Kunst der Westküste

Pardon, ich bin bei meiner Nachbereitung im Oktober hängen geblieben. Immerhin habe ich inzwischen das Projekt „nebenberufliches Studium“ abgeschlossen! Es fehlt nur noch die Urkunde. Da sollte doch auch die Schreiblust in Kürze wieder vollständig hergestellt sein.

Jedenfalls, den Besuch des Museums Kunst der Westküste Mitte/Ende Oktober möchte ich nicht unter den Tisch fallen lassen. Mit der Ausflugsidee war ich praktischerweise nicht allein: Außer mir hatten auch Kerstin und Caren den Instawalk-Anstoß der MKdW-Ausstellung „Zwischen Sturm und Stille“ im Internationalen Maritimen Museum Hamburg aufgenommen – völlig unabgesprochen im gleichen Zeitraum! Zu Dritt wurden wir also in eine Führung durch die Ausstellung „600 Fuß über NN – Das Wattenmeer fotografiert von Peter Hamel“ eingeschleust. Inklusive Fotografiererlaubnis! Toll!

Peter Hamel: Scharhörn im Neuwerker Watt (2012)
Peter Hamel: Scharhörn im Neuwerker Watt (2012)
Peter Hamel: Wangerooge (2012)
Peter Hamel: Wangerooge (2012)
Peter Hamel: Großer Knechtsand, zwischen Mellum und Neuwerk (2009)
Peter Hamel: Großer Knechtsand, zwischen Mellum und Neuwerk (2009)
Peter Hamel: Lütje Hörn, östlich von Borkum (2011)
Peter Hamel: Lütje Hörn, östlich von Borkum (2011)
Peter Hamel: Sengwarder Balje, nordwestlich von Wilhelmshaven (2018)
Peter Hamel: Sengwarder Balje, nordwestlich von Wilhelmshaven (2018)

Faszinierende Aufnahmen sind Peter Hamel da aus dem Cockpit einer Cessna gelungen. Einiges ist auf den ersten Blick erkennbar als „Wattenmeer von oben“, aber nicht weniges mutet vollkommen abstrakt an. Wie Hamel arbeitet, kann man in diesem Video erfahren:

In einem zweiten, großen Bereich des Museums war die Wanderausstellung „Frischer Wind – Impressionismus im Norden“ untergebracht, ein Gemeinschaftswerk von MdKW, Singer Laren und des Landesmuseums Hannover.

Peder Severin Trøyer: Anna Ancher und Maria Krøyer am Strand von Skagen (1893)
Peder Severin Trøyer: Anna Ancher und Maria Krøyer am Strand von Skagen (1893)
Peder Severin Trøyer: Jäger von Skagen (1898)
Peder Severin Trøyer: Jäger von Skagen (1898)
Ferdinand Hart Nibbig: Auf den Dünen, Zandvoort (1892)
Ferdinand Hart Nibbig: Auf den Dünen, Zandvoort (1892)
Willem Witsen: Amsterdam (nach 1910)
Willem Witsen: Amsterdam (nach 1910)
Ulrich Hübner: Hafen (Hamburger Hafen grün) (1909)
Ulrich Hübner: Hafen (Hamburger Hafen grün) (1909)
Max Slevogt: Mädchen vor dem Löwenkäfig (1901)
Max Slevogt: Mädchen vor dem Löwenkäfig (1901)
Max Liebermann: An der See - Strandbild (1911)
Max Liebermann: An der See – Strandbild (1911)
Max Liebermann: Reiter am Meer nach rechts (1912)
Max Liebermann: Reiter am Meer nach rechts (1912)

Das Bild der Schau, welches mich am meisten faszinierte, ließ sich leider nicht gut ablichten: „Der Dam (die Nieuwe Kerk in Amsterdam)“ (1891) von George Hendrik Breitner. Ich hatte bei dem Werk den Eindruck, nur einen beherzten Schritt vom Eintritt in die Szene entfernt zu sein. Vielleicht hätte ich es versuchen sollen? Aber am Ende ist jedes dieser Exponate auf die eine oder andere Weise ein Zeitreise-Portal.

Zurück zur Gegenwart! Ein Besuch des Museumsshops und der Museumsgastronomie („Grethjens Gasthof„) lohnt sich auch.

Die Trümmer einer Trümmertorte
Die Trümmer einer Trümmertorte

Eine qualitativ ähnlich gute Trümmertorte habe ich auf der Insel nur noch auf Hinrichsen’s Farm genießen dürfen. Fairerweise sei allerdings erwähnt, dass ich die Variante in „Stelly’s Hüüs“ bisher nicht probiert habe.

Das hole ich beim nächsten Föhr-Aufenthalt nach. Und auch das Museum werde ich wieder besuchen: Das MdKW hat nämlich keine Dauerausstellung, sondern wechselt beständig durch. Wenn ihr zeitlich flexibel planen könnt, solltet ihr Museumsbesuch und/oder Inselurlaub daher so legen, dass die nicht gerade in eine der Umbauphasen fallen. Dann fehlt nämlich ein gutes Stück MdKW. Und das wollt ihr nicht!

Vienna Calling

Ich bin vorher schon zwei- oder dreimal in Wien gewesen, das letzte Mal vor über zwanzig Jahren. Wie die vorherigen Male war es damals eine Reise mit übersichtlichem Budget. Da fand ich Wien schon super. Wenn man aber ein etwas höheres Budget zur Verfügung hat und mitnehmen kann, wonach einem der Sinn steht, ist Wien noch viel superer. Denn günstig ist die österreichische Hauptstadt nicht. Zumindest nicht, wenn man im oder nahe des 1. Bezirks wohnen, Top-Sehenswürdigkeiten mitnehmen und in die Oper, ins Konzert und auch mal nett Essen gehen will. Dieses Mal wollte und konnte ich das alles – was für ein Luxus!

Die Reise bestand aus zwei Abschnitten: einer Studienfahrt und einem privaten Teil, wenn auch mit teils fließenden Übergängen. Zur Studienfahrt gehörten unter anderem Termine beim Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik, der Konrad-Adenauer-Stiftung, der FH Campus Wien, der OSZE und dem Bundesministerium für Landesverteidigung. Ein Mittagessen im und eine Führung durch das österreichische Parlament standen ebenfalls auf dem Programm.

