„Lulu“ in der Staatsoper Hamburg

Ich hatte an dieser Stelle bereits mehrfach über Social Media-Abende von Museen berichtet. Auch die Staatsoper Hamburg lud kürzlich zum TweetUp, einer Veranstaltung, für die ich mich sehr gern beworben hätte. Da diese aber im Rahmen der Hauptprobe zur Neuinszenierung der Oper „Lulu“ durch Christoph Marthaler stattfand, handelte es sich um einen Termin unter der Woche nachmittags. Das ist mit meinen Arbeitszeiten nur schwer vereinbar.

Ich verfolgte den Hashtag #LuluHH daher zunächst nur aus den Augenwinkeln und war hin- und hergerissen. Einerseits hatte ich nach dem Spontanbesuch von Calixto Bieitos „Otello“ große Lust, mir eine weitere Opern(-neu-)inszenierung anzuschauen. Andererseits ging es da um Alban Berg. Während der Schulzeit hatte ich dessen ersten Oper „Wozzeck“ gesehen, als Begleitung zum Musikunterricht, und obwohl es mir seinerzeit einigermaßen gelang, mich in die Zwölftonmusik einzuarbeiten, erinnerte ich die Angelegenheit doch als reichlich anstrengend. Ohne gründliche Vorbereitung, das war mir bewußt, würde mir der Besuch einer „Lulu“-Vorstellung wenig Freude bereiten. Das gilt nicht nur für den musikalischen Teil. Alban Berg hat Lulus Geschichte aus zwei Stücken des Schriftstellers und Dramatikers Frank Wedekind zusammengebaut. Beim ersten Überfliegen der Zusammenfassung dachte ich: „Was für eine schreckliche, ja, hanebüchene Story. Überhaupt gar nicht mein Fall. Als Roman oder Film würde ich mir das nicht geben.“

Es kam die Premiere und mit ihr die ersten Kritiken. Ich sah Fotos des Bühnenbilds, las über die außerordentliche Leistung Barbara Hannigans in der Rolle der „Lulu“ und erfuhr die Auflösung des Rätsels um die Soloviolinistin auf der Besetzungsliste. Schließlich siegte die Neugier. Ich beschäftigte mich mit der Geschichte des Werks, studierte verschiedene Inhaltszusammenfassungen und kaufte ein 19 Euro-Ticket für die Dernière.

Der Abend begann einigermaßen kurios. Neben mir im zweiten Rang rechts, Loge 4, saß ein enthusiastischer Wiederholungstäter, der alle Umsitzenden vorwarnte: Nach dem ersten Akt sollten wir bitte noch nicht gehen, es würde besser. Dritter Akt und Epilog lohnten sich besonders. Der Mann sollte recht behalten.

Mit dem ersten Akt fremdelte ich nicht nur, weil es geraume Zeit dauerte, bis ich mich eingehört hatte. Ich saß in der Loge ganz rechts und hatte daher leider die vordere linke Ecke von Loge 3 im Blickfeld. Dummerweise passiert gerade im 1. Akt ziemlich viel auf der rechten Bühnenseite, was mir einige Verrenkungen abverlangte. Dann irritierten mich ein weiteres Mal die Diskrepanzen zwischen Libretto und Bühnengeschehen. Wo die Dialoge größte emotionale Turbulenz beschreiben, wirken die handelnden Personen seltsam teilnahmslos und erstarrt. „Hände weg!“, singt Lulu an einer Stelle, „Hab ich dich!“ antwortet der Maler, aber beide sitzen in der zwar langsamen, aber in Teilen durchaus aktionsfreudigen Inszenierung in beinahe maximal möglicher Distanz voneinander auf der Bühne und singen ihren Text mit ins Publikum gerichteten Gesichtern. Überhaupt, der Maler: Alle anderen Darsteller spielten in erster Linie Theater. Einzig Peter Lodahl als Maler blieb Opernsänger, in Gestus und Habitus. Es fiel zwar nur im Vergleich auf, dafür aber deutlich.

Zum zweiten Akt ändert sich das Bühnenbild: Es wird geschlossener, was mir sehr viel besser gefiel. Die Ohren hatten sich einigermaßen auf Zwölfton eingestellt und die Vorbereitung zahlte sich aus, da ich alle Figuren der Handlung zuzuordnen vermochte. So konnte ich mich auf die schauspielerischen und sängerischen Leistungen konzentrieren, wobei mir insbesondere Jochen Schmeckenbecher (Dr. Schön) und Barbara Hannigan imponierten. Eine leichtfüßigere und akrobatischere Lulu hat es wahrscheinlich noch nicht gegeben. Das Publikum reagierte amüsiert auf einzelne Textstellen, die Inszenierung kippte aber niemals ins Klamaukhafte. Und dann war da noch Anne Sofie von Otter: Als schwarzgekleidete Gräfin von Geschwitz blieb sie trotz dieser vermeintlichen Unscheinbarkeit unübersehbar. Ein Paradebeispiel für Bühnenpräsenz, die ohne große Gestik auskommt.

