Die Sache mit der Musik von Steve Reich und mir, das ist eine von diesen Spotify-Geschichten. Anfang 2016, nach Bruce Brubaker mit „Glass Piano“ im Birdland, lief das Album bei mir in der Dauerschleife. Prompt schlug mir der Algorithmus ein paar Tage später Steve Reichs „Music for Pieces of Woods“ aus dem Jahr 1973 vor, frei nach dem Motto: „Kunden, die Philip Glass mochten, mögen auch…“ – ihr kennt das.
Im ersten Anlauf reagierte ich auf das Stück allerdings eher ungnädig. Wenn ich morgens auf dem Arbeitsweg in der S-Bahn eine Playlist anwerfe, mag ich es nicht gern hektisch. „Was für ein elendes Geklacker ist das denn, ich will Musik!“, brummelte ich innerlich und bediente genervt die Skip-Taste. Später gab ich dem Titel eine zweite Chance und war fasziniert: Mit jeder Rhythmusverschiebung schien sich in meinem Kopf etwas mitzubewegen; das Gesamtgebilde erzeugte einen nahezu hypnotischen Effekt.
Wie das so ist, wenn man auf etwas gestoßen wird: Plötzlich sieht (bzw. hört) man es überall. NDR Kultur kam wenig später auf die keineswegs abwegige Idee, die Musik von Steve Reich mit der von Kiasmos in einem Konzert zusammenbringen und als ich knapp zwei Monate später im Barbican Centre das „Possibly Colliding“-Programm in Augenschein nahm, so fand ich dort unter anderem auch „Music for Pieces of Woods“ gelistet. Was mich in diesem Moment schon nicht mehr überraschte. Leider passte das Konzert nicht in den eng getakteten Zeitplan meines London-Aufenthalts.
Umso erfreuter war ich, als ich das „Maximal Minimal“-Festival im Programm der Elbphilharmonie entdeckte. Aus reiner Neugier und gegen meine Gewohnheit ließ ich den Klavierpart der Reihe links liegen und erstand ein Ticket für „Steve Reich: Drums“.
Damals wusste ich noch nicht, dass die Parkettebene 12 des Großen Saales nicht zwingend das beste Klangerlebnis gewährleistet. Bei „Music for Pieces of Woods“, aber auch bei „Drumming“ offenbarte sich das erneut: Die Akustik wirkte glashart und gnadenlos, dabei zeitweise hallig und überlaut. Wobei man dazu wissen muss, dass neben dem Vokalensemble nur ein Teil der Instrumente elektronisch verstärkt wurde. Unangenehm war auch das akustische Verhalten mancher Konzertteilnehmer. Ich bin inzwischen soweit: Menschen, die nicht flüstern können, sollte der Eintritt zu (größenteils) unverstärkten Konzerten in der Elbphilharmonie verwehrt bleiben. Dummerweise saßen gleich zwei dieser Exemplare in der Reihe vor mir („Das ist ganz schön laut.“ – „Ja, laut.“). Sie ließen sich auch durch strenges Mienenspiel der Umsitzenden nicht beirren.
Wo wir gerade dabei sind: Die zahlreichen Konzertneulinge in der Elphi hatten zwischenzeitlich eine Diskussion über „richtiges“ und „falsches“ Klatschen ausgelöst. Einige Für- und Gegenargumente wurden vor einiger Zeit im Hamburger Abendblatt veröffentlicht. Wobei auffällt, dass die Künstler sich zu dem Thema wesentlich entspannter äußerten als so mancher erzkonservative Musik“genießer“. „Bitte nicht schon wieder eine falsch verstandene (oder falsch verstehbare) ‚Willkommenskultur'“, du liebe Güte. In nicht wenigen, vornehmlich symphonischen Konzerten scheint dieser Typ des verknöcherten, humorbefreiten und elitär denkenden Klassikkonsumenten immer noch die Mehrzahl des Publikums zu stellen. Weswegen ich zunehmend Veranstaltungen und Veranstaltungsorte aufsuche, bei denen ich ein gemischteres Bild erwarten kann. Es ist auf Dauer ziemlich anstrengend, mit der eigenen Begeisterung zwischen solchen Miesepetern zu hocken.
Abgesehen davon, dass man bei einer hypersensiblen Akustik am besten den Mund hält, solange gespielt wird, steht eines jedoch außer Frage: Wenn ein Weltklasse-Ensemble auf der Bühne steht und der Komponist im Saal anwesend ist, die aufgeführten Stücke oder der Musikstil aber weder der Erwartung noch dem Geschmack entsprechen, dann gibt es genau zwei Optionen:
- Drinbleiben und versuchen, sich einzulassen. Mag sein, dass ich mit den Kompositionen auch dann nicht viel anfange, aber ich kann mindestens noch der Virtuosität der Aufführung Anerkennung zollen.
- Zur Pause das Konzert verlassen. Das ist vollkommen legitim.
Was absolut gar nicht geht, ist mitten im Stück aus dem Saal zu poltern. Da lasse ich nur medizinische Notfälle oder Blasenschwäche gelten und das hat nichts Dünkel zu tun. Sondern mit Anstand.
Ein Trost bleibt: Steve Reich wird das Verhalten der Abtrünnigen wenig gekratzt haben. Der Mann muss niemandem mehr etwas beweisen und die Fangemeinde jubelte ob des souveränen Auftritts der Colin Currie Group mit den Synergy Vocals zu Recht begeistert.
Ich auch.