In Concert: Rufus Wainwright auf Kampnagel

Mein Besuch des gestrigen Auftritts von Rufus Wainwright in der K6 fällt fraglos unter „mal sehen, was andere Leute so hören“. Aufgefallen war mir der Mann zwar erstmals und durchaus nachdrücklich durch die Aufnahme einer Coverversion von Leonard Cohens „Hallelujah“, verblieb dann aber jahrelang im Hintergrund meines Bewusstseins. Bis zu dem Konzert in der Elbphilharmonie im Sommer 2017, das wohl ziemlich spektakulär gewesen sein muss. Spektakulär genug jedenfalls, um meine Neugier zu wecken.

Sagen wir so: meine Musik war das gestern mehrheitlich nicht, aber man sollte diese Stimme wirklich einmal live gehört haben. Konsequenterweise gefielen mir die Songs mit viel Stimme und wenig Band am besten, unbestrittener Höhepunkt (auch nach Applausometer): „Both sides now“ von Joni Mitchell.

Davon abgesehen war es sehr unterhaltsam, zur Abwechslung mal eine Vollblut-Diva auf der Bühne zu erleben. So jemanden mit „Musical Director“, der nicht nur musikalisch keine Götter neben sich duldet und folglich seiner gut geölten Backgroundband nicht einmal ein paar Solomomente gönnt, der mit Glitter und Federkleid verzierte Bühnenkostüme zur Schau trägt, sich Instrumente und Accessoires von bis zu zwei Hiwis gleichzeitig reichen und abnehmen lässt und der neben der Band, der Crew, dem Licht und dem Ton auch seinem „Costume designer“ dankt. That’s entertainment, too. Faszinierend!

In Concert: 4 Wheel Drive in der Laeiszhalle

Eigentlich hatte ich das Ticket in erster Linie deshalb gekauft, um Michael Wollny zu sehen und zu hören. Aber bei 4 Wheel Drive spielen neben Wollny noch Lars Danielsson (Bass, Cello), Wolfgang Haffner (Schlagzeug) und vor allem Nils Landgren (Posaune, Gesang). Letzterer übernahm auch die Moderation und zumindest nach außen die Führung des All-Star Ensembles und selbst wer das so gar nicht gebucht hatte, widerstehen kann man diesem schwedischen Charmeur kaum. Jedenfalls ich konnte es nicht.

Dabei geholfen hat wohl auch, dass das Programm mit „She’s always a woman“ begann. Ich kann nicht mal sagen, dass mir das 4WD-Cover meines allerliebsten Billy Joel-Songs besonders gut gefällt. Insbesondere des Gesangs wegen, denn Nils Landgren singt mit einer Stimme, die definitiv unter Geschmackssache fällt. Und dennoch oder vielleicht gerade deswegen: Sie hatten mich.

Gleichwohl waren nicht alle Arrangements des gleichnamigen Albums dazu geschaffen, das volle (Jazz-)Potenzial des hochkarätig besetzten Quartetts auszuschöpfen. Geklappt hat das noch am besten bei „Polygon“ von Michael Wollny, „Lobito“ von Wolfgang Haffner und der furiosen 7/8-Version von „Lady Madonna“. Gewissermaßen als Ausgleich erwachten dafür andere, vermeintlich erschöpfend durchgenudelte Popstücke zu völlig neuem Leben, „That’s all“ von Genesis beispielsweise, oder „Another day in Paradise“ von Phil Collins.

