Alle Tassen Antifa

Ich möchte an dieser Stelle gerne noch schnell klarstellen, dass ich mich zu den linken beziehungsweise in meinem Fall hauptsächlich grünen Spinnerinnen und Spinnern rechne. Zu diejenigen, die nicht alle Tassen im Schrank haben. Die, die der voraussichtlich nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland knapp vor der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag mit dieser Wortwahl noch schnell eben derbe beleidigt hat (von weiteren diskussionswürdigen Begrifflichkeiten dieses Ausbruchs ganz zu schweigen). Im Münchner Löwenbräukeller, of all places.

Eichhörnchen gegen rechts!

Jedenfalls war ich am Tag vor der Wahl noch schnell auf zwei Demos „gegen Rechts“ und auf beiden war die CDU des Friedrich Merz zweifelsohne mitgemeint. Wohlgemerkt und von einer der Rednerinnen auf Demo Nr. 1 auch ausdrücklich betont: nicht die CDU als Ganzes, obgleich man zurzeit von einer Nicht-Merz-CDU bedauerlicherweise nicht viel merkt. Diese Demonstrationen, ich erwähnte es auch schon auf Mastodon und Bluesky, wurden unter anderem organisiert von Fridays For Future, diversen Gewerkschaften, der Caritas und dem Mieterverein, der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (!), weiteren zivilgesellschaftlichen und Umweltorganisationen sowie unzähligen Kulturschaffenden.

Lessing gegen rechts!

Ich fühle mich somit in guter Gesellschaft in meinem Schicksal des links und/oder grün verspinnerten nicht alle Tassen im Schrank habens. Fortan als Kompliment zu denken!

Wahrscheinlich würde ich das hier nicht wiederholen, wenn ich nicht auch mitbekommen hätte, dass die Polizei in Bayern neuerdings „Gegen CDU und CSU“ als eigenes Schlagwort für die Einsatzplanung rund um solche Demonstrationen gegen den Rechtsruck verwendet. Und dass die CDU/CSU-Fraktion mit Datum vom gestrigen Dienstag eine kleine Anfrage (BT-Drs. 20/15035) an die noch amtierende Bundesregierung gestellt hat, die 551 Fragen zur „Politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ enthält. Darunter befinden sich die „Omas gegen Rechts“, die Amadeu Antonio Stiftung, CORRECTIV, das Netzwerk Recherche, die Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace und der BUND. Die jüngsten Proteste gegen die CDU Deutschlands werden als Hintergrund genannt. Als Quelle ist unter anderem ein Meinungsartikel der WELT angegeben, in dem von einem Schattenstaat oder „‚Deep-State‘, wie er im Buche steht“ bestehend aus „angeblichen NGOs“ die Rede ist, „die sich als Vertreter der Zivilgesellschaft und Retter der Demokratie ausgeben, obwohl sie faktisch Fortsetzungen des Staatsapparates verkörpern.“

Hinter einem solchen Verhalten darf man wohl mehr als Wahlkampfgetöse, bloße Rachsucht oder Dünnhäutigkeit vermuten. Dafür passt es zu gut zu dem, was uns schon bekannt ist: aus eigener Vergangenheit, aktuell – wenn auch mittlerweile schon über einen längeren Zeitraum – aus europäischer Nachbarschaft und ganz akut zugespitzt auch aus den USA.

Auftakt mit Hemmnissen

Ich hatte ja gehofft, nach dem erfolgreichen Abschluss des Studiums mit Schwung ins neue Jahr starten zu können. Das hat leider nicht gut geklappt. Dazu tragen Faktoren bei, über die ich mich hier nicht auslassen kann und möchte. Aber es trägt auch die allgemeine Weltlage dazu bei. Nicht wenig sogar. Die unsäglichen Auswüchse des Wahlkampfs. Das Ignorieren, ja, das Diskreditieren hunderttausender Demonstrierender, die der immer offensichtlichere Rechtsruck erneut auf die Straße treibt (waren halt keine Bauernproteste, fehlten halt die Traktoren!). Parallel der Coup in den USA, der hierzulande noch immer nicht hinreichend als solcher erkannt und bezeichnet wird. Vor allem aber, dass vor all dem der unaufhaltsame weil unaufgehaltene Fortschritt der Klimakrise in der öffentlichen Wahrnehmung zu verblassen scheint. Das Thema mit dem denkbar größten Handlungsdruck? Wird zweit- bis drittrangig behandelt. Von Spitzenpolitikerinnen und -politikern ebenso wie von den Medien. Nicht wenige kündigen gar an, hinsichtlich der Klimaschutzmaßnahmen den Rückwärtsgang einlegen zu wollen. Insbesondere bei der Verkehrswende. Die wenigen Ausnahmen scheinen diese Regeln nur zu bestätigen.