Alban Berg hat seine zweite Oper nicht vollenden können. Vom 3. Akt schaffte er noch 268 Takte, die übrigen 1.058 liegen lediglich als Particell mit vereinzelten Hinweisen zur Orchestrierung vor. Bis zum Tod der Witwe Bergs, die eine Vollendung durch dritte Hand verhinderte, wurde die Oper als Fragment aufgeführt. Seit der nachträglichen Instrumentierung durch Friedrich Cerha, uraufgeführt 1979, wird bevorzugt diese Version verwendet. Christoph Marthaler und Kent Nagano gehen einen dritten Weg. Zum dritten Akt räumt das Orchester den Graben, zwei Klaviere und die Soloviolinistin Veronika Eberle übernehmen. Eberle und eines der beiden Klaviere samt Spieler(in) werden dabei als Bühnenfiguren Teil der Inszenierung. Die musikalische Sparsamkeit erlaubt eine noch größere Konzentration auf Handlung, Inszenierung und Gesang und ich gebe zu, mir hat das Orchester an dieser Stelle nicht gefehlt.

Am Ende flieht Lulu nach London, prostituiert sich und wird zusammen mit der Gräfin von Geschwitz von niemand Geringerem als Jack the Ripper ermordet. Anne Sofie von Otter wird ausgeblendet, Barbara Hannigan bleibt mit Veronika Eberle auf der Bühne zurück; die Orchestermusiker waren zuvor nach der zweiten Pause auf ihre Plätze zurückgekehrt. Als Epilog wird nun Alban Bergs Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ gegeben, eben jenes Werk, für dessen Erstellung er die Arbeit an seiner unvollendet gebliebenen „Lulu“ unterbrach. Es gab Stimmen, die das überflüssig und unverständlich nannten. Unabhängig davon, ob man ein solches Vorgehen für sinnvoll hält oder nicht: Es war musikalisch großartig ausgeführt. Nicht ohne Grund ernteten Veronika Eberle und Kent Nagano nach Barbara Hannigan die lautesten „Bravo!“-Rufe.

Weder Story noch Inszenierung, auch nicht die Musik für sich genommen, sondern die Aufführungsstrategie war, was mich an der neuen Hamburger „Lulu“ am meisten fasziniert hat. Um musikalisch weiter einzutauchen, hätte es allerdings einer noch gründlicheren Vorbereitung bedurft. Vielleicht beim nächsten Mal. Ich bin ja jetzt wieder dran.

Ein abschließendes Wort noch an die Staatsoper Hamburg: TweetUps wirken! Ich bin der lebende Beweis. Gut gemacht! Das Blog übrigens auch.

Hauptsache Karneval

Vorhin beim Bäcker. Karnevalsdekoration gibt es keine, aber die Mehrzahl des Personals ist dezent kostümiert.

Ich: „Alaaf!“
Bäckereifachverkäuferin: ?
Ich: „Oder ist ‚Helau‘ besser?“
Bäckereifachverkäuferin (lacht verlegen): „Ach so! Ich stecke da ja nicht so drin. Es hieß halt, wir sollen uns verkleiden.“

Ich glaube beinahe, die Firma R**lfs*) hat da noch Beratungsbedarf.


*) Name der Verfasserin bekannt

Ein Satz mit X (und einer mit Ätsch)

Nein, ich will mich nicht beschweren. Ich war ja schon im Großen Saal der Elbphilharmonie und ich habe per Stand heute noch Karten für fünf*) weitere Veranstaltungen in diesem Jahr. Beim Vorverkaufsstart im letzten Sommer war geraume Zeit nahezu freie Wahl für Frühentschlossene – von ein paar sehr begehrten Konzerten einmal abgesehen. Es kamen nach und nach ein paar Festivals sowie Konzerte externer Veranstalter dazu; es lohnte sich, immer mal wieder einen Blick auf das Programm zu werfen. Und zeitnah zuzugreifen.

Dann wurde es Januar, die spektakuläre Eröffnung rückte näher und plötzlich brach allenthalben Torschlusspanik aus. „Wie, Du hast Elphi-Karten?!? Wie hast Du das geschafft?“ Siehe oben. Keine Hexerei.

Inzwischen gleicht es einer Lotterie. In dem stetig anschwellenden „Ist mir doch egal, was ich sehe/höre, Hauptsache ich war mal drin“-Hype geht der Elbphilharmonie-Ticketshop bei jeder weiteren Vorverkaufsstartankündigung gnadenlos in die Knie. Trotz kontinuierlicher Aufrüstung.

Oh! Ein Ticket! Hurra!
Oh! Ein Ticket! Hurra!
Hübsches Dach. Aber wo geht's zum Checkout?
Hübsches Dach. Aber wo geht’s zum Check-out?
Nu komm mal in die Hufe. Die Warenkorbfrist läuft gleich ab.
Nu komm mal in die Hufe. Die Warenkorbfrist läuft gleich ab!
Orrrr.
Orrrr.

„Pffft, kauf ich mir halt ein Ticket für GoGo Penguin im Uebel & Gefährlich„, denk ich. Und während alles noch auf die rotierende Elphi-Webseite starrt, finde ich via Eventim zufällig heraus, dass heimlich, still und leise auch der Vorverkauf für das Konzert von Martin Kohlstedt Ende Dezember begonnen hat. Veranstaltungsort: Der Große Saal der Elbphilharmonie.

Ätsch.


*) Jetzt: Sechs.

Die lange Elphi-Nacht

Was hatte ich nicht alles versucht, um an Karten für die Eröffnungskonzerte zu kommen. Ich baute für NDR Info eine Elphi aus alten Seekarten (was mir immerhin einen hübschen Trostpreis einbrachte), ich reichte ein Geräusch für den Sounddown ein; ich nahm praktisch an jedem verfügbaren Gewinnspiel teil, in dessen Ausschreibung das Wort „Elbphilharmonie“ vorkam. Vergebliche Liebesmüh!

