Übers Sommerfestival wollte ich ja noch schreiben.
Das war zuallererst furchtbar aufregend, weil (für mich) sowohl die erste „Groß“- als auch die erste Live-Kulturveranstaltung in geschlossenen Räumen unter Corona-Bedingungen und dementsprechend von gemischten Gefühlen begleitet. Ein Festival in der Pandemie – kann das wirklich funktionieren?
Um es kurz zu machen: Es funktionierte ganz hervorragend. Die Piazza und der erweiterte Avant-Garten boten viel Platz und Programm unter freiem Himmel mit ausreichend Ausweichmöglichkeiten, die Besuchersteuerung klappte und soweit ich das beobachten konnte, ging auch das Hygienekonzept für die Hallen auf. Ich habe mich nur in einer Situation (ver)unsicher(t) gefühlt, was nicht am Veranstalter lag (dazu später). Ein dickes Lob an das Kampnagel-Team!
Kim Noble: Lullaby for Scavengers
Zum Einstieg hatte ich mir Kim Nobles „Work in Progress“ in der K2 ausgesucht. Innerhalb von Minuten wurde mir klar, dass ich unter einem „traurigen und feinsinnigen Comedy-Abend“ etwas vollkommen anderes verstehe als die Verfasser des Programmtextes. „Traurig“ stimmte, „feinsinnig“ immerhin noch phasenweise, aber wer „Comedy“ erwartet hatte, konnte nur enttäuscht werden. Ebenso, wer sich durch András Siebolds Teaser „für alle Menschen, die sich für Sex mit Eichhörnchen interessieren, ist das das Stück der Stunde“ motivieren ließ. Zentrale Themen des Programms waren Einsamkeit, Tod und Vergänglichkeit. Bei seiner ganz eigenen Art der Vermittlung sparte Noble nicht an Ekelfaktoren, Verstörungen und Absurditäten und schreckte auch nicht davor zurück, Filmaufnahmen seines augenscheinlich todkranken und dementen Vaters zu verwenden. Eigentlich überhaupt nicht mein Geschmack. Nichtsdestotrotz hat es mich berührt und im Nachgang noch lange beschäftigt.
Sebastian Quack & Team, Imagine the City: BOTBOOT Launch
Als hätte es noch eine Bestätigung gebraucht: Ich bin keine Gamerin und werde in diesem Leben wohl auch keine mehr. Die Idee hinter BOTBOOT ist toll, zugegeben, aber die Umsetzung fand ich halbgar und teilweise verwirrend. Der mittelmäßig vorbereitet bis chaotisch wirkende Launch auf der Waldbühne des Avant-Garten trug vermutlich dazu bei, aber auch so hat mir fürs Weiter- oder gar Durchspielen Motivation und Geduld gefehlt.
Carsten „Erobique“ Meyer
Ein Improvisator vor dem Herrn. Großer Spaß auf der Kanal-Bühne. Eines von insgesamt drei Festival-Highlights.
Nesterval: Der Willy Brandt-Test
Das zweite Festival-Highlight und ein perfektes Beispiel dafür, dass das Verlegen ins Netz beziehungsweise nach Zoom nicht zwingend eine Einschränkung bedeuten muss. Unter normalen Umständen hätte es wohl keine Teilnehmer aus verschiedenen Städten in einer Session gegeben und auch keine Hybrid-Situation vor Ort in Hamburg: Zwei Schauspieler in Containern dort, der Rest des Teams in diversen Heimbüros. Mit Kreativität und entsprechendem Aufwand geht so viel mehr als eine bloße Frontalbespielung – das darf gerne bleiben, auch nach COVID-19. Was den Inhalt betrifft, wie sieht es da aus, ist spoilern mittlerweile erlaubt? Na, ich machs mal lieber nicht. Nur soviel: Man ist als Tester:in und Teil des Publikums deutlich involvierter, als man noch bis kurz vor Schluss denkt. Ich habe einmal online auf dem heimischen Sofa teilgenommen und danach die Abschlussdiskussion einer zweite Runde auf Kampnagel am Bildschirm verfolgt. In dieser Reihenfolge, also nach der aktiven Ersterfahrung, war das passive Zuschauen ein besonderes Fest. Kurzum: Sehr gerne wieder Nesterval!
Gob Squad: Show me a good time
Eine Niete ist ja auch immer dabei. Dieses Jahr war es „Show me a good time“. Ich hatte mich für die Live-Version in der K2 entschieden, was sich als kapitaler Fehler herausstellte. Das lag in erster Linie an Bastian Trost in der Rolle des Moderators, dem nach zahlreichen Belanglosigkeiten allen Ernstes nichts Besseres einfiel, als mit dem trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnis per Stand heute immer noch unkalkulierbaren Restrisiko der Hallensituation zu kokettieren. Hat geklappt bei mir, herzlichen Glückwunsch! Aber auch die übrigen Charaktere des Szenarios überzeugten wenig, sie wirkten ebenso aufgesetzt wie planlos. Mit einer Ausnahme: Simon Will. Seine Reise hätte ich gern noch weiterverfolgt, allerdings nicht um den Preis, mich mit Sharon Smiths Pseudo-Wicca-Ritualen und dem dräuenden Einsetzen der Menstruation von Wie-hieß-sie-noch-gleich auseinandersetzen zu müssen. Ich nutzte die Pause zur Flucht.
Das verschaffte mir Zeit und Gelegenheit, um mich den Dauerbespielungen innerhalb des Avant-Garten-Programms und der Ausstellung in der Vorhalle zu widmen:
Das Peng! Kollektiv: Klingelstreich beim Kapitalismus
Über Verlauf und Ergebnisse der Aktion konnte (und kann) man sich zwar besser im Netz informieren als an der vor Ort installierten Telefonzelle, aber ich verteile einen Sonderpluspunkt für die schöne Präsentationsidee! Apropos, weiß die Jugend von heute überhaupt noch, was ein (Telefon-)Klingelstreich ist oder muss man das schon erklären? Ich fürchte ja letzteres…
JAJAJA: Radio Atopia
Hat mich nicht überzeugt, was aber auch am DJ des Abends gelegen haben kann. Technisch betrachtet hätte man auf alle Fälle an Sound und Lautstärke noch arbeiten können: Für meine Ohren wars zu dumpf-dröhnend. Und viel zu laut.
Marlene Monteiro Freitas: Cattivo
Das dritte Festival-Highlight!
Faszinierend, was man alles mit Notenständern ausdrücken kann.
Über die dritte Festival-Woche kann ich nichts berichten, da war ich an der Nordsee unterwegs. Natürlich hätte ich gerne mindestens noch Chilly Gonzales in der K2 gesehen, aber irgendwie kamen wir auch in diesem Jahr wieder nicht zusammen. Davon abgesehen hätte zwischen mir und dem Konzerterlebnis ja auch noch die zugunsten von Medical Volunteers International e. V. veranstaltete Ticket-Lotterie gestanden, denn Platz gab es nur für zweimal 100 Personen. Eine reichlich unsichere Bank.
Aber was hilfts. Neuer Versuch im nächsten Jahr!