Und da soll ich hier unbefangen über Jordi Savall, Julius Asal und das neueste „Blind Date“ in der Elbphilharmonie parlieren? Es fällt zunehmend schwer.

Jedenfalls war das aber der Auftakt meines Kulturjahres. Zuerst präsentierten Jordi Savall, das Orchester Le Concert des Nations, der Chor La Capella Nacional de Catalunya und die Solistinnen und Solisten Giulia Bolcato (Sopran), Elionor Martínez (Sopran), Lara Morger (Mezzosopran), David Fischer (Tenor) und Matthias Winckhler (Bass) Wolfgang Amadeus Mozarts unvollendete Große Messe c-Moll KV 427. Vollendet wurde diese vom italienischen Komponisten Luca Guglielmi, der während des Konzerts auch an der Orgel saß. In der Einführung vor dem Konzert erklärten Savall und Guglielmi detailliert, wie und mit welchen Mitteln und Auszügen aus anderen Mozart-Werken die Lücken in der Messe gefüllt wurden. Das Ergebnis hat mich durchaus überzeugt. Nur an einer Stelle dachte ich: Ja, das ist Mozart oder zumindest mozartlike, aber irgendwie passt dieses Stück von der Stimmung her nicht zum Rest. Leider habe ich mir nicht gemerkt, welcher Teil das war. Es war aber auch nicht so wichtig. Mich hat schon seinerzeit bei Beethovens siebter Sinfonie vor allem fasziniert, wie anders die Interpretationen durch Le Concert des Nations klingen. So viel wärmer und intimer als die von Klangkörpern, in denen moderne anstatt Barockinstrumente verwendet werden. Auch bei Mozart funktioniert das sehr, sehr gut. Das absolute Highlight des Abends war aber La Capella Nacional de Catalunya. Ich glaube sofort, dass sämtliche Sängerinnen und Sänger auch die jeweils zur Stimmlage passenden Solorollen hätten singen können (auch das eine Information aus der Einführung). Und wie jung die alle waren! Was für eine großartige Energie auf der Bühne! Die Investition in die nicht eben günstige Karte in 13 F hat sich sehr gelohnt. Sehr gerne wieder.

Nicht ganz so überzeugt hat mich Julius Asal im Kleinen Saal der Elbphilharmonie ein paar Tage später. Da war ich aber auch nicht so aufnahmefähig; es mag also überwiegend an mir gelegen haben.

Ich bekam immerhin mit, dass der junge Mann gut ist. Vor allem beim Brahms, genauer: der Sonate für Klavier Nr. 3 f-Moll op. 5 in der zweiten Konzerthälfte. Außerdem ist Asal sehr großzügig mit Zugaben. Sowas mag ich.

Beim ersten „Blind Date“ des Jahres war die Bühne bereits vor Konzertbeginn gut gefüllt, unter anderem mit weißen Leinwänden. Leichte Skepsis machte sich im Publikum breit. Was passiert da heute? Malen nach Noten? Performance statt Konzert? Als dann fünf Musikerinnen und Musiker die Bühne betraten und einer von ihnen kunstvoll eine Handpan zu spielen begann, dachte ich: Wow, der ist gut, beinahe so gut wie Manu Delago! Schnell stellte sich heraus: Es war Manu Delago höchstselbst. Ich hatte bloß vergessen, wie der Mann aussieht. Peinlich! Delago war indes nicht allein auf der Bühne, sondern hatte sich mit Mad About Lemon zusammengetan, einem tiroler Gesangstrio bestehend aus Anna Widauer, Mimi Schmid und Valerie Costa. Komplettiert wurde das Ensemble durch Clemens Rofner am Bass.

Hauptsächlich die drei Damen waren es, die die drei Leinwände auf der Bühne im Laufe des Auftritts mit Farbe und Leben füllten. Bald klärte sich auch auf, was es damit auf sich hatte: Individuelle Souvenirs für das Publikum sollten so entstehen, die am Ende der Vorstellung im Foyer ersteigert werden könnten. Außerdem habe man noch einen Vorrat von älteren Werken, die zu einem Festpreis angeboten würden. Eine schöne Idee, die vom Publikum auch rege aufgenommen wurde.