Seekarten-Elphi
Seekarten-Elphi

So musste ich also auf den ersten Termin warten, für den ich bereits im Sommer letzten Jahres nach dem Start des regulären Vorverkaufs eine Karte ergattert hatte: Ein Konzert aus der Reihe „Into Iceland“ mit dem isländischen Pianisten Víkingur Ólafsson und dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Esa-Pekka Salonen. Der Zufall wollte, das später noch das NDR Kultur Neo Klubkonzert mit Jóhann Jóhannsson und Ensemble hinzukam. Macht zwei Konzerte an einem Tag, 20 Uhr und 23:45 Uhr. Was für ein Einstand!

Zur Einführung, eine Stunde vor Beginn des ersten Konzerts, betrat ich zum ersten Mal den Aufgang zum Großen Saal. Man hatte mich bereits gewarnt, dass die Treppen nicht ganz ohne sind. Das muss ich leider voll unterschreiben. Es geht die Mähr, der Architekt höchstselbst sei schon über seine eigenen Stufen gefallen. Seh- und gehbehinderten sowie motorisch anderweitig eingeschränkten Personen empfehle ich die Nutzung des Fahrstuhls. Die Orientierung in den Foyers ist die zweite kleine Herausforderung. Eine wichtige, aber nicht augenfällige Information ist beispielsweise, dass es zwar auf jeder Ebene Toiletten und Bars gibt, aber nur eine Garderobe, und zwar auf der No. 11.

Nach Überwindung dieser Hürden führte mich schließlich ein langer Schlauchgang ins Herz der Elbphilharmonie, zu meinem Platz auf Ebene 13, Bereich G, Reihe 3. Diesen hatte ich mit Bedacht gewählt: Man sitzt zwar nahe am, aber hinter dem Orchester. Dort angekommen musste ich erst einmal gucken. Und staunen.

Eindeutig ein Fall von Liebe auf den ersten Blick: Saalaufteilung und Sitzanordnung überzeugten mich sofort. Es ist ein großer und gleichzeitig sehr intimer Raum – dieses Kunststück muss man erst einmal schaffen. Die „weiße Haut“ entpuppte sich als gräulich-gesprenkelt und keinesfalls so steril, wie befürchtet, Holzfußböden und Beleuchtung taten das Übrige dazu. Ich testete verschiedene Blickwinkel auf mehreren Ebenen und war mir bald sicher: Zumindest gut sehen kann man von ausnahmslos jedem Platz, es sei denn, man hat in den ersten Reihen des Parketts das undankbare Los gezogen, Hintermann eines (Sitz-)Riesen zu sein. Ein Applaus auch demjenigen, der die Sitzpolster ausgewählt hat! Ganz hervorragend.

Zurück zur eigentlichen Veranstaltung.

Dass die Bühne sich in der Mitte des Raumes befindet, ist offenbar noch nicht bei allen Beteiligten angekommen. Die Einführung war von der Ansprache her ausschließlich auf die Parkettseite ausgerichtet. Ein Manko, das sich leicht beheben lässt: einfach zwischendurch mal umdrehen. Think Sportarena, not Konzertsaal! Dann klappt es auch mit der Aufmerksamkeit. Wobei diese zugegebenermaßen schwer zu Erringen war. Es sind dieser Tage einfach noch zu viele Erstbesucher im Raum, denen Schauen (und Knipsen) wichtiger ist, als ein paar zudem etwas fahrig wirkenden Sätzen zu Igor Strawinskys „Feuervogel“ zu lauschen.

Das eigentliche Konzert begann mit „The Unanswered Question (Two Contemplations Nr. 1)“ von Charles Ives. Das Stück ist für drei Instrumentengruppen komponiert: Streicherensemble, Solotrompeter und ein Quartett aus Holzbläsern. Diese repräsentieren „Das Schweigen der Druiden“, „Die ewige Frage nach der Existenz“ und „Die (Möchtegern-)Antwortgeber“ (freie Eigenübersetzung). Kein ganz fairer Akustiktest, denn die Gruppen dürfen sich gegenseitig nicht sehen und die bedauernswerten Streicher müssen gar im Off spielen. Das Holzblasquartett saß auf der Bühne und den Standort des Trompeters konnte ich nicht ausmachen – vermutlich war er irgendwo über und hinter mir platziert. Die erste Auffälligkeit: Sobald die Holzbläser zum Einsatz kamen, hörte ich nur noch diese. Mir fehlt zwar der Vergleichsmaßstab, aber dass das in dieser Deutlichkeit zum Plan des Stücks gehört, wage ich zu bezweifeln.

Dieser Eindruck bestätigte sich bei den beiden folgenden Stücken, „Aerialty“ von Anna Thorvaldsdottir und insbesondere dem Klavierkonzert No. 2 von Haukur Tómasson (beide Komponisten waren anwesend). Der Konzertflügel stand von meinem Platz aus gesehen ganz am anderen Ende der Bühne, ich blickte auf die falsche Seite des aufgeklappten Deckels und hörte: nahezu nichts. Bei geschlossenen Augen und ohne die Kenntnis des Programms wäre ich nicht zwingend auf die Idee gekommen, dass es sich um ein Klavierkonzert handelt. Dafür waren die Hörner ganz hervorragend vernehmbar – als Einzelstimme, nicht als Teil des Orchesters. Direkt vor mir saßen die Schlagwerker und die äußerste Vorsicht, mit der sie mit ihren Gerätschaften hantierten, sprach Bände. Wahrscheinlich gibt es auf der Welt momentan keinen Konzertsaal, in dem Triangeln und Tamburine derart behutsam aufgenommen und abgelegt werden. So viele Einzeltöne; was davon war Nebengeräusch, was gehörte zum Stück? Über ganze Strecken sah ich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr, denn wirklich alles, was auf der Bühne vor sich geht, ist gestochen scharf hörbar. Selbst das Umblättern einer Partitur sollte besser nicht allzu forsch ausfallen.