Alles in allem also ein lohnenswerter Abend, den ich allerdings aus wirtschaftlichen Gründen nicht auf meinem Lieblings- sondern einem Ausweichplatz in Loge 1 des zweiten Rangs rechts verbrachte. Die Vogelperspektive noch hinter der Boxenreihe und über der Bühne hatte sich seinerzeit schon bei Ludovico Einaudi bewährt. Nur funktionierte bei 4 Wheel Drive der Bühnensound leider nicht ganz so gut: Das Schlagzeug dominierte und sowohl Lars Danielssons Bass bzw. Cello als auch Nils Landgrens nicht eben kräftige Stimme gingen streckenweise unter. Einerseits verständlich, dass für einen solchen Akt einigermaßen gesalzene Tarife aufgerufen werden. Wenn dann auch noch Siggi Loch und Karsten Jahnke höchstpersönlich im Publikum sitzen! Andererseits bedenklich bis ärgerlich, denn ich hatte zwar mit dem Ticket am oberen Rande meiner (Preis-)Schmerzgrenze noch einen freien Blick (Erfahrungswert aus dem Chilly Gonzales-Konzert), während eine Reihe hinter mir Menschen stolze 35 Euro für einen Hörplatz gezahlt hatten. Ich meine schon, das sich solches etwas stärker im Preis bemerkbar machen dürfte. Zumal offenbar nicht bei allen Buchungswegen das Etikett „sichtbehindert“ auch mitgeliefert wird.

Buchpremiere: Saša Stanišićs „Herkunft“ im Thalia Theater

Warnung! Wer kein Geld für Literatur ausgeben kann oder möchte, sollte auf gar keinen Fall eine Lesung mit Saša Stanišić besuchen! Zur Premiere des letzten Buches schrieb ich:

Da liest … eine im positiven Sinne hyperaktive und außerordentlich sympathische Rampensau, die große, sehr große Freude an der Interaktion hat. Das bringt Laune und macht Lust auf das Buch.

Das war vor knapp zwei Jahren und gilt bis heute. Damals war’s der Erzählband „Fallensteller“, vorgestern im gut gefüllten Thalia Theater stellte Stanišić im Tandem mit Lektor Martin Mittelmeier seinen neuen Roman „Herkunft“ vor. Und auch diesen werde ich nun wohl kaufen und lesen müssen. Oder, vielleicht noch besser, ich lasse lesen, und zwar vom Autor höchstselbst: Das Hörbuch ist diese Woche beim Hörverlag erschienen. Leider nur als gekürzte Lesung (warum?!), aber immerhin.

 

K & D

Und dann war ich am Freitagabend noch mit Frau F. in der restlos ausverkauften K6 auf Kampnagel bei Kruder & Dorfmeister. Das Set dauerte fast dreieinhalb Stunden und wurde von beeindruckenden Visuals begleitet. Um mich herum tobte die Menge, teils stehend, teils sitzend, auf einen beträchtlichen Teil davon schienen die Beats der beiden Altstars wie ein Jungbrunnen zu wirken und anschließend schwappte die kollektive Begeisterung weiter durch meine Timelines der diversen Social Media-Kanäle bis in Ecken, in denen ich solches nun wirklich nicht erwartet hatte. Einigermaßen erstaunlich.

Was mich selbst betrifft, tja, hm. Sagen wir es so: Ich muss in den 90ern musikalisch wohl auf einem anderen Planeten gelebt haben.

Aber eine tolle Show war’s nichtsdestotrotz.

In Concert: Árstíðir bei The Rope Shack Concerts

Wenn Frau C. und ich uns bisher über isländische Künstler unterhielten, dann ging es zumeist entweder um Svavar Knútur („der eine Isländer“) oder um Ólafur Arnalds („der andere Isländer“). Nicht, dass es da nicht noch weitere Isländer gäbe, über die es sich zu sprechen lohnt. Da sei z. B. Jóhann Jóhannson erwähnt, den wir auf Frau C.s Betreiben hin zusammen in der Elbphilharmonie sahen, ziemlich genau ein Jahr bevor er im Februar 2018 mit nur 48 Jahren verstarb.

