barcamp Hamburg XI

Im Wesentlichen waren es drei Fehlinformationen, die mich bisher davon abgehalten hatten, am barcamp Hamburg teilzunehmen:

  1. Wer nicht wenigstens bloggt, zählt nicht zur digitalen Szene und hat somit auf einem Barcamp nichts zu suchen.
  2. Es geht dort ausschließlich ums (Internet-)Business, entsprechend gestalteten sich Publikum, Programm und Interessen.
  3. Wer anwesend ist, muss auch zwingend eine Session abhalten oder zumindest anbieten.

Tatsächlich reichen eine gute Portion Neugier sowie Lust auf Input und Interaktion völlig aus. Internetaffinität, Social Media-Präsenz und/oder ein eigenes Blog helfen, keine Frage. Aber nicht notwendigerweise als Voraussetzung für die Teilnahme, sondern vielmehr als Kommunikationsmittel; sei es zur Fortsetzung des Informations- und Ideenaustauschs über die Sessions hinaus oder generell zum Vernetzen.

Eine Barcamp-Grundregel ist: Es gibt keine feste Tagesordnung und keine festen Sprecher. Die Themen ergeben sich aus den Ideen und Vorschlägen der Teilnehmer und entsprechend spontan wird vor Ort und unmittelbar vor Beginn der Sessions das Tagesprogramm zusammengestellt.

Die Sessionplanung hatte ich mir als zeitrahmensprengendes Chaos vorgestellt. Eine weitere Fehleinschätzung – das genaue Gegenteil trat ein. Fein gesittet in Reih und Glied wurden Vorschläge unterbreitet, eine kurze Bedarfsanalyse mittels Handzeichen durchgeführt und zack, gebongt, der Nächste bitte. Ein buntes Spektrum tat sich dabei auf: Vom digitalen Nachlass über Geigenbau, Finanzen für Freelancer, Kinderbücher, Typo 3, Agilität, Marktforschung für Beginner, die Auswahl des richtigen Kondoms, Loslassen lernen, ADHS, digitales Geld, einer Werkstatt für Potentiale, Bürgerbeteiligung, B2B-Marketing, Community und Social Media Management bis hin zu Godzilla, den Serienjunkies und Renes Torten- und Brotgeheimnissen.

Die Qual der Wahl
Die Qual der Wahl

Das Board abzufotografieren und auf dieser Grundlage die eigene Agenda zu planen, ist zwar grundsätzlich eine gute Idee. Regelmäßige Gegenchecks sind dennoch ratsam, da sich auch im Laufe des Tages noch kurzfristig Änderungen ergeben können. Ein weiteres Handicap: Viele interessante Themen werden parallel präsentiert. Bei der Bewältigung dieses Dilemmas hilft das Festival-Prinzip: Entscheidungen treffen, eine grobe Reihenfolge festlegen, Laufwege, Verpflegungs-, Plauder- und Boxenstopps mit einrechnen und den so erstellten Fahrplan im Zweifel konsequent über Bord werfen.

Tag 1

Online-Identität

Zur Barcamp- kam gleich zu Anfang eine weitere Premiere: Ich habe einen YouTuber kennengelernt! Zunächst frontal in der Session „Online-Identität ‚Tom Tastisch'“ und später auch im persönlichen Gespräch.

Thomas Lerche alias Tom Tastisch ist seit fast einem Jahr und noch bis zum 12. Dezember jeden Morgen ab 6:00 Uhr zwanzig Minuten lang auf Sendung. Ziel der Morgenroutine und des täglichen, auf YouTube bereitgestellten Siebenminutenzusammenschnitts: Optimismus trainieren. Bei der Session ging es sowohl um organisatorische Fragen als auch um die Abgrenzung zwischen dem Positivstarter Tom als Online-Identität und der reflektierteren, „echten“ Person dahinter, die wie jeder andere Mensch gelegentlich auch mal mit dem falschen Fuß aufsteht.

Sketchnotes

Ania Groß kenne ich schon eine ganze Weile, aber der Begriff „Sketchnotes“ war für mich bisher nicht viel mehr als ein Buzzword.