Víkingur Ólafsson – über dessen Spiel ich leider nicht viel sagen kann – gab im Anschluss eine kleine Zugabe, bei der bewiesen wurde, dass das auch für die Publikumsränge gilt. Eine Dame kam, mutmaßlich nach außerplanmäßigem Boxenstopp, während sehr leiser Töne die Treppe heruntergepoltert. Was sicher nicht in ihrer Absicht lag. Man kann einfach nicht leise gehen in diesem Raum. Es ist eine Überlegung wert, hier das Planetariumsprinzip anzuwenden: Wer vorzeitig rausgeht, darf nicht vor der Pause wieder rein. Oder muss wenigstens eine Spielpause zwischen zwei Stücken abwarten und dann fix genug sein, um nicht den Zorn des gesamten Saals auf sich zu ziehen.

Beim „Feuervogel“ von Igor Strawinksy relativierte sich das Bild. Da hatte ich zum ersten Mal für die Dauer eines Stücks den Eindruck, einem Orchester als Gesamtheit zuzuhören. Zwar waren auch hier die Instrumentengruppen deutlicher vernehmbar, die sich im hinteren Bereich der Bühne befanden. Aber warum nicht einmal die Bläser so hören, wie sonst immer die Streicher, nämlich in den Vordergrund verschoben? Das war zwar ein wenig gewöhnungsbedürftig, tat dem Hörgenuss als Ganzem aber wenig Abbruch.

Beim zweiten Konzert mit Jóhann Jóhannsson und Ensemble saß ich auf der anderen Seite des Raums im Parkett, zweite Reihe. Von einem unverhältnismäßig lautem Gebläsegeräusch abgesehen, war der Sound dort optimal – es war überhaupt ganz wundervoll, genau mein Gift! Der klangliche Vergleich hinkt allerdings, denn hier kamen Verstärker zum Einsatz.

Mein vorläufiges Urteil zur Elphi-Akustik? Für manches sehr gut, für einiges, darunter auch Ungeplantes und Unfreiwilliges, zu gut und leider, leider nicht auf allen Plätzen gleich gut. Ich gehe unter anderem deshalb zu Konzerten, weil ich dort etwas erleben möchte, was einzigartig ist: an diesem Tag, zu dieser Stunde, von diesen Musikern, in diesem Raum. Musik anders zu hören, als es durch eine Studioaufnahme vorgegeben ist, gehört zu meiner Hauptmotivation. An der Hinterseite des Großen Saals der Elbphilharmonie wurde diese gewissermaßen übererfüllt – ein klassischer Fall von Zuviel des Guten. Mindestens bei Klavierkonzerten sitze ich künftig vor der Bühne. Oder ganz woanders.

Möglicherweise ist der horizontale Standort aber auch weniger relevant, wenn man in die Vertikale geht und sich so räumlich weiter vom Orchester entfernt. Das werde ich bald herausfinden: Im März steht Beethovens Neunte auf dem Programm. Ganz oben, auf den billigen Plätzen.

Vermischtes

Was ich in den vergangenen Tagen noch so gemacht, aber bisher nicht verbloggt habe:

1. Das Burns Supper im Trific genossen.

„Oh Chieftain of the pudding race!“ Ja, doch, Innereien können lecker sein. Vom Whisky ganz zu schweigen. (Hicks.) Feine Musik und zweisprachige (Gedicht-)Vorträge gab’s auch. Es war bereits meine zweite Burns Night und nach Möglichkeit nicht die letzte.

2. Die Lesung mit Jonathan Safran Foer im kleinen Saal der Laeiszhalle besucht.

Ich hatte zwar außer „Tiere essen“ noch nichts gelesen, aber ich war neugierig auf den Mann. Und wenn der deutschsprachige Lesungsteil von Saša Stanišić vorgetragen und die Veranstaltung von Daniel Beskos moderiert wird, was kann da schon schiefgehen? Richtig: gar nichts. Es war aufschlussreich und sehr kurzweilig. Ich werde weitere Bücher von Jonathan Safran Foer lesen müssen.

3. Das Spiel des FC St. Pauli gegen den VfB Stuttgart am Millerntor miterlitten.

Der Spaßfaktor war erwartungsgemäß erheblich höher als bei meinem ersten Bundesligaspielbesuch vor bummelig 25 Jahren, einem Grottenkick des FC Köln gegen den Karlsruher SC im Müngersdorfer Stadion. Was sich nur leider nicht auf das Ergebnis ausdehnte.