Dann sind da aber noch „die ganz anderen Isländer“, nämlich die Mitglieder der Band Árstíðir, deren Geschicke Frau C. schon seit geraumer Zeit mit beachtlicher Leidenschaft verfolgt. Grund genug für mich, die Jungs selbst einmal in Augenschein zu nehmen. „The Rope Shack Concerts“, der noch recht jungfräuliche Veranstaltungsort auf St. Pauli, entpuppte sich dabei als sehr intime Angelegenheit ungefähr in Wohnzimmergröße. Ich bin schlecht im Schätzen sowohl von Raumgrößen als auch von Menschenmengen, aber ich vermute, das Fassungsvermögen entspricht ungefähr einem Drittel des Hinterzimmers der Pony Bar (Flur und Vorraum nicht mitgerechnet). Das beengte Platzangebot nötigte die Band praktisch dazu, ein nahezu lupenreines Akustikkonzert zu geben. „Nahezu“ deshalb, weil das Piano ein elektrisches war – ein „echtes“ hätte auf der winzigen Bühne keinen Platz mehr gehabt. Wie dem auch sei, besser hätte mein Einstand nicht sein können, denn die Jungs können nicht nur dies hier

sondern auch so etwas

und hatten dort reichlich Gelegenheit, ihre musikalischen Qualitäten unter Beweis zu stellen. Denn wer für Dynamik keine Regler braucht, hat auch auf kurze Distanz keine Probleme damit, ein Publikum zu überzeugen.

Zum Anfixen war dieser Auftritt jedenfalls allerbestens geeignet. Dumm nur, dass sich ein solches Erlebnis aus der Konserve nur sehr schwer rekonstruieren lässt. Das ist das Hauptproblem bei den musikalischen Empfehlungen der Frau C.: Sie füllen den Konzertkalender. Je nun. Es gibt Schlimmeres.

Theater, Theater: „Der Fall Furtwängler“ im Ernst Deutsch Theater

Schuld war mal wieder ein Plakat. „Die beiden kenne ich doch“, denke ich, als mein Auge an einer U-Bahn-Haltestelle daran hängenbleibt. „Boris Aljinovic und der Hamburger Jedermann. Kontrastreiche Besetzung. Und mit Musik hat es auch noch zu tun.“ Dann bin ich nach Hause gefahren und habe eine Karte für die Dernière am vergangenen Sonntag gekauft. Was lehrt uns das? Print ist nicht tot!

Ein paar Tage später hallen das Stück und die Darbietung desselben immer noch nach. Der Kontrast zwischen Dr. Wilhelm Furtwängler (Robin Brosch), dem Kulturmenschen mit Haltung und besten Verbindungen zur Elite des sogenannten Dritten Reichs und Major Steve Arnold (Boris Aljinovic) dem bekennend kulturlosen Versicherungssachbearbeiter, der als Soldat die Zustände im KZ Bergen-Belsen unmittelbar nach der Befreiung durch die amerikanische Armee erleben musste, könnte größer nicht sein. „Taking Sides“, so der treffende Titel der Verfilmung des Stoffes von 2001, ist dennoch keine ganz einfache Sache. Denn die zunehmend fanatisch anmutenden Versuche Arnolds, den „Bandleader“ und „Big Boy“ „dranzukriegen“, stoßen ab. Zumal die Beweislage gegen den Dirigenten einigermaßen dürftig erscheint.

Unwillkürlich fragt man sich beim Fortgang der Ermittlungen und Befragungen, ob es hier wirklich noch um die Entnazifizierung Furtwänglers geht. Oder ob der Amerikaner Arnold nicht vielmehr seine Abneigung gegen den Vertreter einer Kulturelite auslebt, dessen Anspruch und künstlerische Motivation er nicht versteht und dessen Lebensstil und Privilegien er neidet. Was keineswegs die Frage erübrigt: Hat Furtwängler sich korrumpieren lassen? Oder lediglich den bequemeren Weg des geringsten Widerstands gewählt? War seine Entscheidung richtig, in Deutschland zu bleiben und damit durch seine bloße Anwesenheit das Regime zu unterstützen? Kann man Kunst von Politik trennen, zumal unter solchen Umständen? Was können Kunst und Musik ausrichten gegen Aggression, Repression und Entmenschlichung?