Pallas-Athene-Brunnen
Pallas-Athene-Brunnen
Kunst im Parlament
Kunst im Parlament

Das historische Gebäude an der Ringstraße wurde 2018 bis 2022 umfassend saniert. Mit der Sanierung war eine weitgehende Öffnung des Hauses verbunden. Seither gibt es neben Führungen ein noch umfassenderes Angebot zur Demokratiebildung, einen Ausstellungs- und Erlebnisbereich („Demokratikum“) und einen Parlamentsshop; das Volk kann in der Parlamentsgastronomie essen und in der Parlamentsbibliothek lernen und arbeiten. Man darf im Rahmen einer Führung sogar in den Sälen des National- und des Bundesrates auf den Stühlen Platz nehmen (ich weiß jetzt, wie ein österreichischer Vizekanzler sitzt). Nur die Bestuhlung des historischen Sitzungssaals bleibt abgesperrt, um die ebenfalls historische Möblierung zu schützen. Er wird überhaupt auch nur bei besonderen Anlässen verwendet, zum Beispiel, wenn die Bundesversammlung zusammentritt.

Historischer Sitzungssaal
Historischer Sitzungssaal

Mich hat das Gebäude, vor allem aber die Offenheit des Gebäudes tief beeindruckt. Ja, ich weiß, den Reichstag in Berlin kann man auch besuchen, ich war selbst mehrfach dort. Aber ein offenes Haus im österreichischen Sinne ist der Bundestag nicht.

Was unbestritten zum Flair der Stadt gehört und in jedem Reiseführer Erwähnung findet ist die berühmte Wiener Kaffeehauskultur. So richtig konnte ich mich damit bisher nicht anfreunden. Ich bin an sich keine Kaffeehaussitzerin; ich kaufe meinen Kuchen gerne „to go“ und fläze mich damit aufs Sofa.

FENSTER CAFE
FENSTER CAFE

In Wien könnte ich mir das Kaffeehaussitzen aber glatt angewöhnen. Diese ganz spezielle Atmosphäre des In-Gesellschaft-in-Ruhe-gelassen-werdens hat schon ihren Reiz. Ich testete unter anderem das Café Museum, das Café Leopold Hawelka und das Café Prückel und obwohl ich im Museum den wahrscheinlich besten Apfelstrudel meines bisherigen Lebens genießen durfte, hat das Prückel mein Herz erobert. Im Keller gibt es sogar ein Theater!

Kaiserschmarren mit Zwetschkenröster im Prückel
Kaiserschmarren mit Zwetschkenröster im Prückel

Wo war ich noch? In der Österreichischen Nationalbibliothek natürlich. Neben dem ganz normalen Bibliotheksbetrieb gehören zu dieser fünf verschiedene Museen sowie das Haus der Geschichte Österreichs. Ich entschied mich für das Globenmuseum im Palais Mollard und den barocken Prunksaal. Beides sehr empfehlenswert.

Globenmuseum
Globenmuseum
Prunksaal
Prunksaal

Falls ich künftig in die Verlegenheit kommen sollte, den Begriff „barockes Gesamtkunstwerk“ erklären zu müssen, werde ich einfach immer auf dieses Bauwerk verweisen. Wahnsinn! Nur die Sonderausstellung hat mir nicht gefallen. Beziehungsweise, dass es dort überhaupt Sonderausstellungen gibt. Der Star ist doch der Saal, da wirkten die Exponate irgendwie störend.

Zum Thema Reisebudget sei erwähnt, dass der reguläre Eintritt in das Kunsthistorische Museum stolze 21 (in Worten: einundzwanzig) Euro kostet. Dafür kann man aber auch überall hin. Zumindest theoretisch, denn Richtung Gastronomie bildete sich bald eine beeindruckende Schlange und ohne reservierten Timeslot waren die Chancen auf einen Blick in die Rembrandt-Sonderausstellung äußerst gering. Weil diese Option ausgebucht war, schloss ich mich spontan einer Führung an. Dafür musste ich zwar noch einmal zehn Euro auf den Tisch legen. Dafür kam ich aber mit der Gruppe an der Schlange vorbei in die Ausstellung und in den Genuss kompetenter Erläuterungen. Davon bin ich bei bildender Kunst nämlich abhängig, wenn es mir jenseits des bloßen Konsums darum geht, zu verstehen und einzuordnen. Hat sich gelohnt in diesem Fall.

Rembrandt Harmenszoon van Rijn (Selbstportrait)
Rembrandt Harmenszoon van Rijn (Selbstportrait)

Vorher hatte ich noch Gelegenheit, mich in der Kunstkammer umzusehen. Die Kunstkammer Wien beherbergt historische Sammlungen adeliger und königlicher Persönlichkeiten und gilt als Wiege des heutigen Museums. Es fällt schwer, unter den vielen spektakulären Objekten einen Favoriten zu küren, aber mir ist es gelungen!

In der Kunstkammer
In der Kunstkammer

Das ist ein Automat in Form einer Galeone von Hans Schlottheim, datiert auf das Jahr 1585. Hier kann man das gute Stück in Aktion erleben:

Fehlen noch die beiden musikalischen Höhepunkte der Reise. Ins Haus des Musikvereins trieb mich hauptsächlich, dass ich gerne einmal ein Konzert im Goldenen Saal besuchen wollte. Das ist der Saal, in dem die Wiener Philharmoniker das alljährlich in zig Länder übertragene Neujahrskonzert spielen. Die Philharmoniker passten leider nicht ins Programm, aber dafür das ORF RSO Wien unter der enthusiastischen Leitung von Maxime Pascal und mit Truls Mørk als Solist am Violoncello.

Musikverein Wien
Das ORF RSO Wien mit Maxime Pascal beim Musikverein Wien

Gegeben wurden Werke von Arnold Schönberg, Henri Dutilleux und Claude Debussy sowie eine Solistenzugabe von Benjamin Britten. Das hat mir ausnehmend gut gefallen. Schade, dass das Konzert nicht ausverkauft war. Richtig gut ist, dass man in den vorderen Parkett-Logenplätzen auf Höhe des Bühne sitzt. Man hat dadurch noch mehr als in anderen Häusern das Gefühl, Teil des Orchesters zu sein. Der Platz war auch gar nicht so teuer – ok, schon teuer, aber nicht absurd teuer.

