Berliner Luft

Berlin und ich, wir hatten unsere Startschwierigkeiten miteinander. Der Schulausflug anno 1988 vermochte mich nicht zu überzeugen. Diese komische Insel West-Berlin, sie war mir wenig sympathisch. Heute bin ich froh, noch die Mauer stehen gesehen und beide Welten in West und Ost kennengelernt zu haben. Jedes Mal, wenn ich die Stadt seither besuchte, gefiel sie mir ein Stückchen besser und mittlerweile kann ich eine gewisse Sogwirkung nicht mehr leugnen. Wie praktisch, dass man von Hamburg aus in weniger als zwei Stunden dort sein kann! Vorausgesetzt, der Bahnverkehr läuft rund. Aber dazu später noch.

Abgesehen von der bereits erworbenen Konzertkarte für den Sonntagabend hatte ich im Vorfeld leider nur wenig Muße, den Zweitagesaufenthalt zu planen. Aber wozu gibt es schließlich Social Media! Die kleine Umfrage auf Twitter und Facebook ergab genügend Material für eine Kurzwoche. Zumal ich gleich bei der ersten Station, dem BookCrossing-MeetUp im Restaurant Auster, hängenblieb. Was tatsächlich nicht überall selbstverständlich ist: Berliner BookCrosser haben Lust auf Gäste von außerhalb. Sehr gern bei Gelegenheit wieder! Der nächste Programmpunkt ergab sich direkt aus dem Treffen und ich lernte so neben dem schönen, wenn auch leider völlig überfüllten Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt die ortsansässige Schmiede und das böhmische Dorf kennen.

Meine Unterkunft hatte ich fußläufig zur Kantine am Berghain ausgewählt, dem Veranstaltungsort des Albumrelease-Doppelkonzerts von Martyn Heyne und Andrea Belfi. Der Weg führte durch eine schmale Gasse und am Berghain vorbei und ich staunte nicht nur über die Bandbreite des Drogenarsenals, welches mir auf der kurzen Strecke angeboten wurde, sondern vor allem über den höflich-zurückhaltenden Umgangston dabei. Dit is Berlin, wa!

Martyn Heyne ist mir zum ersten Mal als Support von A Winged Victory for the Sullen Anfang 2015 in der Volksbühne aufgefallen. Im Mai 2016 sah ich ihn zusammen mit Nonkeen in der Laeiszhalle, was wiederum meine erste Begegnung mit Andrea Belfi war. Auf Nonkeen wäre ich ohne Nils Frahm nicht gekommen und da schließt sich der Kreis auch schon beinahe wieder. Wobei das Wort „Kreis“ es nicht ganz trifft. Der Begriff „Musik(er)stafette“ passt vielleicht besser.

Wie dem auch sei, eigentlich bin ich sonst nicht so der Gitarrenmensch. Aber Martyn Heyne schafft vielleicht eines Tages, dass ich einer werde.

Nicht erst bei „Curium“ bin ich streckenweise in Welten vorgedrungen, in die mich bisher nur gewisse Tastenmenschen befördern konnten. My kind of drug.

Nach kurzer Pause nahm uns Andrea Belfi mit auf eine perkussive Reise. Ich bin immer etwas skeptisch, wenn Musiker das Wort „Journey“ in den Mund nehmen, aber zu seinem Auftritt passte es perfekt.

Draußen erwartete mich Schneegestöber, das mein aus Musik, Örtlichkeit, Teilen des Publikums und Gesamtsituation geformtes Unwirklichkeitsgefühl noch verstärkte. Mag sein, dass dabei auch die Rauchschwaden im Vorraum der Kantine eine Rolle gespielt haben. Ich bin diesbezüglich herrlich unbewandert, aber da war ziemlich sicher der ein oder andere, hm, Tabakzusatz im Spiel. Dass die mehrere Zentimeter dicke Schneedecke der Nacht bis zum Morgen fast vollständig wieder verschwunden war, passte ins Bild.

Mein nächstes Ziel nach dem Frühstück war der Martin-Gropius-Bau, eines der immerhin recht zahlreichen Museen in Berlin, die auch an Montagen geöffnet haben. Die dort gezeigte Ausstellung „Old Food“ von Ed Atkins entpuppte sich dabei als überraschend musiklastig.

Nicht nur, dass „Extended Circular Music No. 2“ von Jürg Frey in der Installation eine zentrale Rolle spielt. Den CGI-Projektionen sind Kostüme aus dem Fundus der Berliner Oper gegenübergestellt, als Objets trouvés. Ich teile Atkins‘ morbide, auf einem der Wandtexte dezidiert ausformulierte Interpretation des Musikstücks nicht, was meine Faszination für das Gesamtkunstwerk aber nicht zu schmälern vermochte. Achtung, Spoiler: Altes Essen kommt dafür gar nicht vor, höchstens indirekt und im übertragenen Sinne.

Es blieb im Anschluss noch Zeit, einen kleinen Rundgang durch die parallel laufende Ausstellung über Wenzel Hablik zu machen. Da muss man nach Berlin fahren, um Näheres über einen in Itzehoe ansässig gewesenen und somit als norddeutscher Künstler geltenden Menschen zu erfahren! Mich beeindruckte neben einzelnen Objekten besonders die gezeigte gestalterische Vielfalt: Zu sehen waren unter anderem Gemälde, Radierungen, Architekturzeichnungen, Textil-, Möbel- und Innenraumdesign, Notgeldscheine sowie Skulpturen.