Da ist nur eines sicher: Die Übergänge zwischen falsch und richtig können mitunter fließend sein. Das ist heute nicht anders als damals. Umso wichtiger, sich diesen Fragen schon meilenweit vor den Eskalationsstufen „Diktatur“ und „Weltkrieg“ zu stellen.

In Concert: Sylvain Cambreling und die Hamburger Symphoniker in der Laeiszhalle

Da wollte ich mir nun doch auch einmal den neuen Chefdirigenten der Hamburger Symphoniker in Ausübung seiner neuen Funktion anschauen. Wobei ich Sylvain Cambreling schon einmal vor den Symphonikern erlebt hatte, und zwar in der öffentlichen Generalprobe zum 2. Symphoniekonzert „Le Double“, Anfang Oktober 2017. Der Auftritt erzeugte bei mir Spontansympathie schon deshalb, weil Cambreling sich nicht zu fein dafür war, das spärlich vorhandene Publikum während der Probe anzusprechen. Ich erinnere mich außerdem noch sehr gut an den sensationellen Solisten (das war Andrei Ioniță am Cello) und an Claude Debussys „La Mer“ (mit Debussy kriegt man mich ja immer).

Da schien schon damals die Chemie zu stimmen, sowohl zwischen Orchester und Dirigent, als auch zwischen diesen und dem Publikum. Dieser Eindruck bestätigte sich bei meinem Besuch in der Laeiszhalle in der letzten Woche voll und ganz. Die erste Programmhälfte, französisch und opernlastig, hat mir dabei besser gefallen als Schumanns „Rheinische“, aber das schlage ich zum größten Teil meinem Geschmack und meiner Tagesform zu. Davon abgesehen war es schon schön, die „Rheinische“ zur Abwechslung mal in voller Länge gehört zu haben. Als (Nordrhein-)Westfälin ist mir vor allem der Auszug bekannt, der seit gefühlten Urzeiten als Titelmelodie der WDR-Sendung „Hier und Heute“ dient.

So begeistert war ich, dass mich selbst die schräg hinter mir in vernehmlicher Lautstärke geflüsterten Kommentare zum Geschehen nicht irritieren konnten. Immerhin beschränkte sich der Herr im fortgeschrittenen Alter auf musikalisch Relevantes, wie beispielsweise unmittelbar nach Verklingen des letzten Tons der Suite aus „Pelléas et Melisande“: „Das war’s! Pelléas ist tot!“ Wobei das Stück „Mort de Mélisande“ heißt, aber so genau muss man es in diesem Fall nicht nehmen – am Ende des Stücks sterben nämlich beide.

Der Zusammenarbeit zwischen Sylvain Cambreling und den Hamburger Symphonikern sei dagegen ein langes Leben beschert. Der Mann ist ein sehr guter Fang!

In Concert: klub katarakt auf Kampnagel

Was ich viel öfter tun sollte: Mich spontan zu irgendwelchen Veranstaltungen mitschnacken zu lassen, von denen ich noch nie gehört habe. So geschehen am letzten Mittwochabend, Ort des Geschehens: Kampnagel.

Schlimm genug, dass es sechs Jahre gedauert hat, bis ich diesen Ort für mich entdeckt habe. Obwohl er von meiner Wohnung nur gut zwanzig Minuten zu Fuß entfernt liegt. Dass ich aber immer noch nicht gelernt habe, das Programm sorgfältig zu studieren, grenzt ans Unverzeihliche. Und so hat es weitere viereinhalb Jahre gedauert, bis ich mich schließlich auf dem klub katarakt-Festival wiederfand.