Die einzige Möglichkeit
Die einzige Möglichkeit

Ich stand zwischen Eingeschworenen auf der Gegengeraden im Block C und es fühlte sich ein wenig so an, als wäre ich bei jemandem zu Hause eingeladen. Jeder schien jeden zu kennen, jedenfalls im unmittelbaren Umkreis, und grob mindestens auch noch die direkte Nachbarschaft. Das Spiel geriet streckenweise zur Nebensache, so sehr faszinierten mich das Drumherum und einzelne Verhaltensweisen. Neben mir stand beispielsweise ein prinzipiell sehr ruhig und besonnen wirkender Mensch, der ausschließlich bei Eckbällen für die Heimmannschaft aus dem Stand verbal komplett ausrastete, um nach der Standardsituation übergangslos wieder in freundliches Schweigen zu verfallen. Ich lernte unter anderem, wer wo steht bzw. sitzt, wie man sich als Fan der Gästemannschaft unter Paulianern besser nicht benehmen sollte, welches Liedgut verwendet wird, wie groß manche im Stadion geschwenkte Flagge sein kann und dass der kleine tschechische Maulwurf aus der „Sendung mit der Maus“ Pauli heißt. Außerdem weiß ich jetzt, wo es fußläufig zum Stadion die beste Pizza gibt.

Wie das Spiel ansonsten so war, kann man hier oder dort und drüben bei Stefan nachlesen und -schauen.

4. Bei „Rock’n Read“ zwei Schallplatten, ein Buchpäckchen und einen Gutschein gewonnen.

Der „Abend zwischen Lyrik und Lyrics“ im Literaturhaus Hamburg wurde von Studierenden des Seminars „Buch braucht Bühne“ der Arbeitsstelle für Studium und Beruf an der Universität Hamburg veranstaltet. Als Experten waren Frank Spilker, Isabel Bogdan, Ingo Herzke sowie der Literaturwissenschaftler Dr. Martin Schneider geladen.

Der Erkenntnisgewinn aus dem Programm war eher gering, dafür der Unterhaltungswert umso höher. Die Sache entpuppte sich zudem als deutlich musiklastiger als im Vorfeld vermutet. Das mochte ich besonders.

5. Bei HAM.LIT unverhofft einem der beiden unter 4. gewonnenen Bücher nebst Autorin wieder begegnet.

Nämlich Paula Fürstenberg mit „Familie der geflügelten Tiger“ – ich bin jetzt noch ein bisschen gespannter auf das Buch. Außerdem erlebte ich Margarete Stokowski mit „Untenrum frei“ (och, na ja), Stefan Beuse mit „Das Buch der Wunder“ (Toll! Kaufen!), Dear Reader (trefflicher Name – ansonsten ohne Wertung), Alina Herbing mit „Niemand ist bei den Kälbern“ (tendenziell langatmig), Marcel Gein (süß!), Sven Amtsberg mit „Superbuhei“ (fragt mich nächste Woche nochmal) und leider nur ganz kurz im Vorbeigehen Philipp Winkler mit „Hool“ (puh). Ich hätte sehr gerne noch etwas aus „Zuckersand“ von Jochen Schmidt gehört. Aber das Turmzimmer des Uebel & Gefährlich war notorisch überfüllt, weswegen ich lieber bei lilly among clouds im Terrace Hill blieb. War gut so.

„Den“ magischen Moment gab es diesmal zwar nicht, aber ich rechne nach der Erfahrung des letzten Jahres mit der ein oder anderen Spätfolge. Ich werde berichten.

In Concert: Sir Jeffrey Tate und die Hamburger Symphoniker in der Laeiszhalle

„Mehr Philharmonisches Staatsorchester Hamburg“, lautete einer meiner Konzertvorsätze für die Saison 2016/17 – so sehr hatte mich das 6. Philharmonische Konzert mit Kent Nagano im Februar letzten Jahres begeistert. Nun kann man mir nicht ganz zu Unrecht vorwerfen, dass ich leicht zu begeistern bin. Was aber an diesem Abend besonders war: Ich saß in der Laeiszhalle, hörte einem Hamburger Orchester zu, auf dem Programm stand unter anderem ein Komponist, nach dessen Stücken es mich nicht zwingend gelüstet und ich brachte dennoch das gesamte Konzert auf der Stuhlkante sitzend zu. Der hinter mir liegende Arbeitstag, der schmerzende Rücken, der laeiszhallentypische Sauerstoffmangel: alles unwichtig, solange Nagano den Taktstock in der Hand hielt.

Ich bin nicht sehr versiert, wenn es um Orchester- und Dirigentenvergleiche geht. Dazu fehlen mir Hintergrundwissen und Hörerfahrung. Wenn ich in Kritiken von „analytischer Durchdringung“ lese oder von „furchterregend stählerner Brillanz“, dann erinnert mich das an Geschmacksbeschreibungen bei Weinproben oder Whisky-Verkostungen. „Goldener Sirup, braunes Brot, Erdnussbutter, Zimt, weißer Pfeffer, Cocktailkirschen“, las ich da unlängst, und aus eigener Kraft wäre ich höchstens auf „goldener Sirup“ gekommen – ganz vielleicht auch noch auf „Erdnussbutter“. Ein schlichtes „Schmeckt mir“- oder „Schmeckt mir nicht“-Urteil ist sehr viel wahrscheinlicher.

Mein Maßstab für Orchesterkonzerte ist daher: Wie sehr fesselt mich das Aufgeführte? „Kriegt“ mich das, selbst wenn ich mit dem Komponisten, dem Werk oder der Musikrichtung wenig anfange? Kent Nagano und die Philharmoniker schafften das mühelos und ich wollte unbedingt mehr davon.