Mitgenommen habe ich aus ihrer Session, dass man zum Erstellen einer Sketchnote nicht zwingend zeichnen können muss, sondern es im Kern darum geht, Text auszuzeichnen und mittels graphischer Elemente so zu gliedern, dass Schlüsselsätze und -begriffe als solche erkennbar sind.

Lieber Kunde, Du Arschloch...

In der Runde „Plädoyer für mehr Anständigkeit in Social Media und Community Management“ von Vivian Pein stellte ich schnell fest, dass mir viele der beschriebenen Verhaltensweisen und Reaktionsstrategien bereits aus eigener Berufserfahrung bekannt waren. Unterm Strich ist es unerheblich, ob es um den aufgebrachten Kunden an der Ladentheke oder am Telefon, verbal entgleiste E-Mails, einen Kommentar-Shitstorm bei Facebook, Forumstrolle oder Twitterpöbeleien geht: Einfühlungsvermögen, Kommunikation auf Augenhöhe, Souveränität, Humor, Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, im Zweifel aber auch die konsequente Anwendung eines entsprechend gestalteten Regelwerks helfen nicht nur bei der Bewältigung der konkreten Situation. Idealerweise erfüllen sie zudem eine Vorbildfunktion, auch über die digitale Welt hinaus: Nicht nur das Netz (oder das Barcamp) ist, was wir daraus machen.

Wir machen dann mal Scrum

Bei der Sessionplanung flogen verschiedene Schlagwörter durch den Raum, von denen ich zuvor nie gehört hatte. Dazu gehörten auch Scrum und Agilität. Ein Grund, um sich in die Session von Madita Althusmann zu begeben. Scrum, so verstand ich daraus, ist eine Möglichkeit, agiles Arbeiten in (Software-)Unternehmen zu gestalten. Im Gegensatz zur klassischen Struktur („Waterfall“) gibt es bei einem Projektablauf nach der Scrum-Methode keinen Hauptverantwortlichen. Das Team organisiert unter Aufsicht eines Spielleiters („Scrum Master“) sowohl die Arbeitsschritte als auch die Aufteilung derselben in Eigenregie, der Projektfortschritt wird nicht in großen Planungsphasen, sondern in kurzen Termineinheiten („Sprints“)  gedacht und am Ende eines jeden Sprints muss ein vorzeigbares Produkt stehen.

Schon aus der Diskussion im Anschluss an den Vortrag war zu erkennen, dass – wie bei nahezu jeder Ausprägung von Methodik – die reine Lehre oft nicht realitätstauglich ist. Vorhandene Unternehmensstrukturen, unter Umständen zu Recht bewährte Prozesse und die Vielschichtigkeit mancher Aufgabenstellung machen eine Anpassung in vielen Fällen unumgänglich. Beinahe unvermeidlicherweise fiel dabei der Satz „Dann lebt ihr das vielleicht noch nicht.“ Was allerspätestens der Moment ist, an dem ich mich an der Grenze zum Reich der Fitnessgurus und Heilsversprecher wähne und höchst skeptisch werde. Ein ostwestfälisch-norddeutscher Reflex, zugegeben.

Bei einem Gespräch am nächsten Tag ergab sich die Gelegenheit, den Faden nochmals aufzunehmen. Ist ein selbst organisierter (Abenteuer-)Urlaub im Sinne der Definition agil, verglichen mit der Pauschalreise? Geht es dabei letztlich nicht doch mehr um die Denkweise als um die Methode? So oder so: Es lohnt sich, dem Thema ein paar Überlegungen zu widmen.

Renes Torten- & Brotgeheimnisse

Als der Natur der Sache gemäß wesentlich handfester erwiesen sich Rene Sasses Brot- und Tortengeheimnisse. Manche Tricks, so hat jeder wohl beim Kochen und Backen schon festgestellt, sind nicht nur äußerst hilfreich, sondern spielentscheidend für ein zufriedenstellendes Ergebnis. Viele davon werden jedoch in Rezepten nicht mitgeliefert, sondern fallen unter die Rubrik Erfahrungswerte. Dazu zählt, dass ein Backofen, der nicht ordentlich heiß wird, keine hübschen Brötchen liefert.