Das sei noch erwähnt: Durch die Songs auf „Snow From Yesterday“, dem gemeinsamen Album von Manu Delago und Mad About Lemon, zieht sich das Motiv Wasser in verschiedenen Aggregatzuständen wie ein roter Faden. Sie handeln auch von der Klimakrise, womit sich der Kreis dieses Eintrags schließt.

The Show must go online (17)

Ich gestehe, ich habe nun endgültig den Überblick über das Kulturstreaming verloren. Dadurch habe ich blöderweise einiges verpasst, was ich gerne gesehen/gehört hätte. Zum Beispiel das Jahresabschlusskonzert des Tingvall Trio am 13. Dezember. Mist!

Noch nicht zu spät ist es dagegen für Chilly Gonzales‘ „A Very Chilly Christmas Special“ auf ARTE Concert (verfügbar bis 21. Januar 2021).

Am zweiten Weihnachtsfeiertag sendet das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung von Kent Nagano ein Weihnachtskonzert aus dem Hamburger Michel (zu sehen auf YouTube).

Am 27. Dezember folgt „Vetrasól“, das Weihnachtskonzert von Árstíðir aus der Fríkirkjan in Reykjavík. Ich hatte Ende letzten Jahres das Vergnügen in München und freue mich daher umso mehr, die Jungs auch einmal in ihrer natürlichen Umgebung erleben zu dürfen. Sei es auch nur vom heimischen Sofa aus.

Wem das alles zu besinnlich ist, der findet eventuell am „Kabarettistischen Jahresrückblick 2020“ gefallen, aufgezeichnet im Mehringhoftheater Berlin.

Oder am Neujahrskonzert von Erobique! Special Guest: das Bo.

Wer „zwischen den Jahren“ Zerstreuung sucht, kann sich beispielsweise im Rahmen der Ausstellung „Karten Wissen Meer – Globalisierung vom Wasser aus“ auf der Webseite des Deutschen Schifffahrtsmuseums eine eigene Seekarte zusammenbauen. Oder einen Blick auf alte Schätzchen der hauseigenen und der Sammlung Perthes Gotha werfen.

Außerdem hat das National Theatre das Bitten und Flehen seines Publikums erhört und bietet nun regulär einen „At Home“-Streamingdienst an. Hurra! Ich habe gleich am ersten Tag ein Abo abgeschlossen, aber seither noch kein einziges Stück angeschaut. Es gab so viel anderes Zeug zu sehen und zu hören! Mein Vorsatz daher für 2021: den Theaterdonnerstag wieder einführen und genüsslich das Archiv leer gucken. Sollte mir nicht allzu schwerfallen.

The Show must go online (15)

Die letzte Kulturveranstaltung, die ich vor dem zweiten Shutdown ab dem 2. November 2020 noch besuchen konnte, war übrigens das „Requiem“ von Wolfgang Amadeus Mozart als Konzertinstallation, stimmgruppenweise eingespielt vom Chor St. Johannis-Harvestude, untermalt von einem Orchester und garniert mit Visuals, beides aus dem Computer. Alles zusammen hat erstaunlich gut funktioniert.

„It will help the ages to mourn“, urteilt Antonio Salieri über Mozarts „Requiem“ in Peter Shaffers Theaterstück „Amadeus“, das den meisten in der Filmadaption von Miloš Forman bekannt sein dürfte. Ich könnte es besser nicht ausdrücken.

Ólafur Arnalds hat am gestrigen Freitag ein neues Album herausgebracht. Einige Stücke aus „some kind of peace“ werden am kommenden Wochenende (13./14. November 2020) im Rahmen eines von den Iceland Airwaves präsentierten Livestream Festivals erstmals live zu hören sein. Außerdem mit von der Partie bei „Live from Reykjavík“ sind unter anderem Emilíana Torrini, Júníus MeyvantÁsgeir und Of Monsters and Men.

In früheren Folgen hatte ich bereits die Online-Inhalte des einen oder anderen Museums erwähnt. In der c’t wurde kürzlich eine ausführliche Liste veröffentlicht. Sie gehört zu einem Artikel, der unter der Kapitelüberschrift „Gesellig & fit trotz Corona“ präsentiert wird. Der Spruch – naja. Reicht jetzt auch damit. Aber die Liste! Erste Klasse.