Nur kann ich meinen Vorsatz leider nicht einhalten. Ich bin zwar nicht leer ausgegangen beim Elphi-Vorverkauf, aber den Run hatte ich in dieser Wucht doch unterschätzt und daher keine Karte mehr für ein Philharmoniker-Konzert ergattern können.

Aber schließlich sind da ja noch die Hamburger Symphoniker, die der Laeiszhalle als neues Residenzorchester die Treue halten. „Andere Säle haben auch (noch) schöne Konzerte“, dachte ich, als ich das Plakat zum 5. Symphoniekonzert sah, „und außerdem kannst Du das Ticket im Zweifel noch spontan zwei Wochen vor dem Termin kaufen. Hat auch was für sich.“

Es war schon ein besonderes zeitliches Zusammentreffen. Jeffrey Tate ist erst kürzlich zum „Sir“ geschlagen worden, in Anerkennung der Verdienste um die Musik seines Heimatlandes im Ausland. Es war das erste Konzert, das er nach dieser Auszeichnung dirigierte, und das Programm unter dem Titel „London, my love“ bestand bezeichnenderweise ausschließlich aus britischer Musik: der „Horoscope“-Suite von Constant Lambert, dem Liederzyklus „Sea Pictures“ op. 37 von Edward Elgar, vorgetragen von Mezzosopranistin Jennifer Johnston und der Sinfonie No. 2 („A London Symphony“) von Ralph Vaughan-Williams.

Intendant Daniel Kühnel ließ es sich verständlicherweise nicht nehmen, das Publikum vor Konzertbeginn darauf hinzuweisen. Er konnte sich dabei nur leider eine Spitze Richtung Elbphilharmonie nicht verkneifen. „Schön, dass Sie den Weg hierher gefunden haben“, so seine Begrüßung. „Die Laeiszhalle wird heute Abend ganz wunderbar klingen. So wie schon die letzten 108 Jahre und 15 Tage!“ Mit der Reaktion des Publikums setzte das die Stimmung. „Lass die anderen in dieses neumodische Glas-Ding da rennen, wir haben unsere Laeiszhalle und die Symphoniker!“, klatschte es halb selbstgewiss, halb mürrisch aus dem Parkett.

Das Konzert schloss sich nahtlos an: Ich war aufnahmewillig und hörbereit, hatte aber Schwierigkeiten, die Konzentration zu halten. Einzig beim zweiten Satz der Vaughan Williams-Sinfonie klappte das vollumfänglich (Wie zauberhaft ist der denn! Team Vaughan-Williams! Hach!). Das mag in Teilen der Tatsache geschuldet gewesen sein, dass Sir Jeffrey Tate mit einem grippalen Infekt zu kämpfen hatte. Dennoch, es erinnerte mich an frühere Erfahrungen ähnlicher Art bei Symphoniekonzerten und das Erlebnis mit den Philharmonikern hatte mir gezeigt, dass es so nicht sein muss.

Ein kniffliger Zwiespalt: Hätte Kent Nagano mit den Philharmonikern auf dem Podium gestanden, ich hätte zum Gähnen keine Muße gehabt. Andererseits hätte es das Konzert in dieser Zusammenstellung ohne Sir Jeffrey Tate in Hamburg sehr wahrscheinlich gar nicht gegeben.

Wenn mich ein Programm lockt, werde ich daher wohl auch künftig zu den Symphonikern in die Laeiszhalle kommen. Aber die Entscheidung dafür wird zögerlicher ausfallen.

Von allen musikalischen Vergleichen und der Tagesform einzelner Beteiligter abgesehen hat das viel mit dem gestern präsentierten Gesamtbild zu tun. Insbesondere die trotzig-unentspannt wirkende Ansage war alles andere als sexy. Durch solches wird das (Abo-)Publikum weder diverser noch jünger und ganz bestimmt nicht zahlreicher. Da wird eine Philharmonie eröffnet, die ganze Stadt redet über klassische Musik, aber viele, zum Teil erstmals Interessierte haben keine Tickets bekommen – das ist doch super! Nicht schmollen, ausnutzen und abgreifen!

In dem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Webseite der Symphoniker sehr dringend ein Facelift gebrauchen kann. Als ersten Schritt sollte man den „x Jahre, x Tage, x Stunden und x Minuten seit Eröffnung der Laeiszhalle“-Ticker von der Startseite nehmen. Damit gegen die mutmaßlich Tausende Euro schwere „Sounddown“-Kampagne der Elbphilharmonie anstinken zu wollen, riecht nicht nur schwer nach Verzweiflung.

So etwas hat die würdige alte Lady gar nicht nötig.

„Otello“ in der Staatsoper Hamburg

In der Staatsoper Hamburg war ich nun schon ein paar Mal, aber erst als ich im vergangenen Herbst die Liveübertragung der Spielzeiteröffnung 2016/17 am Jungfernstieg sah, fiel mir auf, dass ich dort zwar Ballettvorführungen und Konzerte, aber noch nie eine Oper besucht hatte. In über 11 Jahren in Hamburg nicht. Höchste Zeit, das nachzuholen.

Warum es nun ausgerechnet der „Otello“ wurde, tja. Mag sein, dass die mannshohe Plakatierung im U-Bahn-Durchgang zwischen Rathausmarkt und Jungfernstieg eine Rolle spielte (Print wirkt!). Kann aber auch am Datum gelegen haben.