Oder dass – nach Renes Mutti – eine Torte keine ist, wenn in ihr nicht wenigstens 1,5 Liter Konditorsahne verarbeitet sind. Nach dieser Anregung werde ich zumindest das Projekt Brötchen in nächster Zeit mal in Angriff nehmen.

Tag 2

Geheimnis Geigenbau

Geigenbauerin Anne Pelz führte zu Beginn des zweiten Tages in die Geheimnisse ihrer Zunft ein. Dabei lernten wir, dass die Schnecke auch die Form eines Eselskopfes annehmen kann, welcher Teil der Geige als Stimme bezeichnet wird und wie die Wölbung bei Decke und Boden des Instruments entsteht.

Die Schnecke als Eselskopf
Die Schnecke als Eselskopf

Nämlich nicht durch Formen des Holzes, sondern durch schlichtes Abhobeln. Unter anderem mit diesem Werkzeug.

Mini-Hobel
Mini-Hobel – man beachte die Stimmgabel zum Größenvergleich

Wir erfuhren außerdem einiges über das Berufsbild des Geigenbauers, die Beziehung mancher Geigenbesitzer zu ihrem Instrument und was eine Stradivari so besonders macht.

Strategie trifft Hype

In der zweiten Session des Tages berichtete Gianna Krolla von elbkind über den medialen Siegeszug der Ritter Sport Einhornschokolade. Die Idee für die limitierte Sorte entstand aus einer Trendbeobachtung bei den eingereichten Sortenkreation-Vorschlägen, die sich zudem in den diversen im Netz verbreiteten Fake-Sorten manifestierte.

Kurz nach dem Launch am Tag des Einhorns 2016 verbreitete sich die Nachricht von der neuen Sorte wie ein Lauffeuer, innerhalb wie außerhalb des Netzes. Obwohl der Ritter Sport-Webshop wenig später unter der Flut der Kaufwilligen zusammenbrach, hat die Marke unterm Strich von der Kampagne profitiert. Wobei das Ziel von Anfang an nicht eine konkrete Umsatzsteigerung war, sondern die Ansprache neuer Zielgruppen in einem weitgehend gesättigten Markt.

Zum Frühling nächsten Jahres, so kündigte uns Gianna an, wird Ritter Sport eine neue limitierte Sorte präsentieren. Das Einhorn ist derweil medienwirksam zurückgetreten.

5 Untipps für XING und LinkedIn

Wer es noch nicht mitbekommen haben sollte: Ich befinde mich momentan auf Jobsuche. Ein sehr guter Anlass, um mir in der Session von Holger Ahrens ein paar Hinweise zur Gestaltung von Profilen auf XING und LinkedIn geben zu lassen. Seine fünf Untipps: Nur ein zu 150% perfektes Profil ist ein gutes Profil, ein lustiges Foto erhöht die Chancen auf ein Vorstellungsgespräch, Informationen soll man horten und nicht teilen, man vernetze sich am besten mit ausnahmslos jedem und verballere überhaupt soviel Zeit wie möglich mit seiner Onlinepräsenz. Für alle, die das „Un“ vor dem „Tipps“ nicht gelesen oder gar missinterpretiert haben: so natürlich nicht.

Berufsbild Social Media & Community Manager

Zum Abschluss des zweiten Tages beschäftigte mich nochmals das Thema Social Media und Community Management – „aus Gründen“, wie man so schön sagt. Vivian Pein und Tanja Laub definierten die idealtypischen Berufsbilder des Social Media und des Community Managers und führten uns anschließend mittels der Daten aus einer Studie des Bundesverbands Community Management e. V. (BVCM) vor, wie sich die reale Situation des Standes zurzeit darstellt.