Die Sache mit dem ICE-Sprinter zwischen München und Berlin hat die Bahn bekanntermaßen noch nicht im Griff. Ein Umstand, den man vorerst auch bei Bahnreisen zwischen Hamburg und Berlin berücksichtigen sollte. Der ICE 800 hatte bereits rund drei Stunden vor der geplanten Abfahrt beachtliche 121 Minuten angesammelt, weswegen ich kurzfristig auf den aus Prag kommenden tschechischen EuroCity umbuchte. Das kann ich trotz der etwas längeren Fahrzeit jedem empfehlen – was für ein zauberhafter Zug! Allein der Speisewagen! Und WLAN gab es auch! In meinem Abteil saßen mehrheitlich ICE-Flüchtlinge, eine bunte Mischung aus rüstigen Rentner(inne)n, Berufs- und Freizeitfahrern, und ich kann mich nicht erinnern, je eine so unterhaltsame, fröhliche und somit kurzweilige Bahnfahrt hinter mich gebracht zu haben.

Berlin, das war schön! Ich komm demnächst öfter.

In Concert: Hundreds in der Elbphilharmonie

Ich hänge zurzeit ein wenig hinter den Ereignissen, was daran liegt, dass meine Schreib- bzw. Formulierkapazitäten im Moment durch ganz andere literarische Gattungen gebunden sind. Dinge wie Motivationsschreiben und Gehaltsargumentationen zum Beispiel. Viele von euch werden es wissen: So eine Jobsuche ist in mehrfacher Hinsicht eine (hochleistungs-)sportliche Angelegenheit. Selbst wenn man von sich behaupten kann, weder schriftlich noch verbal auf den Mund gefallen zu sein.

Nichtsdestotrotz sollen hier noch ein paar Zeilen zum Hundreds-Konzert am vergangenen Donnerstag erscheinen. Meine beiden ersten Hundreds-Konzerte habe ich im Gruenspan erlitten. Dass das Leid vielmehr auf den Austragungsort als auf die musikalische Darbietung selbst zurückzuführen war, dokumentiert dieser kleine Rant. Insofern erfüllte sich für mich durch den diesjährigen Auftritt der Geschwister im kleinen Saal der Elbphilharmonie ein langgehegter Traum: (Quasi-)akustische, betörende Songversionen in einem bestuhlten Konzertsaal mit fester Platzwahl, hingerissene, dabei mehrheitlich disziplinierte Zuhörer, ein großartiger Sound, dezente, die Raumstruktur perfekt ausnutzende Lichteffekte und wenn man der Toilettenplanung der Elbphilharmonie auch einiges vorwerfen kann, aber Klopapier habe ich dort bislang immer in ausreichender Menge vorgefunden.

Etwas undifferenzierter formuliert: Es war unfassbar schön. Danke, Hundreds.

In Concert: Bugge Wesseltoft in der Kulturkirche Altona

Bugge Wesseltoft war einer der ersten, die mich auf die Idee brachten, dass weniger deutlich mehr sein kann beim Klavierspiel. Seine ebenso leise wie sparsame, aber effektvolle Variation über „In Dulce Jubilo“ und „Det kimer nå til julefest“ auf der CD „Christmas with my friends“ führte mich zu „It’s snowing on my piano“; beide begleiten nun seit beinahe zehn Jahren meine Vorweihnachtszeit.

Genau zwanzig Jahre nach „It’s snowing on my piano“ hat Bugge Wesseltoft nun ein zweites Soloalbum aufgenommen: „Everybody loves angels“ führt die Idee fort, gewissermaßen als Ganzjahresversion. Gestern Abend waren Stücke aus beiden Alben in der Kulturkirche Altona zu hören und man hätte sich in Hamburg kaum einen geeigneteren Ort dafür ausdenken können.

Noch besser als der Michel vor drei Jahren und erst recht das Mehr! Theater am Großmarkt im letzten Jahr hätte die Kulturkirche Altona wohl auch zu Nils Landgren und seinen Freunden gepasst, aber das Projekt ist dafür leider inzwischen einige Nummern zu groß. Was mich wieder auf den Grundsatz „Weniger ist mehr“ zurückbringt.

Vermutlich ließe es sich statistisch belegen: je dunkler die Tage und länger die Nächte, desto größer die Soloklavieralbum-Hörwahrscheinlichkeit. Neben Bugge Wesseltofts Schneeflocken ist im Laufe der Jahre unter anderem Musik von Chilly Gonzales, Nils Frahm und Martin Kohlstedt hinzugekommen. Vor kurzem wurde ein Chilly Gonzales-Konzert in der Laeiszhalle angekündigt, Termin: 11. 12. 2018. Glücklicherweise werde ich auf die anderen beiden Herren nicht so lange warten müssen.

le concert abstrait: Ben Lukas Boysen und Raphaël Marionneau im Planetarium Hamburg

Als ich Anfang Juli letzten Jahres nach dreieinhalb prallgefüllten London-Tagen ebenso derbe übermüdet wie aufgedreht im Flugzeug Richtung Hamburg saß, hatte ich eher zufällig das Album „Spells“ von Ben Lukas Boysen auf den Ohren. In Heathrow herrschte Hochbetrieb und in einer endlos scheinenden Schlange von Kurz- und Mittelstreckenmaschinen kamen wir nur langsam voran. Vor uns eine weitere BA, hinter uns eine Finnair: Die Flieger starteten im Minutentakt. Schließlich rückte unser Slot näher, zeitgleich erklangen die ersten Takte von „Nocturne 4“ aus meinem Kopfhörer. Exakt bei 2:39 bog die Maschine auf die Startbahn und beschleunigte.