Ganz andere Preise werden dagegen in der Wiener Staatsoper aufgerufen. Schon die Führungen schlagen mit 15 Euro zu Buche. Dafür sind sie generalstabsmäßig organisiert und in mindestens fünf Sprachen verfügbar. Wenn man eine Aufführung besucht und nicht nur hören, sondern auch etwas sehen möchte, sollte man am Eintrittspreis dennoch nicht sparen. Günstige Tickets gibt es auch – ich habe auf solchen Plätzen schon gesessen – aber dann ist es halt mehr Hörspiel als Oper.

Wiener Staatsoper
Wiener Staatsoper

Diesen Blick von der Mittelloge habe ich aber auch nur bei der Führung dokumentieren können.

Wiener Staatsoper
Wiener Staatsoper

Die Aufführung – Giuseppe Verdis „Macbeth“ in der 2020er Inszenierung von Barrie Kosky – habe ich aus einer Perspektive ein Stockwerk höher und etwas seitlicher gesehen. Dabei führte das Hauspersonal ein strenges Regiment, unter anderem mit sehr klaren Ansagen bezüglich Handynutzung und Geräuschvermeidung. Das hat entscheidend zu einem weitgehend ungetrübten Operngenuss beigetragen und fand daher meine volle Unterstützung. Gerald Finley und Anastasia Bartoli als Macbeth und Lady Macbeth haben mich nicht nur gesanglich, sondern vor allem darstellerisch überzeugt. Ich mochte die düstere Inszenierung mit dem sehr reduzierten Bühnenbild, nur die merkwürdige Nude-Kostümierung des (Bewegungs-)Chors hat mir nicht zugesagt. Zum Raum: Was für eine phänomenale Akustik! Und was für ein geniales Über- beziehungsweise Untertitelsystem! An jedem Platz, auch den Stehplätzen, gab es kleine Displays, auf denen es Informationen zum Programm in zwei und Untertitel in acht Sprachen zu lesen gab. Gesehen hat man dabei nur den eigenen Bildschirm und wenn man gewollt hätte, hätte man das Teil auch einfach eingeklappt und ungenutzt lassen können. Großartig. Wann gibt es das in Hamburg?

Lipizzanerhengst
An der Spanischen Hofreitschule

Aus dieser Wien-Reise hätte ich gut und gerne eine mehrteilige Rückschau schnitzen können, ähnlich wie ich es mit meinen Besuchen in London getan habe. Aus Zeitgründen verzichte ich dieses Mal darauf. Ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen und mehr Muße für die Nachbereitung im Anschluss.

Auswärts-Doppelpack

Zugegeben, dieses Blog ist streckenweise sehr elphi-lastig. Es ist fast ein bisschen zu einfach, seit die Elbphilharmonie vor mittlerweile fast sieben Jahren (?!?) in den Regelbetrieb gegangen ist: Man muss nirgendwo mehr hin, weil alle dort auftreten wollen! Wobei das natürlich nur für gewisse Genres gilt und vor allem für ein gewisses Level. Kleinere Kreise werden woanders gezogen. Manchmal auch weit außerhalb meiner üblichen Pfade. So auch an einem Freitag und dem darauffolgenden Samstag Ende September.

Konzert No. 1 fand in der Deichdiele zu Wilhelmsburg statt, eine kleine, verrauchte, aber sehr sympathische Spielstätte. Es spielten MetzgerButcher, die ihren Sound als „Electro-Indie-Post-Punk-Rock“ bezeichnen. Das hätte mich nun nicht zwingend gelockt, aber der eine Metzger ist ein ehemaliger Kollege, der andere Butcher sein gar nicht mal so kleiner Bruder und es macht mir einfach Spaß, den beiden beim Musikmachen zuzusehen. Die Songs machen auch Spaß, wobei die Texte durchaus zum Nachdenken anregen beziehungsweise anregen sollten. So nimmt „Pferd“ Vladimir Putin aufs Korn, „Was glaubst Du?“ beschäftigt sich mit Corona-Leugnern und das kurze, aber knackige „Halt Abstand“ erklärt sich quasi von selbst.

Da die Band-Mitglieder bekennende FCSP-Anhänger sind und es diesbezüglich in meinen Social Media-Timelines gewisse Überschneidungen gibt, die gelegentlich bis ins echte Leben schwappen, habe ich mich nicht nur mit den Jungs bestens unterhalten dürfen und musste auch den Rückweg nicht mehr mit Bus und Bahn bestreiten. Denn das funktioniert zwar grundsätzlich, aber es zieht sich doch etwas von dort, wo ich wohne.

Noch weiter zog es mich allerdings am nächsten Abend hinaus: zum theater itzehoe. Das ist ein wirklich nettes, multifunktionales Gebäude, augenscheinlich zu Zeiten nicht ganz so knapper Kassen gebaut. Aber bis man erst einmal dort ist! Strafverschärfend wirkte sich aus, dass wir in der Regionalbahn mit einer Horde HSV-Fans konfrontiert waren. Nicht so angenehm. Aber was macht man nicht alles für einen isländischen Troubadour!

Von Svavar Knútur habe ich an dieser Stelle schon ein paar Mal berichtet. Und weil wir nicht konnten, als Svavar zuletzt in Hamburg war – Berg, Prophet; ihr kennt das. Svavar schafft es immer noch und immer wieder, mich zu überraschen. Zum Beispiel war mir bis zu jenem Abend nicht bekannt, dass er, bevor er zum Singer-Songwriter und eben Troubadour wurde, ein Fischer gewesen ist. Was ich jetzt auch weiß: Wie wunderbar seine Stimme zur französischen Sprache passt. Davon hätte ich ja gerne ein ganzes Album! Sound und Stimmung waren auch toll beim Konzert No. 2 in Itzehoe. Nur mussten wir bedauerlicherweise schon vor der mutmaßlich noch gegebenen Zugabe aus dem Saal fliehen, der nicht eben üppig getakteten Bahnverbindungen wegen. Ich hoffe auf eine bessere Raum-/Zeitplanung beim nächsten Mal.

In Concert: „Opening Night“ – Alan Gilbert und das NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie

Eigentlich hatte ich gar nicht vor, zu einem der beiden „Opening Night“-Termine Mitte September in die Elbphilharmonie zu gehen. Aber im August fluteten plötzlich Werbeanzeigen für die Saisonauftakt-Veranstaltung des NDR EO meine Social Media-Kanäle. Schließlich wurde mir per Newsletter ein 30%iger Rabatt angeboten; ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte.

