Sommer, Sonne, August – Sommerfestivalzeit! Es war das erste „uneingeschränkte“ Sommerfestival seit 2019, ein Umstand, den keiner der Rednerinnen und Redner bei der Eröffnung zu erwähnen ausließ. „Uneingeschränkt“, das bedeutete konkret: keine Maskenpflicht, keine Beschränkung bei den Zuschauerzahlen und ein offener Avant-Garten.
Mit einer Maskenpflicht hätte ich persönlich gut leben können; die Freiwilligenquote war trotz Corona-Sommerwelle bedauerlicherweise nicht sehr hoch.
Aber zum Programm!
Oona Doherty: Navy Blue
Als phantastischer und sehr berührender Einstieg entpuppte sich das Eröffnungsstück „Navy Blue“ von Oona Doherty.
Der von Doherty höchstselbst verfasste Text, der im hinteren Teil des Stücks zu Jamie xx und tänzerischer Performance vorgetragen wurde, hätte mich für sich genommen zwar nicht überzeugt. Als Soundtrack funktionierte er aber hervorragend.
Kid Koala: The Storyville Mosquito
Kid Koalas „Nufonia Must Fall“ hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ich mich seit 2014 immer wieder und mit Begeisterung in die Sommerfestival-Programme stürze. Umso größer war meine Freude, als ich auf der diesjährigen Liste erneut ein detailverliebtes Puppenstück aus der Feder von Eric San vorfand.
Die Story von „The Storyville Mosquito“ ist schnell erzählt, da Nebensache: Mosquito kommt in die große Stadt, träumt von einem Durchbruch als Musiker, verliebt sich, wird von einem Widersacher gemobbt und enttäuscht, findet aber letztlich doch noch sein Glück. Es ist die überbordend kreative, liebevolle Umsetzung als live gespielter beziehungsweise aufgeführter Film, die die Hauptrolle spielt. Fast alle dazu erforderlichen Miniatursets waren für das Publikum während der Aufführung gut einsehbar, wodurch auch das Entstehen der „Special Effects“ transparent wurde. Dazu noch eine Handvoll Hamburg-Bezüge und – Eichhörnchen! Ich war wieder sehr verliebt.
Das anschließende Konzert in der kmh begann ebenfalls verheißungsvoll, wenn auch leicht verspätet. Allerdings empfand ich die Darbietungen von Kid Koalas Special Guest, der US-amerikanischen Musikerin Lealani, bei wiederholtem Antritt als zunehmend anstrengend. Schließlich fiel der Sauerstoffgehalt der zum Schneiden dicken Luft in der Halle unter mein kritisches Level und ich musste die Segel streichen. So verpasste ich leider die Übernahme des DJ-Pults durch Jacques Palminger. Josh Dolgin alias Socalled war bei dem als „Gipfeltreffen von drei Legenden des musikalischen Entertainments“ angekündigten Event erst gar nicht angetreten. Coronabedingt, wie ich später erfuhr.
Anders erging es mir beim Auftritt von Brandt Brauer Frick ein paar Tage später an gleicher Stelle.
Seit der ersten Begegnung 2014 im Boiler Room waren mir die drei Herren in guter Erinnerung geblieben. Vollkommen zu Recht. Das war klasse!
Socalled & Friends: TIME – The 4th Season feat. Miwazow
Im Gegensatz zu Falk bin ich der Meinung, dass das Musical um Bär, Tina und Co. mit der vierten Season gut und gerne abgeschlossen sein (und bleiben) darf. Wenn man die Story eines Puppenmusicals ohne den Abendzettel nicht mehr versteht, dann – spätestens! – sollte man es gut sein lassen. Andererseits: die Musik! Großartig, so wie jedes Mal („Na wie geiht di dat“-Ohrwurm summend ab).
Apropos, nebenbei konnte ich aus erster Hand in Erfahrung bringen, dass das unvermeidlicherweise unter den Socalled-„Friends“ befindliche Kaiser Quartett im Februar 2023 ein neues Album herausbringen und demnächst im Kleinen Saal der Elbphilharmonie auftreten wird.
But I’m awake
Die mit „Identity, Vulnerability and Empowerment“ untertitelte Fotoausstellung in der Vorhalle fand in Kooperation mit den Deichtorhallen und der Phototriennale statt.
Zu mir hat kein einziges der ausgestellten Bilder gesprochen. Mir fehlt da schlicht der Zugang.
Gus van Sant: Trouble
Ein Musical über Andy Warhol von einem bekannten Filmregisseur ohne jegliche Theatererfahrung – what could possibly go wrong?
Eine ganze Menge, wie sich herausstellte. Ich mochte zwar das Ensemble – für sich genommen entzückend in seiner Naivität -, den Soundtrack und die Ausstattung, aber damit ist ein dermaßen flaches Stück nicht zu retten. Wo war da der „Trouble“? Erschreckend eindimensional und das bei dem Stoff! Schade.
Cuqui Jerez: Magical and Elastic
Keine Handlung, sondern eine Dekonstruktion derselben mit Musicalfragmenten: So habe ich „Magical and Elastic“ verstanden. Ich fand es mindestens amüsant. Die Angelegenheit hatte nur leider absurde Längen und je eine Laber- und eine Kicherfraktion im Publikum waren dabei nicht hilfreich. Es ist lange her, dass ich so viele Leute mittendrin ein Stück habe verlassen sehen. Gefühlt noch knapp die Hälfte klatschte nach über zwei Stunden mit nahezu verzweifelter Hartnäckigkeit das Ende herbei. Das hätte toll sein können. Klassischer Fall von verschenkt.
Wie schon im letzten Jahr waren JASCHA&FRANZ wieder für die Gestaltung des Avant-Garten verantwortlich.
Letztes Jahr war ich nicht begeistert. In diesem Jahr fand ich den Garten:
Wenn auch ein wenig verwaist an manchen Abenden. Außer, wenn die Kopfhörer-Party „RADIO ATOPIA“ von JAJAJA auf dem Terminplan stand. Nur gab es leider nicht genügend Kopfhörer. Ich bin bei jedem einzelnen Versuch leer aus- und schließlich nicht mehr hingegangen. Aber irgendwas ist immer und diese Marginalie ist irgendwo zwischen „Abzug in der B-Note“ und „Jammern auf hohem Niveau“ abzulegen.
Sommerfestival, my love!