Seither ist die Musik von Ben Lukas Boysen für mich untrennbar mit dem Gefühl des Abhebens verknüpft und insofern erschien mir die Location für seinen ersten Live-Auftritt in Hamburg ideal gewählt.

Dazu kommt, dass die musikalische Entdeckungsreise, die mich unter anderem zu diversen Erased Tapes-Künstlern (und damit überhaupt erst nach London) führte, vor etwas mehr als zehn Jahren im Planetarium und bei Raphaël Marionneau begonnen hatte. Somit schlossen sich mit dem ersten „le concert abstrait“ für mich gleich mehrere Kreise. Wobei, der Vergleich hinkt. Die korrekte geometrische Darstellung wäre wohl ungleich komplexer.

Neben der Vorfreude über die angekündigte Konstellation war ich darauf gespannt, wie Ben Lukas Boysen, unterstützt von Schlagzeug, Harfe und Cello (Anne Müller! Wie schön!), die perfekt arrangierten Studioklänge live umsetzen würde. Tatsächlich war der Planetariumsauftritt erst sein zweites Konzert überhaupt; die Premiere hatte Anfang September anlässlich des zehnjährigen Bestehens von Erased Tapes („Erased Tapes is ten“) im Londoner Village Underground stattgefunden.

Kurz nach 19 Uhr war es schließlich so weit: Umrahmt von zwei meiner allerliebsten AWVFTS-Tracks starteten Raphaël und Ben nebst Band zu einem einzigartigen Höhenflug. Erwartung erfüllt und übertroffen! Von der freigesetzten Endorphinladung werde ich eine ganze Weile zehren können.

"Do androids wish upon electric stars?"
„Do androids wish upon electric stars?“

Nur eine einzige Steigerung zu diesem Debüt kann ich mir noch vorstellen. Ich schreibe sie nicht auf, denn ich habe einen Wunsch unter dem künstlichen Sternenhimmel getan, zu elektronischen Sternschnuppen, und es ist anzunehmen, dass für dieses Verfahren die gleichen Gesetze gelten wie in der Natur.

In Concert: Das Tingvall Trio in der Elbphilharmonie

Ich bin schon mehrmals gefragt worden, wie ich mir eigentlich die zahlreichen, in der Mehrzahl ungesponserten Konzert-, Opern- und Theaterbesuche habe leisten können, von denen ich hier unter anderem berichte. Die Antwort ist ganz einfach: mittels schnöder Mischkalkulation.

Meistens sitze ich irgendwo zwischen Holz- und unterer Mittelklasse. Entgegen anderslautender Klischees muss man nicht zwingend zu den oberen Zehntausend gehören, um (sogenannte) Hochkultur genießen zu können. Man kann je nach Aufführung ab 12 Euro in Elbphilharmonie und Staatsoper, ab 15 Euro im Schauspielhaus und ab 9,90 Euro bei den Hamburger Symphonikern in der Laeiszhalle sitzen. In einigen Fällen nimmt man dafür zwar eine einschränkte Sicht in Kauf, aber mit ein bisschen Erfahrung und Recherche bekommt man schnell heraus, welches die visuell am wenigsten beeinträchtigten Plätze sind. Es lohnt sich außerdem, auf die jeweilige Preisgestaltung zu achten. Manche Häuser machen Unterschiede zwischen Werk- und Wochenendtagen, die Premiere ist zumeist kostspieliger als die Folgeaufführungen und gelegentlich werden Sonderaktionen angeboten. Außerdem, so gestehe ich freimütig, habe ich in manchen Fällen auf Begleit-, Frei- oder Steuerkarten bzw. Gästelistenplätze zurückgreifen können. Nicht, weil sich die Geber davon wohlwollende Blogartikel erhofften, sondern weil ich ein paar ausnehmend nette Menschen kenne, die mir mit Freude oder gar aus Überzeugung dabei helfen, die (Kultur-)Bestie zu füttern.

Das heutige Konzert des Tingvall Trio in der Elbphilharmonie war eine der sorgsam ausgewählten Ausnahmen von der Regel. In meiner andauernden Klavierverliebtheit hatte ich nach der Niederlage bei der elphi-eigenen Ticketverlosung so lange nach Karten gejagt, bis ich mithilfe der Theaterkasse Schuhmacher schließlich fündig wurde. Wobei PK 1 im vorliegenden Falle 49 Euro (inkl. 2 Euro Gebühr) bedeutete. Das hält sich immer noch sehr im Rahmen, wenn man bedenkt, welche (offiziellen) Preise für manch andere Veranstaltung im Großen Saal aufgerufen werden. Von den viagogo- und ebay-Auswüchsen ganz zu schweigen.

Soweit zur Vorgeschichte. Wie nun aber nach dem Konzert derart erfüllte Vorfreude in Worte kleiden, ohne zu wiederholen, was ich im letzten Dezember schon schrieb? Schwierig.

Vielleicht genügt es, zu gestehen: Ich bin klavierverliebter denn je.

London (Part III): Tag 7 & 8

Finale! Es folgen die letzten beiden Tage der London-Nachlese. Was zuvor bzw. im letzten Jahr geschah, kann bei Interesse unter dem Schlagwort London nachgelesen werden.

Den Mittwochmorgen lasse ich wieder etwas ruhiger angehen. Das Wetter ist trüb und ich mache mich auf den Weg nach Little Venice.

Winter is coming
Winter is coming

Beim Umsteigen in Paddington entdecke ich eines der „Quote of the Day“-Schilder, die in manchen Tube-Stationen für Erbauung und Erheiterung sorgen. Ich bin keine „Game of Thrones“-Guckerin, aber diese Referenz erkenne ich auch ohne Insiderwissen.