Offenbar hatte man Mühe, mit dem angekündigten Programm den Großen Saal gleich zweimal zu füllen. So mancher Interessent hat sich da möglicherweise von dem Etikett „Schönberg“ abschrecken lassen. Wofür ich großes Verständnis habe, ist dieser Name doch untrennbar mit der Zwölftontechnik verbunden. Die zählt zweifelsohne zu dem, was man im englischsprachigen Raum als „acquired taste“ bezeichnet. Allerdings wurden die Gurre-Lieder aufgeführt, ein Oratorium, das einigen als letzter Höhepunkt der Spätromantik gilt. Also alles sehr tonal und überdies schon durch die monumentale Besetzung beeindruckend: Alan Gilbert dirigierte fünf Gesangssolisten – Simon O’Neill, Christina Nilsson, Jamie Barton, Michael Nagy, Michael Schade -, einen Sprecher – niemand geringeren als Thomas Quasthoff -, drei Chöre – NDR Vokalensemble, MDR-Rundfunkchor, Rundfunkchor Berlin – und eben das NDR EO.

Ich hatte mir einen Platz ausgesucht, von dem man normalerweise sowohl gut sehen als auch gut hören kann. Letzteres hat leider nicht ganz geklappt, denn einige Solo-Sänger waren so platziert, dass sie mit dem Rücken zu mir standen und sangen. Nicht optimal. Ansonsten war es definitiv ein Erlebnis, obwohl das Oratorium als solches nicht zu meiner Lieblingsgattung gehört. Das konnten auch die Gurre-Lieder nicht ändern. Mein persönlicher Höhepunkt: Jamie Barton als Waldtaube (ab 48:34). Die Dame hat eh schon einen Stein bei mir im Brett seit ihrem Auftritt bei der „Last Night of the Proms 2019″.

Apropos „Last Night of the Proms“: Die Ausgabe 2024 fand gleich am nächsten Tag statt. Beide Teile wurden auf 3Sat und wahlweise in der Originalfassung übertragen. Vorbei die Tage, an denen nur der zweite, von BBC ONE übertragene Teil – der mit den Gassenhauern – im deutschen TV gezeigt wurde und man den (in der Regel grauslichen) deutschen Kommentar nicht abschalten konnte! Vorbei aber vielleicht bald auch die Tage von 3Sat. Wir werden sehen. Dieses Jahr habe ich die „Last Night“ jedenfalls noch in vollen Zügen und im Originalton genießen können und zwar ohne einen, ähem, halblegalen Workaround bemühen zu müssen. Es wäre schön, wenn das so bliebe.

Internationales Sommerfestival 2024 auf Kampnagel

Ja, ich weiß, ich bin unverzeihlich spät! Aber weiterhin wild entschlossen, nicht mehr als unbedingt notwendig abzukürzen. Deshalb folge ich einer in meiner Familie zur Tradition gewordenen Reaktion auf verspätete Meldungen und tue einfach so, als sei noch Ende August. Das werde ich sukzessive fortführen, bis ich die Gegenwart wieder eingeholt habe.

Zunächst also der angekündigte Sommerfestival-Bericht! Sechs Veranstaltungen habe ich geschafft in diesem Jahr, vier auf Kampnagel, eine in der Seilerstraße auf St. Pauli und eine in der Elbphilharmonie. Das sind immerhin zwei mehr als 2023.

Lucinda Childs Company: Four New Works

Die Eröffnung ist grundsätzlich nett: Es gibt Sekt, ich treffe garantiert Menschen, die ich kenne, Carsten Brosda hält eine Rede (das lohnt sich eigentlich immer), András Siebold rauscht in schwindelerregendem Tempo durchs Programm und die Auftaktveranstaltungen haben mir auch meistens gefallen. Dieses Jahr hatte Lucinda Childs die Ehre mit „Four New Works“. „ACTUS“, das erste Werk, hat nicht weh getan, mich aber auch nicht sonderlich berührt. Um das zweite Werk, „GERANIUM ’64“, wertschätzen zu können, war es hilfreich, auf einem Platz nicht all zu weit von der Bühne entfernt zu sitzen und des Werkes der Künstlerin kundig zu sein oder aber wenigstens den Text des Abendzettels vorab gelesen zu haben. Ansonsten hätte ich den Bezug zu einem Footballspiel wohl nicht herstellen können. Unabhängig davon war es aber schlicht auch faszinierend, die 1940 geborene Childs selbst in Aktion zu erleben – und sei es „nur“ in Zeitlupenaktion. Das dritte Werk, „TIMELINE“, stach durch die Komposition von Hildur Guðnadóttir hervor, aus der sich nur sehr schwer ein Takt oder Puls ableiten ließ. Umso beeindruckender die individuelle und kollektive Leistung der Tänzerinnen und Tänzer. Das vierte Werk, „DISTANT FIGURE“, musste mich tänzerisch nicht überzeugen – mit Philip Glass kriegt man mich immer. Zumal die Live-Begleitung am Klavier durch Anton Bagatov erfolgte, für den Glass das der Choreographie zugrundeliegende Stück „Distant Figure (Passacaglia for Solo Piano)“ ursprünglich komponiert hatte.

Auf dem Programm standen außerdem noch zwei Klavierstücke („INTERLUDES“). Ich bin, bedingt durch den geraumen zeitlichen Abstand, inzwischen nicht mehr sicher, ob auch wirklich beide Werke vorgetragen wurden. Jedenfalls erinnere ich nur eine Pause und eines der Stücke, nämlich das, was nicht „The Poet Acts“ aus „The Hours OST“ von Philip Glass war: „Lyrical Music“ aus „Unfamiliar Weapon OST“, komponiert vom Vortragenden selbst. Der Unruhe im Saal zufolge gefiel die Unterbrechung nicht allen Anwesenden, mir dagegen sehr. Bedauerlicherweise konnte ich das Stück bis jetzt noch nirgendwo auftreiben. Bei den üblich-verdächtigen Streaming-Diensten ist es nicht gelistet. Es mag daran liegen, dass das fragliche Album „Music For Films“ bei einem russischen Label erschienen ist.

Jaha Koo/Campo: Haribo Kimchi

Bedauerlicherweise hatte ich es 2018 nicht zu den sprechenden Reiskochern („Cuckoo„) geschafft und 2020 auch „The History of Korean Western Theatre“ verpasst. Immerhin, im dritten Anlauf hat es geklappt mit mir und Jaha Koo!

