchester der Staatsoper Hannover, der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken oder dem Berliner Konzerthausorchester unterwegs sind.

Ich würde mich nun nicht gerade als blechbläseraffin bezeichnen, aber dieses Ensemble hat mich überzeugt. Meinen beiden Lieblingsstücken aus dem präsentierten Programm: die Improvisation über gregorianische Gesänge von Hildegard von Bingen und „Osteoblast“ von Derek Bourgeois.

Bleibt zum vorläufigen Schluss der gestrige Auftritt von Martin Kohlstedt und dem GewandhausChor in der Laeiszhalle, zu dem mir bis zur Stunde immer noch kein angemessener Wortbeitrag eingefallen ist, der über den Satz „Was für ein Geschenk!“ hinausgeht.

Aber vielleicht kommt das ja noch. Dann hole ich es nach.