Little Venice
Little Venice

Eigentlich will ich nahe der Lagoon eine weitere London Walks-Führung mitmachen, entschließe mich dann aber spontan, den London Waterbus bis Camden Lock zu nehmen.

Regent's Canal
Regent’s Canal

In Camden Lock und Stables Market ist es zunächst noch ruhig, erst gegen Mittag wird es lebhafter. Bei meinem ersten Besuch, an einem sonnigen Sonntagnachmittag, drängelten sich hier die Massen. Heute haben Amy und ich etwas mehr Luft.

Amy
Amy

Nachmittags bin ich fußläufig zum Market mit meiner Konzertbekanntschaft vom letzten Jahr verabredet. Wir essen, schwatzen und absolvieren anschließend eine Hunderunde um den Primrose Hill. Die Aussicht von dort auf die Stadt ist phantastisch, bleibt aber aus Wettergründen undokumentiert.

Später nehme ich den Bus No. 168 Richtung Waterloo Station. Linienbusfahren ist in London vergleichsweise günstig: Da es für die Oyster Cards keine Lesegeräte an den Haltestellen gibt, kostet die einfache Fahrt nur £1,50. Der Nachteil: Man steckt im Autoverkehr fest. Ich sitze im Doppeldecker oben und freue mich darüber, viel Zeit zu haben. Tägliches Buspendeln stelle ich mir nervtötend vor – sowieso, aber in London noch einmal mehr. Die Route ist immerhin unterhaltsam: Via Roundhouse und Camden Town geht es am Russel Square vorbei weiter zur Euston Station, nach Holborn, über den Strand und schließlich auf die Waterloo Bridge Richtung South Bank.

Dort angekommen, nehme ich mir ausführlich Zeit, das Southbank Centre zu erkunden. Ich stöbere lange bei Foyles und im Festival Terrace Shop und bin kurzzeitig sehr versucht, in diesem eine wunderhübsche Teekanne mit Themsemotiv zu erstehen. Abgesehen von der Preisfrage überwiegen schließlich die Bedenken ob des sicheren Nachhausetransports*).

Der eigentliche Grund, weswegen ich mich am Southbank Centre herumdrücke, ist aber das Konzert von Francesco Tristano in der Royal Festival Hall. Tristano bewegt sich zwischen Klassik, Jazz und Elektronik und will am Abend sein neues Album „Piano Circle Songs“ vorstellen. Die Karte mit festem Sitzplatz hatte ich bereits Mitte Juli gekauft, wurde dann aber zwei Tage vor dem Termin per E-Mail darüber informiert, dass das Publikum nicht im Zuschauerraum, sondern auf und hinter der Bühne sitzen würde – mit Tickettausch an der Abendkasse und freier Platzwahl. Ob das von Anfang an der Plan war oder ein schwacher Vorverkauf die entscheidende Rolle gespielt hat, blieb dabei unklar. So oder so, das frühe Eintreffen sichert mir einen Bühnenplatz in der zweiten Reihe. Der Flügel ist dem rückwärtigen Teil der Bühne zugewandt und die restliche Hall mit ihren rund 2.500 Plätzen bleibt, durch eine Abtrennung abgehängt, im Dunkeln. Ein extrem intimes Setting mit entsprechend nervösen Sicherheitsleuten.

Francesco Tristano trägt dessen ungeachtet sein Programm mit großer Konzentration und Präzision vor. Es ist faszinierend, ihm dabei zuzusehen. Die CD muss ich dennoch nicht unbedingt kaufen und drücke mich daher trotz freundlicher Aufforderung durch das Personal vor der anschließenden Signierstunde.

Am Abreisetag begebe ich mich nach Frühstück und Check-out noch einmal in die Kensington Gardens, in der Tasche eine eigens erworbene Portion naturbelassener Cashew-Kerne. Zuerst muss ich meine Gabe mühsam ans Eichhorn bringen. Einige der Nager agieren äußerst vorsichtig und manche haben Schwierigkeiten, sich gegen aggressiv auftretende Krähen und Tauben durchzusetzen.

Kensington Gardens
Kensington Gardens

Erst mit der vorletzten Nuss gerate ich an einen Profi, der mir erst in den Finger zwickt, dann halb den Arm hoch rennt und schließlich äußerst ungehalten reagiert, als ich das leere Tütchen vorzeige.

Ich habe noch ein weiteres Ziel an diesem Morgen: die Sonderausstellung „Diana: Her Fashion Story“. Im letzten Jahr hatte ich bereits die Roben der Queen im Buckingham Palace bewundert. Das diesjährige Programm des Kensington Palace erscheint mir daher als logische Fortsetzung.

Kensington Palace
Kensington Palace

Mit der Idee bin ich nicht allein: Zur Öffnung um 10 Uhr haben sich bereits Schlangen gebildet. Dabei wird sorgsam zwischen Vorverkaufs- und Tageskassenbesuchern unterschieden. Abwicklung und Sicherheitskontrolle gehen dann aber zügig voran und im Gebäude verläuft sich der erste Ansturm schnell.

Queuing up for Diana
Queuing up for Diana

Anders als der Buckingham Palace sind Teile des Kensington Palace ganzjährig für Besucher zugänglich. Die Atmosphäre in den Räumen ist daher ungleich musealer. Neben der Sonderausstellung kann man die ehemaligen State Apartments bewundern. Die anderen Teile der Dauerausstellung widmen sich einerseits Queen Victoria, andererseits den „Enlightened Princesses“ Caroline von Braunschweig-Wolfenbüttel, Augusta von Hannover und Charlotte-Augusta von Wales.