Die Kulisse für „Haribo Kimchi“ bildet ein (oder eine?) Pojangmacha, das ist eine typische südkoreanische Imbissbude. Zwei Gäste aus dem Publikum werden live bekocht, derweil berichtet der Künstler und Koch von persönlich-kulinarischen Erfahrungen in Korea und als Koreaner in Europa. Zum Einsatz kommen dabei auch Musikvideos mit einer Schnecke und einem Gummibären als Protagonisten sowie ein robotischer Aal. Aus dieser auf den ersten Blick eigentümlichen Mischung entsteht eine berührende Poesie – gelegentlich haarscharf am Kitsch entlang, aber dicht daneben ist bekanntlich auch vorbei. Mich hat das vollkommen überzeugt, sowohl die einzelnen Teile als auch das Gesamtkunstwerk. Stücke von Jaha Koo gelten hiermit bis auf Widerruf als gesetzt. Ich hoffe, ich kann „Cuckoo“ und „The History of Korean Western Theatre“ irgendwann und irgendwo nachholen.

Nesterval: A Dirty Faust

Schon länger als gesetzt gelten bei mir alle Nesterval-Aufführungen und ein Widerruf ist auch nach „A Dirty Faust“ nicht in Sicht. In dem Stück wird Goethes Faust mit der Geschichte des Films „Dirty Dancing“ aus dem Jahre 1987 kombiniert, wobei ein Schwerpunkt auf dem Themen Vergewaltigung, (illegale) Abtreibung und weibliche Selbstbestimmung liegt. Aufführungsort waren verschiedene Stockwerke und Räume der alten Schule in der Seilerstraße auf St. Pauli, durch die man in Gruppen von einzelnen Charakteren mitgenommen wurde. Aufgrund der örtlichen Begebenheiten war man allerdings sehr viel unterwegs – „viel Gerenne, wenig Theater“, so die lakonische Bilanz einer der Teilnehmer. In beiden Durchläufen folgte ich „Dirty Dancing“-Charakteren. Beide Rollen waren angereichert mit Backstories, auf die die Drehbuchschreiber und -innen wohl nicht gekommen wären. Hätte ich den Film nicht gekannt, hätte ich mir allerdings keinen Reim auf die Bruchstücke machen können, die ich zu sehen bekam. Noch mehr als bei anderen Nesterval-Stücken wäre es notwendig gewesen, zwei oder drei Aufführungen zu besuchen, um eine einigermaßen vollständige Vorstellung von dem Stück zu bekommen.

Ein bisschen ungünstig war auch, dass Teile des Publikums mitten in den beiden durch eine Rahmenhandlung verbundenen Handlungsdurchläufen die Gruppen wechselten. Einerseits wurden einige Gruppen dadurch so groß, dass es in manchen Szenen räumlich eng wurde. Andererseits  brachte mich das in den Genuss einer buchstäblichen 1:1-Performance. Wäre das meine erste immersive bzw. Nesterval-Theatererfahrung gewesen, hätte ich an dieser Stelle wohl die Flucht ergriffen. Es wäre mir ziemlich sicher unangenehm gewesen. Da ich aber sowohl das Prinzip als auch den Schauspieler kannte, blieb ich drin und nahm es als Geschenk.

Zum Abschluss tanzten alle zu „(I’ve had) The Time of My Life“ und ja, es war schon auch ein ordentlicher Schuss Nostalgie dabei. Zumindest für Menschen ab einem gewissen Alter, mich inklusive. Schließlich war „Dirty Dancing“ der erste Film, den ich in einem „richtigen“ Kino gesehen habe – wenn ich mich recht erinnere, war das im ehemaligen Nordstern-Kino in Lippstadt, in dem später eine Kirche (!) Unterkunft fand – und wir haben damals in der Tanzschule alle den Mambo getanzt.

Cat Power sings Dylan

Ein bisschen Sorge hatte ich schon, als Cat Power auf die Bühne kam und mit den ersten Songs startete. Gleich zwei Teetassen standen auf dem kleinen Tischchen neben ihrem Platz und irgendwie wirkte und klang die Sängerin unsicher. Aber mit jedem weiteren Song steigerte sich Power und zog nach und nach den Saal mehrheitlich in ihren – und natürlich Bob Dylans – Bann. Ein großes Projekt und ein gelungener Abend. Ich verneige mich.

A.I.M. by Kyle Abraham: CASSETTE VOL. 1

Auch bei „CASSETTE VOL. 1“ überkamen mich nostalgische Gefühle, handelt es sich dabei doch um ein 80er- und 90er-Jahre Mixtape. Ein bisschen „Boy meets Girl“-Handlung war der Choreographie auch zu entnehmen. Mir kam es ansonsten etwas lang vor, bis das Pas de deux über eine Langversion von Extremes „More Than Words“ fast zum Schluss wieder meine volle Aufmerksamkeit forderte. Eigentlich konnte ich den Song längst nicht mehr hören, aber das war so, so schön! Mit diesem neuen Kontext werde ich das Stück jetzt wieder genießen können.

Ein bisschen fies fand ich, dass die Kritik im Hamburger Abendblatt von dessen Autor auf diversen Social Media-Kanälen mit „Love is a Battlefield“ angeteasert wurde und dann kam der Song überhaupt nicht vor! Aber dafür kann Kyle Abraham natürlich nichts.

Pop-Up Restaurant: Suvir Saran

And now to something completely different, die Zutaten: ein Zelt als Pop-Up-Restaurant, ein Sternekoch und Geschichtenerzähler, eine Sängerin (Marina Ahmad) und ein Musiker (Manao Doi) und ein indisches Drei-Gänge-Menü. Das hätte phantastisch werden können. Leider litten die Gerichte unter den sicherlich nicht optimalen Bedingungen einer Food-Truck-Küche und die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren eher an dem kulinarischen Part interessiert als an den Geschichten und der Musik. Warum Sarans Mikro nicht eingeschaltet war, erschloss sich mir auch nicht. Für ihn wurde es dadurch umso schwieriger, die Aufmerksamkeit seines Publikums zu halten. Dazu war die Veranstaltung zeitlich sehr limitiert und wirkte dadurch gehetzt. Zumindest für Einzelgäste war außerdem unbefriedigend, dass es den Wein nur flaschenweise zu kaufen gab. Ausgeglichen wurde das ein wenig durch das Glas Champagner, das als Aperitif gereicht wurde.

