Es ist mir fast ein bisschen peinlich, aber bis vor kurzem habe ich noch NDR 2 gehört, wenn in der Küche einfach mal nur das Radio laufen sollte. Das hat historische Gründe. Zu den wenigen Dingen, die ich nach meinem Umzug aus Nordrhein-Westfalen nach Hamburg vermisste, gehörte mein damaliger Lieblingsradiosender WDR 2. Jetzt kann man den natürlich auch in Hamburg hören, Kabel, Internet und so weiter, aber was nutzen mir hübsche Beiträge über Bielefeld und Verkehrsnachrichten für das Ruhrgebiet, wenn ich in Barmbek (bzw. anfangs noch Wandsbek) wohne. Die Zielgruppe von NDR 90,3 verfehlte ich deutlich und N-JOY, naja, da gab es diese eine Sendung, aber ansonsten: viel zu laut.
Also landete ich bei NDR 2 und genoss dort insbesondere die samstäglichen Bundesligakonferenzen. All die vertrauten Stimmen: Manni Breuckmann! Sabine Töpperwien! Und sowieso: Kindheitserinnerung! Herrlich.
Allein, es ist und bleibt die meiste Zeit des Tages ein grässlicher Dudelfunk ohne nennenswerten Informationsgehalt. Ich schraubte mich also durch die Kanäle und landete überraschenderweise beim Nordwestradio. Substantielle Wortbeiträge, Feist zum Frühstück, Stoppok live am Abend: ja, doch, geht schon. Bisschen viel Bremen, aber das war immerhin schon mal eine ganze Ecke näher als Castrop-Rauxel. Nicht nah genug allerdings: Der Empfang am Küchenfenster entpuppte sich als phasenweise grottig und wenn ich etwas nicht leiden kann, dann das.
Ich bin inzwischen beim Deutschlandfunk angekommen und es tut mir tatsächlich gut, einen Radiosender zu hören, in dem verhältnismäßig wenig Musik läuft. Für jemanden, der Radio immer als Musikquelle betrachtet hat, ist das eine neue Erfahrung. Aber es stimmt eben doch: Sich weniger bedudeln zu lassen, fördert die Konzentration. Auch und gerade, was das Musikhören betrifft.
Erst bei der Durchsicht der Texte, die von Facebook hierher umziehen sollten, ist mir aufgefallen, dass ich kaum über Bücher schreibe. Das Klischee, „Diplom-Bibliothekarin“ automatisch mit „Leseratte“ gleichzusetzen, wird in meinem Falle zwar durchaus erfüllt, aber Texte schreiben über Texte? Dazu drängt es mich nicht; das waren gelegentlich höchstens ein, zwei Zeilen oder ein Foto. Zu diesen Ehren kamen beispielsweise „Der Grund“ von Anne von Canal (Klavierschubauslöser), „Vor dem Fest“ von Saša Stanišić (einfach zu schön) oder „Der Pfau“ von Isabel Bogdan, dessen Schlüpfen ich zusammen mit vielen anderen über Wochen und Monate hin mitverfolgen durfte.
Bücher, die eine Spontanbegeisterung bei mir auslösen, sind ausnahmslos schöne, soll heißen: schön gestaltete bzw. illustrierte Titel. So kaufte ich in London eine Ausgabe von „Alice in Wonderland“ einzig deshalb, weil die Illustrationen von Tove Jansson stammen. Folgerichtig ist das bisher einzige Buch, das mehr als zwei Zeilen von mir erntete, „Ein Ozean der Liebe“ von Wilfrid Lupano und Grégory Panaccione. Es kommt komplett ohne Worte aus.