Wie dem auch sei, ich fand kurzfristig noch einen freien Platz mit halbwegs brauchbarem Blick auf das Bühnengeschehen für äußerst erschwingliche 12 Euro, konsultierte den zuvor entstaubten Opernführer und informierte mich grob über die Inszenierung: zeitgenössisch offenbar, von Buhrufen aus dem Publikum war zu lesen; das versprach Kontroverse.

Ob es in Calixto Bieitos Sinne war, dass sich in meinem Kopf angesichts der italienisch singenden Anzugträger auf der Bühne schon ab der ersten Szene Mafia-Assoziationen festsetzten – ich bin mir da nicht ganz sicher.

Die vorgetragene Version der Geschichte um Intrigen, Eifersucht, Gewalt und Mord erinnerte mich jedenfalls an die klassischen Macho-Machtspiel-Szenarien innerhalb eines Clans. In einer Hafenstadt, des das Bühnenbild beherrschenden orangefarbenen Krans wegen, sei es nun auf Zypern, wie das Libretto es vorgibt, oder sonst irgendwo auf der Welt. Ein testosterongesteuertes Wetteifern, in dem Frauen nur als devote Opfer und Status- bzw. Sexobjekte vorkommen. Selbst die Liebesszenen atmen in dieser Inszenierung Unterdrückung und Missbrauch und das ist soweit stimmig.

Was nicht ganz passte, war der Chor. Ein Heer von abgerissenen, schicksalsergebenen und sich um die Champagnerspritzereien der Herrschenden balgender Gestalten, die Textstellen wie

Mentre all’aura vola,
vola lieta la canzon,
l’agile mandòla
ne accompagna il suon.

Zur Mandola klingen
Soll der Freude Lied,
Das auf leichten Schwingen
Durch die Lüfte zieht.

singen, während Desdemona mit einem Blumenstrauß im Arm sich unter ihnen bewegt – das lässt sich meines Erachtens höchstens mittels Ironie in Einklang bringen.

Vermutlich habe ich also auch hier wieder nicht in Gänze begriffen, was der Regisseur dem Publikum mit seiner Inszenierung sagen wollte. Es hat mir trotzdem sehr gut gefallen.

Die musikalischen Gewinner des Abends waren Claudio Sgura als Jago und Svetlana Aksenova als Desdemona – großartig. Und überhaupt, Verdi! Nicht kaputtzukriegen. Schlimmstenfalls hätte das auch mit geschlossenen Augen noch funktioniert.

Apropos, ich merke mir fürs Ohr: Die Staatsoper-Akustik funktioniert sehr gut auch in der Holzklasse auf den günstigen Plätzen (und ist gnadenlos zu klappernden Streichern).

Den dramatischen Abend mit einem doppelten Grappa ausklingen zu lassen, erschien mir im Anschluss nur recht und billig. Wobei das wiederum ganz bestimmt auch dem Datum geschuldet war. Und der anderen Oper da, jenseits des großen Teichs.

Salute.

Das Jeansproblem

Onlineversandhandel kann eine praktische Sache sein. Man hat die größtmögliche Auswahl, bestellt unabhängig von Ladenöffnungszeiten bequem von zu Hause aus und bekommt, wenn alles glatt läuft, das Gewünschte binnen weniger Tage ins Haus geliefert. Ich bestelle viel und gerne online und möchte diesen Einkaufsweg nicht missen.

Manche Dinge erscheinen mir aber schlicht zu banal, um deswegen einen Bringdienst zu bemühen. Oder ich benötige sie jetzt und sofort und habe daher keine Muße, Lieferfristen abzuwarten. Kleidung und Schuhe online zu kaufen, empfinde ich gar als unpraktisch und umständlich. Für die allermeisten Dinge mache ich mich also weiterhin auf den Weg in den Einzelhandel, um dieser Tage vermehrt enttäuscht zu werden.

Ein Beispiel.

Über Weihnachten hatte ich die Gel-Wärmflasche meiner Mutter in der Mikrowelle zum Platzen gebracht. In der Benutzung dieses Geräts ungeübt, hatte ich versehentlich eine zu hohe Wattzahl eingestellt. Es galt, Ersatz zu besorgen. Das erschien mir nicht als sonderlich herausfordernd. Ich begab mich also zunächst auf die Barmbeker Einkaufsmeile und danach in die Hamburger Innenstadt. Zwei Drogeriemärkte, ein Kaufhaus und zwei Apotheken später gab ich das Vorhaben auf und bestellte online. Wir reden hier von Hamburg, wohlgemerkt. Nicht von Hintertupfingen. Sehr erstaunlich.

Noch erstaunlicher: Eine der besuchten Apotheken gehört zu einer Kette, der auch ein Webshop angegliedert ist. In diesem war das von mir gewünschte Produkt als lieferbar gelistet, vor Ort war die Wärmflasche allerdings nicht am Lager. „In Ihrem Webshop haben Sie so etwas!“, erwähnte ich noch bei der Nachfrage. Das sei gut möglich, erhielt ich zur Antwort, aber man könne eben nicht das gesamte Sortiment in der Filiale bevorraten. Soweit absolut verständlich. Nur bot man mir weder an, die Ware für mich zu besorgen noch wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich – wie ich im Nachhinein herausfand – die Wärmflasche im Webshop auch zur Abholung vor Ort hätte bestellen können.

Da möchte ich nun keine Klagen mehr über den bösen Onlinehandel hören, der dem Einzelhandel das Wasser abgräbt. Im vorliegenden Fall muss man leider sagen: selbst Schuld.