Irritiert hat mich die offensichtliche Werbung für die authentikka-Restaurants in Hamburg. Wurde uns da jetzt ein Sternekoch- oder ein authentikka-Menü serviert (zumal auf Einweggeschirr, ein weiterer Abzug in der B-Note)? Nichts gegen authentikka, es ist lecker da, aber die Performance fühlte sich dadurch doch ein klein wenig nach Mogelpackung an.

Festival Avant-Garten

Festival Avant-Garten

Festival Avant-Garten

Der Festival Avant-Garten wurde gestaltet von 4E, einem Team aus Architekten und -innen der HafenCity Universität Hamburg. Ich mache es kurz: Das hat mich nicht überzeugt. Die Waldbühne war schön – da kann man aber auch nicht viel verkehrt machen – und der Platz vor dem Soli-Casino. Der Rest wirkte irgendwie ungemütlich und war größtenteils verwaist. Allerdings habe ich es beispielsweise zu den Kopfhörer-Parties im Garten dieses Jahr gar nicht erst geschafft. Mir fehlt da also möglicherweise das eine oder andere Puzzlestück.

Anri Sala: Take over (Internationale)

Fehlt noch die Video-Installation „Take over (Internationale)“ von Anri Sala in der Vorhalle. Neben der Instrumentalversion der Hymne („Völker hört die Signale…“) treten in den Hauptrollen die Hände eines Pianisten und die Tastatur eines Disklaviers auf und schon deshalb fand ich das Werk großartig. Im Übrigen kam mir der Raum, in dem das Instrument stand, sehr bekannt vor.

Unterm Strich war das kein schlechter Jahrgang! Ich bin gespannt aufs nächste Jahr.

Quartalsmeldung 2/2024 (oder so ähnlich)

Weiter geht es voraussichtlich erst im Mai, denn der April ist fast vollständig durch Termine anderer Art besetzt. Der Bericht folgt Ende Juni. Wenn mich dann nicht die Masterarbeit verschluckt hat.

Was soll ich sagen – liebe Leserin, lieber Leser (und alle dazwischen): Die Masterarbeit hatte mich verschluckt. Jetzt, genau vier Wochen vor dem Abgabetermin, sehe ich allmählich wieder Land und kann die begonnene Reihe fortsetzen. Der Plan: die Spanne Mai bis August fasse ich knapp zusammen, flankierend gibt es ein paar gesammelte „Statt Postkarten“, das Internationale Sommerfestival bekommt wie jedes Jahr einen eigene Berichterstattung und ab September wird wieder normal gebloggt! So!

Mai

Anfang Mai hatte ich die Gelegenheit und das Vergnügen, an einem hamburgafterwork-Instawalk durch die Ausstellung „Zwischen Sturm und Stille“ im Internationalen Maritimen Museum teilnehmen zu dürfen.

Volker Tieman: Große Woge
Volker Tieman: Große Woge
Michael Ancher: (Drei von) Vier Fischer(n) am Strand vor Skagen
Michael Ancher: (Drei von) Vier Fischer(n) am Strand vor Skagen
Trine Sondergaard: Strude #1
Trine Sondergaard: Strude #1

Die Ausstellung des Museums Kunst der Westküste (MKdW) ist kürzlich bis zum 12. Januar 2025 verlängert worden. Der Besuch lohnt sich sehr. Zu diesem Urteil wäre ich mutmaßlich auch ohne die Veranstaltung gekommen, den Wein vom Föhrer Weingut Waalem hätte ich dagegen wohl nicht so schnell entdeckt. Im Oktober werde ich dem MKdW höchstselbst einen Besuch abstatten. Dem Weingut leider nicht, dort ist dann nämlich Erntezeit und deshalb für Besucherinnen und Besucher verständlicherweise kein Raum.

Ansonsten war ich bei zwei Konzerten des Internationalen Musikfests Hamburg – das Kronos Quartet und Teodor Currentzis und Utopia mit Anton Bruckners Sinfonie Nr. 9 d-Moll – und bei einem „Blind Date“, alles in der Elbphilharmonie. Das Konzert des Kronos Quartet war mit „KRONOS – Five Decades Celebration“ überschrieben, hatte dann aber doch etwas weniger „Best of“-Charakter als erhofft. Meine Lieblingsstücke: „Lunch in Chinatown“ von Terry Riley und „Different Trains für Streichquartett und Tonband“ von Steve Reich.

Von Teodor Currentzis und Utopia habe ich an dieser Stelle schon ausführlich geschwärmt, das muss ich im Rahmen dieses Schnelldurchlaufs nicht in epischer Breite wiederholen. Jedenfalls wurde ich nicht enttäuscht. Im letzten „Blind Date“ der Saison 2023/24 schließlich präsentierten Nils Mönkemeyer (Bratsche), Sebastián Sciaraffia (Barockgitarre), Gonzalo Manrique (Barockgitarre), Martín Bruhn (Percussion) und Rubén Dubrovsky (Colascione, Charango) unter der Überschrift „Viola Latina! Living Baroque“ eine Reise durch verschiedene Regionen und Musikstile Südamerikas. Das traf nicht ganz mein Geschmack, was aber bei der „Blind Date“-Reihe nur eine untergeordnete Rolle spielt, denn, ich erwähnte es vermutlich schon mehrfach: Man kann sich auf die Qualität der dort auftretenden Künstlerinnen, Künstler und Ensembles im wahrsten Sinne des Wortes blind verlassen.

Juni

Der Juni begann mit dem ELBJAZZ. Man sollte es vielleicht nicht mehr so nennen: Vielleicht sind es noch 50% Jazz gewesen, möglicherweise ist aber auch das schon eine zu optimistische Einschätzung. Die Bezeichnung Etikettenschwindel drängt sich auf, nicht erst seit diesem Jahr.

ELBJAZZ (Symbolbild)
ELBJAZZ (Symbolbild)

Meine musikalischen Highlights: Asaf Avidan (kein Jazz), Belle & Sebastian (auch kein Jazz), Rocket Men (ebensowenig Jazz wie GoGoPenguin) und – zu sehr später Stunde in der Elbphilharmonie – Martin Kohlstedt (ebenfalls kein Jazz).

Die Rocket Men habe ich aufgrund ungünstiger Umstände leider nur außerhalb der Schiffbauhalle erleben dürfen und mir deshalb im Anschluss schleunigst eine Karte für eine der beiden inzwischen ausverkauften „Lost in Space“-Shows Ende November im Planetarium Hamburg gesichert. Das wird bestimmt großartig.