Draußen gibt es noch ein weiteres Juwel zu bewundern: Der im „Sunken Garden“ des Palastes neu angelegte „White Garden“ soll ebenfalls an Prinzessin Diana erinnern. Ihr Todestag hatte sich Ende August zum zwanzigsten Mal gejährt.

The Sunken Garden
The Sunken Garden
The White Garden
The White Garden

Die Sonderausstellung drinnen gerät zur Zeitreise in meine eigene Kindheit und Jugend. An viele der Outfits kann ich mich noch gut erinnern. Zahlreiche Fotos und Zeichnungen dokumentieren neben den ausgestellten Kleidern die modische Entwicklung Dianas. Verglichen mit der Präsentation der Queen-Garderobe im Ballsaal des Buckingham Palace ist es zwar eine kleine, aber ausnehmend feine Sammlung, in Auswahl und Gestaltung.

Bald bunt
Bald bunt

Nach dem obligatorischen Cream Tea im Palace Café ist es Zeit zum Aufbruch. Da die British Airways-App, die bisher immer tadellos funktionierte, mir dieses Mal aus unerfindlichen Gründen keine Bordkarte ausstellen will, muss ich sicherheitshalber etwas mehr Zeit für den Check-in in Heathrow einrechnen.

In der Tube auf dem Weg zum Flughafen stoße ich im Evening Standard auf einen Artikel, der mich daran erinnert, was mich bei meiner Rückkehr nach Hamburg erwartet. Ich nicke bei jedem Satz.

Es braucht eine Weile, bis ich den richtigen Schalter gefunden habe. Der Check-in selbst ist problemlos und ich komme in Rekordzeit durch die Sicherheitskontrolle. Das verschafft mir genügend Muße, um mein letztes Münzgeld zu verfeuern. Nach gründlicher Suche macht schließlich ein Gläschen „Old English Hunt“-Orangenmarmelade von Fortnum & Mason das Rennen und die allerletzten Pence-Stücke landen in einer Spendenbox.

Der Heimflug ist erfreulich unspektakulär und ja, es wird einen Part IV geben. Es ist nur eine Frage der Zeit.


*) Dieses Modell, das fällt mir beim Schreiben dieser Zeilen erst auf, ist mir zum Glück nirgendwo über den Weg gelaufen.

London (Part III): Tag 6

Eigentlich gedachte ich, in dieser Woche komplett internetlos zu sein. Aber nun habe ich doch welches, WLAN sogar, was mir ermöglicht, mich um Tag 6 der London-Nachlese zu kümmern. Was zuvor bzw. im letzten Jahr geschah, kann bei Interesse unter dem Schlagwort London nachgelesen werden.

Beim Frühstück kann ich beobachten, wie auf dem Queens Lawn der Farmer’s Market aufgebaut wird. In South Kensington finden wöchentlich zwei Märkte statt. Der Dienstagsmarkt auf dem Gelände des Imperial College besteht fast ausschließlich aus Fressständen und so richtig kommt die Sache wohl erst zur Mittagszeit in Fahrt.

Mein erster Weg führt mich danach zur 99 Kensington High Street, um den Besuch der Roof Gardens nachzuholen. Am Dienstag, so hatte uns der London Walks-Guide ein paar Tage zuvor verraten, seien die Gärten öffentlich zugänglich, was auch die Website bestätigt.

The Roof Gardens
The Roof Gardens

Die Kensington Roof Gardens wurden zwischen 1936 und 1938 von Ralph Hancock im Auftrag des damaligen Besitzers und Erbauers des Gebäudes angelegt und sind in drei Themenbereiche aufgegliedert: den spanischen, den Tudor- und den „English Woodland“-Garten. Die Anlage ist im Grundsatz unverändert erhalten. Sieben Bäume stammen sogar noch aus der Erstbepflanzung.

English...
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... Woodland
… Woodland

Morgens um halb elf herrscht in den Gärten noch die Ruhe vor dem Sturm, was vortrefflich durch die hier lebenden Flamingos demonstriert wird.

Langschläfer
Langschläfer

Wahrscheinlich keine dumme Strategie: Es bedarf nur wenig Phantasie, sich die rauschenden Feste vorzustellen, die hier oben mutmaßlich zu späten und sehr späten Tageszeiten gefeiert werden. Das dürfte auch Auswirkungen auf den Schlafrhythmus der tierischen Bewohner haben.

Als Nächstes nehme ich mir das Natural History Museum vor. Tags zuvor hatte ich mir dazu bereits die Museums-App aufs Telefon gepackt, in der verschiedene Hausdurchgänge vorgeschlagen werden und mit deren Hilfe die Orientierung in den verwinkelten Räumlichkeiten erheblich leichter fällt. Ich entscheide mich für den „Dinosaur Trail“, will aber zuvor einen Rundgang durch die prächtige Hintze Hall machen.

Hintze Hall

Hintze Hall

Dort werden mittels verschiedener Objekte und kleinerer Schaukästen Geschichte und Arbeitsbereiche des Museums vorgestellt, der dazu in der App abspielbare Audioguide wurde von niemand geringerem als Sir David Attenborough eingesprochen. Als Highlight entpuppt sich hierbei die Cadogan Gallery, in der die Schätze des Hauses versammelt sind, darunter das Fossil eines Archaeopteryx, der erste jemals gefundene Schädel eines Neandertalers, je ein Stückchen Meteorit- und Mondgestein, die Schale eines von Robert Falcon Scott auf seiner Antarktismission höchstpersönlich aufgesammelten Kaiserpinguin-Eis und ein Exemplar der Erstausgabe von Charles Darwins „On the Origin of Species“.

