In Concert: Das PianOrquestra in der Elbphilharmonie

Wer erinnert sich noch an die Piano Guys? Die traten im Dezember 2013 sogar in der Laeiszhalle auf, unter anderem mit diesem Titel:

Das hat mir durchaus gefallen, wenn es auch als eine ziemlich (nord-)amerikanische Shownummer daherkam: Die zugegebenermaßen spektakulären Videos liefen parallel zur Livedarbietung auf einer Leinwand mit und dem Publikum wurde überdies nicht vorenthalten, dass alle Mitglieder des Ensembles tiefgläubige Mormonen sind. Allein, die Herren haben sich inzwischen mit ihrem Auftritt bei Donald Trumps Amtseinführung ins Aus geschossen. Schade eigentlich.

Wie komme ich drauf? Ach ja, das „Blind Date“ gestern in der Elbphilharmonie! Da stand zunächst ein großer Flügel im Raum und sonst nicht viel anderes, aber dann kamen 5 Menschen mit 10 Händen dazu und führten die Idee mit dem Klavier als Orchester auf ein ganz neues Level. PianOrquestra, gegründet und geleitet vom Pianisten und Perkussionisten Claudio Dauelsberg, stammen aus Brasilien und das hört man sehr deutlich. Nichtsdestotrotz wurden daneben auch ruhigere und Solotöne präsentiert, u. a. von Arvo Pärt, Johannes Brahms und Claude Debussy. Auch beim Auftritt von PianOrquestra, soweit reicht die Parallele noch, spielten Einblendungen und Videoausschnitte mit – ohne die Kamera über dem Flügel hätte man vieles gar nicht mitverfolgen können. Sehr praktisch, gerade auch für die hinteren Reihen. Einzig der tänzerischen Einlagen hätte es meiner Meinung nicht unbedingt noch bedurft. Die Kreativität und Spielfreude von Dauelsberg und seinen vier Mitstreiterinnen sprach für sich.

Mit meiner Begeisterung war ich nicht allein und ich betrachte die „Blind Dates“, sofern möglich, künftig als feste Einrichtung in meinem Konzertkalender. Mein nächstes wird im April 2019 sein.

Schöner Wohnen in Altona: Auf Instatour durch den wilden Westen

Wer in Hamburg leben möchte und weder Immobilien geerbt hat noch über ein unbegrenztes Budget verfügt, muss sich zwangsläufig mit dem leidigen Thema Wohnungssuche beschäftigen. (Manche müssen das aus Gründen sogar innerhalb weniger Monate zum wiederholten Male – unschöne Sache, ich kann das so gar nicht zur Nachahmung empfehlen.) Selbst wenn man eine ebenso bezahl- wie bewohnbare Mietbehausung gefunden hat, sicher kann fast niemand in der Stadt mehr sein, dass nicht irgendwann eine Erbengemeinschaft oder ein Investor auf teure Ideen kommt. Auch in meiner Wahlheimat Barmbek-Nord kommen die Einschläge näher: Die Dichte der Biosupermärkte, für viele ein (wenn nicht der) Indikator für Gentrifizierung, hat sich signifikant erhöht in den letzten Jahren. Die Beschäftigung mit Stadtentwicklung liegt also nahe, weswegen ich nicht zögerte, als das Altonaer Museum zur Instatour im Rahmen der aktuellen Sonderausstellung „Schöner Wohnen in Altona? Stadtentwicklung im 20. und 21. Jahrhundert“ einlud.

Schon ein kurzer Blick auf die Ausstellung  beweist, dass das Thema beileibe kein neues ist. Ausgehend von der Wohnsituation der 1890er Jahre bis in die Gegenwart werden die unterschiedlichen Strömungen, die Ideen dahinter und realisierte, aber auch nicht realisierte Projekte beleuchtet. An verschiedenen Stationen haben Besucher außerdem die Möglichkeit, eigene Erfahrungen und Vorstellungen zum Thema einzubringen.