So viel Wissensvermittlung und -austausch macht Hunger und Durst! Um die Verpflegung indes musste sich kein Teilnehmer sorgen. Ich weiß dann jetzt, warum das barcamp Hamburg auch zärtlich „Fresscamp“ genannt wird.

They call it Freßcamp I
They call it Fresscamp I
They call it Freßcamp II
They call it Fresscamp II
They call it Freßcamp III
They call it Fresscamp III

Lange Rede, kurzer Sinn – wer es noch nicht mitgemacht hat: Barcamps sind toll! Sowohl das ehrenamtliche Orgateam als auch die Sponsoren – allen voran die otto group, in deren Räumlichkeiten wir uns austoben durften – verdienen ein großes Lob und ein dickes Dankeschön.

Werner Otto approves
Werner Otto approves

Und im nächsten Jahr halte ich selbst eine Session. Versprochen.

#MeToo? Nein. Oder doch?

Es hat eine Weile gedauert, bis ich auf den Hashtag #MeToo aufmerksam wurde, unter dem in den letzten Wochen weltweit Frauen via Twitter, Facebook und andere Plattformen erlittene sexuelle Belästigung öffentlich machten. Ich fühlte mich zwar betroffen, aber zunächst nur im solidarischen Sinne.

Meine eigenen Erlebnisse hielten sich bislang im Rahmen. Ich habe lange in einer männerdominierten Branche*) gearbeitet, in der ich es mir nicht leisten konnte (und wollte!), übersensibel auf Sexismus und diskriminierendes Verhalten zu reagieren. Manches davon basierte auf schlichter (Kommunikations-)Unsicherheit und das meiste ließ sich mittels wohldosierter Gegenschüsseargumente oder durch demonstrierte Fachkompetenz regeln. Ich erzähle immer noch gerne die Geschichte des Herrn im besten Alter, den ich eines Tages am Telefon hatte.

Ich: „Firma XY, mein Name ist Dirkwinkel, was kann ich für Sie tun?“
Er: „Guten Tag, mein Name ist Z. Können Sie mich mit einem kompetenten Herrn aus Ihrer Seekartenabteilung verbinden?“
Ich: „Würden Sie auch mit einer kompetenten Dame vorlieb nehmen?“

Eine Erwiderung, die bei dem Mann ebenso Begeisterung wie Verlegenheit auslöste; er entschuldigte sich formvollendet und wir schieden als Freunde.

Ansonsten waren da die Kusssmileys per WhatsApp aus Schottland – die andererseits einen nicht geringen Unterhaltungswert hatten und zu meiner Erleichterung lediglich mit Hafen- und Essensbildern garniert waren**) -, ein schmieriger Brief, diverse „augenzwinkernde“ Törneinladungen und als Krönung dieses eine arme Würstchen, das mir weiland auf der hanseboot meckernd lachend seinen Spazierstock auf die berockte Rückfront setzte. In allen Fällen hatten die Absender den größeren Schaden, schon weil ich, wo nötig, Unterstützung suchte und zum Glück auch immer fand.

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir klar: #MeToo, das lässt sich in meinem Fall vielmehr über die Dinge definieren, von denen ich mich abhalten lasse. Verhaltensregeln, die ich für mich aufgestellt habe, um ja nicht in brenzlige Situationen zu geraten. Ich lasse das leichte Sommerkleid und den schicken Bürodress öfter im Schrank, als ich sie gern tragen würde. Ich laufe auch im Dunkeln, aber nach 21 Uhr trete ich grundsätzlich keine Runde mehr an, außer im Hochsommer, wenn der Hamburger Stadtpark bis tief in die Nacht bevölkert ist. Wenn ich allein und in freier Wildbahn unterwegs bin, meide ich Blickkontakte mit unbekannten Männern oder breche sie oft vorzeitig ab und selbst auf neutrale Gesprächsanbahnungen reagiere ich zumeist schroffer als nötig. Ich wäre auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zwingend auf die Idee gekommen, Mitglied eines Fußballvereins zu werden, wüsste ich nicht um eines: Der, der einer Frau im FC St. Pauli-Umfeld dumm kommt, riskiert den Verlust gleich mehrerer Gliedmaßen. Ich umgehe bestimmte Wege, wenn ich allein unterwegs bin und habe nicht wenige Länder von meiner Reiseliste gestrichen – die Stadt Paris muss ich nach meinen Erfahrungen vom Mai 2016 wohl leider auch dazuzählen. Von Männern gemachte Komplimente lösen bei mir grundsätzlich Misstrauen aus, selbst wenn ich sie gerne annähme. Und und und – die Liste ist erschreckend lang. Das Schlimmste daran: Die meiste Zeit meines Lebens geschah dies unbewusst. Mir war lange gar nicht klar, dass ich mich einschränke aus Angst davor, Männern Angriffspunkte zu bieten.