Kameramann
Kameramann

Meine nichtmusikalischen Highlights: der Kameramann an der Hauptbühne, das Holzofenbrot – zugegebenermaßen hauptsächlich wegen des Holzofens – und das Crumble. Eine Glühweinbude wäre angesichts der vorherrschenden Temperaturen, verstärkt durch den zeitweisen Niederschlag, auch nicht verkehrt gewesen. Ebenfalls nicht ganz so günstig waren die auffällig hartnäckigen Technikprobleme, vor allem während des Auftritts von Asaf Avidan. Ich erwarte Besseres von einem Festival dieses Kalibers, von dem Konzertausschnitte (leicht zeitversetzt) auch auf arte CONCERT präsentiert wurden.

Moment, da war doch vorher noch was! Ein Stummfilmkonzert in der Laeiszhalle nämlich: „Das Cabinet des Dr. Caligari“, untermalt von Klängen durch Karl Bartos (Kraftwerk). Das fand im Rahmen des Schleswig Holstein Musik Festival statt und war bemerkenswert gut.

Das „War Requiem“ von Benjamin Britten, als Programmpunkt des Internationalen Musikfests Hamburg gegen Ende des Monats aufgeführt vom SWR Symphonieorchester, dem London Symphony Chorus, dem SWR Vokalensemble Stuttgart, dem Knabenchor Hannover sowie Irina Lungu (Sopran), Allan Clayton (Tenor) und Matthias Goerne (Bariton), allesamt unter der Leitung von Teodor Currentzis, überforderte mich bedauerlicherweise aufgrund eines hauptsächlich masterarbeitsbedingten Formtiefs. Meine Konzentration reichte nicht, meine emotionale Verfassung befand sich in leichter bis mittelschwerer Schieflage und das Werk eignet sich nun einmal auch nicht sonderlich als Stimmungsaufheller.

Juli

Anfang Juli war ich bei Charly Hübner und Caren Miosga zu einer andeutungsweise szenischen Lesung mit Musik aus den „Jahrestagen“ von Uwe Johnson. Wobei weder die Vortragenden (Ninon Gloger am Klavier ausgenommen) noch das Publikum (wahrscheinlich zündet das Sujet im Osten der Republik noch anders) in Top-Form waren. Aber die Großartigkeit des Formats blitzte durch.

"Jahrestage" mit Charly Hübner, Caren Miosga und Ninon Gloger
„Jahrestage“ mit Charly Hübner, Caren Miosga und Ninon Gloger (v. l. n. r.)

In der Schule quälte man uns mit „Mutmaßungen über Jakob“, was dazu führte, dass ich um Johnsons Werk fortan einen großen Bogen machte. Merkwürdigerweise habe ich den ersten Satz des Romans („Aber Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen.“) nie vergessen können, den Rest aber vollkommen verdrängt… So oder so, vielleicht war der Abend im St. Pauli Theater ja der erste Schritt einer Wiederannäherung. Apropos St. Pauli Theater: Ich hatte vergessen, wie furchtbar unbequem man da sitzt!

Tags drauf sah und hörte ich das Chineke! Orchestra mit „African Suite“ von Fela Sowande, „To the Hibiscus“ von Cassie Kinoshi und Max Richters „Recomposed: Vivaldi – The Four Seasons“ (mit Elena Urioste an der Solovioline) in der Elbphilharmonie, eine weitere Veranstaltung des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Das hat mir richtig gut gefallen, ganz besonders der Richter/Vivaldi: Bis dato war das wohl die mit Abstand schönste Interpretation dieses Lieblingswerks, die ich erleben durfte. Ziel der Chineke! Foundation ist übrigens die Förderung der ethnischen Vielfalt in Orchestern und generell der klassischen Musikszene, hier erklärt von der Gründerin, Chi-Chi Nwanoku:

August

Der August war auch in diesem Jahr geprägt vom Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel (Bericht folgt – siehe oben). Zwischendrin war ich aber noch ein letztes Mal beim Schleswig-Holstein Musik Festival, genauer: beim Duo Ruut im Kleinen Saal der Elbphilharmonie. Das war ebenso zauberhaft wie unterhaltsam, des sehr speziellen Humors der beiden Musikerinnen wegen.

Und jetzt? Ist schon fast September. Krass.

Quartalsmeldung 1/2024

Jetzt ist es also passiert, der Blogfaden ist gerissen. Nicht einmal monatliche Beiträge habe ich den letzten Wochen abringen können. Immerhin, das Licht am Ende des Studiumtunnels wird sichtbar: Nur noch 1 Hausarbeit (mit Präsentation), 1 Masterarbeit und 1 Masterarbeits-Verteidigung trennen mich von der Zurückerlangung meiner Work-Life-Balance. Oder zumindest einer Ahnung davon. Wie schön wird das sein, wenn nach Feierabend wirklich Feierabend ist und am Wochenende Wochenende, von Urlaub ganz zu schweigen! Auch und gerade im Kopf! Aber noch ist es nicht soweit. Damit ich bis dahin nicht ganz aus der Übung komme, stelle ich auf quartalsweise Berichterstattung um.

Januar

Mein Kulturjahr begann mit „Der Klang der Bücher – eat.READ.sleep meets NDR Elbphilharmonie Orchester“. Wobei „Orchester“ etwas hoch gegriffen ist: Neben Daniel Kaiser und Jan Ehlert vom Bücher-Podcast eat.READ.sleep befand sich ein Streichquartett bestehend aus Musikern des NDR EO auf der Bühne des Kleinen Saals der Elbphilharmonie. „eat.READ.sleep“ will kein hochgeistiger Literaturzirkel, sondern niedrigschwellig und unterhaltsam sein. Das spiegelte sich auch in der Musikauswahl des Abends wider. Klar kann man Mozart durch die „Kleine Nachtmusik“ („Die Königin der Telefonwarteschleifen“) repräsentieren, aber ein klein wenig abgedroschen ist das dann schon. Andererseits wurde die Veranstaltung als Sonderfolge des Podcasts aufgezeichnet. Allzu kompliziert und vor allem allzu lang durften die Musikstücke daher nicht sein. Neben Mozart kamen Brahms, Bach, „Norwegian Wood“ von den Beatles und „On the Street Where You Live“ aus „My Fair Lady“ zur Aufführung (Ohrwurm in 3… 2… 1… gern geschehen!). Etwas ausgeglichen wurde das Konto durch „Skorpion“ aus dem „Tierkreis“ von Karl-Heinz Stockhausen. Insgesamt eine hochunterhaltsame Angelegenheit, wozu die Streichquartett-Besetzung auch durch das gesprochene Wort beitrug, allen voran Cellist Fabian Diederichs, der obendrein eine selbst fabrizierte „Variation über Mozartkugeln“ beisteuerte. Musik trifft Literatur und umgekehrt – ein schier unerschöpfliches Themenfeld, definitiv mit Reihenpotenzial! Ich erfuhr rund vier Wochen später aus erster Hand, dass man seitens des eat.READ.sleep-Teams tatsächlich über eine Art Spin-Off nachdenkt. Bitte, unbedingt machen!