Schöner Wohnen in Altona
Schöner Wohnen in Altona
Stadtplanung am Reißbrett
Stadtplanung am Reißbrett

Nach einer einstündigen Führung durch die Ausstellung und einer kleinen Mittagspause starteten wir schließlich zur eigentlichen Instatour, für die der VHH freundlicherweise einen Oldtimerbus aus den 1980er Jahren beisteuerte. Schulbuserinnerungen kamen hoch!

Oldie but Goldie!
Oldie but Goldie

Ich habe die insgesamt fünf Stationen der Tour chronologisch sortiert. Am Anfang steht somit die Steenkampsiedlung (1914-1926). Eine klassische Gartenstadt, beinahe dörflich-ruhig, inklusive Freigängerkatze. Manche Häuser wirken ein klein wenig angestaubt, was aber dem Charme des Ensembles keinen Abbruch tut.

Gartenstadt: Die Steenkampsiedlung
Gartenstadt: Die Steenkampsiedlung
Steenkampsiedlung
Steenkampsiedlung
Steenkampsiedlung
Steenkampsiedlung
Das Café
Das Café

Der Friedrich-Ebert-Hof (1928-1930) ist ein repräsentatives Beispiel für Wohnraumplanung der 1920er Jahre, die unter dem Motto „Licht, Luft, Sonne“ stand. Er besteht aus kleinen, einfach ausgestattete Wohnungen. Die charakteristischen Elemente Rotklinker, Sprossenfenster, Flachdach und Blockrandbebauung sind in überall in Hamburg zu finden.

Friedrich-Ebert-Hof
Friedrich-Ebert-Hof
Flachdach
Flachdach
Höchstpersönlich
Höchstpersönlich

Das Flachdach, so lernten wir bereits in der Ausstellung, war während der Nazizeit verpönt, eben weil es charakteristisch für die unmittelbar vorausgegangene Bauperiode war. Bereits bestehende Gebäude wurden vielfach durch Aufsetzen von Spitzdächern aufgestockt. Mir geht auf, dass davon möglicherweise auch das Haus betroffen ist, in dem ich lebe: Das Dachgeschoss will mit dem Rest des Blocks irgendwie nicht recht harmonieren, was sich unter anderem in den Rissen in meiner Schlafzimmerwand manifestiert.

Vom Friedrich-Ebert-Hof ist es ein großer Sprung zum Osdorfer Born (um 1970). Autogerechte „Urbanität durch Dichte“ am Stadtrand, verbunden mit der konsequenten Trennung von Wohnen und Arbeiten: Das war die Idee hinter den Großsiedlungen, die mittlerweile vielfach als soziale Brennpunkte verschrien sind. Den mäßig hübschen Plattenbauten steht eine Begrünung entgegen, die den Kolossen etwas von ihrer Wuchtigkeit nimmt. Zurzeit ist eine Fassadensanierung im Gange, die mindestens optisch einiges an Verbesserung verspricht. Eine Anbindung an das U-Bahn-Netz war zwar geplant, wurde dann aber letztlich nicht ausgeführt. Immerhin kann man den täglichen Einkauf in der unmittelbaren Umgebung tätigen.

Osdorfer Born
Osdorfer Born
Osdorfer Born
Osdorfer Born
Infrastruktur
Infrastruktur

Die 1960er Jahre brachten einiges in Gang: Gegen Planungen des CDU-geführten Senats, im bis dato durch Altbauten geprägten Kern von Ottensen in Anlehnung an die bereits etablierte „City Nord“ eine „Bürostadt West“ aufzubauen, regte sich erfolgreich Widerstand.

Heutige Projekte setzen auf Bürgerbeteiligung und den vielbeschworenen Drittelmix aus Wohnen, Büroflächen und (Einzel-)Handel. Was leider keineswegs bedeutet, dass die so entstandenen und noch im Entstehen befindlichen Quartiere für jedermann erschwinglich sind.