Je älter ich werde, desto mehr stelle ich mein Verhalten infrage. Wie viele gute Gespräche und tolle Erlebnisse, wie viele Bekannt-, Freund- oder gar Liebschaften habe ich verpasst aufgrund der selbst auferlegten Vorsichtsmaßnahmen? Ist es mir möglich, aus dieser Sicherheitszone zu treten und meinen Aktionsradius zu erweitern, offener zu werden? Welches Risiko gehe ich damit ein?

Fragen, von denen ich wünsche, sie mir nicht mehr stellen zu müssen. So gesehen: Ja. Doch. #MeToo.


*) Nein, nicht in dieser Firma. Aber das Video ist hübsch-hässlich repräsentativ: Man beachte den Abschnitt ab 3:40.

**) Stichwort „rauschende Hecksee“, die ehemaligen Kollegen und sonstige Eingeweihte werden sich erinnern

Eins

Was die Historie des Susammelsuriums angeht, habe ich ein wenig geschummelt. Das ist so auch auf der Über mich-Seite ausgewiesen:

Alle Beiträge bis einschließlich 20. Oktober 2016 sind ursprünglich für und auf Facebook und Twitter entstanden. Um sie blogtauglich zu machen, habe ich manche Texte an der ein oder anderen Stelle leicht modifiziert.

Erst am 25. 10. 2016 ist der erste originale Blogtext online gegangen, nach dem Konzert von James Rhodes auf Kampnagel nämlich. Das zählt doch als Geburtsdatum, oder?

Happy Birthday, Susammelsurium!

In Concert: Evgeny Kissin, Thomas Hengelbrock und das NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie

Da saß ich also mal wieder in der Elbphilharmonie und wollte mich eigentlich den musikalischen Darbietungen von Evgeny Kissin und dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Thomas Hengelbrock widmen.

Das Konzert begann pünktlich um 18 Uhr mit dem 2. Klavierkonzert von Béla Bartók und obwohl ich das Stück bisher nicht kannte und kein besonderer Bartók-Fan bin, bekam ich recht schnell eine Ahnung, warum Evgeny Kissin schon im zarten Alter von Mitte 40 als lebende Legende bezeichnet wird. Diese verfestigte sich durch die Zugabe, der Prélude cis-moll op. 3 Nr. 2 von Sergei Rachmaninoff. Einem Stück, mit dem mich einst auch mein Klavierlehrer zu quälen versuchte. Was mir damals sehr geholfen hätte: eine Aufnahme von jemandem zu hören, der das wirklich gut kann. Live ist natürlich noch besser. Nicht obwohl, sondern gerade weil mir Kissins Vortrag an der ein oder anderen Stelle ein wenig zu geziert erschien – kann man machen, hätte ich aber so nicht.

In der Pause leuchteten im Großen Saal die Smartphone-Bildschirme auf. Überall wurden die ersten Prognosen zum Ergebnis der Bundestagswahl 2017 abgerufen und diskutiert. Es passierte das Unvermeidliche: „13%! Das ist doch schon mal gut“, kommentierte eine Dame in der Reihe direkt vor mir, bevor sie ihren Sitz verließ.