Die zweite Ausnahme ist nun „Sunday Sketching“ von Christoph Niemann, kürzlich erschienen im Knesebeck Verlag. Einige seiner Illustrationen kannte ich bereits, bevor ich durch die Ausstellung „Unterm Strich“ im Museum für Kunst und Gewerbe über seinen Namen stolperte. „Sunday Sketching“ eröffnet Einblicke in die Arbeitsweise des 46-jährigen Illustrators und ist zugleich ein Querschnitt durch sein bisheriges Werk. Meine Lieblinge sind dabei die Kombinationen aus fotografierten (Alltags-)Gegenständen und Pinselstrich. „Genau mein Humor“, sagt man gemeinhin, aber es braucht eben Christoph Niemanns Auge, um in einer Socke den Tyrannosaurus Rex im Rollkragenpullover zu sehen.
Bevor ich an dieser Stelle endgültig neue Seiten aufschlage, möchte ich noch einen älteren Beitrag nachreichen bzw. wieder aufnehmen. Es ist gewissermaßen die Vorgeschichte zu allem, was meine (fortgesetzt nicht ganz unproblematische) Beziehung zum Klavierspielen betrifft. Es erklärt auch, warum die Sache mit Nils Frahm und „Sheets Zwei“ in London für mich nicht nur einfach etwas Besonderes, sondern quasi die ultimative Mutprobe war – ein Teil von mir fasst ja immer noch nicht, dass ich da tatsächlich hingefahren bin.
„Es ist kompliziert“: Dieser Satz beschreibt die Beziehung zwischen mir und meinem Klavier wohl immer noch am besten. Wir arbeiten daran, dass es weniger kompliziert wird und deswegen geht es diese Woche in die Werkstatt.
In der Zwischenzeit kann ich die Geschichte dazu erzählen.
Klavierunterricht war in meinem Falle eine freiwillige Angelegenheit. Ein ausdrücklicher Wunsch sogar. Der erste Unterrichtsversuch war zwar eine Katastrophe und das erste Instrument kein Klavier, sondern ein Zustand in Form einer elektronischen Heimorgel. Aber irgendwann stiegen meine beiden Schwestern mit ein, ein echtes Klavier kam ins Haus und wir zu einem richtigen Lehrer.
Das ging so bis zur Oberstufe. Dann, nach dem Abitur, kam ein großes, schwarzes Loch. Kein Klavier mehr, kein Unterricht mehr; keine nennenswerte Verbindung mehr zum aktiven Musizieren. Zehn Jahre lang.
Bis zu dem Tag, an dem ein Freund zu mir diesen Satz sagte: „Ich finde, in jedem Haushalt sollte ein Instrument stehen.“ „Klick!“, machte es bei mir, und von jetzt auf gleich wollte ich wieder ein Klavier haben.
Ich fing an zu suchen und fand. Es war Liebe auf den ersten Ton. Aber es war kompliziert, denn etwas war unterbrochen zwischen meinem Kopf und meinen Händen. Ich konnte nicht spielen, was ich hören wollte. Das hatte nichts mit übertriebenem Ehrgeiz zu tun. Alles, was ich wollte, war mich ausdrücken können und mir selbst nicht wehtun dabei. Das klappte nicht. Egal was ich versuchte.
Über lange Zeit blieb das so und es gab immer wieder Phasen, in denen ich monatelang keinen Ton spielte. Dennoch, nie wäre mir in den Sinn gekommen, das Klavier wieder wegzugeben. Ich ahnte: Es ist eine Frage des richtigen Zeitpunkts und es fehlt noch etwas. Eines Tages finde ich es vielleicht.
Und dann, am 30. Jahrestag des Starts der Voyager 1-Mission, saß ich im Planetarium und sah einer nicht ganz unprominenten Dame dabei zu, wie sie am Flügel mein Lieblingsklavierstück zerholzte. Ich hatte das Stück lange nicht gehört und noch länger nicht versucht, es zu spielen. Trotzdem sprang während dieser fragwürdigen Performance ein ebenso ketzerischer wie absurder Satz in meinen Kopf: „Das könntest du besser!“ Technisch nie, aber vom Gefühl her.