Die Othmarscher Höfe (2014-2016) wurden auf dem Gelände einer ehemaligen Margarinefabrik errichtet. Anders als in der erst seit kurzem im Bau befindlichen neuen Mitte Altona (2017-) sind sowohl Begrünung als auch Versorgungsinfrastruktur bereits vorhanden. Das Areal ist riesig und ziemlich eng bebaut. Darüber kann auch der in Hamburg häufig angewandte Trick mit den Staffelgeschossen nicht hinwegtäuschen.

Othmarscher Höfe
Othmarscher Höfe
Othmarscher Höfe
Othmarscher Höfe
Othmarscher Höfe
Othmarscher Höfe

Ein Teil der neuen Mitte Altona entsteht auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs. Weitere Flächen werden künftig u. a. durch Verlagerung des Fernbahnhofs zum Diebsteich und den Umzug der Holstenbrauerei frei. Neben den Neubauten soll die sogenannte Kleiderkasse, ein denkmalgeschütztes Backsteingebäude, erhalten bleiben und ein acht Hektar großer Park entstehen. Als Zentrum des Quartiers wird die ehemalige Güterhalle fungieren. Momentan wirken die bereits fertiggestellten (und bewohnten) Häuser im Bereich der Harkortstraße jedoch noch etwas deplatziert.

Mitte Altona
Mitte Altona
Mitte Altona
Mitte Altona

Die 1:1-Gegenüberstellung von Ausstellungsinhalten und Originalschauplätzen ist zwar gewissermaßen der Idealfall, Beispiele für die einzelnen Epochen der Stadtentwicklung finden sich aber überall in der Stadt verteilt. Insofern lässt sich die Ausstellung „Schöner Wohnen in Altona?“ problemlos auf Hamburg insgesamt skalieren und ist damit viel mehr als „nur“ die gelungene Beleuchtung eines Teils der Altonaer Geschichte und Gegenwart.

„Schöner Wohnen in Altona?“ läuft noch bis zum 24. Juni 2019. Im Rahmenprogramm werden u. a. Kuratorenführungen, Vorträge und Lesungen sowie diverse Stadtteilrundgänge angeboten.

„Drei Engel für Charlie“? The Show must go on!

Irgendwas ist anders im Foyer des Großen Saals der Elbphilharmonie in dieser Woche. Einigen Treppengeländern sind plötzlich Leuchtstoffröhren gewachsen, seltsame Gerätschaften stehen herum, Bereiche sind abgesperrt, Menschen eilen durch die Menge, die absolut nicht nach Konzertpublikum aussehen. Des Rätsels Lösung: Hollywood goes Elphi – gedreht wird für das anstehende Reboot von „Drei Engel für Charlie“ im Kinoformat. Vermutlich eine äußerst lukrative Nebeneinnahme fürs Haus und warum auch nicht. Spektakulär genug ist es ja und wird als Filmlocation sicherlich so einige Begehrlichkeiten geweckt haben.

Währenddessen läuft der Konzertbetrieb unverdrossen weiter und ich war mal wieder mittendrin: Am Montag bei Pierre-Laurent Aimard, Tabea Zimmermann und Adam Walker unter dem Motto „Concord-Sonate – Schwerpunkt Charles Ives“ und gestern war es Ólafur Arnalds, der sein neues Album „Re:member“ vorstellte. Aber der Reihe nach.