Was macht man da? Ihr übers Kleid kotzen, wie ich spontan auf Twitter vorschlug? Was mir zwar einigen Beifall einbrachte, aber letztlich reichlich albern ist. Das ist, was man an Hilflosigkeiten von sich gibt, wenn man zwar mit dem Einzug einer Nazifraktion ins Bundesparlament gerechnet hat, aber wahrlich nicht in dieser Stärke.

Vor einigen Monaten hatte ich noch laut darüber nachgedacht, Angela Merkel bzw. der CDU meine Stimme zu geben und meine Skepsis gegenüber der SPD-Spitzenkandidatur von Martin Schulz geäußert. Ich habe ersteres dann doch nicht getan und mit letzterem (leider) recht behalten. Aber stärker als noch beim Amtsantritt des 45. Präsidenten der USA beschleicht mich jetzt das Gefühl, dass alle paar Jahre meine Kreuzchen zu machen allein nicht mehr ausreicht. Dass ich tun sollte, was ich bisher kategorisch ausgeschlossen habe: nicht mehr bloß passiver Anhänger der Demokratie zu sein, sondern Mitglied einer ausgewiesen demokratischen Partei zu werden. Mit diesem Gedanken, so stellte ich schnell fest, befinde ich mich in guter Gesellschaft, zumindest innerhalb meiner Filterblase.

Zurück zum Konzertabend. Es folgte Gustav Mahlers 1. Sinfonie in D-Dur (in der Hamburger Fassung, aber ohne den 2. Satz „Blumine“). Mir war durch die aktuellen Ereignisse und eine leichte Ermattung als Nachwirkung der Londonwoche leider ein wenig die Konzentration abhandengekommen, aber eines kann ich erneut durch Erfahrung bestätigen: Ganz oben, auf den billigen Plätzen, ist der Elphi-Sound grandios. Und das NDR Elbphilharmonie Orchester kennt sich mittlerweile sehr gut aus in seinem neuen Zuhause.

Glaube – Liebe – Honig

Ich habe es wieder getan und mich zu einem Heimspiel verführen lassen. Dabei habe ich zum ersten Mal den FC St. Pauli live & in Farbe Tore schießen sehen. Sogar gleich zwei! Eigentlich drei – na gut, sagen wir zweieinhalb. Leider landeten auch die Dresdner zwei Treffer. Unterm Strich passte es zur Partie, Details gibt es drüben bei Stefan und Übersteiger- wie Magischer FC-Blog werden sicher bald nachziehen.

Gegengerade

Dass das FC St. Pauli-Universum ein sehr besonderes ist, ist keine neue Erkenntnis. Auch für mich war es das nicht. Selbst mittendrin zu stehen statt es nur aus zweiter Hand zu wissen, macht allerdings einen riesigen Unterschied. Ich habe zwar keinen Vergleichsmaßstab, aber was ich bisher im Umfeld der Gegengeraden beobachtet und erlebt habe, ist wahrscheinlich nicht die Norm. Es ist quasi unmöglich, sich dem zu entziehen. Und warum sollte man auch.

Konfetti

Fankultur ist dabei das eine, gesellschaftliches Engagement das andere, und beides tritt beim FC St. Pauli sowohl Hand in Hand als auch in allen denkbaren Facetten auf. So stieß ich bei meinen braunweiß-motivierten Streifzügen durchs Netz auf einen originellen Pressetermin, nämlich den anlässlich der diesjährigen Abfüllung des Ewaldbienenhonigs („Hamburg blüht braun-weiß“). Ewaldbienenhonig, das muss man sich wortwörtlich auf der Zunge zergehen lassen, die neue Ernte, ab jetzt zu erwerben im Fanshop; so beliebt, dass die Abgabe auf zwei Gläser pro Person limitiert ist. Die rund 160.000 Bienen wohnen zurzeit neben der Haupttribüne des Millerntor-Stadions und produzierten in diesem Sommer immerhin 67kg Honig. Mit dem Projekt will der FC St. Pauli auf das Bienensterben aufmerksam machen.

(St.) Pau(li)

„What’s not to love“, wie der Engländer sagen würde. Was kostet eigentlich die Vereinsmitgliedschaft?