Wenige Minuten später sahen wir eine Projektion der Voyager 1-Sonde an der Sternenkuppel und hörten dazu ein Musikstück, das absolut perfekt dazu passte und mir anschließend tagelang nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich bemühte meinen damaligen Kontakt beim Planetarium, bekam Interpret und Titel genannt und begab mich auf die Suche. Ich stellte sehr schnell fest, dass die gehörte Version des Stücks mit dem treffenden Titel „Numero Uno“ offenbar nur auf einer CD enthalten war. Ein Blick auf die Tracklist: OK, Du hast mich. Es gibt mehr davon? Sogar noch mehr? Gekauft.
Lieferung abwarten. Anhören. Nochmal anhören. Und nochmal. Und wieder. Dabei bei einem der Stücke wieder einen Satz im Kopf haben. Einen, den ich jahrelang nicht gedacht hatte. „Ob es dazu wohl Noten gibt?“
Es gab. Rund drei Wochen nach dem Abend im Planetarium versuchte ich mich zum ersten Mal an Ludovico Einaudis„Le Onde“.
Dann hat es, und hier muss ich abkürzen, noch einmal 5 Jahre und 10 Monate gedauert, bis der letzte Knoten platzte, ich es endlich mit Schwung durchspielen konnte und bis aus Tastengestolper so etwas wie Musik wurde. Diesmal mit einem „Klick“, der, wenn es dort ein Ohr dafür gibt, vermutlich irgendwann noch im interstellaren Raum zu hören sein wird. Da ist Voyager 1 nämlich gerade.
Dummerweise ist es genau deshalb immer noch ziemlich kompliziert. Aber wir arbeiten dran, mein Klavier und ich, und wenn es aus der Werkstatt kommt, geht das auch endlich 24/7. Den Nachbarn zum Trotze.
Der heutige Abend auf Kampnagel wurde allenthalben als „musikalische Lesung“ angekündigt und da die Autobiographie von James Rhodes in diesem Frühjahr auf Deutsch erschienen ist, erwartete ich eine Veranstaltung im Stile einer klassischen Buchvorstellung mit ein wenig musikalischer Garnitur.
James Rhodes hat einiges hinter sich – als Kind missbraucht worden, Depressionen, Drogen, Klinikaufenthalte, das ganze Programm – und musste vor Gericht dafür streiten, das Buch mit dem Titel „Der Klang der Wut“ in dieser Form überhaupt veröffentlichen zu dürfen. Seine Ex-Frau war der Meinung, das sei dem gemeinsamen Sohn nicht zuzumuten.
Ich stellte mich also auf schwere Kost ein, die dann komplett ausblieb: James Rhodes hat über Musik gesprochen! Fast ausschließlich! Über Chopin, Beethoven, Rachmaninoff und die Stücke, die er gespielt hat. Sprühend, ansteckend, angetan mit einem Sweatshirt mit der Aufschrift „BACH“ und in der Körperhaltung eines begeisterten Kindes. Mit einem verschmitzt-schüchternen Lächeln, welches mich so sehr an einen Herrn erinnerte, in den ich mich einst gar furchtbar verliebte, dass ich ein paar Mal heftig blinzeln musste, um mich daran zu erinnern, dass den beiden (optisch) ansonsten nichts gemein ist.
Sprechen müsse man über klassische Musik, sagt James Rhodes. Nicht nur abliefern und vom Publikum verlangen, dabei auch ja ganz still und andächtig zu sein. Das dockt bei mir 100%ig an. Klavier verläuft bei mir nämlich in Schüben, die nicht selten dadurch ausgelöst werden, dass ich mich jemandem über Musik unterhalte, der mehr davon weiß als ich.
Angel Olsen entdeckte ich durch ihr aktuelles Album, „MY WOMAN“. Das lief bei Rough Trade East im September als Album des Monats, daher betrachte ich das gestrige Konzert in der kmh auf Kampnagel auch als nachträgliches London-Souvenir.
Musikalisch war das sehr ordentlich, aber besondere Live-Momente gab es nicht. Dazu kam, dass mir das betont lässige Gehabe der Dame auf der Bühne nicht sonderlich sympathisch war. Dennoch wage ich die Prognose, dass der Saal bei ihrem nächsten Auftritt in Hamburg um einiges größer und das Ticket entsprechend teurer sein wird.