Ein Lichtblick im hiesigen Novemberdunkel ist, dass die Hamburger Bücherhallen geöffnet bleiben durften. Außerhalb deren Räumlichkeiten und unabhängig von stationären Öffnungszeiten können Inhaber:innen einer Kundenkarte aber auch auf die eBuecherhalle zugreifen. Neben der Onleihe und dem Zugang zu digitalen Zeitungen und Magazinen (pressreader, GENIOS EBIB) stehen dort verschiedene Informationsdienste und Streamingangebote zur Verfügung. Über GENIOS kann man beispielsweise dem Hamburger Abendblatt mit einem Tag Verzögerung zumindest punktuell hinter die Paywall gucken.

Speaking of Streamingangebote: Netflix braucht nun wirklich keine Werbung von dieser Stelle, aber ab 15. November 2020 ist dort die vierte Staffel von „The Crown“ zu sehen und ich finde, dass solltet ihr wissen. Das heißt, falls nicht eh schon bekannt. Ich liebe die ersten beiden Staffeln heiß und innig und musste sie mir folglich als Hardcopy ins Regal stellen. Die dritte hat mich nicht ganz überzeugt, aber der Trailer zur vierten sieht vielversprechend aus.

Wer immer noch meint, die Story sei doch ein alter Hut und nicht der Beachtung wert: Selbst alte Hüte werden wieder spannend, wenn sich jemand dransetzt, der richtig gut erzählen kann. Peter Morgan konnte das schon für die große Leinwand („The Queen“) und fürs Theater („The Audience“) und bekam mit dem Serienformat schließlich die Beinfreiheit, innerhalb des ganz großen viele kleine und mittelgroße Bögen zu spannen. Meisterhaft.

The Show must go online (14)

Was soll ich sagen. Sir Simon Rattle und das Mahler Chamber Orchestra wären es im November gewesen. Und ein weiteres „Blind Date“. Ich wusste schon, warum ich mir den Gutschein für die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker bis zum Herbst aufgehoben hatte. (Die Zugabe des Konzerts vom 31. Oktober 2020: „4’33“ von John Cage.) Der Vorverkauf für die Dezember-Konzerte in Hamburg soll übrigens wie geplant anlaufen. Ich überlege inzwischen, ob ich noch zugreife oder lieber nicht mehr. Was abgesehen von der allgemein unerfreulichen Lage mittlerweile nämlich auch ganz schön an die Nieren geht: ausgebremste Vorfreude. 

Daniel Hope startet ab kommenden Montag (2. November) eine neue Runde „Hope@Home“ bei ARTE Concert. Diesmal sollen junge, freischaffende Künstler im Fokus stehen, die von den coronabedingten Schließungen und Absagen bekanntlich besonders betroffen sind.

Das NDR Elbphilharmonie Orchester musste sein 75jähriges Jubiläum zwar vor leerem Saal begehen, aber immerhin, es konnte. Das Konzert vom 30. Oktober 2020 ist beim NDR als „Video on Demand“ abrufbar.

Die Nordischen Filmtage 2020 (4. bis 8. November) finden statt als Hybridformat nun komplett im Netz statt. Der Vorverkauf für die Streams startet am 1. November.

Ab 9. November gibt es Tickets für die neueste „In Camera“-Produktion des Old Vic Theatre zu kaufen: Jack Thornes Version von „A Christmas Carol“ wird zwischen dem 12. und 24. Dezember aufgeführt.

Das wird dann wohl spätestens der Moment sein, in dem ich Felicity Cloake’s Mince Pie Masterclass angehe. Letztes Jahr bin ich nicht dazu gekommen.

The Show must go online (13)

Ich fürchte beinahe, es ist ein passender Zeitpunkt, um wieder einzusteigen in meine kleine Serie. Zum Beispiel hätte ich morgen Abend eigentlich in der Laeiszhalle sitzen wollen, um Jordi Savall und seinem Orchester Le Concert des Nations zu lauschen. Beethoven sollte es geben. Leider wurden einige Orchestermusiker positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Absage also. Wird wohl nicht die Letzte dieser Art bleiben.