Sonntagsrunde

Inzwischen bin ich bei meinen Laufbemühungen wieder auf dem Stand „15km am Stück sind mühsam, aber machbar“ angelangt. Wenn irgend möglich beschränke ich mich daher sonntagmorgens nicht mehr auf den Stadtpark, sondern trabe an dessen südlichen Rand entlang weiter bis zur Alster, einmal links um ebenjene herum und wieder zurück durch den Stadtpark nach Hause.

Die Alsterrunde ist eine sensationell schöne Strecke, aber zugleich auch Naherholungsgebiet und Laufsteg und entsprechend gut frequentiert. Schlau ist, wer möglichst früh startet. Was heute Morgen leider wieder nicht geklappt hat. Diesmal nicht etwa, weil ich zu spät aus den Federn kam, sondern weil ich es für sicherer hielt, den Durchzug des Gewitters abzuwarten. Zu eindrucksvoll ist mir noch das Bild vom Freitagabend im Gedächtnis: das Rettungssanitätergrüppchen, heftig bemüht um einen kollabierten Jogger. Ein Teil von mir hofft ja immer noch, dass das ein Training war. Da standen verdächtig viele Retter herum, darunter ein hoher Anteil an jungen Leuten. Andererseits hätte ich mich als Übungsobjekt nicht so bearbeiten lassen. Eine Puppe war das jedenfalls nicht.

Man mische das mit der weiterhin ungelösten Arbeitssituation sowie dem mehr als unbehaglichen Gefühl, Bilder vom „eigenen“ Edeka-Markt in den Abendnachrichten zu sehen und die entsprechende Meldung dazu zu hören und erhalte einen sehr verhaltenen Wochenendstart.

We shall overcome

Apropos Edeka. Während ich nach absolviertem Sonntagslauf beim Bäcker schräg gegenüber meine Kuchenbelohnung erstehe, steht vor dem Laden ein buntgemischter Chor und singt „We shall overcome“.

One sincerely hopes so.

Militärmusik aus Düsseldorf*)

Während das Video mit dem Auftritt der Militärkapelle auf der Parade zum diesjährigen französischen Nationalfeiertag um die Welt geht, taucht vor meinem inneren Auge die Big Band der Bundeswehr auf, wie sie zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2017 in Mainz „Wir sind die Roboter“ von Kraftwerk intoniert.

Honi soit qui mal y pense.


*) sehr frei nach Mikael Niemi

Barmbek bleibt bunt

Liebe Nachbarn, die ihr mit skeptischer Miene am Straßenrand oder in den Fensterrahmen standet und zugeschaut habt: Selbst wenn euch die Demonstrationen wegen „der ganzen Chaoten“ suspekter sind als es der Thor Steinar-Laden in der Fuhlsbütteler Straße 257 ist, lauft bitte trotzdem mit beim nächsten Mal. Denn: Je mehr Menschen mitmachen, desto schneller verschwindet der Laden. Und dann ist auch wieder Ruhe in eurer kleinen Welt. Vorher nicht.

Barmbek bleibt bunt
Barmbek bleibt bunt

Andererseits, die „Lautis“ von heute mögen doch bitte ihren Soundtrack und auch die Lautstärke überdenken. Es mag den einen oder die andere abgeschreckt haben und das ist schließlich so ganz und gar nicht Sinn und Zweck der Übung.

Neue Nachbarn

Die Fuhlsbütteler Straße in Barmbek-Nord zwischen Emil-Janßen- und Tischbeinstraße (Westseite):

  • eine Bankfiliale,
  • ein Bestattungsinstitut,
  • eine Apotheke,
  • ein EMS-Trainingscenter,
  • ein Beautysalon,
  • eine Zahnarztpraxis,
  • ein italienisches Restaurant,
  • ein Waschcenter,
  • eine Videothek („Räumungsverkauf – wegen Geschäftsaufgabe“),
  • eine ehemalige Shisha-Bar („zu vermieten“)

und

Ich möchte das nicht.