Die Sache mit der Wärmflasche ist indes ein zu vernachlässigendes Ärgernis. Viel nachhaltiger trifft mich die Einschränkung des Jeanssortiments in den Hamburger Filialen der Firma CECIL. Im Gespräch mit den Mitarbeiterinnen meiner Lieblingsfiliale wurde ich ausdrücklich aufgefordert, mich diesbezüglich persönlich bei CECIL zu beschweren. Sie hätten schon so oft um entsprechende Ware gebeten, da die Nachfrage bestehe. Leider ohne Erfolg. Ich verfasste daraufhin das folgende Schreiben.

Liebe Firma CECIL,

ich bin seit Jahren großer „Toronto“-Fan. Jeans kaufen war bisher so einfach: In den CECIL Store (…) gehen, nach einer „Toronto“ in der Größe irgendwo zwischen 26 bis 28 [gemeint ist die Bundweite in Inches] in 34er Länge suchen, anprobieren, kaufen, glücklich sein.

Nun wurde die Filiale in der Europapassage kürzlich geschlossen – kein großer Verlust, denn außer „meiner“ Jeans habe ich dort schon länger nichts rechtes mehr für mich finden können. Aber auch mein Lieblingsstore (…) bekommt kaum noch Hosen in 34er Länge, obwohl die Nachfrage besteht.

Wohl oder übel bestellte ich also drei lange „Torontos“ über den Webshop. Was ich hasse, denn ich will bei Klamotten anprobieren, entscheiden, was ich kaufe und fertig. Nicht bestellen, in Vorleistung treten, warten, bis das Paket kommt (was u. U. noch beschädigt und verzögert geliefert wird, wie jetzt geschehen), anprobieren, merken, daß „Toronto“ vom Schnitt nicht mehr zwingend „Toronto“ ist, ahnen, daß ich bei diesen beiden Fällen jetzt eine oder zwei Nummern größer anprobieren müßte, diese Größen aber nicht mitbestellt haben, sehr laut fluchen, zwei von drei Jeans wieder einpacken und zurückschicken, auf die Gutschrift warten und mich ärgern.

Liebe Firma CECIL, wissen Sie, was als nächstes passieren wird? Ich werde mich auf die Suche nach einer neuen Lieblingsjeans machen. Woanders.

Sehr schade.

So long,
Susanne Dirkwinkel

Ein paar Tage später erhielt ich eine Textbaustein-Antwort. „Diese direkte Rückmeldungen unserer Kunden“, „sehr wichtig“, „an die zuständige Abteilung weitergeleitet“, „unseren Service und unsere Leistungen stetig optimieren“; ihr kennt das. Weiter passierte nichts und bei den letzten Besuchen in der Lieblingsfiliale stellte ich keine Bewegung fest.

Das Modell „Toronto“ ist, was im Fashionsprech mit „Straight leg, high rise, regular fit“ (gerades Bein, hohe Taille, bequeme Passform) bezeichnet wird. Ich bevorzuge dunkle bis sehr dunkle Blautöne, bin aber auch für andere Farbvarianten offen und vermeide generell bei meiner Kleidung jeglichen Tüdelüt (Motivstickereien, Strass-Steinchen, lustige Metallnupsis etc.).

Hat eventuell jemand eine heiße Empfehlung für mich?

The Elphi is open

Nun ist sie endlich eröffnet, unsere Elphi, und es gibt kaum jemanden, der keine Meinung oder wenigstens Meldung dazu hat.

Der komplette NDR und nicht nur die Lokalpresse überschlugen sich tagelang, der (klassische) Musikbetrieb kannte kaum ein anderes Thema und auch meine Timelines mischten kräftig mit: Falk schrieb über Kunst, die kein bürgerliches Vergnügen sei, Torsten berichtete vom fotografischen Scheitern und bei „Hamburg unter sich“ gab „die Neue“ bereits im vergangenen November ihren Einstand.

Am Nachmittag fiel mir auf Twitter dann noch ein Beitrag des Kunstmagazins „art“ ins Auge, geteilt von Anke Groener. „In Hamburg sagt man Philli“, so lautet die Überschrift. Der Spitzname ist auch Thema des letzten Artikelabsatzes:

Was sagt der Volksmund? „Elbphilharmonie“ ist als Rufname definitiv zu lang, da war man sich einig. „Elphi“ johlte es deshalb vorschnell auf großgedruckten Überschriften, so solle das Wahrzeichen von nun an heißen. Derweil hatte sich unmittelbaren Nachbarschaft längst das bedeutend mondänere „Philli“ als Abkürzung für das Schmuckstück durchgesetzt. Also Vorsicht: Wer in Hamburg weiterhin von der „Elphi“ spricht, outet sich unfreiwillig als Pinneberger.

Ist das so? Seltsam nur, dass sämtliche Social Media-Kanäle der Elbphilharmonie höchstselbst mit „Elphi“ arbeiten, ebenso der Eigentümer, die Stadt Hamburg, sowie das Residenzorchester und überhaupt: alle, die ich kenne, ob in Hamburg oder außerhalb. Als Verballhornung der Verniedlichung ist vielerorts auch vom „Elbvieh“ zu hören und zu lesen.

Also, liebe Kollegen von „art“: Guten Morgen! Der Drops ist längst gelutscht.

Ich freue mich derweil auf meinen ersten Konzertbesuch im Großen Saal: Am 10. Februar ist es endlich so weit.