Nach einem spontan eingeschobenen Cream Tea im Central Café widme ich mich schließlich dem Startpunkt des „Dinosaur Trail“, der „Dinosaur Gallery“. Deren Hauptattraktion, der mechanische Tyrannosaurus Rex, hat ausgerechnet heute einen freien Tag.

Under Maintenance
Under Maintenance

Die Gallery, so stelle ich schnell fest, besteht im Wesentlichen aus Abgüssen und Modellen. Die echten Fossilien sind im übrigen Haus verteilt, was ein weiteres Argument dafür ist, die Besucherführung der App zu nutzen. Grob dem Saurierpfad folgend, entdecke ich am Rande noch zwei Preziosen: Die „Images of Nature“ Gallery, in der wechselnde Ausstellungen von Illustrationen und Fotografien gezeigt werden und den Mineralienraum.

Verständlicherweise wird der größte Teil des Museumsbestands in Depots verwahrt. Würde man beispielsweise die Sammlungen der Cook-Reisen dauerhaft dem Besucherstrom aussetzen, wäre das mit dem konservatorischen Auftrag wohl nur schwer vereinbar. Mal abgesehen davon, dass nicht annähernd genügend Fläche zur Verfügung steht. Man kann aber online in diesen und anderen nicht ausgestellten Beständen stöbern. Sehr lesenswert in diesem Zusammenhang ist auch das Museums-Blog, insbesondere die Einträge der Bibliothek (Kategorie „Library and Archives“).

Nach einer nachmittäglichen Pause im Quartier begebe ich mich erneut ins V&A, um mir die Räume zum Thema „Theatre & Performance“ anzuschauen. Diese sind zwar durchaus sehenswert, gefallen mir aber nicht ganz so gut wie andere Bereiche des Museums. Leider befindet sich die Sonderausstellung „Opera: Passion, Power and Politics“ noch im Aufbau. Sie wird erst am 30. September eröffnen.

Albert
Albert
Dem Albert seine Halle
Dem Albert seine Halle

Anschließend geht es in die Royal Albert Hall. Das Konzertangebot ist unmittelbar nach den BBC Proms zwar ziemlich übersichtlich, fußläufig zur Hall zu wohnen – meiner Konzertlocation des Jahres 2016! – und diese nicht zu besuchen, erschien mir dennoch undenkbar. Ich hatte mich im Vorfeld für das Classic FM-Filmmusikkonzert mit dem Bournemouth Symphony Orchestra unter der Leitung von Pete Harrison entschieden. Der Kontrast zu „This is Rattle“ fällt deutlich aus und zieht sich durch die gesamte Veranstaltung. Von der Gestaltung des Programmhefts, der Beleuchtung und den Pyroeffekten (!) über Moderation und Sponsorenpräsentation bis hin zu Auswahl und Vorstellung der Solisten, alles wirkt ein wenig dick aufgetragen. Dazu passt, dass ich mir mit meiner (moderat zusammengestellten) Konzertbekleidung in der aus künstlerischer Sicht wesentlich elitäreren Veranstaltung im Barbican noch „slightly overdressed“ vorgekommen war, für den Classic FM-Abend dagegen problemlos noch ein bis zwei Briketts mehr hätte auflegen können.

Ich sitze im „Rausing Circle“, auf vergleichsweise billigen Plätzen also, die nichtsdestotrotz einen guten Blick auf das Orchester gewähren. Das BSO macht seine Sache sehr ordentlich. Ich schwelge in den John Barry-Stücken, freue mich unter anderem über die „Glohrreichen Sieben“, „Lawrence of Arabia“, „Lord of the Rings“, das John Williams-Medley und die „Indiana Jones“-Zugabe und wünsche mir lediglich bei den „Adagio for Strings“ von Samuel Barber kurzfristig die LSO-Streicher und die Barbican-Akustik zurück. Gerade auf den oberen Rängen merkt man doch, dass die Royal Albert Hall (of Arts and Sciences) im Grunde kein Konzertsaal, sondern eine Mehrzweckhalle ist.

Apropos Konzertsaal: Dem Vernehmen nach betreibt Sir Simon Rattle zurzeit offensiv den offenbar schon seit langem durch die Londoner Musikszene geforderten Bau eines neuen Hauses, welches in unmittelbarer Nachbarschaft des Barbican Centre auf dem jetzigen Gelände des Museum of London entstehen soll. Das wiederum zieht voraussichtlich 2021 in neue Räumlichkeiten am Smithfield General Market. Die Pläne sind durchaus nachvollziehbar: Die Möglichkeiten für das LSO im Barbican sind begrenzt, allein schon vom zur Verfügung stehenden Platz her, die Royal Festival Hall hat bereits vier Residenzorchester, die Albert Hall ist eh außen vor, nicht nur aus akustischen Gründen, und auch die Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie wird neue Begehrlichkeiten geweckt haben. Was immer daraus wird: Meine Faszination für die Royal Albert Hall wird davon unberührt bleiben.

Nach dem Konzert bin ich in nur wenigen Schritten bei meiner Unterkunft, was mir ein geradezu unverschämtes Vergnügen bereitet. Es sind die kleinen Dinge!