Die Frankfurter Buchmesse ist dieses Jahr digital. Das dürfte den meisten Leser:innen des Susammelsuriums bereits bekannt sein. Viele der präsentierten Inhalte werden nicht nur live gestreamt, sondern sind nachträglich noch in diversen Mediatheken abrufbar. Zum Beispiel die Präsentation von Chilly Gonzales‚ Buchdebut „ENYA – A Treatise on Unguilty Pleasures“ (auf ARTE Concert).

Und wenn man einmal dabei ist, kann man sich auch gleich die Doku „Shut up and play the piano“ anschauen. Auch bei ARTE.

The Show must go online (12)

Während allerorten die ersten mehr oder weniger gelungenen Versuche starten, den Kulturbetrieb mit Publikumsbeteiligung wieder aufzunehmen, wird schon aufgrund der drastisch geringeren Platzkapazitäten das Online-Angebot dennoch nicht kleiner. Abgesehen davon zahlt es sich sehr wahrscheinlich aus, diesbezüglich am Ball zu bleiben. Denn die Infektionszahlen steigen wieder und wie sich die Lage im Herbst entwickeln wird, ist schwer vorherzusagen.

Aber noch ist Sommer und ein Spektakel, das im Hamburg untrennbar zu dieser Jahreszeit gehört, sind die Wasserlichtkonzerte in Planten un Blomen. Auch sie werden in diesem Jahr ins Netz verlegt.

Ich war ja auch schon im Haus der Orgelspieler (und fand es ziemlich spannend).

Gestern haben die Bayreuther Festspiele begonnen. In einer drastisch abgespeckten Version, aber immerhin. Geplant ist die Inszenierung der Werke Wagners als Gesamtkunstwerk mit coronakompatiblen Live-Darbietungen, Archivaufnahmen und Sondersendungen – online, bei BR-KLASSIK und bei 3sat. Zusammen mit dem Partner Deutsche Grammophon wurden zudem die virtuellen Festspiele ins Leben gerufen. Parallel zum ursprünglich geplanten Spielplan werden Archivaufnahmen gezeigt, die Ticketinhaber jeweils für 48 Stunden abrufen können. Kostenpunkt je Ticket: 4,90 Euro.

Nicht in erster Linie, aber auch online ist das vom Land Schleswig-Holstein ins Leben gerufene Kulturfestival Schleswig-Holstein präsent. Vom 13. bis 25. Juli 2020 war ein Kulturtruck unterwegs, ab 27. Juli 2020 startet das reguläre Programm. Bis Ende Oktober 2020 sind über 90 Veranstaltungen geplant. Bewerben können sich neben Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Musik, Theater, Tanz, bildende Kunst, Film, Literatur und Kleinkunst auch Veranstaltungslocations. Die Palette der bereits veröffentlichten Termine reicht vom Jazzabend in Dithmarschen über die Krimilesung in Kiel und den Poetry Slam in Wohlde bis hin zur Schlagernacht in Leck.

Währenddessen hat das Old Vic in London die zweite „In Camera“-Inszenierung angekündigt. Trotz der technisch bedingten Abzüge in der B-Note, die ich bei der Premiere vornehmen musste, konnte ich auch dieses Mal nicht widerstehen und habe eine Karte erstanden. Das Stück heißt „Three Kings“ und wurde eigens für die „In Camera“-Reihe geschrieben. In der einzigen und Hauptrolle: Andrew Scott. Ich habe mich für die Donnerstagsvorstellung entschieden, denn durch die nach 16 gezeigten Stücken (von denen ich 15 gesehen habe, und zwar jeweils am Premierentag) inzwischen leider beendete „National Theatre at home“-Reihe hat sich der Donnerstag bei mir mittlerweile als Theatertag verfestigt. Das Savoy hat zwar bei der Aufnahme des Spielbetriebs auch wieder „English Theatre on screen“-Vorstellungen ins Programm genommen. Aber bisher gab davon es nur eine und das Stück kannte ich schon.

The Show must go online (11)

Schnellen Schrittes geht es auf Mittsommer zu. Höchste Zeit, sich dem Thema Festivals zu widmen.

Die bekanntermaßen bis Ende August größenteils nicht in gewohnter Form stattfinden können – den neuesten Meldungen zufolge sogar bis Ende Oktober nicht.

In ungewohnter Form, nämlich bei ARTE und online, geht daher an kommenden Wochenende das Hurricane an den Start.

