Ich bin in London! Im Theater! Also, quasi.
Immerhin, Claire Foy und Matt Smith stehen zu einem festgelegten Zeitpunkt gemeinsam und live auf der Bühne des Old Vic und mir ist es wundersamerweise gelungen, ein Ticket für die Premiere zu ergattern. „Lungs“ gefällt mir sehr gut und ich hätte wohl keine Gelegenheit bekommen, dieses Stück zu sehen, wäre es eine reguläre Vorstellung gewesen. Wohl nur in der „In Camera“-Version hat die „Socially distanced“-Inszenierung so gut funktionieren können: Auf Foy und Smith konzentriert sich je eine Kamera und alle Szenen, in denen sich die beiden eigentlich nahe bis sehr nahe hätten kommen müssen, werden als Splitscreen-Komposition zusammengeschnitten. Dazu ein erhöhtes Tempo und fertig ist die nahezu perfekte Illusion.
Für einen substantiellen Abzug in der B-Note sorgt jedoch das Werkzeug, nämlich die Übertragung per Zoom. Die Bildqualität kann man höchstens als mäßig bezeichnen, Bild und Ton sind zeitweise nicht synchron und diversen Facebook-Kommentaren zufolge haben nicht wenige Ticketinhaber mit erheblichen technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Alle Kameras und Mikros der Zuschauer sind verständlicherweise deaktiviert, bleiben es aber auch nach Ende des Stücks. Simuliert man im Vorlauf noch mit Gemurmel, Geklingel und Ansagen Theateratmosphäre, wird das Publikum unmittelbar nach dem Abspann kurzerhand aus dem Meeting geworfen. Die Euphorie verpufft. Der Applaus kann nirgendwohin. Die Illusion ist zerstört.
Es ist Freitag Abend und ich sitze nicht im Londoner Old Vic, sondern auf meinem Sofa in Barmbek. Ich werde nicht das Theater verlassen, zum Themseufer und über die Golden Jubilee Bridge zur Haltestelle Embankment schlendern, mit der Tube zu meinem Quartier fahren und am nächsten Tag die Entdeckung meiner Lieblingsstadt in einem anderen Viertel fortsetzen. Ich kann nicht einmal sicher sein, ob das Old Vic oder irgend eines der anderen Theater noch existiert, wenn ich das nächste Mal in London bin. Wann immer das sein wird.
Keine schöne Vorstellung.