Februar

Die Krypta des Hamburger Michel ist nur bedingt veranstaltungstauglich. In einigen Bereichen müssen selbst Menschen, die kleiner als 1,75m sind, noch die Köpfe einziehen und der Enge geschuldet wird auch die Grabplatte des prominentesten Bewohners nicht verschont und als Lautsprecherstellplatz genutzt. Allerdings lässt sich in dieser besonderen Atmosphäre auch eine besondere Konzertstimmung erzeugen. Der Auftritt von San Glaser und dem Kaiser Quartett Anfang Februar, zunächst einzeln und dann in Kombination, bewies das eindrücklich.

Vielleicht lag es auch an der familiären Stimmung des Abends, handelte es sich doch um eine Benefiz-Veranstaltung der Plan Aktionsgruppe Hamburg zugunsten des Mädchenfonds. Jeder schien jeden zu kennen. Ich selbst hatte eher zufällig durch die Facebook-Präsenz des Kaiser Quartetts von dem Event erfahren und ganz schnell zugegriffen. Das muss man nämlich, sonst hat man keine Chance: Es gibt maximal 170 Plätze. Die Benefizkonzerte finden unregelmäßig statt, bei Interesse empfiehlt sich ein regelmäßiger Blick auf die Webseite der Aktionsgruppe.

Was lange währte, wurde Ende Februar endlich ein Konzert der Berliner Philharmoniker! Das ist eines der Orchester, für die auch im Rahmen der hauseigenen Konzertreihen der Elbphilharmonie eine signifikant höhere Preisstaffelung aufgerufen wird. Das tut dem Kartenabsatz jedoch keinen Abbruch, was dazu führte, dass ich erst das Geld nicht übrig hatte und als ich das Geld übrig hatte, nicht an Karten herankam. Ich bin immer skeptisch gewesen, wenn eine Karte der Preisklasse 1 über 200 Euro kostet. Ist das wirklich gerechtfertigt? Zahlt man da nicht auch für den Namen, die Marke? Im Falle der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko seht ihr mich bekehrt. So kann ein Sinfonieorchester also auch klingen! Und in Kombination mit Richard Strauss‘ „Sinfonia domestica“ dürfte zumindest unmittelbar nach dem Konzert kein Staubkörnchen mehr auf der „weißen Haut“ des großen Saals gelegen haben. Nachhaltig beeindruckend, oder wie Joachim Mischke später im Abendblatt schrieb: „Irre gut“. Sehr gerne wieder und durchaus auch in einer besseren Preisklasse als der von mir gewählten. Vorausgesetzt, ich habe weiterhin das Geld übrig.

Der Februar schloß mit einem „Blind Date“, welches sich als Stunde der Schlagwerker entpuppte. Zusammen mit und unter der Führung von Alexej Gerassimez holten Lukas Böhm, Emil Kuyumcuyan und Sergey Mikhaylenko aus unterschiedlichsten Untergründen – vom eigenen Körper über Benzinkanister bis hin zur Marimba – denkbare und zuvor undenkbare Klangfarben heraus. Das Programm „Genesis of Percussion“ war für die Reihe vielleicht ein bisschen zu ambitioniert, die Strecke „Metal“, „Over the Rainbow“ und „Wood“ möglicherweise eine Idee zu lang. Dennoch brachten die vier Perkussionisten das Publikum mehrheitlich hinter sich. Daran hatte Gerassimez‘ Moderation einen wesentlichen Anteil. Wie so ein Schlagwerker tickt, der praktisch überall und jederzeit Rhythmen und Klänge aufspürt, lässt dieses Erklärvideo vom YouTube-Kanal der Festspiele MV erahnen.

Eine derartige Spielfreude auch im Wortsinne nimmt ein, dagegen ist kaum jemand immun.

März

Der März erwies sich als Lücke im Konzertkalender, die spontan und auf Empfehlung der Herren Schneider und Schreiber durch einen Besuch bei Barbara Morgenstern in der kmh auf Kampnagel zumindest noch etwas gefüllt werden konnte. Das war so schön!

Weiter geht es voraussichtlich erst im Mai, denn der April ist fast vollständig durch Termine anderer Art besetzt. Der Bericht folgt Ende Juni. Wenn mich dann nicht die Masterarbeit verschluckt hat.

(Jahres-/Konzert-)Rückblick 2023

Das letzte „Blind Date“ des vergangenen Jahres war eines mit gleich vier Bässen!

Nicht genau mit diesen vieren, sondern mit Dominik Wagner, Felix Leissner (Gewandhausorchester), José Trigo (Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks) und Todor Markovic (NDR Radiophilharmonie). Aber der zweite Satz aus Dvořáks 9. Sinfonie „Aus der neuen Welt“ stand auch auf dem Programm. Für mich das Highlight des Abends. Tango (Astor Piazzolla) und Queen – „Bohemian Rhapsody“, no less! – konnten sie auch.

Ansonsten, was soll ich sagen. Ein arbeits- und ereignisreiches Jahr liegt hinter mir. Dennoch kommt in der Rückschau auf 2023 eine ganz ordentliche Liste zusammen.

Die bemerkenswerten Premieren:

Die Wiederholten:

Neue Orte:

Die Jahresfavoriten? Auch dieses Jahr nicht einfach. Ich habe mich für die Hundreds auf Kampnagel (Konzert) und das Funkhaus Berlin (Ort) entschieden. Eine Sondererwähnung gilt der Christianskirche Ottensen: Die dort stattfindende Konzertreihe „Pop Seasons“ bedarf definitiv meiner näheren Aufmerksamkeit. Vielleicht schon in diesem Jahr.