Bereits am 9. Juni hatte das Team des Schleswig-Holstein Musik Festivals den „Sommer der Möglichkeiten“ ausgerufen. Auch hier ist ein Mix aus TV- und Radioübertragungen, Onlineangeboten sowie – sofern möglich – einzelnen Live-Konzerten geplant. Das Eröffnungsfest wird am 5. Juli 2020 auf 3sat (20:15 Uhr) und NDR Kultur (20:05 Uhr) übertragen. Daniel Hope wird ebenfalls wieder dabei sein – „Hope@Home“ ist mittlerweile „on Tour“ gegangen. Was mich in diesem Zusammenhang besonders freut: Auch Klarinettist und Jazzpianist Ilja Ruf zählt zu den Gästen des Lübeck-Musikfests. Sein erfolgreicher Auftritt beim Auswahlkonzert für den „Steinway Förderpreis Jazz“ im November 2017 hatte mich nachhaltig beeindruckt. Nicht zuletzt deshalb, weil Ruf dieses im zarten Alter von gerade einmal 16 Jahren und einer beneidenswerten Souveränität bestritt.

Der NDR hat in der Zwischenzeit einen weiteren Aktionstag ausgerufen: Unter dem Stichwort „Kultur trotz Corona – Der Festivalsommer“ zeigt das NDR-Fernsehen vom 20. auf den 21. Juni 2020 eine lange Nacht der Festivals. Auf NDR.de wird dazu am 19., 20. und 21. Juni 2020 jeweils ab 14 Uhr Archivmaterial gestreamt. Das Thema Festival bleibt über das Aktionswochenende hinaus bis in den September auf NDR.de präsent.

Kein Festival, aber zweifelsohne eine Besonderheit unter den Corona-Livestreams wird das „Concierto para el Bioceno“ werden, welches am 22. Juni 2020 ab 17 Uhr auf dem YouTube-Kanal von des Gran Teatre del Liceu in Barcelona verfolgt werden kann. Das Konzert wird nämlich vor rund 2.300 Topfpflanzen aufgeführt, die anschließend als Dankeschön an Beschäftigte des Gesundheitswesens gespendet werden. Auf dem Programm steht das Streichquartett „Crisantemi“ von Giacomo Puccini. Mein aus Heimarbeitsgründen aus dem Büro evakuierter Ficus und ich gucken bestimmt mal rein.

The Show must go online (10)

Hatte ich eigentlich erwähnt, dass die „Harry Potter“-Vorstellung in London, für die ich eine Karte hatte, inzwischen abgesagt wurden? Nein? Immerhin war das Geld in Rekordzeit zurück auf meinem Kreditkartenkonto. Den Hauptteil davon habe ich eh längst in die britische Theaterlandschaft reinvestiert – passt also. Mit den Philharmonikern bin ich ebenfalls quitt – das war vorbildlich! -, aber auf die Erstattungen der Elbphilharmonie warte ich noch immer und von Ticketmaster fange ich besser gar nicht erst an.

Indes fordert die anhaltende Veranstaltungsmisere die ersten Opfer in Hamburg: Die Theaterkasse Schumacher, älteste Vorverkaufsstelle der Hansestadt, wird im 117. Jahr ihres Bestehens das „Geschäftsfeld ‚Vermittlung und Verkauf von Eintrittskarten‘ ab dem 30. Juni 2020 weitestgehend einstellen.“

Aber es gibt auch hoffnungsfrohe Nachrichten. Die Initiatoren von „Keiner kommt – alle machen mit“ legen nach: „Eine(r) kommt, alle machen mit“ soll „ein Ständchen für die Helfer*innen werden“ und kommt am 18. Juni 2020 als Streaming-Live-Show aus der Elbphilharmonie, zu sehen unter anderem beim Stern, der Mopo und auf hamburg.de.

Die Hamburger Symphoniker haben sich derweil Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ vorgenommen und präsentieren unter dem Titel „Die liebe Erde allüberall“ zwischen dem 20. und 28. Juni 2020 an sechs Abenden auf www.symphonikerhamburg.de musikalische Collagen live aus der Laeiszhalle, flankiert von philosophisch-poetischen Kommentaren, Videokunst und einer durch künstliche Intelligenz geschaffenen Bildwelt. Am letzten Abend wird „Das Lied von der Erde“ selbst aufgeführt – coronagerecht von 16 Musikern in der Kammerorchesterfassung von Schönberg/Riehn. Zu den musikalischen Gästen zählen unter anderem Martha Argerich und Andrei Ioniță.