Streng genommen reichte es in dieser Woche nur zur Eröffnungsveranstaltung. Unter dem Titel „Parcours – Konzertinstallation für ein wanderndes Publikum“ fanden zwei Stunden lang parallele Aufführungen in den drei zusammengeschalteten Hallen kmh, P1 und K4 statt. Ich war skeptisch: Würde das nicht in einer heillosen Kakophonie enden? Das Gegenteil war der Fall. Die Stücke waren so geschickt aufeinander abgestimmt, dass die kombinierten Klänge tatsächlich zumindest zeitweise zum Gesamtkunstwerk wurden. Das einzige, was mich bei dem Konzept gestört hat: Obwohl das Programmheft die Stücke in der Reihenfolge der Aufführung listete, konnte ich nicht alles zweifelsfrei zuordnen. Den Genuss des Augenblicks beeinflusst das kaum, aber ich entdecke Musik in Stafetten. Wenn mir gefällt, was ich höre und sehe, dann spüre ich dem nach. Oft führt das eine zum anderen zum Dritten und manchmal sogar von da aus in eine neue Welt. Weswegen es mich auch wahnsinnig macht, wenn zum Beispiel zu gewissen Radiosendungen oder vergleichbaren Veranstaltungen keine, lücken- oder gar fehlerhafte Playlists geliefert werden.

Ich bin daher nicht zu 100% sicher, aber ich habe mutmaßlich mindestens gesehen und gehört:

  • „Stones“ von Christian Wolff,
  • „Viderunt omnes“ von Perotin,
  • „Pambuko“ von Margi Budoyo,
  • das Streichquartett F-Dur op. 35, 2. Satz: Assez vif – très rythmé von Maurice Ravel,
  • „Music for Marcel Duchamp“ von John Cage,
  • „Psappha“ von Iannis Xenakis,
  • „Four“ von John Cage,
  • „Pendulum Music“ von Steve Reich,
  • „Miserere d’après Palestrina“ von Franz Liszt,
  • „Compassion“ von Julia Wolfe und
  • „Fumeux fume par fumee“ von Solage.

Wie schon erwähnt: Leider hat es zu mehr als der Eröffnung in diesem Jahr nicht gereicht. Aber fürs nächste Jahr habe ich klub katarakt auf dem Schirm. Mit Dank an Philipp, Andreas und Till!

„Nennt mich Ismael.“

So lautet einer der berühmtesten Romananfänge, nämlich der von – wer weiß es, wer weiß es? Richtig: „Moby Dick oder Der (weiße) Wal“ von Herman Melville. Der Stoff ist gerade ziemlich en vogue in meiner Wahlheimat, steht er doch innerhalb weniger Tage sowohl im Thalia Theater als auch im Schauspielhaus auf dem Spielplan. Während jedoch im Thalia eine ortsübliche Theaterinszenierung zur Aufführung kommt, sahen wir im Schauspielhaus eine musikalische Lesung mit Ulrich Tukur am Text und Sebastian Knauer am Konzertflügel.

Eigentlich eine Idealbesetzung. Und ein schlagendes Konzept: Ulrich Tukur zaubert eine Kompaktversion des sattsam bekannten Stoffs aufs Parkett, während Sebastian Knauer diese mit Stücken unter anderem von Franz Liszt, Modest Mussorgsky, Antonin Dvorak, Fréderic Chopin und Scott Joplin untermalt. Und doch ließen mich die knapp 90 zugegebenermaßen furiosen Minuten seltsam unbefriedigt zurück. Dabei waren die Textpassagen perfekt gewählt: Ismael und Queequeg werden vorgestellt, man erfährt einiges über Nantucket und das Schiff, die Pequod und schließlich auch über dessen Kapitän Ahab, alles hübsch nach der Reihenfolge des Auftretens auch im Roman. Dann aber geht alles ganz fix: Moby Dick wird gesichtet und kaum bekommt man mit, dass nicht nur die ausgesetzten Walfangboote, sondern auch die Pequod selbst versenkt wird, da hat es Ahab auch schon  aus dem verbleibenden Boot gerissen, Ismael findet Queequegs Rettungskanu – und Schluss.