Seit ich den Film „Pianomania“ gesehen hatte, wollte ich Pierre-Laurent Aimard spielen sehen und hören. Anlass der Konzertwahl war also der Künstler, nicht das Programm. Wobei mir Charles Ives, die Hauptperson des Abends, durchaus in Erinnerung geblieben ist, immerhin war sein Werk „The unanswered Question“ das allererste Musikstück, welches ich im Großen Saal hörte. Da in der „Concord-Sonate“, obwohl prinzipiell als Klavierstück konzipiert, optional je ein paar Takte Bratsche und Querflöte vorgesehen sind, wurde Aimard von Tabea Zimmermann und Adam Walker unterstützt. Es lag daher nahe, auch die „Sonate für Viola und Klavier op. 147“ von Dmitri Schostakowitsch ins Programm zu nehmen und beide Halbzeiten mit je einem Solostück für Querflöte beginnen zu lassen. Mit den Flötentönen von Edgard Varèse und Elliot Carter konnte ich wenig anfangen und für den Schostakowitsch fehlte mir aus unerfindlichen Gründen die Geduld – ja, ich weiß, nicht nett von mir, aber auch beim Zuhören gibt es so etwas wie Tagesform. Dafür zündete der Programmhöhepunkt umso gewaltiger. Charles Ives war Komponist im Nebenberuf, wirtschaftlich unabhängig und scherte sich weder um musikalische Konventionen noch um die Erwartungen des Publikums. Die Bezeichnung „unkonventionell“ ist zwar reichlich überstrapaziert und keinesfalls ein Qualitätsgarant. Auf die Musik von Charles Ives trifft sie hingegen ohne jegliche Abstriche zu. Das Programmheft wird der Komponist mit diesem Satz zitiert: „Warum die Tonalität als solche verworfen werden sollte, will mir nicht einleuchten. Warum sie immer herrschen sollte, auch nicht.“ Der Mann ist mir sympathisch! Seine „Concord-Sonate“ auch, und Pierre-Laurent Aimard mit ihr in seinem pianomanischen Element. Volle Punktzahl – so ungefähr hatte ich mir das vorgestellt.

Ólafur Arnalds live, ohne Kiasmos oder Nils Frahm, nur mit seiner Musik und dazu ausgesuchtem Ensemble, das ist lange her. Das war zuletzt im September 2015, mit Alice Sara Ott und dem „Chopin Project“ im kleinen Saal des Laeiszhalle. Schon damals hatte sich Arnalds nicht auf das Chopin-Programm beschränkt und es durch ältere Stücke ergänzt. So auch bei der Vorstellung von „Re:member“. Ich erkannte zweimal „Broadchurch“, zweimal „Living Room Songs“ und ein Stück aus „The Chopin Project“; alles, was mich zielsicher durch Zeit und Raum zu katapultieren vermag, war dabei. Bei „Beth’s Theme“ habe ich vom ersten Ton an die Gesichter von David Tennant, Olivia Colman und Jodie Whittaker vor der eindrucksvollen Jurassic Coast vor Augen und „Near Light“ befördert mich nach all der Zeit immer noch in Sekundenbruchteilen ins Berlin der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts.

Hauptattraktion sowohl des Konzerts als auch des Albums „Re:member“ sind die beiden digital-mechanischen Klaviere, die zu Recht einen prominenten Platz auf der Bühne erhielten.

Die Kurzfassung des Videos, in Anlehnung an des Künstlers Twitterbiographie (per Stand Oktober 2018): „His pianos go bleep bloop“. Das klingt nicht nur zauberhaft, es ist auch ein faszinierender Anblick; insbesondere weil die Klaviere deutlich zeitverzögert auf Arnalds‘ Input reagieren. Wie ein stets neu variiertes Echo.

Apropos Echo, ich habe bisher im Großen Saal der Elbphilharmonie selten ein (mehrheitlich) derart auf Bühne und Musik konzentriertes Publikum erlebt. Nach der Zugabe „Lag Fyrir Ömmu“ hätte man sekundenlang die buchstäbliche Stecknadel fallen hören können. Der Applaus (Standing Ovations!) setzte erst ein, nachdem sich Ólafur Arnalds aus seiner musikalischen Versunkenheit, die noch eine ganze Weile nach dem Verklingen des letzten Tons angehalten hatte, regte. Das wünschte ich mir für alle Veranstaltungen in diesem Raum.

Auf der Webseite der Elbphilharmonie ist dazu mittlerweile ein sehr hilfreicher Text veröffentlicht worden, auf den man als Konzertbesucher sogar per E-Mail hingewiesen wird (zumindest wenn es sich um eine Veranstaltung der HamburgMusik gGmbH handelt und man die Karten direkt im Webshop gekauft hat). Es scheinen ihn aber bedauerlicherweise immer noch nicht genügend Menschen gelesen zu haben – von Beachten ganz zu schweigen.