Auch für den Fall, dass der eine oder die andere genervt mit den Augen rollt, aber ich muss an dieser Stelle noch ein weiteres Mal die Werbetrommel für National Theater at home rühren. Vorgestern wurden die vorerst letzten fünf Termine angekündigt, darunter auch „A Midsummer Night’s Dream“ in einer Produktion des Bridge Theatre mit Gwendoline Christie als Titania. Ich hatte letztes Jahr bereits im Rahmen der Reihe „English Theatre“ im Savoy das Vergnügen und kann die Inszenierung daher aus voller Überzeugung empfehlen. Wer sich von euch für (englisches) Theater, Shakespeare im Allgemeinen, den „Sommernachtstraum“ im Speziellen oder Gwendoline Christie interessiert (Mehrfachnennungen möglich): unbedingt anschauen! Wer sich in dieser Auflistung nicht wiedergefunden haben sollte, aber einigermaßen der englischen Sprache mächtig ist: Guckt einfach mal rein und ihr versteht vielleicht, warum ich von dem Thema nicht lassen kann. Die Premiere ist am 25. Juni 2020 um 20.00 Uhr (MESZ) und der Stream danach noch für eine Woche auf dem YouTube-Kanal des National Theatre abrufbar.

Aus Folge 9 dieser Serie möchte ich noch nachtragen, dass Mark Haddon das Reh (den Hirsch?) in seiner Graphic Short Story „Social Distance“ definitiv nicht als Patronus gedacht hat. Das war meine Phantasie, nicht seine. Ich habe es aus erster Hand: Er schrieb mir auf Twitter. Ein Grund, warum ich das liebe, was man gemeinhin Social Media nennt (und immer fleißig die Blogbeiträge in den diversen Kanälen verlinke).

Extrablatt!

Für die, die es noch nicht mitbekommen haben: Igor Levit spielt heute Nachmittag ab 14 Uhr Erik Saties „Vexations“. Nicht in seinem Wohnzimmer, sondern im Berliner b-sharp Studio. Die Besonderheit: Das Stück dauert etwa 20 Stunden. Der Pianist will mit der Aufführung auf die Notlage von Künstlerinnen und Künstlern in der Corona-Pandemie aufmerksam machen. Zu sehen ist der Livestream unter anderem auf Levits Twitter– und Instagam-Kanal, aber auch bei The Gilmore und The New Yorker.

Kurz nach Erscheinen des letzten Beitrags wurde das Programm der diesjährigen BBC Proms angekündigt. Es wird in der Hauptsache aus der Sendung von (Radio-)Archivmaterial mit Zuhörerbeteiligung bestehen. Auf BBC Four und über den BBC iPlayer kommen ausgewählte Fernsehaufzeichnungen hinzu und ab dem 28. August 2020 soll es Livekonzerte in der Royal Albert Hall geben. Zum Termin der First Night wird online ein eigens kommissioniertes Mash-up aus Beethovens Sinfonien aufgeführt und zwar gemeinsam von allen BBC-Orchestern und -Chören, als „Grand Virtual Orchestra“. „Not the Proms as we know them, the Proms as we need them“, heißt es in der Pressemeldung. Für die Briten mag das funktionieren; Auswärtige ohne BBC-Lizenz werden dagegen wohl leider auf das Bild- und Onlinematerial verzichten müssen. (Irgendwas mit „Splendid Isolation“.)

Ganz anders das Konzept von TV Noir. Durch Ticketverkäufe im Rahmen der Reihe „Aus meinem Wohnzimmer“ waren über 55.000 Euro zusammengekommen. Woraufhin das Team beschloss: Die frei zugänglichen Livestreams auf YouTube und Facebook gehen weiter, kommen aber künftig in bester Bild- und Tonqualität aus dem TV Noir-Hauptquartier.

Mit den Corona-Folgen für Kulturschaffende, aber auch mit kreativen Wegen aus der Krise beschäftigt sich seit gestern übrigens auch ein neuer Podcast beim NDR: „Kultur trotz Corona“, eine Audio-Aufzeichnung im Stil einer Radiosendung, soll wöchentlich freitags um 9.00 Uhr erscheinen. Wer es klassischer mag: Das Format wird außerdem jeden Freitag um 18:30 Uhr auf NDR Kultur gesendet.