London (Part III): Tag 4

Eigentlich wollte ich heute meinen Balkongarten winterfest machen, aber draußen tobt Sturm Xavier, es überschlagen sich die Martinshörner, Hoch- und S-Bahn verzeichnen erste Ausfälle und die Feuerwehr Hamburg twittert, man möge sich doch bitte lieber nicht draußen aufhalten. Außerdem, wenn ich mit der London-Nachlese im bisherigen Tempo fortfahre, bin ich noch bis Weihnachten dabei. Es folgt also die Rückschau auf Tag 4! Was zuvor bzw. im letzten Jahr geschah, kann bei Interesse unter dem Schlagwort London nachgelesen werden.

Tatsächlich schaffe ich am vierten Tag, was ich mir vorgenommen habe: Ich stehe später auf, nehme mir gebührend Zeit für das im Übernachtungspreis enthaltene „Full English Breakfast“ im Senior Common Room des Imperial College und breche erst gegen Mittag gen Osten auf. Eine weitere Booking.com-Freifahrt nutzend, fahre ich ab Westminster Pier mit einem Schiff der Circular Cruise Richtung Tower. Die Tour an sich ist unspektakulär, wird aber kurzweilig durch die launigen Kommentare des Bootsmanns, der am Ende statt Hut einen Sektkübel (!) herumgehen lässt.

Am Tower wuseln wie meistens Touristen aus aller Herren Länder bunt durcheinander. Ich bedauere kurz, dass der Eintritt so teuer ist. Gerne hätte ich den Raben einen schnellen Besuch abgestattet. Sie sind mir, seit ich Ravenmaster Chris Skaife auf Twitter und Instagram folge, sehr ans Herz gewachsen. Vielleicht beim nächsten Mal wieder.

Heute habe ich ein anderes Ziel: die Erased Tapes Sound Gallery am Victoria Park.

Sound Gallery
Sound Gallery
Now playing: Ben Lukas Boysen
Now playing: Ben Lukas Boysen

Einmal, weil ich Fan bin und zum Zweiten, weil dort ein ganz besonderes Instrument quasi frei zugänglich ist: das Klavins Una Corda.

Please ask to play our piano
Please ask to play our piano
Una Corda
Una Corda

Seit ich das Teil im Mai 2015 auf der Kampnagel-Bühne zum ersten Mal gesehen und gehört habe, will ich darauf spielen. Damals war es Nils Frahm mit der No. 001, in London hingegen steht die No. 007. Wie es sich gehört.

No. 007
No. 007

Die Gallery ist zunächst leer bis auf die freundliche Dame, die sie bewacht und ich traue mich an die Tasten. Ich spiele drei Stücke, klimpere noch ein bisschen, entferne schließlich die Dämpferschiene und spiele weiter. Es klingt ein klein wenig verstimmt. Vermutlich passiert das bei dieser Bauweise schon, sobald sich der Klavierstimmer auch nur zur Tür dreht. Es erinnert mich – nicht vom Klang, nur vom Prinzip her! – an mein altes Stage Piano von Kawai, das ebenfalls nur eine Saite pro Ton besitzt. Seit ich das „richtige“ Klavier habe, treibt sich das EP608 irgendwo in der weitläufigen Verwandtschaft herum. Vielleicht sollte ich das gute Stück bei Gelegenheit zu mir nach Hamburg holen.

Zurück zum Victoria Park. Eine ausnehmend hübsche Gegend ist das! Und ohne das Una Corda wäre ich da wohl nie hingekommen. Ich schwatze und stöbere noch ein bisschen, kaufe zwei CDs und reiße mich schließlich los.

Abends begebe ich mich erneut ins West End. Im Duchess Theatre wird „The Play That Goes Wrong“ gegeben, und das bereits im dritten Jahr. Erst ein paar Wochen zuvor hatte das Stück auf dem Spielplan des St. Pauli Theaters gestanden. Die Plakatankündigungen dazu hatten mich seinerzeit auf die Idee gebracht, mir das Original anzuschauen. „The Play That Goes Wrong“ besteht im Wesentlichen aus Slapstick pur gepaart mit waschechtem britischen Humor. Was die Londoner Aufführung zum Glanzstück macht: die großartige Besetzung und ihr grandioses Timing. Das Publikum dankt es mit nahezu durchgängigem Gelächter.

Auch bei meinem zweiten Theaterbesuch fällt mir auf, dass dieser einem klassischen (Plüsch-)Kinoabend sehr viel ähnlicher ist, als ich es von Deutschland und Hamburg her gewohnt bin. Man kleidet sich leger, kaum jemand gibt Jacken oder Taschen an der Garderobe ab, Snacks und Getränke (sogar Mitgebrachtes!) sind im Zuschauerraum erlaubt und in der Pause wird dort Eis zum Verkauf angeboten. Auffällig ist außerdem der „Safety Curtain“, der zur Pause die Bühne vom Zuschauerraum trennt. Ich erfahre später, dass es sich um eine Feuerschutzmaßnahme handelt, stammen doch die meisten Theatergebäude im West End aus viktorianischer Zeit und entsprechen daher wohl nur unzureichend den modernen Brandschutzbestimmungen.

Nach dem tosenden Schlussapplaus mache ich mich mit reichlich strapazierten Lachmuskeln auf den Weg zurück nach Kensington.

In Concert: Evgeny Kissin, Thomas Hengelbrock und das NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie

Da saß ich also mal wieder in der Elbphilharmonie und wollte mich eigentlich den musikalischen Darbietungen von Evgeny Kissin und dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Thomas Hengelbrock widmen.