Vielleicht bin ich dann auch wieder dabei. Das entscheide ich nach Tagesform.
Einen Tag nach Ausstellungseröffnung wurden dort gestern Blogger, Instagrammer, Twitterer und überhaupt, Social Media-Menschen begrüßt, mit #EisZeitenHH-Bier, Brezeln und #EisZeitenHH-Eis bewirtet, mit WLAN versorgt, durch die Ausstellung geführt und aufgefordert, hemmungslos zu tippen, zu filmen und zu fotografieren. Mit großer Resonanz: die Social Media Wall glühte, dass es eine wahre Pracht war.
Bei der Doppelausstellung thematisiert das Museum für Völkerkunde unter dem Titel „Die Menschen des Nordlichts“ die Lebensweise der Volksgruppen nördlich des Polarkreises. Dabei ist „zirkumpolar“ der zentrale Begriff: In der Ausstellung wird nicht nach einzelnen Volksgruppen unterschieden, sondern nach Lebensbereichen. Diese enthalten jeweils Exponate verschiedener Herkunft und beweisen eindrucksvoll, wie wenig Relevanz von Menschen gezogene Landesgrenzen unter klimatisch herausfordernden Bedingungen letztlich haben.
Nicht nur dort, sondern auch im zweiten Ausstellungsteil, „Die Kunst der Mammutjäger“ (Archäologisches Museum Hamburg), gibt es spektakuläre Ausstellungsstücke aus der Kunstkammer St. Petersburg zu sehen. So z. B. eine geschnitzte Frauenfigur aus der Zeit von 21.000 bis 19.000 v. Chr., also richtig, richtig alt. Das ist schon sehr speziell, man sollte sich das vielleicht mal anschauen. Die Dame und ihr Gefolge reisen in ihrem Alter nicht mehr so gern und wer weiß, ob jemals wieder.
Mein Lieblingsstück steht allerdings jetzt schon fest: die Kopfbedeckung der Alutiiq-Jäger in Seehundsform. Ich bin verliebt!
Vorhin, auf dem samstäglichen Weg von A nach B, stolpere ich über diesen Kundenstopper. Spontan schießen mir Bilder durch den Kopf, wie man sie von den besonders bei Kindern beliebten „Übernachten in der Buchhandlung/Bücherei“-Aktionen kennt: fröhliche Musikfreunde in Nachtzeug mit Schlafsäcken und Luftmatratzen im Konzertsaal, dazu ein Gläschen Wein und die ein oder andere nächtliche musikalische Darbietung. „Cool, dann muss ich mir wohl mal das Hamburger Abendblatt kaufen“, denk ich.
Nachdem die Firma Steinway & Sons Hamburg mir unlängst beim „Hamburger Pianosommer“ per Gewinnspielteilnahme erfolgreich die E-Mail-Adresse entlockte, folgte ich heute einer Veranstaltungseinladung an den Rondenbarg – aus reiner Neugier, wie ich gerne zugebe.
Abgesehen davon, dass der Abend musikalisch ganz wundervoll war – es spielten Hilmar Jacobs, Karsten Flohr und Bernd Klosterfreund als J-F-K „The Autumn Leaves“ – fühlte ich mich schon durch den Einladungstext gut unterhalten, war in diesem doch als Unkostenbeitrag die stolze Zahl von 15.000,00 (statt 15,00) Euro zu lesen. Das habe, so die sehr nette Dame bei der telefonischen Anmeldung, zu nicht wenigen amüsierten Reaktionen geführt. Erst nach Beenden des Gesprächs fiel mir auf, dass mein launig gemeinter Satz „Ich wollte den Flügel ja nicht kaufen!“ exakt an dieser Stelle eventuell etwas deplatziert war.
Wobei man, auf die Flügel bezogen, mit der Summe bei Steinway & Sons nicht sonderlich weit kommt – hier bitte ein mattes Ächzen einsetzen.
Und noch einmal: „If I were a rich girl…“
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