Nennt es Jammern auf hohem Niveau, aber irgendwie fehlte mir da der Mittelteil. Und die Zwischentöne.

Theater, Theater: „König Lear“ im Deutschen Schauspielhaus

Der Zufall wollte, dass ich zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen eine Inszenierung des „Lear“ sah: Zuerst eine Produktion des Chichester Festival Theatre mit Ian McKellen in der Titelrolle (gezeigt im Savoy im Rahmen der „English Theatre“-Reihe) und gestern die Version von Karin Beier im Deutschen Schauspielhaus.

Fangen wir mit der Nummer zwei an. In den etwas über drei Stunden der Dauer des Stücks fühlte ich mich die meiste Zeit gut unterhalten. Ich mochte die Bühne, die Kostüme, den Umgang mit und Einsatz von Geräuschen, Tönen und Musik (insbesondere das Klavierspiel) und das Ensemble, allen voran Jan-Peter Kampwirth, Edgar Selge und Lina Beckmann. Ich mochte, dass das Stück als solches erkennbar blieb. Ich mochte auch den offensiven und offensichtlichen Geschlechtertausch bei der Besetzung der Schwestern Goneril und Regan und der Rolle des Edmund. Und obgleich ich kein Fan von schreiender und tobender Nacktheit bin, so ist der Einsatz dieser Elemente doch absolut vertretbar, wenn in dem zu inszenierenden Stück zwei Wahnsinnige und ein Narr darzustellen sind. Was ich überhaupt nicht mochte: die Überfrachtung des Stücks mit aktuellen Bezügen. Besonders hervorstechend war dabei der arme königstreue Kent als blondperückiger, pöbelnder und obendrein auch noch sächselnder Wutbürger. Schon das Klischee wäre mir zu dumm gewesen, aber wie passt das zur Figur, zum Stück? Gar nicht. Es tut nicht Not, den „Lear“ in dieser Form aufstocken zu wollen. Die Story ist hochaktuell, um nicht zu sagen zeitlos. Es ist nicht das erste Mal, dass ich nach Genuss einer zeitgenössischen Theater- bzw. Operninszenierung zu dem Schluss komme: Weniger wäre sehr viel mehr gewesen.

Was mich direkt zur britischen Version bringt. „Aktualisiert“ waren hier lediglich Bühnenbild, Ausstattung und Kostüme. Alles darüber hinaus wurde dem Spiel überlassen, in dessen Mittelpunkt der geistige und körperliche Verfall des Lear und dessen Interpretation durch Ian McKellen stand. Auch in dieser Produktion waren Frauen in Männerrollen zu sehen, was allerdings nicht automatisch zu der Frage „was will der Regisseur uns damit sagen“ führt. Dass Besetzungen unabhängig von Geschlecht oder Hautfarbe vorgenommen werden, ist jenseits des Kanals offenbar völlige Normalität.

Ich will nicht behaupten, der originalgetreuere „Lear“ wäre auch automatisch der bessere gewesen. Die unterschiedlichen Herangehensweisen an das Stück sind kaum vergleichbar. Was ich aber am „English Theatre“ so sehr genieße: Ich kann völlig unvorbereitet in eine Aufführung gehen und mir eine Geschichte erzählen lassen. Zum Beispiel eben die des Königs, der eines Tages beschloss, noch vor seinem Tod die Königswürde und sein Reich unter seinen drei Töchtern aufzuteilen. Und bekomme dabei die Chance, neben der eigentlichen Handlung ohne Eingriff in den Text und überfrachtende Symbolik zu begreifen, wie universal und übertragbar diese Geschichte ist. Bei „König Lear“ von Karin Beier wäre das undenkbar gewesen. Hätte ich Story und Originalfiguren nicht schon gekannt und dadurch den roten Faden einigermaßen im Blick behalten, ich hätte vermutlich zur Pause aufgegeben.

Was ich gern hätte: Einen Mittelweg zwischen diesen beiden Theaterwelten. Ob es das wohl irgendwo gibt?