Das Konzert begann pünktlich um 18 Uhr mit dem 2. Klavierkonzert von Béla Bartók und obwohl ich das Stück bisher nicht kannte und kein besonderer Bartók-Fan bin, bekam ich recht schnell eine Ahnung, warum Evgeny Kissin schon im zarten Alter von Mitte 40 als lebende Legende bezeichnet wird. Diese verfestigte sich durch die Zugabe, der Prélude cis-moll op. 3 Nr. 2 von Sergei Rachmaninoff. Einem Stück, mit dem mich einst auch mein Klavierlehrer zu quälen versuchte. Was mir damals sehr geholfen hätte: eine Aufnahme von jemandem zu hören, der das wirklich gut kann. Live ist natürlich noch besser. Nicht obwohl, sondern gerade weil mir Kissins Vortrag an der ein oder anderen Stelle ein wenig zu geziert erschien – kann man machen, hätte ich aber so nicht.

In der Pause leuchteten im Großen Saal die Smartphone-Bildschirme auf. Überall wurden die ersten Prognosen zum Ergebnis der Bundestagswahl 2017 abgerufen und diskutiert. Es passierte das Unvermeidliche: „13%! Das ist doch schon mal gut“, kommentierte eine Dame in der Reihe direkt vor mir, bevor sie ihren Sitz verließ.

Was macht man da? Ihr übers Kleid kotzen, wie ich spontan auf Twitter vorschlug? Was mir zwar einigen Beifall einbrachte, aber letztlich reichlich albern ist. Das ist, was man an Hilflosigkeiten von sich gibt, wenn man zwar mit dem Einzug einer Nazifraktion ins Bundesparlament gerechnet hat, aber wahrlich nicht in dieser Stärke.

Vor einigen Monaten hatte ich noch laut darüber nachgedacht, Angela Merkel bzw. der CDU meine Stimme zu geben und meine Skepsis gegenüber der SPD-Spitzenkandidatur von Martin Schulz geäußert. Ich habe ersteres dann doch nicht getan und mit letzterem (leider) recht behalten. Aber stärker als noch beim Amtsantritt des 45. Präsidenten der USA beschleicht mich jetzt das Gefühl, dass alle paar Jahre meine Kreuzchen zu machen allein nicht mehr ausreicht. Dass ich tun sollte, was ich bisher kategorisch ausgeschlossen habe: nicht mehr bloß passiver Anhänger der Demokratie zu sein, sondern Mitglied einer ausgewiesen demokratischen Partei zu werden. Mit diesem Gedanken, so stellte ich schnell fest, befinde ich mich in guter Gesellschaft, zumindest innerhalb meiner Filterblase.

Zurück zum Konzertabend. Es folgte Gustav Mahlers 1. Sinfonie in D-Dur (in der Hamburger Fassung, aber ohne den 2. Satz „Blumine“). Mir war durch die aktuellen Ereignisse und eine leichte Ermattung als Nachwirkung der Londonwoche leider ein wenig die Konzentration abhandengekommen, aber eines kann ich erneut durch Erfahrung bestätigen: Ganz oben, auf den billigen Plätzen, ist der Elphi-Sound grandios. Und das NDR Elbphilharmonie Orchester kennt sich mittlerweile sehr gut aus in seinem neuen Zuhause.

In Concert: Sir Simon Rattle und das London Symphony Orchestra im Barbican Centre

Meine diesjährige Londonwoche (aka „London (Part III)“) hat ganz hervorragend angefangen: eine reibungslose Anreise, die perfekt gelegene Unterkunft und abends gleich los ins Barbican Centre.

Barbican Kitchen
Barbican Kitchen

Das LSO feierte dort nicht nur Saisoneröffnung, sondern auch den Einstand des neuen Chefdirigenten, Sir Simon Rattle. Und das ordentlich: Unter dem Titel „This is Rattle“ begann damit ein zehntägiges Programm mit Konzerten, Ausstellungen, Filmvorführungen und weiteren Veranstaltungen zu Person und bisheriger Laufbahn des 62-jährigen Briten. BBC Radio 3 hatte seine Zelte im Foyer aufgeschlagen, ein Kinderchor sang und die Firma Chapel Down, einer der LSO-Sponsoren, spendierte jedem Konzertbesucher zur Feier des Tages ein Gläschen Perlwein. Auch denen in der Holzklasse, wohlgemerkt. Leckeres Tröpfchen.

Complimentary
Complimentary
Ganz schön was los
Ganz schön was los

Das Eröffnungskonzert war mit „New Britain“ überschrieben, womit zum überwiegenden Teil neue britische Musik der letzten zwanzig Jahre gemeint war, darunter die Weltpremiere eines für den Abend eigens kommissionierten Stücks der schottischen Komponistin Helen Grime. Dieses und die Namen und Werke von Thomas Adès, Sir Harrison Birthwistle (ein Violinkonzert, als Solist war Christian Tetzlaff geladen) und Oliver Knussen waren allesamt komplettes Neuland für mich und bis auf die Grime’sche „Fanfare“ und „Asyla“ von Thomas Adès eher nicht mein Fall.

Zum Abschluss hatte Sir Simon Rattle aber die „Enigma Variations“ von Edward Elgar gewählt. Elgar live in London, gespielt vom London Symphonic Orchestra – allein die Vorstellung verursachte mir im Vorwege schon Gänsehaut. Und völlig zu Recht: Insbesondere den „Nimrod“ werde ich so schnell nicht vergessen.

Den Rest des Aufenthalts werde ich wohl nach meiner Rückkehr kompaktverbloggen. Da steht noch einiges an, ich werde mit dem Schreiben kaum nachkommen. Hach, London!